Leitsatz (amtlich)
Die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Zahnarztpraxen ist im Allgemeinen nicht als öffentliche Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG anzusehen. Sie greift daher in der Regel nicht in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken ein, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 5 Fall 1, 22 Satz 1 Fall 1 UrhG) und begründet auch keinen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG).
Normenkette
UrhG § 15 Abs. 2-3, § 22 S. 1, § 78 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 08.01.2014; Aktenzeichen 23 S 144/13) |
AG Düsseldorf (Urteil vom 04.04.2013; Aktenzeichen 57 C 12732/12) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 23. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 8.1.2014 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels aufgehoben, soweit hinsichtlich des Zinsanspruchs aus einem Betrag von 51,93 EUR für den Zeitraum vom 8.9.2012 bis zum 16.12.2012 zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird das Urteil des AG Düsseldorf vom 4.4.2013 auf die Berufung der Klägerin teilweise abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für den Zeitraum vom 8.9.2012 bis zum 16.12.2012 aus einem Betrag von 51,93 EUR weitere Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Die Kosten der Revision hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Sie nimmt die ihr von Komponisten, Textdichtern und Musikverlegern aufgrund von Berechtigungsverträgen eingeräumten Rechte zur Nutzung von Werken der Tonkunst (mit oder ohne Text) wahr. Sie ist von der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) und der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) ermächtigt, die von diesen wahrgenommenen Rechte und Ansprüche der Urheber von Sprachwerken (VG Wort) sowie der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller (GVL) im eigenen Namen und für eigene Rechnung geltend zu machen. Der Beklagte ist Zahnarzt und betreibt eine zahnärztliche Praxis. In deren Wartebereich werden Hörfunksendungen als Hintergrundmusik übertragen.
Rz. 2
Die Parteien schlossen am 6.8.2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag, mit dem die Klägerin dem Beklagten das Recht zur Nutzung an Werken ihres Repertoires sowie des Repertoires der VG Wort und der GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner Praxis gegen Zahlung einer Vergütung einräumte. Der Vertrag war für die Zeit vom 1.6.2003 bis zum 31.5.2004 geschlossen und verlängerte sich mangels Kündigung jeweils um ein weiteres Jahr. Die für den Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum 31.5.2013 geschuldete und am 1.6.2012 im Voraus fällige Vergütung betrug 113,57 EUR. Davon entfielen netto 72,70 EUR auf die Klägerin, 14,54 EUR (20 % der GEMA-Vergütung) auf die VG Wort und 18,90 EUR (26 % der GEMA-Vergütung) auf die GVL zzgl. 7 % Umsatzsteuer.
Rz. 3
Nachdem die Klägerin den Beklagten mehrmals vergeblich zur Zahlung der für den Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum 31.5.2013 geschuldeten Vergütung aufgefordert hatte, hat sie ihn mit der vorliegenden Klage - soweit für die Revision von Bedeutung - auf Zahlung von 113,57 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.9.2012 in Anspruch genommen.
Rz. 4
Im Laufe des Rechtsstreits hat der Beklagte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 6.12.2012, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17.12.2012 zugestellt wurde, die fristlose Kündigung des Lizenzvertrags erklärt. Diese hat er damit begründet, dass die Wiedergabe von Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 (C-135/10, GRUR 2012, 593 = WRP 2012, 689 - SCF/Del Corso) keine öffentliche Wiedergabe darstelle.
Rz. 5
Das AG hat den Beklagten zur Zahlung von 61,64 EUR nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen (AG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 458). Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben (LG Düsseldorf, Urt. v. 8.1.2014 - 23 S 144/13, juris). Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, erstrebt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer 51,93 EUR nebst Zinsen.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
A. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Klägerin stehe gegen den Beklagten nach dem Lizenzvertrag lediglich ein Zahlungsanspruch in Höhe einer anteiligen Vergütung für den Zeitraum vom 1.6. bis zum 16.12.2012 von 61,64 EUR zu. Dazu hat es ausgeführt:
Rz. 7
Das Vertragsverhältnis der Parteien sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 6.12.2012 mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden. Der Beklagte sei zur fristlosen Kündigung des Lizenzvertrags vom 6.8.2003 berechtigt gewesen, weil dessen Geschäftsgrundlage mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 in der Sache "SCF/Del Corso" entfallen sei. Die Parteien hätten den Lizenzvertrag in der Annahme geschlossen, dass es sich bei der Wiedergabe von Hörfunksendungen im Wartebereich einer Zahnarztpraxis um eine öffentliche Wiedergabe i.S.d. § 15 Abs. 3 UrhG handele. Diese Geschäftsgrundlage sei durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union entfallen. Dem Urteil sei zu entnehmen, dass eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und damit auch i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG voraussetze, dass die Wiedergabe Erwerbszwecken diene. Ferner ergebe sich aus dem Urteil, dass ein solcher Erwerbszweck bei einer Wiedergabe von Hörfunksendungen im Wartebereich einer Zahnarztpraxis zu verneinen sei.
Rz. 8
B. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Klägerin hat nur hinsichtlich eines Teils des Zinsanspruchs Erfolg. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Klägerin gegen den Beklagten nach dem von den Parteien geschlossenen Lizenzvertrag kein Anspruch auf Zahlung der auf den Zeitraum vom 17.12.2012 bis zum 31.5.2013 entfallenden Vergütung i.H.v. 51,93 EUR zusteht (dazu B I). Der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus diesem Betrag ist allerdings für den Zeitraum vom 8.9.2012 bis zum 16.12.2012 begründet (dazu B II).
Rz. 9
I. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Klägerin gegen den Beklagten nach dem von den Parteien geschlossenen Lizenzvertrag kein Anspruch auf Zahlung der auf den Zeitraum vom 17.12.2012 bis zum 31.5.2013 entfallenden Vergütung i.H.v. 51,93 EUR zusteht, weil der Lizenzvertrag durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 6.12.2012 mit Wirkung zum 17.12.2012 beendet worden ist.
Rz. 10
1. Die Klägerin konnte vom Beklagten nach dem Lizenzvertrag vom 6.8.2003 die Zahlung der für den Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum 31.5.2013 geschuldeten und am 1.6.2012 im Voraus fälligen Vergütung für die Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner zahnärztlichen Praxis i.H.v. 113,57 EUR beanspruchen. Das Berufungsgericht hat aber mit Recht angenommen, dass der Lizenzvertrag mit Zugang der vom Beklagten mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 6.12.2012 erklärten fristlosen Kündigung beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17.12.2012 beendet worden ist. Der Beklagte war gem. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB zur fristlosen Kündigung des Lizenzvertrags berechtigt, weil dessen Geschäftsgrundlage mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 entfallen und dem Beklagten eine Fortsetzung des Vertrags bis zum Ende der Vertragslaufzeit nicht zumutbar war. Die Klägerin kann vom Beklagten daher nicht mehr die Zahlung der auf den Zeitraum vom 17.12.2012 bis zum 31.5.2013 entfallenden Vergütung i.H.v. 51,93 EUR nebst Zinsen verlangen.
Rz. 11
2. Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann gem. § 313 Abs. 1 BGB Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insb. der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Einer Veränderung der Umstände steht es nach § 313 Abs. 2 BGB gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil nach § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse nach § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB das Recht zur Kündigung.
Rz. 12
3. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nach § 313 Abs. 1 und 2 BGB eine Anpassung eines Vertrags rechtfertigen kann, wenn der Geschäftswille der Parteien - wie regelmäßig - auf der gemeinschaftlichen Erwartung vom Fortbestand einer bestimmten Rechtslage aufgebaut war. Die Frage, ob und inwieweit ggf. eine Anpassung des Vertrags gem. § 313 Abs. 3 Satz 1 BGB möglich und zumutbar ist oder der benachteiligte Teil eines Dauerschuldverhältnisses nach § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB das Recht zur Kündigung hat, ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien zu entscheiden. Es genügt nicht, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten der anderen Partei auch zumutbar sein (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.2009 - XII ZR 8/08, NJW 2010, 440 m.w.N.).
Rz. 13
4. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Beklagte den Lizenzvertrag nach diesen Maßstäben fristlos kündigen konnte.
Rz. 14
a) Beim Abschluss des Lizenzvertrags am 6.8.2003 entsprach es gefestigter Rechtsprechung, dass die Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG darstellt, die zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken eingreift, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen, und zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung begründet, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden.
Rz. 15
aa) Die Wiedergabe ist nach § 15 Abs. 3 Satz 1 UrhG öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört nach § 15 Abs. 3 Satz 2 UrhG jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.
Rz. 16
bb) Nach der Rechtsprechung des BGH können bereits wenige Personen eine Mehrzahl i.S.d. § 15 Abs. 3 Satz 1 UrhG bilden (BGH, Urt. v. 22.4.2009 - I ZR 216/06, GRUR 2009, 845 Rz. 35 = WRP 2009, 1001 - Internetvideorecorder I; vgl. auch BGH, Urt. v. 11.7.1996 - I ZR 22/94, GRUR 1996, 875, 876 - Zweibettzimmer im Krankenhaus). Ob eine Verbundenheit durch persönliche Beziehungen i.S.v. § 15 Abs. 3 Satz 2 UrhG besteht, ist im Wesentlichen Tatfrage (BGH, Urt. v. 24.6.1955 - I ZR 178/53, BGHZ 17, 376, 380 - Betriebsfeiern; Urt. v. 7.10.1960 - I ZR 17/59, GRUR 1961, 97, 99 - Sportheim; vgl. auch BGH, Urt. v. 12.7.1974 - I ZR 68/73, GRUR 1975, 33, 34 - Alters-Wohnheim; Urt. v. 17.3.1983 - I ZR 186/80, GRUR 1983, 562, 563 - Zoll- und Finanzschulen, insoweit nicht in BGHZ 87, 126 abgedruckt; Urt. v. 7.6.1984 - I ZR 57/82, GRUR 1984, 734, 735 - Vollzugsanstalten).
Rz. 17
cc) Nach diesen Maßstäben haben die Instanzgerichte die Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen als Hintergrundmusik in Arztpraxen als öffentliche Wiedergabe eingestuft, weil eine solche Übertragung für mehrere Personen bestimmt sei und die Patienten weder mit dem Arzt noch miteinander persönlich verbunden seien (vgl. LG Leipzig NJW-RR 1999, 551, 552; AG Konstanz NJW-RR 1995, 1325; GRUR-RR 2007, 384; AG Nürnberg NJW-RR 1996, 683; Wolf, GRUR 1997, 511 ff. m.w.N.; vgl. auch LG Frankfurt/M., GRUR-RR 2005, 180).
Rz. 18
dd) Handelt es sich bei der Lautsprecherübertragung von Hörfunksendungen als Hintergrundmusik in Arztpraxen um eine öffentliche Wiedergabe, so greift diese zum einen in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken (§ 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG) oder Sprachwerken (§ 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG) ein, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 5 Fall 1, 22 Satz 1 Fall 1 UrhG). Eine solche Wiedergabe begründet zum anderen einen Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung, soweit damit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG). Wird zur öffentlichen Wiedergabe der Darbietung ein erschienener oder erlaubterweise öffentlich zugänglich gemachter Tonträger benutzt, auf den die Darbietung der ausübenden Künstler aufgenommen ist, so hat darüber hinaus der Hersteller des Tonträgers gegen die ausübenden Künstler einen Anspruch auf angemessene Beteiligung an der Vergütung, die diese nach § 78 Abs. 2 UrhG erhalten (§ 86 UrhG).
Rz. 19
b) Mit dem Lizenzvertrag vom 6.8.2003 hat die Klägerin dem Beklagten die nach dieser Rechtsprechung zur Nutzung der betroffenen Werke erforderlichen Rechte eingeräumt. Zugleich haben die Parteien die vom Beklagten für die Einräumung dieser Nutzungsrechte und die Wiedergabe der Darbietungen geschuldete Vergütung vereinbart. Dabei sind sie ersichtlich davon ausgegangen, dass die Übertragung von Hörfunksendungen als Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen auch in Zukunft als öffentliche Wiedergabe anzusehen ist, die entsprechende Vergütungsansprüche begründet.
Rz. 20
c) Diese zum Zeitpunkt des Abschlusses und während der Laufzeit des Lizenzvertrags bestehende Rechtslage hat sich durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 in der Sache "SCF/Del Corso" geändert. Im Blick auf diese Entscheidung kann die Wiedergabe von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Zahnarztpraxen im Allgemeinen nicht mehr als öffentliche Wiedergabe i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG angesehen werden.
Rz. 21
aa) Die hier in Rede stehenden Rechte der Urheber und Ansprüche der ausübenden Künstler wegen einer öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke und Darbietungen beruhen auf Richtlinien der Europäischen Union. Der Begriff der öffentlichen Wiedergabe ist deshalb in Übereinstimmung mit den entsprechenden Bestimmungen dieser Richtlinien und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszulegen.
Rz. 22
(1) Das ausschließliche Recht der Urheber zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke (§ 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG) einschließlich ihres Rechts, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§§ 15 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 Fall 1, 22 Satz 1 Fall 1 UrhG), hat seine unionsrechtliche Grundlage in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Danach sehen die Mitgliedstaaten vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten.
Rz. 23
Die Revision rügt ohne Erfolg, das Recht zur Wiedergabe von Funksendungen nach § 22 UrhG falle nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG erfasse lediglich Übermittlungsvorgänge auf Distanz. § 22 UrhG regele dagegen eine unmittelbare Wahrnehmung.
Rz. 24
Das Recht zur öffentlichen Wiedergabe i.S.d. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG umfasst allerdings nur die Wiedergabe an eine Öffentlichkeit, die nicht an dem Ort anwesend ist, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt (vgl. Erwägungsgrund 23 Satz 2 der Richtlinie 2001/29/EG). Nicht erfasst sind daher direkte Aufführungen und Darbietungen von Werken vor einer Öffentlichkeit, die sich in unmittelbarem körperlichen Kontakt mit der Person befindet, die dieses Werk aufführt oder darbietet (EuGH, Urt. v. 4.10.2011 - Rs. C-403/08 und C-429/08, Slg. 2011, I-09083 = GRUR 2012, 156 Rz. 200 bis 202 = WRP 2012, 434 - Football Association Premier League und Murphy; Urt. v. 24.11.2011 - Rs. C-283/10, Slg. 2011, I-12031 = GRUR-Int. 2012, 150 Rz. 35 und 36 - UCMR-ADA/Zirkus Globus). Bei der hier in Rede stehenden Wiedergabe von Funksendungen über Lautsprecher besteht jedoch kein unmittelbarer körperlicher Kontakt zwischen den ein Werk aufführenden oder darbietenden Personen und einer durch diese Wiedergabe erreichten Öffentlichkeit. Sie fällt daher in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG.
Rz. 25
§ 22 Satz 1 UrhG setzt gleichfalls keinen solchen unmittelbaren körperlichen Kontakt voraus. Ein Wahrnehmbarmachen i.S.v. § 22 Satz 1 UrhG erfordert zwar eine unmittelbare Wiedergabe des Werkes für die menschlichen Sinne (vgl. v. Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 22 UrhG Rz. 10; vgl. auch BGH GRUR 1996, 875, 876 - Zweibettzimmer im Krankenhaus). Dazu bedarf es aber keines unmittelbaren körperlichen Kontakts zwischen den das Werk aufführenden oder darbietenden Personen und einer durch diese Wiedergabe erreichten Öffentlichkeit.
Rz. 26
(2) Der Anspruch der ausübenden Künstler auf Zahlung einer angemessenen Vergütung für das öffentliche Wahrnehmbarmachen einer Sendung ihrer Darbietungen (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG), dient - ebenso wie der entsprechende Beteiligungsanspruch der Tonträgerhersteller (§ 86 UrhG) - der Umsetzung von Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (kodifizierte Fassung). Danach sehen die Mitgliedstaaten ein Recht vor, das bei Nutzung eines zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks eines solchen Tonträgers für eine öffentliche Wiedergabe die Zahlung einer einzigen angemessenen Vergütung durch den Nutzer und die Aufteilung dieser Vergütung auf die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller gewährleistet.
Rz. 27
Die öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG umfasst nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbare Nutzung des Tonträgers für eine öffentliche Wiedergabe und damit den hier in Betracht kommenden Fall, dass die Sendung der auf einem Tonträger aufgezeichneten Darbietung eines ausübenden Künstlers über Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar gemacht wird (vgl. v. Lewinski in Walter/v. Lewinski, European Copyright Law, 2010, Rz. 6.8.2017 und 6.8.2018).
Rz. 28
bb) Die hier in Rede stehende Wiedergabe von Hörfunksendungen als Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen erfüllt nicht die Voraussetzungen, die nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 in der Sache "SCF/Del Corso" an eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG zu stellen sind.
Rz. 29
(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in diesem Urteil ausgeführt, die Frage, ob ein Sachverhalt eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG (jetzt Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG) darstelle, erfordere eine individuelle Beurteilung, bei der die drei (nachfolgend aufgeführten) unselbständigen und miteinander verflochtenen Kriterien, die der Gerichtshof in dem etwas anders gelagerten Kontext von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG aufgestellt habe, einzeln und in ihrem Zusammenwirken miteinander zu berücksichtigen seien, da sie - je nach Einzelfall - in sehr unterschiedlichem Maße vorliegen könnten (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 78 bis 81 - SCF/Del Corso; vgl. auch EuGH, Urt. v. 15.3.2012 - Rs. C-162/10, GRUR 2012, 597 Rz. 29 und 30 - PPL/Irland; vgl. weiter BGH, Beschl. v. 16.5.2013 - I ZR 46/12, GRUR 2013, 818 Rz. 15 bis 19 = WRP 2013, 1047 - Die Realität).
Rz. 30
Erstens setze eine "Wiedergabe" voraus, dass der Nutzer in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig werde, um Dritten einen Zugang zum geschützten Werk zu verschaffen, den diese ohne sein Tätigwerden nicht hätten (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 82 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 31 - PPL/Irland; vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.12.2006 - Rs. C-306/05, Slg. 2006, I-11519 = GRUR 2007, 225 Rz. 42 und 43 - SGAE/Rafael; EuGH GRUR 2012, 156 Rz. 195 - Football Association Premier League und Murphy; EuGH, Urt. v. 13.2.2014 - Rs. C-466/12, GRUR 2014, 360 Rz. 17 und 19 - Svensson/Retriever Sverige; Urt. v. 27.2.2014 - Rs. C-351/12, GRUR 2014, 473 Rz. 25 und 26 = WRP 2014, 418 - OSA/Léèebné láznì; Urt. v. 27.3.2014 - Rs. C-314/12, GRUR 2014, 468 Rz. 39 = WRP 2014, 540 - UPC Telekabel/Constantin Film und Wega).
Rz. 31
Zweitens sei der Begriff "Öffentlichkeit" nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 84 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 33 - PPL/Irland; vgl. auch EuGH, Urt. v. 7.3.2013 - Rs. C-607/11, GRUR 2013, 500 Rz. 32 - ITV Broadcasting/TVC; EuGH GRUR 2014, 360 Rz. 21 - Svensson/Retriever Sverige; GRUR 2014, 473 Rz. 27 - OSA/Léèebné láznì). Hinsichtlich des letztgenannten Kriteriums sei die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergebe. Dabei komme es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk hätten (EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 87 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 35 - PPL/Irland; vgl. auch EuGH GRUR 2007, 225 Rz. 38 - SGAE/Rafael; GRUR 2013, 500 Rz. 33 - ITV Broadcasting/TVC; GRUR 2014, 473 Rz. 28 - OSA/Léèebné láznì).
Rz. 32
Drittens sei es nicht unerheblich, ob die betreffende Nutzungshandlung Erwerbszwecken diene (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 88 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 36 - PPL/Irland; vgl. auch EuGH GRUR 2007, 225 Rz. 44 - SGAE/Rafael; EuGH, Urt. v. 13.10.2011 - Rs. C-431/09 und C-432/09, Slg. 2011, I-9363 = GRUR-Int. 2011, 1058 Rz. 80 - Airfield und Canal Digitaal/Sabam; EuGH GRUR 2012, 156 Rz. 204 - Football Association Premier League und Murphy). Das setze voraus, dass sich der Nutzer gezielt an das Publikum wende, für das die Wiedergabe vorgenommen werde, und dieses für die Wiedergabe aufnahmebereit sei und nicht nur zufällig erreicht werde (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 91 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 37 - PPL/Irland).
Rz. 33
(2) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat angenommen, nach diesen Kriterien nehme ein Zahnarzt, der - wie der im Ausgangsverfahren des Vorabentscheidungsverfahrens in Rede stehende - kostenlos Tonträger in seiner Praxis für seine Patienten als Hintergrundmusik wiedergebe, keine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG vor (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 92 bis 100 - SCF/Del Corso). Dazu hat er ausgeführt:
Rz. 34
Ein solcher Zahnarzt gebe die Tonträger zwar absichtlich wieder, um seinen Patienten deren Genuss zu verschaffen (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 94 - SCF/Del Corso).
Rz. 35
Die Patienten eines Zahnarztes bildeten jedoch üblicherweise eine bestimmte Gesamtheit potentieller Leistungsempfänger, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung durch den Zahnarzt hätten. Auch sei die Zahl der Patienten, für die ein Zahnarzt denselben Tonträger hörbar mache, unerheblich oder sogar unbedeutend, da der Kreis der gleichzeitig in der Praxis anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt sei und aufeinander folgende Patienten in aller Regel nicht Hörer derselben Tonträger seien, insb. wenn diese über Rundfunk wiedergegeben würden (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 95 und 96 - SCF/Del Corso).
Rz. 36
Eine solche Wiedergabe diene auch keinem Erwerbszweck. Ein Zahnarzt, der Tonträger in Anwesenheit seiner Patienten als Hintergrundmusik wiedergebe, könne vernünftigerweise allein wegen dieser Wiedergabe weder eine Erweiterung seines Patientenbestands erwarten noch die Preise der Behandlungen erhöhen. Daher sei eine solche Wiedergabe für sich genommen nicht geeignet, sich auf seine Einkünfte auszuwirken. Die Patienten eines Zahnarztes begäben sich nur zu dem Zweck ihrer Behandlung in eine Zahnarztpraxis, und eine Wiedergabe von Tonträgern gehöre nicht zur Zahnbehandlung. Die Patienten genössen zufällig und unabhängig von ihren Wünschen je nach dem Zeitpunkt ihres Eintreffens in der Praxis und der Dauer des Wartens sowie der Art der Behandlung den Zugang zu bestimmten Tonträgern. Sie seien daher für eine solche Wiedergabe normalerweise nicht aufnahmebereit (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 97 bis 99 - SCF/Del Corso).
Rz. 37
(3) Das Berufungsgericht hat dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 entnommen, eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und damit auch i.S.v. § 15 Abs. 3 UrhG setze voraus, dass die Wiedergabe Erwerbszwecken diene. Ferner ergebe sich aus dem Urteil, dass ein solcher Erwerbszweck bei einer Wiedergabe von Hörfunksendungen im Wartebereich einer Zahnarztpraxis fehle.
Rz. 38
Mit dieser Begründung kann eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und damit ein Eingriff in das ausschließliche Recht der Urheber von Musikwerken oder Sprachwerken, Funksendungen ihrer Werke durch Lautsprecher öffentlich wahrnehmbar zu machen (§§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 5 Fall 1, Abs. 3, 22 Satz 1 Fall 1 UrhG), nicht verneint werden. Eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG setzt jedenfalls nicht zwingend voraus, dass die Wiedergabe Erwerbszwecken dient.
Rz. 39
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit seinem Urteil vom 15.3.2012 allein über die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG (jetzt Richtlinie 2006/115/EG) entschieden (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 64 - SCF/Del Corso). Zur Auslegung dieses Begriffs hat er zwar die bereits zum Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG aufgestellten Kriterien herangezogen. Dabei hat er jedoch darauf hingewiesen, der Begriff der öffentlichen Wiedergabe werde in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und in Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG in Zusammenhängen verwendet, die nicht gleich seien, und zwar ähnliche, aber gleichwohl teilweise unterschiedliche Zielsetzungen verfolgten. Die Urheber verfügten nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG über ein Recht vorbeugender Art, dass es ihnen erlaube, bereits eine beabsichtigte öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu verbieten. Dagegen verfügten die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG über ein Recht mit Entschädigungscharakter, das sie erst bei oder nach der Verwendung eines Tonträgers für eine öffentliche Wiedergabe ausüben könnten. Daraus folge, dass Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG eine individuelle Beurteilung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe erfordere und auf ein im Wesentlichen wirtschaftliches Recht abstelle (EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 74 bis 79 - SCF/Del Corso).
Rz. 40
Es kann offenbleiben, ob der Hinweis des Gerichtshofs der Europäischen Union, das im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG nicht unerhebliche Kriterium des Erwerbszwecks müsse in Bezug auf Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG in Anbetracht der im Wesentlichen wirtschaftlichen Natur dieses Anspruchs "erst recht" gelten (EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 89 - SCF/Del Corso), dahin zu verstehen ist, dass diesem Kriterium in Bezug auf den Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG eine größere Bedeutung zukommt als im Zusammenhang mit dem Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG. Jedenfalls kann aus dieser Bemerkung nicht geschlossen werden, dem Kriterium des Erwerbszwecks sei für den Begriff der öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - mehr als eine "nicht unerhebliche" Bedeutung beizumessen.
Rz. 41
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner - nach Verkündung des Berufungsurteils ergangenen - Entscheidung vom 27.2.2014 (GRUR 2014, 473 Rz. 35 - OSA/Léèebné láznì) ausdrücklich klargestellt, die aus seinem Urteil vom 15.3.2012 hergeleiteten Grundsätze beträfen nicht das in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 bezeichnete Urheberrecht, sondern das Recht mit Entschädigungscharakter der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG. Danach ändert das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 nichts daran, dass der Erwerbszweck keine zwingende Voraussetzung einer öffentlichen Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG ist (vgl. EuGH GRUR 2007, 225 Rz. 44 - SGAE/Rafael) und für die Einstufung einer Weiterverbreitung als Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG unter Umständen auch unerheblich sein kann (EuGH, GRUR 2013, 500 Rz. 42 und 43 - ITV Broadcasting/TVC).
Rz. 42
(4) Es kann weiter offenbleiben, ob eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG und damit ein Anspruch der ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung, soweit Sendungen ihrer Darbietungen öffentlich wahrnehmbar gemacht werden (§ 78 Abs. 2 Nr. 3 Fall 1 UrhG), nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 zwingend voraussetzt, dass die Wiedergabe Erwerbszwecken dient. Die Revision macht allerdings ohne Erfolg geltend, dieses Urteil sei nicht auf den Vergütungsanspruch der ausübenden Künstler anwendbar, weil es bei dem Urteil allein um den Anspruch der Tonträgerhersteller auf Beteiligung an der Vergütung der ausübenden Künstler gegangen sei, und die ausübenden Künstler vor dem Hintergrund ihrer Künstlerpersönlichkeitsrechte im Unterschied zu den Tonträgerherstellern nicht bloße "wirtschaftliche Rechte" hätten. Der Umstand, dass ausübende Künstler anders als Tonträgerhersteller auch Künstlerpersönlichkeitsrechte haben, ändert nichts daran, dass es sich bei dem den ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG zustehenden Vergütungsanspruch im Wesentlichen um ein wirtschaftliches Recht mit Entschädigungscharakter handelt (EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 75 und 77 - SCF/Del Corso). Ob daraus folgt, dass nur eine Nutzungshandlung, die Erwerbszwecken dient, einen solchen Vergütungsanspruch begründet, kann dahinstehen, da jedenfalls eine andere - zwingende - Voraussetzung einer öffentlichen Wiedergabe im Streitfall nicht erfüllt ist (vgl. nachfolgend Rz. 43 bis 46).
Rz. 43
(5) Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich (jedenfalls) aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG setzt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zwingend eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten und recht viele Personen als Adressaten voraus. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15.3.2012 in der Sache "SCF/Del Corso" ist davon auszugehen, dass diese Voraussetzung im Allgemeinen nicht erfüllt ist, wenn ein Zahnarzt in seiner Praxis für seine Patienten Hörfunksendungen als Hintergrundmusik wiedergibt.
Rz. 44
Der Begriff "Öffentlichkeit" i.S.v. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 84 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 33 - PPL/Irland; vgl. auch EuGH, GRUR 2013, 500 Rz. 32 - ITV Broadcasting/TVC). Um eine "unbestimmte Zahl potentieller Adressaten" handelte es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (vgl. EuGH, Urt. v. 2.6.2005 - Rs. C-89/04, Slg. 2005, I-4891 = ZUM 2005, 549 Rz. 30 - Mediakabel/Kommissariat für die Medien; Urt. v. 14.7.2005 - C-192/04, Slg. 2005, I-7199 = GRUR 2006, 50 Rz. 31 - Lagardère/SPRE und GVL; EuGH GRUR 2007, 225 Rz. 37 - SGAE/Rafael; GRUR 2012, 593 Rz. 85 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 34 - PPL/Irland). Mit dem Kriterium "recht viele Personen" ist gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthält und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (vgl. EuGH GRUR 2007, 225 Rz. 38 - SGAE/Rafael; GRUR 2012, 593 Rz. 86 und 87 - SCF/Del Corso; GRUR 2012, 597 Rz. 35 - PPL/Irland; GRUR 2013, 500 Rz. 33 - ITV Broadcasting/TVC).
Rz. 45
Diese Voraussetzungen sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union beispielsweise erfüllt, wenn der Betreiber eines Hotels in Rundfunksendungen übertragene Werke oder abgespielte Tonträger für seine Gäste über in deren Zimmern aufgestellte Fernseh- oder Radiogeräte überträgt (zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG EuGH GRUR 2007, 225 Rz. 37 bis 39 - SGAE/Rafael; zu Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115/EG EuGH GRUR 2012, 597 Rz. 41 und 42 - PPL/Irland) oder der Inhaber einer Gastwirtschaft im Rundfunk gesendete Werke über einen Fernsehbildschirm und Lautsprecher für die sich in seiner Gastwirtschaft aufhaltenden Gäste wiedergibt (vgl. zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG EuGH GRUR 2012, 156 Rz. 183 bis 207 - Football Association Premier League und Murphy) oder der Betreiber einer Kureinrichtung in Rundfunksendungen wiedergegebene Werke an seine Patienten über in deren Zimmern aufgestellte Fernseh- oder Radioempfänger übermittelt (zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG EuGH GRUR 2014, 473 Rz. 27 bis 30 - OSA/Léèebné láznì). Nicht erfüllt sind diese Voraussetzungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dagegen bei einer Wiedergabe von Funksendungen durch einen Zahnarzt an die Patienten seiner Praxis. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat dazu in seinem Urteil vom 15.3.2012 ausgeführt, die Patienten eines Zahnarztes bildeten üblicherweise eine bestimmte Gesamtheit potentieller Leistungsempfänger, da andere Personen grundsätzlich keinen Zugang zur Behandlung durch den Zahnarzt hätten. Zudem sei die Zahl der Patienten, für die ein Zahnarzt denselben Tonträger hörbar mache, unerheblich oder sogar unbedeutend, da der Kreis der gleichzeitig in der Praxis anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt sei und aufeinander folgende Patienten in aller Regel nicht Hörer derselben Tonträger seien, insb. wenn diese über Rundfunk wiedergegeben würden (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 95 und 96 - SCF/Del Corso).
Rz. 46
Die Revision rügt vergeblich, da regelmäßig jede beliebige Person mit der Bitte um medizinische Behandlung in einer ärztlichen Praxis vorsprechen könne, gebe es dort eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten. Angesichts der erfahrungsgemäß meist vollen Wartezimmer in ärztlichen Praxen könne keine Rede davon sein, dass dortige Werkwiedergaben nur einer unbedeutenden und begrenzten Anzahl von Personen zu Gehör gelangen würden (ebenso Haberstumpf, GRUR-Int. 2013, 627, 633). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat zwar darauf hingewiesen, dass grundsätzlich die nationalen Gerichte anhand der von ihm aufgestellten Kriterien aufgrund einer umfassenden Beurteilung der gegebenen Situation zu beurteilen haben, ob in einem konkreten Fall ein Zahnarzt, der Tonträger in Gegenwart seiner Patienten als Hintergrundmusik wiedergibt, eine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG vornimmt (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 93 - SCF/Del Corso). Gleichwohl hat er selbst entschieden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens keine öffentliche Wiedergabe i.S.v. Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG vorliegt. Seiner Beurteilung der Frage, ob die Patienten eines Zahnarztes wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine unbestimmte Zahl potentieller Adressaten und recht viele Personen sind, hat er die Feststellung zugrunde gelegt, dass die Patienten eines Zahnarztes üblicherweise eine Gesamtheit von Personen bilden, deren Zusammensetzung weitgehend stabil ist, der Kreis der gleichzeitig in der Praxis eines Zahnarztes anwesenden Personen im Allgemeinen sehr begrenzt ist und die aufeinanderfolgenden Patienten sich in der Anwesenheit abwechseln (vgl. EuGH GRUR 2012, 593 Rz. 95 und 96 - SCF/Del Corso). Es ist nicht ersichtlich, dass sich die Situation im Streitfall davon in entscheidungserheblicher Weise unterscheidet. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zusammensetzung der Patienten des Beklagten weniger stabil oder der Kreis der gleichzeitig in seiner Praxis anwesenden Personen weniger begrenzt ist als bei Zahnärzten üblich. Deshalb ist auch im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die Wiedergabe von Hörfunksendungen in der Zahnarztpraxis nicht öffentlich ist.
Rz. 47
cc) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist nicht veranlasst (vgl. EuGH, Urt. v. 6.10.1982 - Rs. C-283/81, Slg. 1982, 3415 Rz. 21 = NJW 1983, 1257 - C.I.L.F.I.T.). Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG und Art. 8 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/115/EG, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt oder zweifelsfrei zu beantworten ist.
Rz. 48
II. Der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Zahlung von Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.9.2012 aus 51,93 EUR ist für den Zeitraum vom 8.9.2012 bis zum 16.12.2012 gem. §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB begründet. Die für den Zeitraum vom 1.6.2012 bis zum 31.5.2013 zunächst geschuldete Vergütung i.H.v. insgesamt 113,57 EUR war nach dem Lizenzvertrag am 1.6.2012 im Voraus fällig. Der Beklagte war nach den Feststellungen des AG, die das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, aufgrund von Mahnungen der Klägerin seit dem 8.9.2012 mit der Zahlung in Verzug (§ 286 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieser Verzug hat in Höhe des hier in Rede stehenden Betrages von 51,93 EUR am 16.12.2012 geendet, weil die Verpflichtung des Beklagten zur Zahlung der auf den Zeitraum vom 17.12.2012 bis zum 31.5.2013 entfallenden Vergütung mit der Beendigung des Lizenzvertrags zum 17.12.2012 erloschen ist. Während des Verzuges ist die Geldschuld mit einem Zinssatz von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz (§ 247 BGB) zu verzinsen (§ 288 Abs. 1 BGB).
Rz. 49
C. Danach ist auf die Revision der Klägerin das Berufungsurteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abzuändern, soweit hinsichtlich des Zinsanspruchs aus einem Betrag von 51,93 EUR für den Zeitraum vom 8.9.2012 bis zum 16.12.2012 zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist. Im Umfang der Abänderung ist auf die Berufung der Klägerin das Urteil des AG aufzuheben und der Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin aus einem Betrag von 51,93 EUR weitere Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für den Zeitraum vom 8.9.2012 bis zum 16.12.2012 zu zahlen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Fundstellen