Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert. Zeitwertschaden. Neuwertspanne. Ersatz der notwendigen Reparaturkosten. Strenge Wiederherstellungsklausel. Verwendungssicherstellung vor Grundstücksveräußerung. Veräußerung des Grundstücks nach Eintritt des Versicherungsfalls. Anspruch des Grundstücksveräußerers. Verbindliche Vergabe von Bauleistungen
Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf den Neuwertanteil entsteht bis zum Eigentumsübergang in der Person des Grundstücksveräußerers, wenn bis dahin die Wiederherstellung sichergestellt ist.
Normenkette
VVG § 97; VGB 88 § 15 Nr. 4 S. 1
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 31.01.2003) |
LG Berlin |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des KG v. 31.1.2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin begehrt aus einer Wohngebäudeversicherung den den Zeitwertschaden übersteigenden Teil der Entschädigung, den sog. Neuwertanteil.
Vom 1.1.1994 bis zum 1.7.1997 unterhielt die Klägerin bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert unter Einbeziehung der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88). In Bezug auf die Neuwertspanne ist in § 15 Nr. 4 S. 1 VGB 88 Folgendes bestimmt:
"Der Versicherungsnehmer erwirbt den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt, nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wieder herzustellen oder wiederzubeschaffen."
Am 4.10.1996 wurde das versicherte Gebäude durch einen Brand erheblich beschädigt. Die Beklagte ersetzte der Klägerin den in einem Gutachten ermittelten Zeitwertschaden i. H. v. 267.542,24 DM, nicht aber die darin festgestellte Neuwertspanne i. H. v. 214.103,33 DM.
Am 23.11.1998 verkaufte die Klägerin das Grundstück. In dem Kaufvertrag verpflichteten sich die Erwerber, das beschädigte Gebäude mit einem nachgewiesenen Kostenaufwand von mindestens 270.000 DM unverzüglich wieder aufzubauen. Wegen der deswegen von der Klägerin beanspruchten Neuwertspanne vereinbarten die Kaufvertragsparteien einen in dieser Höhe verminderten Kaufpreis. Am 26.8.1999 wurden die Erwerber als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Der nach Abschluss des Kaufvertrages begonnene Wiederaufbau wurde erst nach Ablauf von drei Jahren seit dem Brand fertig gestellt.
Die Parteien streiten darüber, ob die Verwendung der Entschädigung gem. § 15 Nr. 4 S. 1 VGB 88 rechtzeitig sichergestellt war. Das LG hat dies verneint und die Klage auf Auszahlung des gutachterlich festgestellten Neuwertanteils abgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hält die Klägerin für aktivlegitimiert. Die Erwerber hätten ihr den Anspruch auf die Neuwertspanne jedenfalls im Juli 1999 wirksam abgetreten. Auf die Frage, wem er im Falle einer Grundstücksveräußerung nach dem Versicherungsfall zusteht, komme es daher nicht an.
Das Berufungsgericht sieht die Verwendung der Mittel zur Wiederherstellung bereits auf Grund der im Kaufvertrag v. 23.11.1998 übernommenen Verpflichtung der Erwerber, das beschädigte Gebäude wieder aufzubauen, als hinreichend sichergestellt an. Es ist darüber hinaus der Ansicht, dass auch der Abschluss eines Bauvertrages, dessen Rückgängigmachung ausgeschlossen sei oder zumindest fern liege, eine hinreichende Sicherstellung darstelle. Das sei hier der Fall. Aus einem Architektenschreiben v. 21.9.1999 ergebe sich, dass damals seitens der Erwerber bereits Bauarbeiten mit einem Gesamtvolumen von 255.002,16 DM in Auftrag gegeben gewesen seien. So existierten u. a. ein Vertrag mit einem Bauunternehmer über 122.817,56 DM v. 10.8.1999 und ein Vertrag mit einer Zimmerei über Dachstuhlarbeiten i. H. v. 75.632 DM v. 16.8.1999. Soweit das Begleitschreiben des Bauunternehmers v. 10.8.1999 Vorbehalte enthalte, könnten diese als hinfällig betrachtet werden, da die Erwerber das neu errichtete Gebäude am 1.9.2000 bezogen hätten. Bis zum Ablauf der Dreijahresfrist am 4.10.1999 seien zwar nicht alle zum Wiederaufbau notwendigen Bauverträge abgeschlossen gewesen, eine Abstandnahme von den bereits begonnenen, nicht unerheblichen Bauarbeiten habe jedoch erkennbar fern gelegen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
1. a) Bei der hier genommenen Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert unter Einbeziehung der VGB 88 wird der durch § 15 Nr. 1b VGB 88 gewährte Anspruch auf Ersatz der notwendigen Reparaturkosten durch die in § 15 Nr. 4 VGB 88 getroffene Regelung eingeschränkt (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2000 - IV ZR 280/99, VersR 2001, 326, unter I 2a zu § 15 VGB 94 m. w. N.). Nach § 15 Nr. 4 S. 1 VGB 88 erwirbt der Versicherungsnehmer den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden (§ 14 Nr. 1b VGB 88) übersteigt, nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wieder herzustellen oder wiederzubeschaffen. Es handelt sich hierbei um eine sog. strenge Wiederherstellungsklausel, nach der die Sicherstellung der Verwendung der Entschädigung zur Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs auf Ersatz des Schadens ist, der über den Zeitwertschaden hinausgeht. Ohne diese Verwendungssicherstellung (im Folgenden: Sicherstellung) oder die Wiederherstellung selbst ist der Anspruch auf den Ersatz des Zeitwertschadens beschränkt (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2000 - IV ZR 280/99, VersR 2001, 326, unter I 2a, b).
b) Die Sicherstellung im Streitfall nach den gegebenen Umständen festzustellen, ist weitgehend Sache des Tatrichters. Sie erfordert eine Prognose in dem Sinne, dass bei vorausschauend-wertender Betrachtungsweise eine bestimmungsgemäße Verwendung hinreichend sicher angenommen werden kann. Das ist im Bereich von Kaskoversicherungen etwa bei einem verbindlich geschlossenen Reparatur- oder Kaufvertrag anerkannt (vgl. BGH v. 8.2.1988 - II ZR 210/87, BGHZ 103, 228 [235] = MDR 1988, 563; Urt. v. 28.5.1986 - IVa ZR 197/84, MDR 1986, 1005 = VersR 1986, 756, unter 2).
Diese Grundsätze lassen sich auf Wohngebäudeversicherungen, bei denen eine ähnliche Problematik besteht (BGH, Urt. v. 28.5.1986 - IVa ZR 197/84, MDR 1986, 1005 = VersR 1986, 756, unter 2), übertragen. Dementsprechend bedarf es diesbezüglich Vorkehrungen, die - auch wenn sie keine restlose Sicherheit garantieren - jedenfalls keine vernünftigen Zweifel an der Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung aufkommen lassen, um Manipulationen möglichst auszuschließen. Das wird beispielsweise anzunehmen sein nach verbindlichem Abschluss eines Bauvertrages oder eines Fertighauskaufvertrages mit einem leistungsfähigen Unternehmer, wenn die Möglichkeit der Rückgängigmachung des Vertrages nur eine fern liegende ist (vgl. OLG Hamm VersR 1984, 175 f.; Prölss/Martin/Kollhosser, VVG, 26. Aufl., § 97 Rz. 14), oder wenn von der Durchführung des Vertrages nicht ohne erhebliche wirtschaftliche Einbußen Abstand genommen werden kann (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., R IV 35).
c) Bis zur Eintragung der Grundstückserwerber im Grundbuch am 26.8.1999 - mithin innerhalb der Dreijahresfrist - war hier die Sicherstellung erfolgt. Sie wurde nach dem im Kaufvertrag festgeschriebenen Wiederaufbau durch die verbindliche Vergabe von Bauleistungen erreicht. Die im Begleitschreiben des Bauunternehmers erklärten Vorbehalte und Ergänzungen stehen dem nicht entgegen. Jedenfalls die Vergabe der Dachstuhlarbeiten mit einer Summe von 75.632 DM am 16.8.1999 war uneingeschränkt bindend. Bei einer Abstandnahme von dem Vertrag drohten den Bestellern erhebliche Ersatzforderungen des Bauunternehmers (§§ 649 BGB, 8 Nr. 1 VOB/B). Sie waren mit diesem Vertragsschluss auch unter Berücksichtigung des erhaltenen Kaufpreisnachlasses einem hinreichend hohen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt, den Wiederaufbau nach den Planungen des beauftragten Architekten auch wirklich umzusetzen. Darauf bezogen begegnet die tatrichterlich festgestellte bedingungsgemäße Sicherstellung keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
Damit ist dem erkennbaren Zweck der strengen Wiederherstellungsklausel genügt. Diese Klausel zielt auf die Begrenzung des subjektiven Risikos des Versicherers, der davor geschützt werden soll, dass der Versicherungsnehmer - wie bei freier Verwendbarkeit einer Versicherungssumme - in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalles Vermögensvorteile zu verschaffen (vgl. Prölss/Martin/Kollhosser, VVG, 26. Aufl., § 97 Rz. 8; BK/Dörner/Staudinger, VVG, § 97 Rz. 7).
2. Der mit der Sicherstellung entstandene Anspruch auf Auszahlung der Neuwertspanne steht dem in diesem Zeitpunkt im Grundbuch als Eigentümer ausgewiesenen Versicherungsnehmer zu.
a) Nach der Rechtsprechung des BGH entsteht in den Fällen der Veräußerung des Grundstücks nach Eintritt des Versicherungsfalls der Anspruch auf den Neuwertanteil der Entschädigung in der Person des Grundstückserwerbers, wenn bei Versicherung des Grundstücks zum gleitenden Neuwert im Versicherungsvertrag eine Wiederherstellungsklausel vereinbart ist, der Erwerber nach dem Eigentumsübergang das versicherte Gebäude fristgerecht wiederherstellt oder die Verwendung der Entschädigung zu diesem Zweck, die vor dem Eigentumsübergang noch nicht sichergestellt war, fristgerecht sicherstellt (vgl. BGH, Urt. v. 8.6.1988 - IVa ZR 100/87, MDR 1988, 1038 = VersR 1988, 925 f.; und Urt. v. 8.7.1992 - IV ZR 229/91, MDR 1993, 31 = VersR 1992, 1221 f.; jeweils zu § 7 Nr. 3a VGB 62). Folgerichtig muss daher der Anspruch auf die Neuwertspanne in der Person des Veräußerers entstehen, wenn die Sicherstellung noch vor dem Zeitpunkt des Eigentumsübergangs erfolgt (vgl. Langheid in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 98 Rz. 3). Die Sicherstellung hängt nicht davon ab, was Veräußerer und/oder Erwerber allein oder zusammen für die Wiederherstellung beigetragen haben. Der Veräußerer, der - vom Fall der vorzeitigen Beendigung des Versicherungsvertrages abgesehen - bis zur Grundbucheintragung des Erwerbers Versicherungsnehmer bleibt (Römer, ZNotP 1998, 213 [217]), muss insbesondere nicht identisch mit demjenigen sein, der letztlich die Sicherstellung bewirkt.
§ 15 Nr. 4 S. 1 VGB geht zwar seinem Wortlaut nach davon aus, dass der Versicherungsnehmer die Wiederherstellung sicherzustellen hat. Diese Formulierung hat aber nicht den Fall der Veräußerung im Blick. Entscheidend ist nach dem für den durchschnittlichen, versicherungsrechtlich nicht vorgebildeten, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer erkennbaren Sinn und Zweck der Wiederherstellungsklausel, dass in gleicher Art und Zweckbestimmung wieder aufgebaut wird und als Vorstufe eine entsprechende Sicherstellung erfolgt. Dieser Versicherungsnehmer wird verstehen, dass dies für den Erhalt der Bausubstanz, die im Interesse des Versicherers, eventuell vorhandener Grundpfandgläubiger und der öffentlichen Hand zu schützen ist, ausreichend aber auch erforderlich ist. Wie diese Mittelverwendung im Einzelfall abgewickelt wird, ist insoweit ohne Belang.
b) In der Person des Versicherungsnehmers einmal entstandene Ansprüche gehen nicht gem. § 69 Abs. 1 VVG mit dem Eigentumsübergang auf den Erwerber über. Sie verbleiben vielmehr bei ihm als Veräußerer (RGZ 162, 269 [0272]; OLG Hamm v. 23.12.1985 - 20 W 51/85, VersR 1987, 661; Prölss/Martin/Kollhosser, VVG, 26. Aufl., § 69 Rz. 23 f., 26; Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., R IV 43; wohl auch Langheid in Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 69 Rz. 15). Infolgedessen ist die Klägerin trotz des Eigentumsübergangs auf die Erwerber am 26.8.1999 Forderungsinhaberin geblieben.
c) Der Zeitpunkt des Eigentumsübergangs, also regelmäßig der der Grundbucheintragung, bildet bezogen auf die Verwendungssicherstellung im Sinne der strengen Wiederherstellungsklausel die entscheidende Zäsur. Dies schafft die - insbesondere auch im Interesse des Versicherers - notwendige Klarheit, wem er die Neuwertspanne auszuzahlen hat, so denn im beschriebenen Sinne feststeht, dass die beschädigten Baulichkeiten über die Neuwertspanne wiederhergestellt werden und die Bausubstanz auf diese Weise in ihrem Wert erhalten wird.
3. Entgegen der Ansicht der Revision stehen dem weder § 55 VVG noch ein ungeschriebenes allgemeines Bereicherungsverbot entgegen. Diese Auffassung lässt außer Acht, dass nach der Rechtsprechung des Senats § 55 VVG eine Regelung über Zulässigkeit und Grenzen der Neuwertversicherung nicht enthält und dass es auch ansonsten ein ungeschriebenes allgemeines Bereicherungsverbot im Sinne eines zwingenden, die Neuwertversicherung einschränkenden Rechtssatzes nicht gibt (BGH v. 17.12.1997 - IV ZR 136/96, BGHZ 137, 318 [323, 326] = MDR 1998, 652; v. 4.4.2001 - IV ZR 138/00, BGHZ 147, 212 [215 f.] = MDR 2001, 989 = BGHReport 2001, 451). Der Versicherer muss viel mehr halten, was er vertraglich versprochen hat, es sei denn, dass sich aus dem Gesetz ausdrücklich dem vorgehende Leistungseinschränkungen ergeben. Letzteres ist hier nicht der Fall.
Fundstellen
Haufe-Index 1127078 |
BGHR 2004, 804 |
EBE/BGH 2004, 1 |
EBE/BGH 2004, 107 |
NJW-RR 2004, 753 |
IBR 2004, 288 |
ZfIR 2004, 490 |
MDR 2004, 807 |
VersR 2004, 512 |
ZfS 2004, 223 |
BTR 2004, 136 |
IVH 2004, 86 |
JWO-VerbrR 2004, 122 |