Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des Leistungsverzeichnisses eines Einheitspreisvertrages über Trocken- und Naßbaggerarbeiten.
Normenkette
BGB §§ 133, 157
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 22.12.2000) |
LG Mainz (Urteil vom 27.02.1997) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der Anschlußrevision das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. Dezember 2000 teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 27. Februar 1997 weitergehend abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerinnen beanspruchen wegen eines nach ihrer Ansicht unvollständigen Leistungsverzeichnisses eines VOB-Einheitspreisvertrages zusätzlichen Werklohn.
Sie beteiligten sich an einer Ausschreibung der Beklagten, deren Gegenstand unter anderem der Ausbau der freien Strecken eines Saarabschnitts war. Zu den danach durchzuführenden Arbeiten gehörte der Abtrag von Bodenschichten, der sowohl vom Land (Trockenbaggerarbeiten) als auch vom Wasser (Naßbaggerarbeiten) aus durchgeführt werden sollte.
In der allgemeinen Baubeschreibung, die Grundlage der Ausschreibung der Beklagten war, heißt es unter Nr. 4.3:
„Erdarbeiten.
Für die Ausführung gilt DIN 18.300.
Der Oberbodenabtrag im Trassenbereich (…) ist insgesamt im Teil A erfaßt.”
Im folgenden werden weitere technische Anweisungen für die Leistungsausführung gegeben. Der für die freien Strecken der Saar vorgesehene Teil A.2.1 des Leistungsverzeichnisses ist überschrieben mit „Bodenbewegung”; die Hauptpositionen enthalten jeweils ohne Hinweis auf das anzuwendende Verfahren die Beschreibung „Boden lösen und weiterverwenden”. Für den Durchstich S. I wurden Naßbaggerarbeiten erwähnt; der hierfür vorgesehene Teil A.8.2 des Leistungsverzeichnisses ist entsprechend überschrieben.
Das von den Klägerinnen abgegebene Angebot enthält in den Vorbemerkungen folgende in ihrer Reichweite zwischen den Parteien umstrittene Angabe:
„Die Erdarbeiten im Teil A unterteilen sich in zwei Bauverfahren – Trocken- und Naßbaggerarbeiten –. Soweit es möglich ist, werden die Arbeiten im Trockenen ausgeführt. Die unterschiedlichen Bauweisen sind in die Preisbildung eingegangen. Gemäß den schematischen Darstellungen in unserer Bauablaufsystemskizze (Anlage 1) beginnen wir in konventioneller Trockenbauweise mit dem Durchstich 2. (…) Nachfolgend werden die im Sohlbereich anstehenden Bodenmassen ebenfalls beim Absperrdamm A 1 beginnend von Oberstrom nach Unterstrom mit schwimmendem Gerät (Stelzenponton mit Schwimmgreifer) gelöst, auf Schuten verladen und (…) über das Baustraßennetz auf die vorgesehenen Einbaustellen transportiert.”
Dem Angebot der Klägerinnen beigefügt waren unter anderem eine schematische Darstellung des vorgesehenen Bauablaufs sowie drei Querprofile der Saar.
Nach Zuschlagserteilung und Aufnahme der Arbeiten forderten die Klägerinnen für die Naßbaggerarbeiten auf den freien Strecken eine höhere Vergütung, nämlich eine solche nach den Preisangaben in dem für den Durchstich vorgesehenen Teil A.8.2 des Leistungsverzeichnisses. Die Beklagte lehnte dies ab und zahlte nur den nach den im Teil A.2.1 angebotenen Einheitspreisen berechneten Werklohn.
Die Klägerinnen machten daraufhin zunächst die Differenz zu der Vergütung nach den Einheitspreisen des Teils A.8.2 in Höhe von DM 1.671.292,73 klageweise geltend. Nachdem ein vom Landgericht eingeholtes Gutachten zur Bewertung der Ausschreibung und der angemessenen Einheitspreise zu höheren als den von den Klägerinnen angesetzten Preisen gekommen war, weil der Sachverständige eine Anwendung des Teils A.8.2 des Leistungsverzeichnisses mangels Vergleichbarkeit abgelehnt hatte, haben sie die Klage auf DM 2.195.332,67 erweitert.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung hat zu einer Abänderung der Verurteilung bezüglich der Zinsen geführt; im übrigen ist sie ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerinnen haben sich dem Rechtsmittel mit dem Ziel angeschlossen, ihre nach Zeitraum und Höhe weitergehende Zinsforderung durchzusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur vollständigen Abweisung der Klage.
Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht leitet einen Anspruch der Klägerinnen auf Zahlung einer angemessenen Vergütung aus § 632 Abs. 2 BGB ab. Beim VOB-Vertrag komme § 632 Abs. 2 BGB zur Anwendung, wenn „vergessen” worden sei, die Vergütung festzulegen. Aus der allgemeinen Baubeschreibung, den Übersichtsplänen und den Querprofilen habe sich für die Bieter zwar ergeben, daß Naßbaggerarbeiten beim Ausbau der freien Strecken erforderlich sein würden. Auch die Klägerinnen hätten dies erkannt, wie sich aus ihrem Angebot ergebe. Die Naßbaggerarbeiten seien aber im Leistungsverzeichnis nicht berücksichtigt worden. Aus dem Aufbau der Ordnungsziffern A.2.1 ff. folge nach dem Ergebnis der Begutachtung durch die Sachverständigen, daß in ihnen nur Erdarbeiten in Trockenbauweise nachgefragt worden seien, nicht aber Naßbaggerarbeiten für den Bereich der freien Strecken. Die zu bewegenden Massen seien insgesamt in etwa im Leistungsverzeichnis enthalten, dort aber nur unter der Position Erdarbeiten aufgeführt, obwohl sie in Erdarbeiten nach DIN 18300 und Naßbaggerarbeiten nach DIN 18311 hätten aufgeteilt werden müssen.
Da in dem für die freien Strecken vorgesehenen Teil des Leistungsverzeichnisses folglich keine Positionen für Naßbaggerarbeiten vorhanden gewesen seien, hätten diese Arbeiten von den Klägerinnen nicht kalkuliert werden können. Wegen der nach der Beurteilung der Sachverständigen unterschiedlichen Verhältnisse könnten auch nicht die Angaben bei den Ordnungsziffern des Teils A.8.2 des Leistungsverzeichnisses entsprechend herangezogen werden.
Der Beklagten sei nicht in ihrer Auffassung zu folgen, aus Nr. 4.3 der Baubeschreibung sei für die Bieter zu entnehmen gewesen, daß anteilige Naßbaggerarbeiten nur nach dem Preis für Trockenbauarbeiten vergütet werden sollten. Es sei schon wegen des grundlegend unterschiedlichen Verfahrens und der erheblich höheren Kosten nicht nachvollziehbar, wie Naßbaggerarbeiten nach DIN 18300 kalkuliert oder abgerechnet werden könnten. Zwar könnten in Leistungsverzeichnissen ausnahmsweise auch ungleichartige Positionen unter einer Ordnungszahl zusammengefaßt werden. Daß dies hier gewollt gewesen sei, hätten die Bieter jedoch nicht annehmen können, da die Naßbaggerarbeiten nach ihrem Umfang nur schwer und mittelbar zu kalkulieren gewesen seien. Eine vom allgemeinen Verständnis der Verdingungsunterlagen abweichende Auslegung des Vertrages der Parteien sei auch nicht wegen des Hinweises auf die in die Preisbildung eingegangenen verschiedenen Bauverfahren im Angebot der Klägerinnen geboten. Dieser beziehe sich auf die Erdarbeiten und die Preisbildung im Teil A der Ausschreibung insgesamt und nicht nur auf die freien Strecken.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die Klägerinnen können keinen zusätzlichen Werklohn für Naßbaggerarbeiten nach § 632 Abs. 2 BGB geltend machen, weil es bei zutreffender Auslegung der ausgeschriebenen und beauftragten Leistung an einer für die Anwendung dieser Vorschrift notwendigen Lücke in der Vergütungsregelung des Einheitspreisvertrages fehlt. Es liegen für den Bereich der freien Strecken keine zusätzlichen, vom Auftrag und der Preisvereinbarung nicht erfaßte Leistungen vor. Der vertraglich vereinbarte Preis erfaßt auch die Naßbaggerarbeiten in diesem Bereich.
a) Zur Klärung der Frage, ob die Positionen des Leistungsverzeichnisses auch die Naßbaggerarbeiten auf den freien Strecken der Saar umfassen, ist die Vereinbarung der Parteien nach den §§ 133, 157 BGB auszulegen. Beim Vergabeverfahren nach der VOB/A ist maßgebend der objektive Empfängerhorizont, also die Sicht der potentiellen Bieter (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1993 – VII ZR 118/92, BauR 1993, 595 = ZfBR 1993, 219; Urteil vom 11. März 1999 – VII ZR 179/98, BauR 1999, 897 = ZfBR 1999, 256). Neben dem Wortlaut sind bei der Auslegung die Umstände des Einzelfalls, unter anderem die konkreten Verhältnisse des Bauwerks zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 11. November 1993 – VII ZR 47/93, BGHZ 124, 64, 67; BGH, Urteil vom 28. Februar 2002 – VII ZR 376/00, in juris dokumentiert).
b) Diese Grundsätze wendet das Berufungsgericht nicht zutreffend an. Es wertet die Vergabe- und Angebotsunterlagen zur Auslegung des Vertragsinhalts nicht vollständig aus und kommt deshalb zu dem Ergebnis, die aus der Leistungsbeschreibung und den Plänen als notwendig erkennbaren Naßbaggerarbeiten im Bereich der freien Strecken seien von keiner der Positionen im Leistungsverzeichnis erfaßt. Da weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen und auf dieser Grundlage in der Sache entscheiden.
aa) Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung als wesentlichen Umstand (§§ 133, 157 BGB) die Äußerung der Klägerinnen in ihrem Angebot nicht berücksichtigt. Diese haben erklärt, die unterschiedlichen Bauweisen seien in die Preisbildung eingegangen und auf die Erdarbeiten dieses gesamten Teils A bezogen. Die Auslegung des Berufungsgerichts, daß nach Arbeiten in Trockenbauweise bei den freien Strecken einerseits und Naßbaggerarbeiten beim Durchstich andererseits differenziert worden sei, ist damit nicht zu vereinbaren. Dagegen spricht der nachfolgende Angebotstext. Er kündigt unter Hinweis auf die Bauablaufsystemskizze an, daß zunächst am Durchstich 2 mit den Trockenbaggerarbeiten begonnen werden, dann die ebenfalls trocken auszuführenden Grabungen an den Ufern erfolgen und schließlich Schwimmgreifer eingesetzt werden sollten. Demnach waren die Klägerinnen bei der Formulierung des Angebotstextes erkennbar von Naßbaggerarbeiten auch auf freier Strecke ausgegangen und hatten die Ausschreibung auch mit diesem Inhalt verstanden. Ein ausdrücklicher Hinweis im Angebotstext, daß die unterschiedlichen Verfahren zur Erdbewegung bei der Preisbildung berücksichtigt worden seien, wäre auch entbehrlich gewesen, wenn damit nur die Naßbaggerarbeiten am Durchstich gemeint gewesen wären. Diese waren im Leistungsverzeichnis ausdrücklich als solche gekennzeichnet und bedurften insoweit keiner besonderen Erwähnung. Die von den Klägerinnen gewählte Formulierung zwingt zu der Auslegung, daß in den freien Strecken im Titel A.2.1 sowohl „Erdarbeiten” nach DIN 18300 wie „Naßbaggerarbeiten” nach DIN 18311 enthalten waren und eine Mischkalkulation vorgenommen werden sollte.
bb) Eine Lücke im Leistungsverzeichnis liegt nicht vor. Sämtliche bei den Erdarbeiten im Trocken- und Naßbaggerverfahren anfallenden Massen waren nach den vom Sachverständigen S. gegebenen Erläuterungen seines Gutachtens insgesamt bei den Ordnungsziffern A.2.1 ff. zusammengefaßt worden. Die potentiellen Bieter hatten deshalb nicht aufgrund „fehlender Mengen” Anlaß zu der Vermutung, es bleibe noch Raum für eine gesonderte Vereinbarung über die Vergütung der Naßbaggerarbeiten.
cc) Die Klägerinnen können nicht geltend machen, sie hätten mit der Bildung von Mischpositionen aus Leistungen in Trocken- und Naßbaggerbauweise insbesondere deshalb nicht rechnen müssen, weil die vergleichsweise deutlich teureren Naßbaggerarbeiten nur schwer und mittelbar zu kalkulieren gewesen seien. Die Sachverständigen haben in ihrem Ergänzungsgutachten vom 7. März 1996 unter Hinweis auf die drei charakteristischen Querprofile des Saarausbaus ausgeführt, daß der tatsächliche Umfang der erforderlichen Naßbaggerarbeiten zum Zeitpunkt der Erstellung der Kalkulation der Größenordnung nach erkennbar gewesen sei. Die Bildung einer Mischkalkulation bedeutete demnach für die Klägerinnen keine Übernahme eines ungewöhnlichen und unzumutbaren Risikos. Nach dem Gutachten des Sachverständigen S. kann der Anteil der im Trockenbauverfahren abzubauenden Erdmassen davon abhängen, welche Gerätschaften vom Unternehmer eingesetzt werden.
2. Die Forderung der Klägerinnen ist auch unter keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt begründet. Die vom Landgericht herangezogene Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen wegen einer möglichen Verletzung des Gebots zu richtiger und vollständiger Ausschreibung kommt nicht in Betracht. Die von den Klägerinnen zu erbringende Leistung war vollständig beschrieben und im Preis erfaßt. Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerinnen in einem schutzwürdigen Vertrauen auf die Einhaltung der VOB/A enttäuscht worden sind, sind unter Berücksichtigung ihrer Angebotsunterlagen nicht gegeben. Die in der mündlichen Verhandlung erhobene Gegenrüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil in ihr nicht die Behauptung enthalten ist, die vormals abgegebenen Angebote der Klägerinnen enthielten wie das streitige Angebot den Hinweis darauf, daß die unterschiedlichen Bauweisen in die Preisbildung eingegangen sind.
III.
Da den Klägerinnen die Hauptforderung nicht zusteht, hat die Anschlußrevision keinen Erfolg.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ullmann, Hausmann, Kuffer, Kniffka, Bauner
Fundstellen
Haufe-Index 749338 |
BGHR 2002, 819 |
BauR 2002, 1394 |
NJW-RR 2002, 1096 |
IBR 2002, 535 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 1560 |
ZfBR 2002, 666 |
NZBau 2002, 500 |
FSt 2003, 462 |