Leitsatz (amtlich)
Wird ein europäisches Patent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland sowohl in einem deutschen Beschränkungsverfahren als auch im europäischen Einspruchsverfahren beschränkt, verbleibt als geschützt nur das, was zugleich nach beiden Entscheidungen noch unter Schutz steht.
Die Zugabe eines weiteren Stoffs zur Rezeptur eines Heilmittels, durch die eine verbesserte Wirkung des Heilmittels nicht zu erwarten war, kann zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen, wenn eine verbesserte Wirkung erwartungsgemäß durch diese Zugabe nicht eintritt.
Normenkette
PatG 1981 § 64; EPÜ Art. 68, 56 (entsprechend PatG 1981 § 4)
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 5. Mai 1998 abgeändert:
Das europäische Patent 0 289 639 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des am 7. Mai 1987 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 289 639 (Streitpatents), das die „Verwendung von Trigonellin zum Wiederbeleben und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses” betrifft. In der Fassung des erteilten Patents lautete Patentanspruch 1 in der Verfahrenssprache Deutsch:
„Verwendung von Trigonellin als Mittel zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen.”
Durch Beschluß des Deutschen Patentamts vom 14. Mai 1993 ist das Streitpatent auf Antrag der Patentinhaber beschränkt worden. Im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt ist es später – mit einem gesonderten Anspruchssatz für die Bundesrepublik Deutschland – ebenfalls beschränkt worden. Der einzige Patentanspruch lautet nach der Entscheidung des Deutschen Patentamts:
„Verwendung von Trigonellin als Mittel zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen zusammen mit Riboflavin und/oder Nicotinamid und/oder Calciumpantothenat und/oder Folsäure.”
In der Fassung, die das Streitpatent im europäischen Einspruchsverfahren erhalten hat, lautet Patentanspruch 1, an den sich zwei weitere Patentansprüche anschließen:
„1. Verwendung von Trigonellin zusammen mit Riboflavin und/oder Nicotinamid und/oder Calciumpantothenat und/oder Folsäure zum Herstellen eines peroral einzunehmenden, kapselierten Mittels zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen.”
Der Kläger hat unter Hinweis auf die nachveröffentlichte ältere deutsche Patentanmeldung 36 03 601 sowie auf zahlreiche Veröffentlichungen, die bis auf das Jahr 1543 zurückreichen, geltend gemacht, der Gegenstand des Patentanspruchs 1 wie der abhängigen Patentansprüche 2 und 3 des Streitpatents sei nicht neu, jedenfalls habe es aber keines erfinderischen Zutuns bedurft, um ihn aufzufinden. Die Beklagten haben das Patent nur eingeschränkt verteidigt; der verteidigte Patentanspruch 1 lautet:
„1. Verwendung von Trigonellin zusammen mit Calciumpantothenat und/oder Folsäure zum Herstellen eines peroral einzunehmenden, kapselierten Mittels zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen.”
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es über die verteidigte Fassung hinausging. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, der sich im Berufungsverfahren auch auf mangelnde Ausführbarkeit und Brauchbarkeit sowie darauf stützt, daß die Patentansprüche 2 und 3 den Schutzbereich des Streitpatents erweiterten. Die Beklagten treten dem Rechtsmittel entgegen.
Professor Dr. E. L., hat als gerichtlicher Sachverständiger ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents in vollem Umfang. Daß sich der Kläger dabei auf weitere Nichtigkeitsgründe als in erster Instanz stützt, stellt eine sachdienliche Klageänderung dar. Diese ist auch in zweiter Instanz zulässig (vgl. Sen.Urt. v. 24.6.1997 – X ZR 13/94, beiBausch Bd. I S. 327, 334 – Auspreßvorrichtung; Sen.Urt. v. 7.6.1994 – X ZR 82/91, beiBausch Bd. I S. 27, 29 – thermoplastische Formmassen).
I. 1. Gegenstand der Prüfung im vorliegenden Nichtigkeitsverfahren ist nur noch die beschränkt verteidigte Fassung des Patentanspruchs 1, wie sie im Urteilsausspruch des angefochtenen Urteils formuliert ist. Diese Fassung trägt allen früheren Einschränkungen im nationalen deutschen Beschränkungsverfahren wie im europäischen Einspruchsverfahren Rechnung. Insoweit bestehen keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt einer etwaigen unzulässigen Erweiterung. Darüber besteht auch zwischen den Parteien kein Streit.
Das Streitpatent ist sowohl durch den bestandskräftig gewordenen Beschränkungsbeschluß des Deutschen Patentamts als auch durch die beschränkte Aufrechterhaltung im europäischen Einspruchsverfahren geändert worden. Beide Änderungen sind für das weitere Verfahren zu beachten (vgl. zur Zulässigkeit von Beschränkungen europäischer Patente nach § 64 PatG Sen.Urt. v. 7.2.1995 – X ZR 58/93, BlPMZ 1995, 322 – Isothiazolon; Sen.Urt. v. 11.6.1996 – X ZR 76/93, GRUR 1996, 862 – Bogensegment). Für die Entscheidung über den Einspruch folgt dies ohne weiteres aus der in Art. 68 EPÜ geregelten Wirkung der in Bestandskraft erwachsenen beschränkt aufrechterhaltenden Entscheidung. Die Konkurrenz der Entscheidungen im nationalen Beschränkungsverfahren und im europäischen Einspruchsverfahren ist gesetzlich nicht geregelt. Da von der Wirksamkeit beider Entscheidungen auszugehen ist, müssen schon zur Vermeidung der Gefahr späterer Erweiterungen durch eine weniger oder anders beschränkende zweite Entscheidung beide Beschränkungen beachtlich sein. Demnach kann als geschützt insgesamt nur das verbleiben, was zugleich nach beiden Entscheidungen noch unter Schutz steht.
2. Nach der Fassung des Patentanspruchs 1 des erteilten Patents ebenso wie nach der im Beschränkungsverfahren erfolgten Änderung soll sich der Schutz noch allgemein auf die „Verwendung von Trigonellin als Mittel zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen” beziehen. Demgegenüber ist es lediglich eine Einschränkung, wenn in dem verteidigten Patentanspruch ebenso wie in Patentanspruch 1 nach der Fassung im Einspruchsverfahren lediglich die Verwendung von Trigonellin zum Herstellen eines Mittels zu einem therapeutischen Zweck unter Schutz gestellt ist. Die Verwendung eines Stoffs für die Herstellung eines Mittels zu einem solchen Zweck ist patentrechtlich bereits Verwendung des Stoffs zu diesem Zweck; diese Verwendung besteht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats zwar noch nicht in der Herstellung eines für diesen Zweck objektiv geeigneten Stoffs oder Mittels, wohl aber in dessen zusätzlicher sinnfälliger („augenfälliger”) Herrichtung (BGHZ 88, 209, 211, 215 – Hydropyridin m.w.N.). Eine solche sinnfällige Herrichtung hat der Senat etwa in der auf den speziellen Verwendungszweck abgestellten Formulierung und Konfektionierung eines Medikaments sowie in der Dosierung und gebrauchsfertigen Verpackung gesehen (BGHZ 68, 156, 181 – Benzolsulfonylharnstoff; BGH, Beschl. v. 3.6.1982 – X ZB 21/81, GRUR 1982, 548 – Sitosterylglykoside). Mit der Umformulierung des Patentanspruchs im Einspruchsverfahren sollte lediglich beschränkend auf der Grundlage der zuvor ergangenen Beschwerdeentscheidung (EPA T 143/94 ABl. EPA 1996, 430 = GRUR Int. 1996, 1154 – Trigonellin/MAI) dem Umstand Rechnung getragen werden, daß es sich bei der vorgeschlagenen Behandlung von Haarausfall um eine therapeutische Maßnahme handelt, die nach Art. 52 Abs. 4 EPÜ (ebenso wie nach § 5 Abs. 2 PatG) nicht geschützt werden kann. Nach der von der Praxis des Senats abweichenden grundlegenden Entscheidung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts G 1/83 (ABl. EPA 1985, 160 = GRUR Int. 1985, 193 – Zweite medizinische Indikation) kann in solchen Fällen nicht jede Verwendung zu einem bestimmten erfinderischen neuen Zweck, sondern nur die Verwendung zur Herstellung eines Mittels für einen solchen Zweck geschützt werden. Die Herstellung des Mittels entspricht im wesentlichen der sinnfälligen Herrichtung im Sinn der Rechtsprechung des Senats. Das eine wie das andere fiel bereits unter den zunächst allgemeiner formulierten Verwendungsschutz.
3. Eine sachliche und als solche unbedenklich zulässige Einschränkung ohne gleichzeitige unzulässige Erweiterung liegt ferner darin, daß nach dem verteidigten Patentanspruch 1 die Verwendung von Trigonellin nur noch zusammen mit Calciumpantothenat und/oder Folsäure geschützt sein soll. Diese Kombinationen waren – neben weiteren Alternativen – bereits in allen früheren Fassungen und im erteilten Patent in den Patentansprüchen 1 und 3 erfaßt. Die weitere Einschränkung auf die Formulierung eines peroral einzunehmenden kapselierten Mittels ist bereits im europäischen Einspruchsverfahren erfolgt und in der Beschreibung des erteilten Patents als bevorzugte Ausführungsform genannt.
II. Das Streitpatent schützt somit in seiner noch verteidigten Fassung die Verwendung von Trigonellin (N-Methylnicotinsäure-betain), eines insbesondere im Samen des Bockshornklees (Trigonella foenum graecum L.) vorkommenden und aus diesem zu gewinnenden Alkaloids (einer Verbindungsgruppe, die Stickstoff enthält und im wäßrigen Milieu im allgemeinen eine Verschiebung der Wasserstoffionenkonzentration zum Alkalischen bewirkt), der Summenformel C(7)H(7)O(2)N-H(2)O, zusammen mit mindestens einem der Stoffe Calciumpantothenat, einem aus der Pantothensäure (C(9)H(16)NO(5)) abgeleiteten Salz, und Folsäure (C(19)H(19)N(7)O(6)), die der B(2)-Vitamingruppe zugerechnet wird. Diese Stoffe werden patentgemäß zur Herstellung eines peroral einzunehmenden, kapselierten Mittels verwendet. Das Mittel dient wiederum zur Wiederbelebung und zum Anregen und Verstärken des Haarwuchses bei Lebewesen, wobei jedenfalls in der vorgesehenen Konfektionierung praktisch die Anwendung beim Menschen allein wirtschaftliche Bedeutung hat.
III. Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 des Streitpatents mag im Hinblick auf die dem Stoff Trigonellin patentgemäß beigegebenen weiteren Stoffe Calciumpanthotenat und Folsäure in einem nicht ganz zu vernachlässigenden Grad geeignet sein, die erfindungsgemäßen Wirkungen herbeizuführen. Er ist jedoch im Sinn des Nichtigkeitsgrunds des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 52 ff. EPÜ nicht patentfähig. Er erfüllt nämlich die Anforderungen nicht, die an eine Bejahung der Schutzvoraussetzung der erfinderischen Tätigkeit (Art. 52 Abs. 1, 56 EPÜ) zu stellen sind. Diese setzt nach der Legaldefinition in Art. 56 Satz 1 EPÜ voraus, daß sich die Erfindung für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Grundsätzlich ist dabei auf die Gesamtheit der Merkmale abzustellen (Senat BGHZ 122, 144, 152 – tetraploide Kamille; EPA T 175/84 ABl. EPA 1989, 71, 73 – Kombinationsanspruch/KABELMETAL). Dies gilt jedoch nicht für solche Lösungsmerkmale, die zur Lösung der Aufgabe nichts beitragen (EPA T 37/82 ABl. EPA 1984, 71, 74 – Niederspannungs-Schalter/SIEMENS).
Der Senat geht bei dieser Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von folgenden Tatsachen aus:
Die Verabreichung peroral einzunehmender, kapselierter Mittel zur Förderung des Haarwachstums war bekannt. Das gilt etwa für das Mittel „Pantovigar”, das, wie der Nichtigkeitskläger nachgewiesen hat, in Kapselform vor dem Prioritätszeitpunkt u.a. für verschiedene Anwendungsgebiete bei Haarausfall vertrieben worden ist. Dieses Mittel enthielt u.a. den auch in Patentanspruch 1 des Streitpatents genannten Wirkstoff Calciumpantothenat. Zudem wird die Gabe von Calciumpanthotenat bei Störungen des Haarwuchses auch in anderen Literaturstellen beschrieben, so vonHirsch, Das Haar des Menschen, Journal für medizinische Kosmetik (1956), 351 ff., und in Römpps Chemie-Lexikon, 8. Aufl. 1979, S. 571. Auch die Gabe von Folsäure zu diesem Zweck ist, wie der gerichtliche Sachverständige unter Hinweis auf die Erläuterungen in Römpps Chemie-Lexikon zur Folsäure wie zu der chemisch dieser eng verwandten Folinsäure und auf den zitierten Aufsatz vonHirsch zur Überzeugung des Senats erläutert hat, für den Fachmann, einen Pharmazeuten mit Kenntnissen auf dem Gebiet der pharmazeutischen Technologie, der pharmazeutischen Biologie und der Pharmakologie, zumindest als naheliegend anzusehen. Es liegt auf der Hand und der Senat ist überzeugt davon, daß auch insoweit wie bei allen Vitaminpräparaten des Vitamin-B-Komplexes eine perorale Anwendung in verkapselter Form in naheliegender Weise in Betracht kam; auch die Beklagten haben das nicht in Zweifel gezogen.
Was die Gabe von Trigonellin betrifft, liegen die Umstände anders. Allerdings ist eine äußerliche Anwendung des in der Volksmedizin seit dem Altertum bekannten Bockshornklees und damit jedenfalls mittelbar des in dessen Samen enthaltenen Stoffs Trigonellin als Haarwuchsmittel wiederholt beschrieben worden, so in der 1985 veröffentlichten französischen Patentanmeldung 2 551 972 (Einreibung mit einer Flüssigkeit, die u.a. zerriebenen Bockshornkleesamen enthält), beiWillfort, Gesundheit durch Heilkräuter (1969), S. 270 f. („Äußerlich wird der Samenaufguß bei Haarschwund … mit Erfolg genommen. … Der zerstoßene Samen, mit Olivenöl zu einem Brei vermengt und damit die Kopfhaut oft und gründlich eingerieben, unterbricht den Haarausfall und läßt neue Haare wieder wachsen, wenn nicht tiefere Ursachen den Haarausfall auslösten.”),Madaus, Lehrbuch der biologischen Heilmittel, Bd. II (1938), S. 1365 („In der indischen Volksmedizin wendet man Bockshornklee in Öl aufgeweicht zur Förderung des Haarwuchses an …”) und S. 1366 („Dänemark: … äußerlich gegen Kopfschuppen und Haarausfall …”) sowie in mehreren Kräuterbüchern der Renaissancezeit. Alle diese Veröffentlichungen betreffen jedoch, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend bestätigt hat, allein äußerliche und nicht perorale Anwendungen. Peroral ist lediglich die Applikation als Tee zur Bekämpfung toxischer Leberschädigungen, zur Verbesserung der Leberfunktion und als Leberschutztherapeutikum vorbeschrieben (deutsche Offenlegungsschrift 32 25 056 vom 5.1.1984 unter Hinweis auf eine bekannte Eignung als Kräftigungsmittel); Hinweise auf Wirkungen bezüglich des Haarwuchses finden sich in dieser Veröffentlichung nicht.
Der Senat ist auf Grund der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen mit einer vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietenden Sicherheit überzeugt davon, daß eine haarwuchsfördernde Wirkung des Stoffs Trigonellin bei peroraler Verabreichung ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich aus folgenden Umständen:
Gegen eine haarwuchsfördernde Wirkung von Trigonellin, bei dem es sich nur um einen von zahlreichen Inhaltsstoffen des Bockshornkleesamens handelt, spricht zunächst schon, daß Trigonellin in der Literatur (Kirk-Othmer, Encyclopedia of Chemical Technology, 1970, S. 536) als „pharmakologisch inert” beschrieben wird und daß es, Menschen und Hunden gegeben, unverändert ausgeschieden wird. AuchHagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis, Sechster Band, 1979, S. 272, beschreibt keine therapeutsche Anwendung von Trigonellin. VonWillfort (aaO S. 269), der vom gerichtlichen Sachverständigen als wenig seriös bezeichnet wird, wird Trigonellin unter die Heil- und Wirkstoffe des Bockshornkleesamens eingereiht, eine bestimmte therapeutische Wirkung wird ihm jedoch nicht zugewiesen. Der gerichtliche Sachverständige hat daraus überzeugend gefolgert, daß eine physiologische Wirkung des Stoffs Trigonellin gleich welcher Art zumindest nicht gesichert ist, er hat insbesondere auch keinen Hinweis darauf finden können, daß Trigonellin zu Vitamin B2 umgesetzt wird und auf diesem Weg therapeutisch wirksam ist. Dies gilt erst recht für haarwuchsfördernde Wirkungen, die – wenn sie dem Bockshornkleesamen oder Extrakten daraus zukommen – nach den überzeugenden Bekundungen des gerichtlichen Sachverständigen auf andere Inhaltsstoffe zurückzuführen sind.
Für die therapeutische Unwirksamkeit in der geschützten Verabreichungsform spricht weiter, daß bei ihr mit therapeutisch wirksamen Konzentrationen am Wirkort (der Kopfhaut) nicht gerechnet werden kann. Der gerichtliche Sachverständige hat schon in seinem schriftlichen Gutachten die Verkapselung als aus pharmazeutischer Sicht unsinnig bezeichnet, wenn damit der Haarwuchs angeregt, verstärkt oder wiederbelebt werden solle; hieran hat er auch in der mündlichen Verhandlung mit überzeugenden Argumenten, insbesondere dem Hinweis auf die sehr langsame und geringe Resorption als quartäre Ammoniumverbindung bei oraler Applikation (so auch Gutachten S. 7 unter Hinweis aufMutschler, Arzneimittelwirkungen, 7. Aufl. S. 11), festgehalten.
Die von den Beklagten vorgelegten Untersuchungen belegen – soweit sich ihnen überhaupt eine Förderung des Haarwuchses entnehmen läßt –, jedenfalls nicht, daß eine positive Wirkung auf den Stoff Trigonellin und nicht auf weitere in dem probeweise verwendeten Mittel enthaltene Stoffe zurückzuführen ist. Insoweit ist nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen eher von einer erwartungsgemäßen positiven Wirkung der weiteren Komponenten Calciumpantothenat und/oder Folsäure auszugehen.
Daß sich der gerichtliche Sachverständige letztlich nicht in der Lage gesehen hat, von einem naturwissenschaftlich vollständig gesicherten Unwirksamkeitsnachweis auszugehen, steht der Feststellung der Unwirksamkeit durch den Senat nicht entgegen, weil ein derart hohes Beweismaß dem deutschen Recht fremd ist; für die Beurteilung der Schutzfähigkeit europäischer Patente gelten insoweit keine besonderen Regeln.
Eine therapeutische Wirkung der Beigabe von Trigonellin in bezug auf Haarausfall und Haarwachstum konnte bei peroraler Einnahme von trigonellinhaltigen Mitteln nach alledem nicht erwartet werden. Demnach sieht das Streitpatent mit der Lehre, ein trigonellinhaltiges Mittel zu verwenden, eine Maßnahme vor, bei der sich lediglich die zu erwartende Wirkungslosigkeit der Trigonellinbeigabe verwirklicht. Ähnlich wie in dem Fall, in dem sich ein zu erwartender Erfolg bei Verwirklichung der patentgemäßen Lehre tatsächlich einstellt, dieser Umstand gegen erfinderische Tätigkeit sprechen kann (vgl. EPA T 249/88 – Milchproduktion/MONSANTO, u.a. auszugsweise beiJaenichen GRUR Int. 1992, 327, 339; EPA T 60/89 ABl. EPA 1992, 268 = GRUR Int. 1992, 771, 775 – Fusionsproteine/HARVARD, Entscheidungsgründe unter 3.2.5., wo entscheidend darauf abgestellt wird, ob es für den Fachmann naheliegend gewesen wäre, die Idee mit einer angemessenen Erfolgserwartung auszuprobieren; vgl. auchBusse PatG 5. Aufl. § 4 PatG Rdn. 103;Kroher inSinger/Stauder EPÜ 2. Aufl. Art. 56 EPÜ Rdn. 41), muß auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sich der zu erwartende Mißerfolg einer Maßnahme verwirklicht, dies als Gesichtspunkt berücksichtigt werden, der einem Heranziehen dieser Maßnahme zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit von vornherein entgegensteht. Andernfalls würde der Patentierung von Lehren Tür und Tor geöffnet, die technisch unsinnig sind; es kann auch nach Wegfall des früher im nationalen Recht geltenden Schutzerfordernisses des technischen Fortschritts nicht Sinn des Patentrechts sein, derartige Lehren zu schützen und zu fördern. Dieser Gesichtspunkt muß auch im Rahmen der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigt werden. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Zugabe eines weiteren Stoffs zur Rezeptur eines Heilmittels, durch die eine verbesserte Wirkung des Heilmittels nicht zu erwarten war, zur erfinderischen Tätigkeit nichts beitragen kann, wenn eine verbesserte Wirkung erwartungsgemäß durch diese Zugabe nicht eintritt.
Demnach kann die Zusammensetzung des herzustellenden Mittels aus einer oder zwei einzeln und in Kombination naheliegenden Vitaminkomponenten und einem weiteren, als solchen unwirksamen Stoff erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Auch die anderen Maßnahmen (Verkapselung, Therapieform) enthalten nichts, worauf sich die Annahme erfinderischer Tätigkeit stützen ließe.
Der Senat verkennt nicht, daß andere sachkundige Stellen, insbesondere das Europäische Patentamt und das Bundespatentgericht, in den das Streitpatent und ein Parallelschutzrecht betreffenden Verfahren die Schutzfähigkeit positiv beurteilt haben. Auch wenn dies im Regelfall als gewichtiger Hinweis auf die Schutzfähigkeit anzusehen ist, ergibt sich im vorliegenden Fall daraus nichts zugunsten des Streitpatents, weil die entsprechenden Entscheidungen soweit ersichtlich jeweils zumindest stillschweigend von einer therapeutischen Wirkung von Trigonellin auf den Haarwuchs ausgehen und nicht die vom Senat getroffene Feststellung berücksichtigen, daß eine solche Wirkung nicht vorliegt.
IV. Die Kostenentscheidung beruht nach dem übergangsrechtlich (Art. 29 2. PatGÄndG) weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 PatG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 i.V.m. §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Rogge, Melullis, Keukenschrijver, Mühlens, Meier-Beck
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.03.2001 durch Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 584479 |
BGHZ |
BGHZ, 137 |
BGHR 2001, 508 |
NJW-RR 2001, 1335 |
GRUR 2001, 730 |
Nachschlagewerk BGH |
RIW 2001, 699 |
WRP 2001, 817 |
BPatGE, 281 |
PharmaR 2001, 364 |
Mitt. 2001, 254 |