Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung einer formularmäßigen Bürgschaftserklärung mit unvollständiger Bezeichnung der Hauptschuld.
Normenkette
BGB § 766
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. November 1998 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 24. Januar 1997 übergab die klagende Leasinggesellschaft der Dr. St. GmbH (im folgenden: Hauptschuldnerin), deren Gesellschafter der Beklagte ist, die Entwürfe zweier Mietkaufverträge über je eine Gummizerspanmaschine. Sie fügte ein teilweise ausgefülltes Bürgschaftsformular bei. In dessen § 1 heißt es:
„Der Bürge übernimmt hiermit für alle bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Ansprüche, die der … (Klägerin) aus dem Leasingvertrag Nr./Objekt … gegen – nachstehend „Hauptschuldner” genannt – Dr. St. GmbH … zustehen, die selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Betrag von DM 740.000 …”
Die Spalte „Leasingvertrag Nr./Objekt” war nicht ausgefüllt. Der Beklagte unterzeichnete am 27. Januar 1997 die Bürgschaftserklärung sowie die angeschlossene Belehrung über die Widerrufsmöglichkeit nach dem Verbraucherkreditgesetz. Am selben Tage reichte der Geschäftsführer der Hauptschuldnerin die von ihm unterschriebenen Mietkaufverträge sowie die Bürgschaftserklärung an die Klägerin zurück. Diese füllte das bisher freigelassene Feld in der Bürgschaftserklärung aus, indem sie dort die beiden Vertragsnummern der Mietkaufverträge und deren Gegenstand „je eine Gummizerspanmaschine” vermerkte. Eine „Ausfertigung” der so ergänzten Bürgschaftserklärung sowie der beiden Mietkaufverträge übersandte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Februar 1997. Unter dem 10. Februar 1997 antwortete der Beklagte hierauf, er könne sich nicht erinnern, die Bürgschaft in dieser Form unterschrieben zu haben; höchst vorsorglich widerrufe er die Bürgschaft.
Später kündigte die Klägerin die Mietkaufverträge wegen Zahlungsverzuges der Hauptschuldnerin. Die Forderung aus den Mietkaufverträgen beläuft sich derzeit auf 762.996,40 DM. In Höhe eines Teilbetrages von 250.000 DM nimmt die Klägerin den Beklagten als Bürgen in Anspruch.
In den Vorinstanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Bürgschaftserklärung des Beklagten sei wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Schriftform nichtig. Die Verbindlichkeit, für deren Erfüllung der Beklagte als Bürge habe einstehen sollen, sei in der Urkunde nicht einmal ansatzweise bezeichnet. Zwar könne die Hauptschuld dahin konkretisiert werden, daß sie sich aus Leasingverträgen habe ergeben sollen. Es sei jedoch unsicher, ob der Beklagte für die Zahlungsverpflichtungen der Hauptschuldnerin aus einem Leasingvertrag, aus mehreren Leasingverträgen oder sogar aus allen Leasingverträgen während der Geschäftsverbindung zwischen Hauptschuldnerin und Klägerin habe bürgen sollen.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Auch bei einer Bürgschaft ist zunächst gemäß §§ 133, 157 BGB der Inhalt des Vertrages auszulegen. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Erteilung der in einem bestimmten Sinne auszulegenden Bürgschaftserklärung dem Schriftformerfordernis nach § 766 Satz 1, § 126 Abs. 1 BGB entspricht (BGH, Urt. v. 13. Oktober 1994 – IX ZR 25/94, ZIP 1994, 1860, 1862; v. 30. März 1995 – IX ZR 98/94, ZIP 1995, 812).
2. Das Berufungsgericht hat unterstellt, daß sich nach der übereinstimmenden Vorstellung beider Parteien die Bürgschaftserklärung auf die beiden Mietkaufverträge beziehen sollte, deren Abschluß mit den beiden Vertragsurkunden vom 24. Januar 1997 vorbereitet worden war. Davon ist für die Revisionsinstanz auszugehen.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte vorgebracht, die Hauptschuld könne sich nur aus einem am 5. Mai 1997 – also nach dem „Widerruf” der Bürgschaftserklärung – abgeschlossenen Vergleich ergeben. Dafür fehlt es an der erforderlichen Tatsachengrundlage. Zwar hat das Berufungsgericht im Tatbestand seines Urteils einen Vergleich mit diesem Datum erwähnt, aber zugleich ausgeführt, daß die beiden Mietkaufverträge „im wesentlichen in der Fassung der Urkunden vom 24. Januar 1997 aufrechterhalten” geblieben seien.
3. Der Ansicht des Berufungsgerichts, für einen Bürgschaftsvertrag dieses Inhalts sei die Schriftform nicht gewahrt, folgt der Senat nicht. Das Formerfordernis, das den Bürgen warnen und vor nicht ausreichend überlegten Erklärungen sichern soll (BGHZ 121, 224, 229; 132, 119, 122), gilt für alle wesentlichen Teile einer Bürgschaftserklärung. Diese muß den Willen erkennen lassen, für eine fremde Schuld einzustehen, und die Bezeichnung des Gläubigers, des Hauptschuldners sowie der verbürgten Hauptschuld enthalten. Diese Bestandteile brauchen sich allerdings nicht zweifelsfrei aus dem Wortlaut der Erklärung zu ergeben. Eine unklare oder mehrdeutige Formulierung schadet nicht, wenn sich Zweifel im Wege der Auslegung beheben lassen. Dabei dürfen auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände herangezogen werden, sofern für den Willen in dem erforderlichen Umfang ein zureichender Anhaltspunkt in der Urkunde besteht, der Inhalt der Bürgschaftsverpflichtung also dort irgendwie seinen Ausdruck gefunden hat (BGH, Urt. v. 3. Dezember 1992 – IX ZR 29/92, ZIP 1993, 102, 103; v. 21. Januar 1993 – IX ZR 90/92, ZIP 1993, 501; v. 30. März 1995 – IX ZR 98/94, aaO S. 813).
Entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Ansicht ist diese Rechtsprechung durch das Senatsurteil vom 29. Februar 1996 (BGHZ 132, 119 ff) nicht überholt. Zwar heißt es dort, die wesentlichen Vertragsbestandteile (also insbesondere die Bezeichnung des Gläubigers, des Hauptschuldners und der verbürgten Forderung) sollten dem Bürgen schon vor der Unterschriftsleistung „schwarz auf weiß” bewußt gemacht werden (BGHZ 132, 119, 124). Damit sollte aber lediglich begründet werden, daß eine formbedürftige Bürgschaft nicht durch Leistung einer Blankounterschrift und mündliche Ermächtigung eines anderen, die Urkunde zu ergänzen, wirksam erteilt werden kann. Keineswegs sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß die Auslegung einer unklaren oder mehrdeutigen Formulierung, bei der auf Anhaltspunkte in der Urkunde zurückgegriffen werden kann, nicht möglich sei. Um ein Bürgschaftsblankett geht es hier nicht.
Der Revisionserwiderung kann ferner nicht darin gefolgt werden, es liege eine Diskrepanz zwischen dem Bürgschaftswillen und dem Urkundeninhalt vor. Vielmehr läßt sich dieser entsprechend dem vom Berufungsgericht unterstellten Bürgschaftswillen ergänzen, ohne daß es hierfür auf die später von der Klägerin vorgenommenen Einfügungen ankäme. Diese können hinweggedacht werden, ohne daß sich der – durch Auslegung ermittelte – förmliche Inhalt des Vertrages dadurch ändert. Zwar war in der von dem Beklagten unterzeichneten Bürgschaftserklärung die Hauptschuld nicht genau angegeben. Die Bürgschaftserklärung bezieht sich nur auf Ansprüche aus einem nicht näher bezeichneten „Leasingvertrag”. Dies macht sie indessen nicht formunwirksam. Vielmehr gibt die Urkunde selbst geeignete Hinweise auf die verbürgte Schuld. Gemäß § 1 verbürgte sich der Beklagte für Ansprüche aus einem Leasingvertrag. Der Gebrauch der Einzahl bedeutete nicht zwingend, daß nur „ein” Leasingvertrag abzusichern war. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 1. Dort heißt es: „Die Bürgschaft besteht bis zur Beendigung des/der Leasingvertrages/verträge …” Das Fehlen der Vertragsnummern und der Leasingobjekte ist für sich genommen bedeutungslos, weil nach dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt beiden Vertragsparteien klar war, um welche Verträge es sich handelte. Andere als die beiden Mietkaufverträge gab es danach zwischen der Klägerin und der Hauptschuldnerin nicht. Einen zusätzlichen Hinweis erbrachte der in § 1 angegebene Höchstbetrag der Bürgschaft. 740.000 DM entsprachen – wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat – ungefähr der Vertragssumme der beiden Mietkaufverträge abzüglich der – bereits bezahlten – jeweils ersten Raten.
Die vorliegende Fallgestaltung stimmt mit dem Sachverhalt überein, den der Senat am 30. März 1995 (IX ZR 98/94, aaO) entschieden hat. Auch damals hat der Senat die Bürgschaft als formwirksam angesehen. Die Unterschiede, die das Berufungsgericht zwischen jenem und dem nunmehr zu entscheidenden Fall zu erkennen glaubt, sind nicht vorhanden. Hier wie dort war die Textspalte, welche die nähere Bezeichnung der Hauptschuld aufnehmen sollte, unausgefüllt geblieben, und die Angebote auf Abschluß der Hauptverträge lagen vor, als der Bürge die Bürgschaftsverpflichtung übernahm. Der Inhalt der Hauptschuld, deren Absicherung die Bürgschaft dienen sollte, lag also objektiv fest.
4. Der Beklagte hat auch für die Forderungen der Klägerin aus den Mietkaufverträgen einzustehen, obwohl er sich für Forderungen aus „Leasingvertrag” verbürgt hat und ein Mietkauf etwas anderes ist als ein normales Leasinggeschäft. Der Begriff „Leasingvertrag” ist hier eine unschädliche Falschbezeichnung (falsa demonstratio) für die Mietkäufe. Nach dem Vortrag der Klägerin, von dem hier auszugehen ist, gab es zwischen ihr und der Hauptschuldnerin Verträge nur über die Gummizerspanmaschinen. Diese Verträge wurden von der Hauptschuldnerin selbst als „Mietkaufverträge” charakterisiert (vgl. ihr Schreiben v. 18. November 1996), während der Beklagte stets von „Leasing” sprach (vgl. sein Schreiben v. 21. November 1996 – K 17), aber dasselbe meinte. Diesen wechselnden Sprachgebrauch spiegeln die Mietkaufverträge und die Bürgschaftserklärung wider.
III.
Das Berufungsurteil ist auch nicht aus anderen Gründen richtig (§ 563 ZPO).
Ein Widerrufsrecht gemäß dem Verbraucherkreditgesetz, über das die Klägerin den Beklagten „vorsichtshalber” belehrt hat, steht dem Beklagten nicht zu. Das Verbraucherkreditgesetz ist auf die hier vereinbarte Bürgschaft jedenfalls deshalb nicht anwendbar, weil das Geschäft, aus dem die gesicherte Hauptschuld herrührt, der gewerblichen Betätigung der Hauptschuldnerin zuzurechnen ist (vgl. BGHZ 138, 321, 323 ff). Im übrigen hat der Beklagte die Wochenfrist nicht eingehalten.
Für einen Verzicht auf die Bürgschaft gibt es entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung keine hinreichenden Anhaltspunkte.
IV.
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil sie noch nicht entscheidungsreif ist (§ 565 Abs. 1 ZPO). Der Beklagte hat vorgetragen, er habe bei der Unterschrift unter die Bürgschaftserklärung nicht gewußt, daß die Hauptschuldnerin Mietkaufverträge über Gummizerspanmaschinen abschließen wolle. Er sei davon ausgegangen, die Bürgschaft solle Leasinggeschäfte im Zusammenhang mit der Errichtung einer Produktionsanlage in K. absichern. Darüber sei mit der Klägerin umfangreich verhandelt worden. Wenn dies zuträfe, könnte möglicherweise nicht mehr davon ausgegangen werden, daß sich nach der übereinstimmenden Vorstellung beider Parteien die Bürgschaftserklärung auf die beiden Mietkaufverträge beziehen sollte. Die – beweispflichtige – Klägerin hat durch Zeugen unter Beweis gestellt, daß der Beklagte bei Gesprächen am 18. und 20. Februar 1997 erklärt habe, gewußt zu haben, daß er sich für zwei Mietkaufverträge über Gummizerspanmaschinen verbürgt. Es sei niemals darüber gesprochen worden, daß der Beklagte für andere Verträge habe bürgen sollen. Diesen Beweis wird das Berufungsgericht erheben müssen.
Unterschriften
Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Zugehör, Ganter
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 17.02.2000 durch Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 948 |
DB 2000, 1167 |
NJW 2000, 1569 |
NWB 2000, 2513 |
EBE/BGH 2000, 117 |
EWiR 2000, 569 |
IBR 2000, 325 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 886 |
WuB 2000, 963 |
ZAP 2000, 773 |
ZIP 2000, 740 |
ZMR 2000, 440 |
MDR 2000, 714 |
ZBB 2000, 181 |
JAR 2000, 133 |