Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Krankenversicherung. Psychotherapie. Wirksame Erstattungsbeschränkung
Leitsatz (amtlich)
Eine Tarifbedingung in einer privaten Krankenversicherung, mit der die Erstattung von Aufwendungen für Psychotherapie auf bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr beschränkt wird, ist wirksam.
Normenkette
AVB Krankenversicherung; BGB § 307
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des LG Berlin v. 7.10.2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin hat bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung genommen. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen zu Grunde, die in ihrem Teil I Rahmenbedingungen (RB/KK i.d.F. 1994) und in ihrem Teil II Tarifbedingungen (TB/KK i.d.F. 1999) enthalten. § 1 (1) TB/KK 99 lautet u.a.:
"Sofern der Tarif nichts Anderes bestimmt, umfasst der Versicherungsschutz auch die Psychotherapie, soweit sie medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ist und von einem niedergelassenen Arzt durchgeführt wird.
....
Aufwendungen für Psychotherapie werden bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr in tariflichem Umfang erstattet."
Die Klägerin begab sich im Jahre 2002 in psychotherapeutische Behandlung. Die Beklagte erstattete die Aufwendungen für den stationären Aufenthalt v. 19.2.bis zum 10.5.2002 und für sich anschließende 29 ambulante Therapiesitzungen. Mit Schreiben v. 14.1.2003 erhielt die Klägerin für das laufende Kalenderjahr eine Kostenzusage, die auf weitere 30 ambulante Therapiesitzungen begrenzt war. Über 30 Sitzungen hinausgehende Versicherungsleistungen für 2002 und die Folgejahre lehnte die Beklagte ab.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Leistungsbeschränkung auf 30 Sitzungen je Kalenderjahr sei unwirksam; die Beklagte habe die gesamten Kosten der psychotherapeutischen Behandlung zu übernehmen, soweit sich diese als medizinisch notwendig erweise. AG und LG haben ihre hierauf gerichtete Feststellungsklage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klausel in § 1 (1) TB/KK 99 benachteilige die Klägerin nicht unangemessen i.S.d. §§ 9 AGBG, 307 BGB n.F.. Sie belasse der Klägerin einen Kernbereich an Versicherungsschutz, der das durchschnittliche Kostenrisiko für medizinisch notwendige psychotherapeutische Behandlungen abdecke. Nach dem Ergebnis der aus anderen Verfahren beigezogenen Sachverständigengutachten seien trotz der Leistungsbeschränkung etwa zwei Drittel der psychotherapeutischen Behandlungen abgedeckt. Die Kurzzeittherapie, die etwa ein Drittel der Behandlungen ausmache, habe einen Umfang von bis zu 25 Stunden. Bei Langzeittherapien lasse sich ein weiteres Drittel der Behandlungen mit etwa 30 Sitzungen jährlich unter der Voraussetzung abdecken, dass zwei Jahresleistungen - also 60 vom Versicherer zu erstattende Sitzungen - unmittelbar aufeinander folgten.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Der Umfang des der Klägerin zu gewährenden Versicherungsschutzes ergibt sich insbes. aus dem mit der Beklagten geschlossenen Versicherungsvertrag, den diesem zu Grunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen - Rahmenbedingungen, Tarifbedingungen und Tarif - sowie aus den gesetzlichen Vorschriften (§ 1 (3) RB/KK 94). Das bedeutet hier: Nach § 1 (1) a RB/KK 94 gewährt der Versicherer im Versicherungsfall - "medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen" (§ 1 (2) S. 1 RB/KK 94) - Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen; Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich nach § 4 (1) RB/KK 94 aus dem Tarif, den Rahmen- und den Tarifbedingungen. Letztere regeln in § 1 (1) S. 1 TB/KK 99 zunächst, dass - sofern der Tarif nichts Anderes bestimmt - der Versicherungsschutz auch die Psychotherapie erfasst, soweit sie medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ist. Aufwendungen für Psychotherapie werden gem. § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 bis zu 30 Sitzungen pro Kalenderjahr in tariflichem Umfang erstattet. Leistungen verspricht die Beklagte bei psychotherapeutischen Behandlungen - liegen die Voraussetzungen des § 1 (1) S. 1 TB/KK 99 vor - nur bis zu dieser Höchstgrenze im Jahr; darüber hinaus besteht kein Leistungsanspruch des Versicherungsnehmers, selbst wenn 30 Sitzungen für eine Heilung der Erkrankung nicht ausreichen oder sich - nach zunächst abgeschlossener Therapie - noch im laufenden Kalenderjahr herausstellt, dass die Behandlung wegen einer erneuten Erkrankung des Versicherungsnehmers oder aus anderen Gründen wieder aufgenommen werden muss.
2. Diese in § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 enthaltene Leistungsgrenze unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG, § 307 Abs. 1 und 2 BGB. Allerdings trifft es zu, dass § 8 AGBG, § 307 Abs. 3 BGB die Inhaltskontrolle auf Klauseln beschränken, die von Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzen. Damit unterliegen bloße Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen, aber die für die Leistungen geltenden gesetzlichen Vorschriften unberührt lassen, nicht der Inhaltskontrolle. Hingegen sind Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, inhaltlich zu kontrollieren. Damit verbleibt für die der Prüfung entzogene Leistungsbeschreibung nur der enge Bereich der Leistungsbezeichnungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann (vgl. BGH v. 23.6.1993 - IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 [84] = MDR 1993, 841; v. 13.7.1994 - IV ZR 107/93, BGHZ 127, 35 [41] = MDR 1995, 47; Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 137/98, MDR 1999, 1065 = VersR 1999, 745 unter II 2b und c). Zu diesem Bereich der Leistungsbeschreibung gehört die Bestimmung des § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 nicht. Bereits in § 1 (1) a RB/KK 94 hat die Beklagte ihr Hauptleistungsversprechen - Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung - so beschrieben, dass der wesentliche Vertragsinhalt bestimmt werden kann; diese Leistungsbeschreibung reicht aus, um einen wirksamen Vertrag anzunehmen. Dagegen modifiziert § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 den Anspruch auf Versicherungsschutz in einschränkender Weise, indem Aufwendungen für Psychotherapie - obgleich Heilbehandlung - nur bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr erstattet werden.
3. Die Klausel in § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 erweist sich als wirksam.
a) Durch sie werden keine wesentlichen Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur der von der Klägerin genommenen Krankheitskostenversicherung ergeben, so eingeschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB n.F., § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG).
(1) Mit Abschluss eines Vertrages über eine Krankheitskostenversicherung bezweckt der Versicherungsnehmer die Abdeckung des Kostenrisikos, das ihm durch die notwendige Behandlung von Krankheiten entsteht. Das schließt regelmäßig jede Art der Behandlung ein, wenn sie sich als zur Heilung oder Linderung einer Krankheit als erforderlich erweist (BGH, Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 137/98, MDR 1999, 1065 = VersR 1999, 745 unter II 4b bb). Der von der Beklagten angebotene Versicherungsvertrag trägt diesem Zweck Rechnung, indem er im Versicherungsfall - der medizinisch notwendigen Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen - den Ersatz von Aufwendungen für die Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen verspricht. § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 ändert an dieser Einordnung nichts; er bestätigt sie vielmehr. Denn mit dieser Regelung nimmt die Beklagte den Ersatz von Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlung nicht grundsätzlich von ihrem Leistungsversprechen aus, sondern beschränkt die Erstattungsfähigkeit lediglich auf die Aufwendungen, die - unabhängig von der Höhe der entstandenen Kosten - für bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr anfallen.
(2) Nicht jede Leistungsbegrenzung, wie hier in § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 enthalten, bedeutet für sich genommen schon eine Gefährdung des Vertragszwecks. Eine solche liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung der Leistung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (vgl. BGH v. 19.11.1997 - IV ZR 348/96, BGHZ 137, 174 [176] = MDR 1998, 284; Urt. v. 21.2.2001 - IV ZR 11/00, MDR 2001, 812 = BGHReport 2001, 371 = VersR 2001, 576 unter 3a). Das ist hier zu verneinen.
Durch die Regelung in § 1 (1) Abs. 3 TB/KK 99 wird dem Versicherungsnehmer nicht für jede, sondern lediglich für eine bestimmte Art der Heilbehandlung - die Psychotherapie - eine Kostenbeteiligung auferlegt, wenn die dort genannte Anzahl von Sitzungen je Kalenderjahr überschritten wird. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten für bis zu 30 Sitzungen steht dem Versicherungsnehmer zudem für jedes Kalenderjahr erneut zu. Selbst nach Ausschöpfung des von der Beklagten zugesagten Kostenrahmens im laufenden Kalenderjahr bleibt er berechtigt, in den nachfolgenden Jahren Erstattung seiner Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlung zu verlangen, wenn auch jeweils beschränkt auf bis zu 30 Sitzungen. Darin unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von dem, der dem Senatsurteil v. 17.3.1999 (BGH, Urt. v. 17.3.1999 - IV ZR 137/98, MDR 1999, 1065 = VersR 1999, 745) zu Grunde lag. Dort hatte der Versicherer seine Leistungen auf 30 Sitzungen während der gesamten Vertragsdauer beschränkt. Eine solche Leistungsbegrenzung, die trotz Eintritts des Versicherungsfalles jedwede Leistung für die Folgezeit ausschließt, weil bei einem vorausgegangenen Versicherungsfall die Höchstgrenze erreicht worden ist, greift in die berechtigten Erwartungen des Versicherungsnehmers auf Versicherungsschutz auch für psychotherapeutische Behandlung in erheblicher, den Versicherungszweck gefährdende Weise ein; die Tarifbedingung war deshalb unwirksam. Hingegen ist der Versicherungsnehmer hier, falls die Behandlung über den Zeitraum von einem Kalenderjahr hinausgeht oder er nach zunächst abgeschlossener Therapie zu einem späteren Zeitpunkt erneut erkrankt, nicht gehindert, von der Beklagten in den jeweiligen Kalenderjahren Versicherungsleistungen in Höhe der Aufwendungen für bis zu 30 Sitzungen zu verlangen. Das zeigt, dass dem Versicherungsvertrag trotz der Leistungsbegrenzung nicht seine inhaltliche Grundlage entzogen wird und die versprochene Abdeckung des Kostenrisikos auch für psychische Erkrankungen für die Klägerin ihren Sinn behält.
Hinzu tritt, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, gegen die sich die Revision insoweit nicht wendet, der Versicherungsnehmer mit 30 erstattungsfähigen Sitzungen je Kalenderjahr die Kosten einer Kurzzeittherapie abdecken kann; eine solche reicht nach den vom Berufungsgericht beigezogenen Gutachten in etwa einem Drittel aller psychotherapeutischen Behandlungen aus. In diesen Fällen werden dem Versicherungsnehmer trotz der in § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 enthaltenen Leistungsbegrenzung die Kosten der Behandlung in voller Höhe erstattet. Von der Leistungsbeschränkung sind damit nur die Langzeittherapie oder die innerhalb eines Jahres wiederholte Kurzzeittherapie betroffen; selbst dann ist aber für den Versicherungsnehmer immer noch ein nicht unerheblicher Teil der Kosten abgedeckt, denn er erhält Versicherungsleistungen für bis zu 30 Sitzungen je Kalenderjahr.
b) Die Klausel lässt auch sonst keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers entgegen den Geboten von Treu und Glauben erkennen (§ 307 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB n.F., § 9 Abs. 1 AGBG). Eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nur dann unangemessen, wenn der Verwender - hier die Beklagte - entgegen den Geboten von Treu und Glauben einseitig eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen (BGH v. 24.3.1999 - III ZR 90/98, BGHZ 141, 137 [147]; Urt. v. 21.2.2001 - IV ZR 11/00, MDR 2001, 812 = BGHReport 2001, 371 = VersR 2001, 576 unter 3 b). Dabei bedeutet nicht jede Schmälerung des Versicherungsschutzes zugleich eine unangemessene Beeinträchtigung der Belange des Versicherungsnehmers; sie muss vielmehr den berechtigten Interessen des Versicherers gegenübergestellt werden und im Vergleich mit diesen von einigem Gewicht sein (BGH, Urt. v. 6.12.1995 - IV ZR 363/94, MDR 1996, 474 = VersR 1996, 322 unter 2b cc; Urt. v. 21.2.2001 - IV ZR 11/00, MDR 2001, 812 = BGHReport 2001, 371 = VersR 2001, 576 unter 3b cc).
In § 1 (1) S. 3 TB/KK 99 wird dem Versicherungsnehmer klar und verständlich vor Augen geführt, dass er an den Kosten langwieriger oder wiederholter psychotherapeutischer Behandlungen beteiligt werden soll. Er kann der Regelung ohne weiteres entnehmen, dass ihm zwar Versicherungsschutz auch für die Psychotherapie versprochen wird, jedoch nicht in jedem Fall die Aufwendungen für eine solche Heilbehandlung in voller Höhe abgedeckt sind. Die Klausel beschränkt die Anzahl der erstattungsfähigen Behandlungseinheiten auf bis zu 30 je Kalenderjahr; damit macht sie die mit ihr verbundenen wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen ausreichend deutlich (vgl. BGH v. 24.3.1999 - III ZR 90/98, BGHZ 141, 137 [143]).
Hinter dieser Leistungsgrenze steht das gewichtige Interesse des Versicherers, sein bei zeitintensiven psychotherapeutischen Behandlungen besonders schwer kalkulierbares Kostenrisiko zu begrenzen. Zugleich wird dem wohlverstandenen Interesse der Gesamtheit der Versicherungsnehmer an bezahlbaren Prämien Rechnung getragen. Die Beschränkung des Leistungsversprechens ist nach alledem durch sachliche, die beiderseitigen Belange beachtende Gründe gerechtfertigt (vgl. OLG Karlsruhe RuS 1999, 292; Prölss in Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 4 MB/KK 94 Rz. 3). Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers lässt sich zudem auch deshalb nicht erkennen, weil er - wie ausgeführt - trotz der Leistungsbeschränkung einen zumindest nicht unwesentlichen Teil der ihm durch eine psychotherapeutische Behandlung erwachsenen Kosten erstattet erhält.
Fundstellen
Haufe-Index 1176397 |
BGHR 2004, 1413 |
NJW-RR 2004, 1258 |
ZAP 2004, 1025 |
MDR 2004, 1237 |
MedR 2004, 558 |
VersR 2004, 1037 |
VuR 2005, 22 |
GesR 2004, 447 |
IVH 2004, 176 |
r+s 2005, 69 |
ZMGR 2005, 38 |