Leitsatz (amtlich)
Wenn ein Versicherer dem Versicherungsnehmer den Beweis für die Echtheit seiner Unterschrift auf dem Versicherungsantrag dadurch unmöglich macht, daß er die Originale der Versicherungsanträge nach Mikroverfilmung vernichtet, so trifft den Versicherer die Beweislast für die Fälschung der Unterschrift.
Normenkette
BGB § 242; ZPO § 282
Verfahrensgang
LG Mainz (Aktenzeichen 4 O 61/97) |
OLG Koblenz (Aktenzeichen 10 U 717/98) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 18. Juni 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt als Alleinerbin ihres verstorbenen Ehemannes die Beklagte aus einer Unfallversicherung in Anspruch. Die Parteien streiten darüber, ob zwischen dem verstorbenen Ehemann der Klägerin und der Beklagten überhaupt ein Versicherungsvertrag zustande gekommen ist und ob gegebenenfalls die Beklagte leistungsfrei ist, weil, wie die Beklagte behauptet, der Unfall schon eingetreten war, als der Ehemann der Klägerin den Versicherungsantrag stellte.
Der Ehemann der Klägerin fuhr am 14. April 1996 aus ungeklärter Ursache mit dem Auto gegen einen Baum. Bei diesem Unfall erlitt er schwere Schädelverletzungen. Er lag seitdem mit einem apallischen Syndrom im Wachkoma und war unfähig, seine Angelegenheiten zu besorgen, so daß das Vormundschaftsgericht ihm einen Betreuer bestellen mußte. Der Unfallversicherungsantrag für den Ehemann der Klägerin war auf den 12. April 1996 datiert, gab als gewünschten Beginn der Versicherung denselben Tag an und war mit dem Namen des Ehemannes der Klägerin unterschrieben. Der Antrag wurde von dem mit dem Ehemann der Klägerin befreundeten Herrn H., der für die Firma O. arbeitete, die Versicherungsverträge mit verschiedenen Versicherungsunternehmen vermittelte, an die Zentralstelle der O. weitergegeben. Von dort wurde der Antrag an die Beklagte abgesandt, bei der er am 23. April 1996 eintraf. Die Beklagte verfilmte ihn auf Mikrofilm und vernichtete sodann das Original. Am 27. April 1996 stellte die Beklagte den Versicherungsschein aus. Als ihr bald darauf der Unfall des Ehemannes der Klägerin angezeigt wurde, lehnte sie die Regulierung mit der Begründung ab, der Versicherungsantrag sei erst nach dem Unfall ausgefüllt, rückdatiert und die Unterschrift des Ehemannes der Klägerin gefälscht worden. Demgegenüber behauptet die Klägerin, ihr Ehemann habe den Antrag am darin angegebenen Tage unterschrieben und Herrn H. übergeben.
Das Landgericht hat der Klage auf Feststellung, daß die Beklagte Versicherungsschutz gewähren müsse, stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Zwar ist jedenfalls im Ergebnis der Ansicht des Berufungsgerichts zu folgen, daß von einer Fälschung des Versicherungsantrags nicht ausgegangen werden kann und deshalb ein Vertragsschluß zwischen dem Ehemann der Klägerin und der Beklagten anzunehmen ist. Die weitere Entscheidung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei auch nicht von der Verpflichtung zur Leistung frei, weil der Unfall erst nach Antragstellung geschehen sei, hält jedoch auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
I. Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Ehemann der Klägerin selber den Versicherungsantrag – somit noch vor seinem Unfall – unterschrieben hat.
Es kann offen bleiben, ob der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung gefolgt werden kann, daß der Versicherungsschein die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit für sich habe und deshalb die Beklagte die von ihr behauptete Fälschung der Unterschrift beweisen müsse, was ihr nicht gelungen sei. Denn auch falls, wie die Revision meint, die Beweislast dafür, daß der Ehemann der Klägerin den Versicherungsantrag selbst unterschrieben hat, bei der Klägerin verblieben ist, darf die Beklagte sich im vorliegenden Fall auf diese Beweislast nicht berufen, weil sie selber die Beweisschwierigkeiten der Klägerin herbeigeführt hat.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht geklärt werden kann, ob die Unterschrift auf dem Versicherungsantrag echt oder gefälscht ist. Dies liegt daran, daß nach Ansicht des gerichtlichen Sachverständigen grundsätzlich nur das Original eines Schriftstücks eine verläßliche Grundlage für eine Schriftvergleichung bietet und auch im vorliegenden Fall die Urheberschaft der Unterschrift nicht entscheidbar ist, weil die Originalunterschrift fehlt und die Qualität der kopierten Mikrofilm-Rückvergrößerung zu schlecht ist. Dem Gutachten läßt sich nicht entnehmen, daß, wie die Revision meint, ersatzweise auch die Durchschrift des Versicherungsantrags, die der Ehemann der Klägerin nach Behauptung der Beklagten erhalten haben soll, dem Sachverständigen die Entscheidung über Echtheit oder Unechtheit der Unterschrift ermöglicht hätte. Somit ist es die Beklagte, die der Klägerin den Beweis der Echtheit der Unterschrift erschwert hat, indem sie das Original des Versicherungsantrags nach der Mikroverfilmung vernichtet hat.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die von der Klägerin herangezogenen Grundsätze der Beweisvereitelung eingreifen, die voraussetzen, daß eine Partei dem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung in vorwerfbarer Weise erschwert hat. Denn auch wenn man einem Versicherer das Recht zugesteht, aus Gründen der bürotechnischen Rationalisierung die Originale der Versicherungsanträge nach Mikroverfilmung zu vernichten, und wenn man ihm deshalb keinen Pflichtverstoß im Verhältnis zu den Versicherungsnehmern vorwerfen kann, so darf er sich doch nicht die durch die Vernichtung entstandene Unmöglichkeit des Beweises für die Echtheit der Unterschrift des Versicherungsnehmers zunutze machen. Es stellt ein unzulässiges widersprüchliches Verhalten dar (§ 242 BGB), wenn der Versicherer, der das Verfahren der Verfilmung und Vernichtung zu seinem (Rationalisierungs-)Vorteil eingeführt hat, die durch dieses Verfahren erzeugten Beweisnachteile auf die Versicherungsnehmer abwälzen will. Auf Beweisschwierigkeiten des Versicherungsnehmers, die aus dem Fehlen des Originals herrühren, darf der Versicherer sich deshalb nicht berufen. Wenn dann, wie im vorliegenden Fall, der Versicherer seinerseits den Beweis der Fälschung nicht erbringen kann, so ist der Versicherungsnehmer im Ergebnis so zu stellen, als sei ihm der Beweis der Echtheit gelungen.
Nach alledem ist das Berufungsgericht rechtlich zutreffend von einem wirksamen Versicherungsvertrag zwischen den Parteien ausgegangen.
II. Die weitere Entscheidung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei auch nicht nach § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG von ihrer Verpflichtung zur Leistung befreit, hält hingegen auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Hier handelt es sich um eine Rückwärtsversicherung (§ 4 I. Satz 2 der dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88)). Ein solcher Vertrag ist dahin auszulegen, daß die Parteien die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen vor Vertragsschluß, aber nach Antragstellung entstehender Kenntnis von potentiellen Versicherungsfällen ausgeschlossen haben. „Antragstellung” bedeutet in diesem Zusammenhang die Absendung oder Abgabe des Versicherungsantrags an den bzw. bei dem Versicherer oder seinem Agenten. Es kommt dann eine Rückwärtsversicherung zustande, bei der für den Zeitraum ab Antragstellung § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG ausgeschlossen ist (BGHZ 111, 29, 35; 111, 44, 51; 117, 213, 215). Der Ausschluß gilt deshalb ab Antragstellung, weil mit dem in § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG ausgesprochenen Grundgedanken der Zweck verfolgt wird, das Herantreten des Versicherungsnehmers an den Versicherer zum Zwecke der Manipulation zu verhindern, und weil nach der Antragstellung der Versicherungsnehmer in aller Regel den Inhalt des Vertrages nicht mehr manipultiv beeinflussen kann (BGHZ 111, 29, 35). Es kommt deshalb darauf an, wann der Ehemann der Klägerin seinen Versicherungsantrag gestellt hat und ob zu diesem Zeitpunkt der Ehemann der Klägerin – oder sein Vertreter (§ 2 Abs. 3 VVG) – schon Kenntnis von dem Versicherungsfall hatte. Die Beweislast hierfür trifft die Beklagte. Sie muß die Voraussetzungen für die von ihr in Anspruch genommene Leistungsfreiheit beweisen.
2. Das Berufungsgericht hat zur Frage des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG auf das landgerichtliche Urteil Bezug genommen, das sich jedoch seinerseits lediglich auf die Abbedingung dieser Vorschrift für den Zeitraum zwischen Antragstellung und Vertragschluß beruft. Damit haben Landgericht und Berufungsgericht stillschweigend die Antragstellung auf den Tag der Unterzeichnung des Versicherungsantrags angesetzt, an dem der Ehemann der Klägerin den Antrag auch gleich Herrn H. übergab. Aus dieser Datierung der Antragstellung auf den 12. April 1996, also zwei Tage vor dem Unfall, folgt dann zwangsläufig, daß die Kenntnis von dem Versicherungsfall erst in der Zeit nach der Antragstellung entstanden sein kann.
3. Wie die Revision zu Recht rügt, ist jedoch die vom Berufungsgericht vorgenommene zeitliche Gleichsetzung der Antragstellung mit der Übergabe des Versicherungsantrags an Herrn H. nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen, die es offen lassen, ob die Firma O., bei der Herr H. angestellt war, Versicherungsagent der Beklagten oder Versicherungsmakler des Ehemannes der Klägerin war, nicht gerechtfertigt. Erst mit der Abgabe oder Absendung des Antrags an einen Vertreter der Beklagten, nicht aber schon mit der Übergabe des Versicherungsantrags an einen Vertreter oder Boten des Versicherungsnehmers, ist die Manipulationsgefahr, deren Abwendung die Kenntnisregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG dient, gebannt. Der Bundesgerichtshof hat in einem Fall, in dem der Versicherungsnehmer einen Versicherungsmakler mit dem Abschluß des Vertrages beauftragt hatte, ausgeführt, daß der Versicherungsnehmer noch nachträglich aufgrund eines ihm zwischenzeitlich bekannt gewordenen Versicherungsfalles seinen Vertreter anweisen könne, die Bedingungen zu seinen Gunsten zu ändern, und hat deshalb auf die Abgabe des Antrags durch den Makler bei dem Versicherer und nicht etwa auf den Auftrag des Versicherungsnehmers an den Makler abgestellt (BGHZ 117, 213, 216 f.). Nichts anderes kann gelten, wenn, wie im vorliegenden Fall, der Beauftragte kein Abschlußvertreter des Versicherungsnehmers ist, sondern den vom Versicherungsnehmer selbst unterschriebenen und sodann übergebenen Antrag lediglich an den Versicherer weiterleiten soll. Denn auch dann sind Manipulationen des Versicherungsnehmers noch nicht ausgeschlossen.
Das Berufungsgericht hat noch keine Feststellung dazu getroffen, ob die Firma O. Versicherungsmakler des Klägers oder Versicherungsagent der Beklagten war. Die Beklagte hat vorgetragen, daß Herr H. nicht ihr Versicherungsagent, sondern Mitarbeiter der Firma O. gewesen sei, die auch für andere Versicherer vermittele.
4. Das Berufungsurteil ist auch nicht etwa unabhängig von der fehlenden Feststellung, ob die Firma O. Versicherungsagent oder Versicherungsmakler war, im Ergebnis richtig (§ 563 ZPO). Denn falls die O., wovon für die Revisionsinstanz auszugehen ist, Versicherungsmakler war, eröffnet sich die zur Leistungsfreiheit der Beklagten führende Möglichkeit, daß auf seiten des Versicherungsnehmers schon vor der Antragstellung Kenntnis von dem Versicherungsfall bestand. Die Antragstellung erfolgte dann nämlich erst, als die Zentralstelle der O. den Antrag an die Beklagte weitersandte. Da er dort unstreitig am 23. April 1996 und somit neun Tage nach dem Unfall eintraf, geschah auch die Absendung wahrscheinlich erst nach dem Unfall. Ob Kenntnis vor Antragstellung im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 VVG tatsächlich vorlag, kann ebenfalls nicht ohne Tatsachenfeststellungen, die das Berufungsgericht bisher noch nicht getroffen hat, entschieden werden.
a) Die bisherigen Tatsachenfeststellungen reichen nur aus, um Kenntnis des Versicherungsnehmers selbst zu verneinen. Das seit dem Unfall bestehende Wachkoma machte den Ehemann der Klägerin unfähig zur Kenntnisnahme von dem Versicherungsfall. Das Wissen des Versicherungsnehmers im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG bezeichnet den Gegensatz zur subjektiven Ungewißheit, die erforderlich ist, um den Grundgedanken des Versicherungsrechts zu wahren, daß nur ungewisse Risiken versicherbar sind, nicht dagegen bereits feststehende Schäden (BGHZ 84, 268, 277; 117, 213). Kenntnis als das Gegenteil von subjektiver Ungewißheit setzt jedoch die Fähigkeit voraus, zu beurteilen, ob ein Versicherungsfall eingetreten ist oder nicht. Diese Fähigkeit besaß der im Wachkoma liegende Ehemann der Klägerin nicht. Zu demselben Ergebnis führt der mit § 2 Abs. 2 Satz 2 VVG verfolgte Zweck, den Versicherer vor unredlichen Handlungsweisen des Versicherungsnehmers zu schützen (BGHZ 117, 213, 215), da der Ehemann der Klägerin auch zu unredlichem Verhalten außerstande war.
b) Hingegen kann ohne weitere Tatsachenfeststellungen nicht entschieden werden, ob ein Vertreter des Ehemannes der Klägerin bei Antragstellung Kenntnis von dem Versicherungsfall besaß. Der Zeuge H. ist, wenn die ihn beschäftigende Firma O. Versicherungsmakler war, als Vertreter des Ehemannes der Klägerin im Sinne der §§ 2 Abs. 3 VVG, 166 Abs. 1 BGB anzusehen. Der Wortlaut dieser Vorschriften spricht zwar nur vom Abschlußvertreter, während Herr H. lediglich als Vermittlungsvertreter tätig wurde. In entsprechender Anwendung des § 166 Abs. 1 BGB wird dem Geschäftsherrn aber auch das Wissen seines sogenannten Wissensvertreters zugerechnet. Wissensvertreter ist jeder, den der Geschäftsherr dazu berufen hat, im Rechtsverkehr für ihn bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen und gegebenenfalls weiterzugeben (BGHZ 117, 104, 106 f.). Darunter fällt auch der Versicherungsmakler, den der Versicherungsnehmer mit der Weiterleitung seines Antrags an den Versicherer betraut hat. Es kommt also darauf an, ob Herr H. – oder ein anderer Mitarbeiter der O. – im Zeitpunkt der durch die Zentralstelle der O. vorgenommenen Absendung des Antrags an die Beklagte schon Kenntnis von dem Versicherungsfall hatte.
III. Bei der erneuten Verhandlung muß das Berufungsgericht zunächst die Feststellung nachholen, ob der Zeuge H. Versicherungsagent der Beklagten oder Versicherungsmakler des Ehemannes der Klägerin war. Sollte er sich als Makler erweisen, so wird das Berufungsgericht weiter klären müssen, wann die Zentralstelle der O. den Versicherungsantrag an die Beklagte absandte und ob Herr H. oder ein anderer Mitarbeiter der O. zu diesem Zeitpunkt schon Kenntnis von dem Versicherungsfall hatte.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Prof. Römer, Dr. Schlichting, Seiffert, Ambrosius
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.06.2000 durch Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538827 |
NJW-RR 2000, 1471 |
EWiR 2001, 193 |
JurBüro 2001, 221 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2000, 1177 |
ZIP 2000, 2329 |
DAR 2000, 526 |
JA 2001, 534 |
MDR 2000, 1247 |
NVersZ 2000, 510 |
NZV 2001, 33 |
VRS 2000, 243 |
VersR 2000, 1133 |
ZfS 2000, 491 |
PVR 2001, 368 |