Leitsatz (amtlich)
Der Wertersatzanspruch des nichtehelichen Kindes gegen den Staat gem. Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG in der Fassung des Gesetzes vom 12.4.2011 umfasst keinen Nutzungsersatz in Form erwirtschafteter oder ersparter Zinsen.
Normenkette
NEhelG Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Urteil vom 17.12.2014; Aktenzeichen 4 U 101/14) |
LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 17.04.2014; Aktenzeichen 2-4 O 510/13) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Frankfurt vom 17.12.2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die vor dem 1.7.1949 geborene Klägerin ist die nichteheliche Tochter des am 2.9.1977 verstorbenen Erblassers. Sie verlangt von dem beklagten Land (im Folgenden: Beklagter) die Zahlung von Zinsen auf den Wert der von diesem vereinnahmten Erbschaft.
Rz. 2
Mit Beschluss des Nachlassgerichts vom 21.4.1982 wurde das Fiskuserbrecht des Beklagten festgestellt. Der Nachlasswert betrug 169.060,72 DM. Mit Schreiben vom 10.10.2013 erkannte der Beklagte seine Verpflichtung zum Ersatz des Wertes der Erbschaft abzgl. angefallener Verwaltungskosten an und zahlte der Klägerin 84.415,40 EUR aus.
Rz. 3
Mit der Klage macht die Klägerin noch einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen i.H.v. jährlich 4 % auf 84.415,40 EUR über einen Zeitraum von 30 Jahren, insgesamt 101.298,48 EUR, geltend. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat keinen Erfolg.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Er ergebe sich nicht aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG in der Fassung vom 12.4.2011. Weder nach dem Wortlaut noch nach dem Zweck dieser Bestimmung stehe der Klägerin eine Entschädigung dafür zu, dass ihr der Nachlass nicht bereits zum Zeitpunkt des Erbfalls oder zum Zeitpunkt der Feststellung des Fiskuserbrechts zugefallen sei. § 2021 BGB i.V.m. §§ 812 ff. BGB scheide als Anspruchsgrundlage ebenfalls aus, weil der Beklagte nach wie vor Erbe und nicht Erbschaftsbesitzer sei. Schließlich komme auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über den Scheinerben nach §§ 2018 ff. BGB nicht in Betracht, weil keinerlei Anhaltspunkte für eine ungewollte Regelungslücke vorlägen.
Rz. 6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf den Nachlasswert gegen den Beklagten zu.
Rz. 7
1. Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, dass sich ein solcher Anspruch nicht aus Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19.8.1969 (BGBl. I, 1243; im Folgenden: Nichtehelichengesetz) in der durch Art. 1 Nr. 2 des Zweiten Gesetzes zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, zur Änderung der Zivilprozessordnung und der Abgabenordnung vom 12.4.2011 (BGBl. I, 615; im Folgenden: ZwErbGleichG) geänderten Fassung (im Folgenden: Art. 12 § 10 Abs. 2 NEhelG) ergibt.
Rz. 8
Gemäß dieser Bestimmung kann ein vor dem 1.7.1949 geborenes nichteheliches Kind, dem vor dem 29.5.2009 kein gesetzliches Erbrecht nach seinem Vater oder dessen Verwandten zustand, vom Bund oder einem Land Ersatz in Höhe des Wertes der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche verlangen, wenn der Bund oder das Land gem. § 1936 BGB Erbe geworden ist.
Rz. 9
Das Gesetz räumt dem Kind nicht die Stellung eines Erben ein, das einen Erbschaftsanspruch gem. §§ 2018, 2021, 818 BGB gegen den Fiskus als Erbschaftsbesitzer geltend machen könnte. Vielmehr bleibt es dabei, dass der Fiskus gesetzlicher Erbe geworden ist (vgl. BT-Drucks. 17/3305, 8). Dem Kind wird lediglich ein Ersatzanspruch in Höhe des Wertes der ihm entgangenen erbrechtlichen Ansprüche eingeräumt. Nur insoweit hat der Gesetzgeber ein berechtigtes Vertrauen des Fiskus nicht für gegeben erachtet. Der Ersatzanspruch bemisst sich nach der Höhe des Wertes der dem Kind entgangenen erbrechtlichen Ansprüche. Ein Anspruch aus §§ 2018, 2020, 2021, 818 Abs. 2 BGB, der u.a. die Zahlung von Wertersatz für durch den Erbschaftsbesitzer ersparte oder erzielte Zinsen erfasst und sich auch gegen den Fiskus richten kann (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2015 - IV ZR 438/14, ZEV 2015, 698 Rz. 6 ff.), besteht demgegenüber nicht.
Rz. 10
a) Der genannte Anspruch auf Zinsen aus dem Nachlasswert wäre der Klägerin nach dem Wortlaut nur dann aufgrund des ihr nicht zustehenden gesetzlichen Erbrechts "entgangen", wenn er im Fall des Bestehens eines gesetzlichen Erbrechts zu ihren Gunsten entstanden wäre. Das ist aber nicht der Fall. Wenn der Klägerin zum Zeitpunkt des Erbfalls das Erbrecht gem. § 1924 Abs. 1 BGB zugestanden hätte, hätte das Nachlassgericht nach dem - mangels anderweitiger Anhaltspunkte der hypothetischen Betrachtung zugrunde zu legenden - gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht das Fiskuserbrecht gem. § 1936 Satz 1 BGB festgestellt. Dass die Klägerin in diesem Fall - wie die Revision geltend macht - ab dem Eintritt des Erbfalls selbst Zinsen aus der Erbschaft hätte ziehen können, ist nach dem Wortlaut von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG unerheblich. Denn danach ist kein Wertersatz für entgangene Nutzungen, sondern nur für entgangene erbrechtliche Ansprüche zu leisten.
Rz. 11
b) Es entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, dass der Anspruch gem. Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG nur den Ersatz des Wertes des Nachlasses selbst betrifft. Ausweislich der Begründung des ZwErbGleichG erschien es dem Gesetzgeber angemessen, dass der Staat den betroffenen nichtehelichen Kindern den Wert des aus seiner Erbenstellung gem. § 1936 BGB resultierenden Vermögenserwerbs herausgibt (vgl. BT-Drucks. 17/3305, 8: "...In solchen Fällen erscheint es angemessen, dass der Staat den Wert dieses Vermögenserwerbs an die betroffenen nichtehelichen Kinder herausgibt. Ein rückwirkendes Eintreten des nichtehelichen Kindes in die Erbenstellung sieht der Entwurf in diesen Fällen allerdings nicht vor ... ."). Damit ist ausschließlich der Gegenstand, den der Staat erworben hat, in Bezug genommen worden. Dies ist der Nachlass, aber nicht das mit dem Nachlass Erwirtschaftete.
Rz. 12
c) Entgegen der Ansicht der Revision verletzt dieses Ergebnis der Rechtsanwendung weder das Grundrecht der Klägerin aus Art. 6 Abs. 5 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG noch das Diskriminierungsverbot gem. Art. 14 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK), so dass sich die Frage einer verfassungskonformen oder konventionsfreundlichen Auslegung und Anwendung von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG im Streitfall nicht stellt.
Rz. 13
aa) Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nach dem Wortlaut des ZwErbGleichG vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kindern weder ein Erbrecht noch ein Wertersatzanspruch zusteht, wenn sich der Erbfall vor dem 29.5.2009 ereignet hat und eine andere Person als der Staat Erbe geworden ist (vgl. BGH, Urt. v. 26.10.2011 - IV ZR 150/10, BGHZ 191, 229 Rz. 19 ff.; BVerfG ZEV 2013, 326 Rz. 27 ff.). Dies gilt erst recht, wenn das nichteheliche Kind - wie die Klägerin - in den Fällen des Fiskuserbrechts gem. Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG einen Ersatzanspruch gegen den Staat in Höhe des Wertes des Nachlasses hat.
Rz. 14
bb) Anders als dies nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) der Fall sein kann, wenn dem nichtehelichen Kind weder ein erbrechtlicher Anspruch noch eine finanzielle Kompensation für das Nichtbestehen eines solchen Anspruchs zusteht (vgl. hierzu BGH v. 12.7.2017 - IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510 Rz. 11-13; Entscheidungen des EGMR in den Rechtssachen Wolter und Sarfert gegen Deutschland, ZEV 2017, 507 und Mitzinger gegen Deutschland, Urt. v. 9.2.2017 - 29762/10, juris; Zusammenfassung der Entscheidung in FamRZ 2017, 656), verletzt die Nichtgewährung eines Anspruchs auf Herausgabe des Wertes der vom Staat als gem. § 1936 BGB berufener Erbe ersparten oder erzielten Zinsen auch nicht Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK (Schutz des Eigentums) oder i.V.m. Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens).
Rz. 15
(1) Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt es für die Frage des Vorliegens einer Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK darauf an, ob der Betroffene ohne die gerügte Diskriminierung einen nach staatlichem Recht durchsetzbaren Anspruch auf den in Rede stehenden Vermögenswert gehabt hätte (EGMR, Urt. v. 23.3.2017 - 59752/13 und 66277/13, juris Rz. 51 in den Rechtssachen Wolter und Sarfert gegen Deutschland, insoweit in ZEV 2017, 508 nicht vollständig abgedruckt; Fabris gegen Frankreich, ZEV 2014, 491 Rz. 52; vgl. ferner BGH v. 12.7.2017 - IV ZB 6/15, ZEV 2017, 510 Rz. 11). Dies ist im Hinblick auf den in Streit stehenden Vermögenswert zu verneinen. Wenn die Klägerin von vornherein dieselbe erbrechtliche Stellung wie ein eheliches Kind gehabt hätte, wäre sie zum Zeitpunkt des Erbfalles Erbin des Erblassers geworden. Sie - und nicht der Beklagte - hätte in diesem Fall unter gewöhnlichen Umständen den Nachlass erhalten. Ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen gegen den Beklagten wäre nicht entstanden. Aus dem Blickwinkel des Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 1 des Zusatzprotokolls zur EMRK ist es rechtlich ohne Bedeutung, dass die Klägerin im Falle des Bestehens eines Erbrechts die Möglichkeit gehabt hätte, selbst Zinsen aus dem Nachlass zu erwirtschaften. Denn dabei handelt es sich lediglich um eine faktische Möglichkeit der Nutzung des Nachlasses und nicht um einen nach deutschem Recht durchsetzbaren Anspruch.
Rz. 16
(2) Es liegt auch keine Verletzung von Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 8 EMRK vor. Dies gilt im Streitfall bereits deswegen, weil die Klägerin keine Umstände vorgetragen hat, aus denen auf enge persönliche Verbindungen zwischen ihr und dem Erblasser und damit auf die Eröffnung des Anwendungsbereiches des Art. 8 EMRK geschlossen werden könnte (vgl. BGH vom 26.10.2011, a.a.O., Rz. 53; EGMR in den Rechtssachen Mitzinger gegen Deutschland, Urt. v. 9.2.2017 - 29762/10, juris Rz. 32; Brauer gegen Deutschland, ZEV 2009, 510 Rz. 30).
Rz. 17
(3) Entscheidend gegen das Vorliegen einer Konventionsverletzung ist ferner in Rechnung zu stellen, dass der EGMR in den Entscheidungen Sarfert und Mitzinger gegen Deutschland im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung jeweils auch darauf abgestellt hat, dass dort dem nichtehelichen Kind durch die Rechtslage in Deutschland - anders als im Streitfall - keinerlei Ausgleichsanspruch gewährt worden war. So heißt es etwa in der Entscheidung Sarfert (gemäß deutscher Übersetzung in ZEV 2017, 507 Rz. 79):
"Schließlich schließt der geänderte Art. 12 § 10 II 1 NEhelG die Bf. ohne finanzielle Entschädigung von allen erbrechtlichen Ansprüchen am Nachlass aus, wie das auch die frühere Fassung des Gesetzes getan hat, wegen der festgestellt worden ist, dass sie gegen die Konvention verstößt (EGMR ZEV 2009, 510)."
Rz. 18
Entsprechend hatte der EGMR bereits in der Sache Mitzinger gegen Deutschland argumentiert (Urt. v. 9.2.2017 - 29762/10, juris Rz. 47; vgl. hierzu auch Magnus FamRZ 2017, 586).
Rz. 19
Auf dieser Grundlage fällt hier ins Gewicht, dass dem nichtehelichen Kind ein Erstattungsanspruch hinsichtlich des Wertes des Nachlasses zusteht. Lediglich Nutzungsersatzansprüche werden ihm versagt. Das ist ein entscheidender Unterschied zu den Fällen, in denen das nichteheliche Kind - wie in allen übrigen Konstellationen außerhalb des Fiskuserbrechts - nach der bisherigen deutschen Gesetzeslage keinerlei Kompensation erhält (vgl. hierzu auch Leipold, ZEV 2017, 489, 494). Dieser hier gerade nicht fehlende finanzielle Ausgleich für das nichteheliche Kind - die Klägerin hat den Nachlasswert i.H.v. 84.415,40 EUR erhalten - steht einer Konventionswidrigkeit von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG entgegen.
Rz. 20
2. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auch nicht auf §§ 2018, 2020, 2021, 818 Abs. 2 BGB stützen. Denn Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG ändert nichts daran, dass der Beklagte weiterhin Erbe und damit nicht lediglich Erbschaftsbesitzer i.S.d. § 2018 BGB ist (vgl. BT-Drucks. 17/3305, 8). Dies ist der maßgebliche Unterschied zu der Sachverhaltskonstellation, die dem Senatsurteil vom 14.10.2015 (IV ZR 438/14, ZEV 2015, 698) zugrunde lag. Dort hatte der Senat dem wahren Erben gegen den Staat als bloßen Erbschaftsbesitzer i.S.v. § 2018 BGB einen Zinsanspruch zugesprochen.
Rz. 21
3. Entgegen der Auffassung der Revision kommt auch eine analoge Anwendung der §§ 2018, 2020, 2021, 818 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung nicht vorliegen.
Rz. 22
Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Die Lücke muss sich also aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrunde liegenden - Regelungsplan ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 28.6.2017 - IV ZR 440/14, r+s 2017, 409 Rz. 25 f., 32; BGH, Urt. v. 18.1.2017 - VIII ZR 278/15, NVwZ-RR 2017, 372 Rz. 32; v. 16.7.2003 - VIII ZR 274/02, BGHZ 155, 380 unter III 2b; jeweils m.w.N.).
Rz. 23
Eine planwidrige Regelungslücke besteht hier nicht. Wie bereits ausgeführt, entsprach es dem Willen des Gesetzgebers, dass ein nichteheliches Kind in den von Art. 12 § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG geregelten Fällen nur den Ersatz des Wertes des Nachlasses selbst erhält (vgl. Senatsurteil vom 28.6.2017, a.a.O.).
Fundstellen