Entscheidungsstichwort (Thema)
Privathaftpflichtversicherung. Streitverkündung. Streitverkündungsschrift. Beginn der Verjährung des Deckungsanspruchs. Ernsthafte Geltendmachung der Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer
Leitsatz (amtlich)
Das ernsthafte Geltendmachen eines Anspruchs gegen den Versicherungsnehmer, das den Anspruch auf Versicherungsschutz in der Haftpflichtversicherung auslöst und zugleich dessen Verjährung (vom Schluß des betreffenden Jahres an) in Lauf setzt, kann auch einer Streitverkündungsschrift (§ 73 ZPO) zu entnehmen sein.
Normenkette
VVG § 12 Abs. 1; AHB § 3 II Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 20. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht Ansprüche gegen die Beklagte aus einer seit 1990 bestehenden Privathaftpflichtversicherung geltend, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (vgl. VerBAV 1986, 216 ff.; im folgenden: AHB) zugrunde liegen.
Dem Kläger wird vorgeworfen, er habe in der Nacht vom 30. zum 31. März 1991 bei der Vorbereitung und Durchführung eines sogenannten Jaudus (=Judas) – Feuers mitgewirkt. Bei diesem Osterbrauch wurden Strohballen abgebrannt, die durch senkrecht in den Boden eingelassene und miteinander verbundene Baumstämme zusammengehalten wurden. Einige Zeit nach Entzünden des Feuers stürzten zwei der vier Baumstämme nicht, wie vorgesehen, nach innen, sondern nach außen um; dabei wurde eine Person getötet; andere erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Einer der Geschädigten nahm einen der Organisatoren der Veranstaltung auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Nach mündlicher Verhandlung vor dem Oberlandesgericht reichte der Beklagte jenes Verfahrens einen Schriftsatz ein, in dem er dem späteren Kläger des hier zu entscheidenden Verfahrens den Streit verkündete. Darin heißt es:
„Der Streitverkündete hat beim Errichten des Jaudusdammes und beim Abbrennen mitgeholfen und seinerseits Verursachungsbeiträge geleistet. Er war gegebenenfalls auch mitverantwortlich für den Schaden des Klägers.
Der Beklagte beabsichtigt deshalb für den Fall des Unterliegens in diesem Rechtsstreit den Streitverkündeten seinerseits auf Ansprüche aus Gesamtschuldnerausgleich in Anspruch zu nehmen.”
Dieser Schriftsatz wurde dem Kläger des vorliegenden Verfahrens am 18. Mai 1995 zugestellt. Am Tage zuvor hatte das Oberlandesgericht die Klage des Geschädigten dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt und das Verfahren zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs an das Landgericht zurückverwiesen. Dort wurde die Sache terminslos vertagt. Mit Schreiben vom 5. August 1999 teilte der Haftpflichtversicherer des Beklagten des Vorprozesses dem späteren Kläger des hier geführten Deckungsprozesses mit, sie habe an den Geschädigten Leistungen in Höhe von 909.726,40 DM erbracht; der Kläger sei zu 20% mitverantwortlich; er werde deshalb aufgefordert, 181.945,28 DM bis zum 31. August 1999 zu zahlen. Dieses Schreiben leitete der Kläger an die Beklagte als seinen Haftpflichtversicherer weiter. Diese lehnte ein Eintreten mit der Begründung ab, Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag seien bereits 1995 entstanden und daher gemäß § 12 Abs. 1 VVG verjährt.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Deckungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Das Berufungsgericht geht mit Recht davon aus, daß die zweijährige Verjährungsfrist des § 12 Abs. 1 VVG mit dem Schluß des Jahres beginnt, in dem die Leistung verlangt werden kann. Von der Haftpflichtversicherung ist gemäß § 1 Nr. 1 AHB auch ein Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB gedeckt (BGH, Urteil vom 17. Mai 1956 – II ZR 96/55 – VersR 1956, 364 unter 5). Die sich aus § 3 II Nr. 1 AHB ergebenden Rechtsschutz- und Abwehransprüche sowie Freistellungs- und Zahlungsansprüche gegen den Versicherer unterliegen als Ausprägungen eines einheitlichen Deckungsanspruchs auch einer gemeinsamen Verjährung, die am Schluß des Jahres beginnt, in dem Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer erhoben werden (BGH, Urteil vom 20. Januar 1971 – IV ZR 1134/68 – VersR 1971, 333 unter III). Hierzu genügt jede Erklärung, durch die vom Versicherungsnehmer ernsthaft eine Leistung gefordert wird (BGH, Urteil vom 20. Januar 1966 – II ZR 233/63 – VersR 1966, 229 f.; Urteil vom 3. Oktober 1979 – IV ZR 45/78 – VersR 1979, 1117, 1118 unter II 1).
Das Berufungsgericht ist der Meinung, ein solches Geltendmachen ergebe sich deutlich aus der dem Kläger zugestellten Streitverkündungsschrift. Eine Streitverkündung stelle entgegen der vom Reichsgericht vertretenen Ansicht (RGZ 143, 377, 380) nicht etwa künftige Ansprüche nur in Aussicht, sondern sei aus sich heraus geeignet, den Haftpflichtanspruch zu erheben (offengelassen im Urteil des BGH vom 3. Oktober 1979 aaO unter II 4) und damit die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen. Daher sei der Deckungsanspruch bei Klageerhebung im Jahre 2001 verjährt gewesen.
2. Dem ist zuzustimmen.
a) Der Tatrichter hat dem Streitverkündungsschriftsatz rechtsfehlerfrei und überzeugend entnommen, daß der damalige Beklagte und Streitverkünder für den Fall seines Unterliegens in dem vom Geschädigten gegen ihn geführten Rechtsstreit seinerseits den Kläger des vorliegenden Verfahrens und Streitverkündeten auf Ausgleich in Anspruch nehmen werde. Bei dieser Wertung als Geltendmachen des materiell-rechtlichen Anspruchs ist nicht unberücksichtigt geblieben, daß die Angabe des Grundes der Streitverkündung nach § 73 Satz 1 ZPO Voraussetzung für die Wirksamkeit der Streitverkündung als Prozeßhandlung ist. Daß die gleichzeitige Erhebung des materiellen Anspruchs noch vom Unterliegen gegenüber dem Geschädigten abhängig war, bedeutet nicht, daß sich der Streitverkünder etwa noch nicht zur Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs im Fall einer gerichtlichen Feststellung seiner Haftpflicht gegenüber dem Geschädigten entschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 3. November 1966, VersR 1967, 56 unter II 2 a). Der geltend gemachte Ausgleichsanspruch ist auch hinreichend individualisiert. Zu seiner Begründung verweist der Schriftsatz auf die Mitwirkung des Streitverkündeten beim Errichten des Jaudusdammes sowie beim Abbrennen und stützt darauf „gegebenenfalls” dessen Mitverantwortung. In der Verwendung des Wortes „gegebenenfalls” hat der Tatrichter mit Recht keine Einschränkung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit der Anspruchserhebung gegen den Kläger gesehen, sondern lediglich den Vorbehalt, daß die bestrittene Verantwortlichkeit des Streitverkünders gegenüber dem Geschädigten überhaupt gerichtlich festgestellt werde. Darüber hinaus bedurfte es einer Bezifferung der geltend gemachten Ausgleichsforderung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 3. Oktober 1979 aaO unter II 1). Schließlich konnte der Tatrichter auch die förmliche Zustellung des Streitverkündungsschriftsatzes an den Kläger als weiteren Hinweis auf die Ernsthaftigkeit der Geltendmachung werten.
b) Die Revision macht geltend, der dem Kläger zugestellte Schriftsatz könne deshalb nicht im Sinne einer Anspruchserhebung gewertet werden, weil er eine Streitverkündung enthalte. Der Gesetzgeber unterscheide die Streitverkündung in § 153 Abs. 4 VVG von der gerichtlichen Geltendmachung, wenngleich beide Tatbestände dort dieselbe Rechtsfolge auslösen, nämlich eine unverzügliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers gegenüber seinem Haftpflichtversicherer. Die Streitverkündung sei als weiterer Tatbestand erst nachträglich in den § 153 VVG eingefügt worden (durch Art. III Nr. 6 des Gesetzes über die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter und zur Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen sowie des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 7. November 1939, RGBl. I 2223, 2226); dies sei nach der Amtlichen Begründung geschehen, damit die Haftpflichtversicherung frühzeitig Kenntnis von einem Verfahren erhalte, in dem der Sachverhalt oft schon weitgehend geklärt werde; die bis dahin bereits bestehende Verpflichtung des Versicherungsnehmers, den Versicherungsfall binnen einer Woche nach dem Zeitpunkt anzuzeigen, in dem ein Dritter seinen Anspruch gegen ihn geltend mache, werde den Bedürfnissen der Haftpflichtversicherung nicht gerecht (DJ 1939, 1771, 1773). Wenn in der Streitverkündung mithin nach Auffassung des Gesetzgebers gerade keine Geltendmachung des Anspruchs liege, könne dies auch nicht für den Beginn der Verjährung nach § 12 Abs. 1 VVG gelten.
Diese Argumentation überzeugt nicht. Der Gesetzgeber hat über die innerhalb einer Woche zu erfüllende Anzeigepflicht beim Geltendmachen von Haftpflichtansprüchen gegenüber dem Versicherungsnehmer (§ 153 Abs. 2 VVG) hinaus eine unverzügliche Anzeigepflicht in den Sonderfällen des gerichtlichen Geltendmachens, des Antrags auf Prozeßkostenhilfe sowie der Streitverkündung wegen eines Haftpflichtanspruchs angeordnet (§ 153 Abs. 4 Satz 1 VVG). Wird in dieser Weise zwischen dem Geltendmachen von Haftpflichtansprüchen im allgemeinen und Sonderfällen wie der gerichtlichen Geltendmachung unterschieden, bedurfte es neben der gerichtlichen Geltendmachung einer besonderen Erwähnung der Streitverkündung, durch die der Anspruch, den der Streitverkünder gegen den Streitverkündeten zu haben glaubt, nicht gerichtlich geltend gemacht wird (so zu § 12 Abs. 3 VVG RG bei Gruchot, Bd. 56 (1912) S. 378, 379; OLG Köln VersR 1971, 613; Römer, Versicherungsvertragsgesetz 2. Aufl. § 12 Rdn. 73). Infolgedessen steht die besondere Erwähnung der Streitverkündung neben der gerichtlichen Geltendmachung in § 153 Abs. 4 Satz 1 VVG der Annahme nicht entgegen, mit dem allgemeinen Tatbestand des Geltendmachens eines Haftpflichtanspruchs in § 153 Abs. 2 VVG könne auch eine Streitverkündung gemeint sein. Im übrigen können die Formulierungen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der in § 153 VVG geregelten Anzeigepflicht die Frage nicht präjudizieren, was unter einem den Deckungsanspruch begründenden und dessen Verjährung in Lauf setzenden ernsthaften Geltendmachen zu verstehen ist.
c) Das Reichsgericht hat seine Ansicht, eine Streitverkündung sei nicht ohne weiteres mit der Erhebung eines Haftpflichtanspruchs gleichzusetzen, mit der Erwägung begründet, die Streitverkündung unterrichte den Versicherungsnehmer über einen anhängigen Rechtsstreit zu dem Zweck, ihm die Beteiligung an jenem Prozeß zu ermöglichen; darin liege „bestenfalls” die Ankündigung künftiger Geltendmachung eines Rückgriffsanspruchs, von dem im Rahmen der Streitverkündung jedoch zunächst nur die Rede sei, um der prozessualen Pflicht zur Angabe des Grundes der Streitverkündung zu genügen (§ 73 Satz 1 ZPO); eine über die Streitverkündung hinausgehende selbständige Erklärung des Inhalts, ein Anspruch werde, wenn auch nur bedingt, jetzt schon gegen den Streitverkündeten geltend gemacht, habe der Tatrichter in dem seinerzeit zu entscheidenden Fall der Streitverkündung rechtsfehlerfrei nicht entnehmen können (RGZ 143, 377, 379 ff; vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Oktober 1991 – IX ZR 38/91 – NJW 1992, 436, 437 unter 2 b bb).
Indessen schließt der Umstand, daß die Streitverkündung prozeßrechtlichen Anforderungen genügen soll, eine davon unabhängige, zusätzliche Wertung nicht aus, daß jedenfalls mit der Erklärung über den Drittanspruch dieser Anspruch dem Streitverkündeten gegenüber für den Fall einer Verurteilung des Streitverkünders auch geltend gemacht werde. Einer zulässigen Streitverkündung kommen ohnehin über die Aufforderung zur Unterstützung des Streitverkünders im Prozeß deutlich hinausgehende Wirkungen zu: Nach § 74 Abs. 3 ZPO hat eine Streitverkündung, auch wenn der Streitverkündete nicht beitritt, die Nebeninterventionswirkung gemäß § 68 ZPO, so daß der Streitverkündete im Verhältnis zum Streitverkünder – hier also im Hinblick auf dessen Regreß – nicht mehr mit der Behauptung gehört wird, der Rechtsstreit, in dem der Streit verkündet worden ist – hier die Schadensersatzklage des Geschädigten –, sei unrichtig entschieden worden. Ferner wird durch eine Streitverkündung die Verjährung des Regressanspruchs unterbrochen (§ 209 Abs. 2 Nr. 4 BGB a.F.) bzw. gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB n.F.). Danach bestehen keine Bedenken, vorbehaltlich einer tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall den Vortrag in einer Streitverkündung zum Anspruch des Streitverkünders gegen den Streitverkündeten als ernsthaftes Geltendmachen dieses Anspruchs zu werten (so außer dem Berufungsgericht auch OLG Hamm VersR 1978, 809, 810; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 928; Späte, Haftpflichtversicherung, § 3 Rdn. 23; Prölss/Martin/Voit, Versicherungsvertragsgesetz 26. Aufl. § 149 Rdn. 5; Bruck/Möller/Johannsen, Versicherungsvertragsgesetz 8. Aufl. Bd. IV Anm. F 38).
Unterschriften
Terno, Dr. Schlichting, Seiffert, Ambrosius, Dr. Kessal-Wulf
Fundstellen
Haufe-Index 952468 |
BGHZ 2004, 69 |
BGHZ |
NJW 2003, 2376 |
BGHR 2003, 861 |
EWiR 2003, 1107 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2003, 944 |
ZIP 2003, 1254 |
MDR 2003, 1179 |
NZV 2003, 468 |
VRS 2003, 274 |
VersR 2003, 900 |
ZfS 2003, 459 |
IVH 2003, 148 |
LMK 2003, 167 |
ProzRB 2003, 324 |