Entscheidungsstichwort (Thema)
Bodenbelagsarbeiten
Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns besteht nicht, wenn der öffentliche Auftraggeber ein mit einer Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens und einer fehlerfreien Neuvergabe wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis herbeiführt, indem er mit demjenigen, der den Zuschlag zu Unrecht erhalten hat, einen Aufhebungsvertrag schließt und sodann in Bezug auf den gleichen Auftrag ein neues Vergabeverfahren durchführt.
Normenkette
BGB §§ 249, 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 13.06.2018; Aktenzeichen 27 U 3268/17 Bau) |
LG Kempten (Entscheidung vom 09.08.2017; Aktenzeichen 11 O 2091/16) |
Tenor
Auf die Revision wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. Juni 2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Kempten vom 9. August 2017 wird insgesamt zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelinstanzen einschließlich der Kosten der Streithelferin hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger fordert von der beklagten Gemeinde Schadensersatz wegen fehlerhafter Durchführung eines Vergabeverfahrens.
Rz. 2
Die Beklagte machte im Dezember 2015 eine öffentliche Ausschreibung nach Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A (nachfolgend: VOB/A 2012) für Bodenbelagsarbeiten bekannt. Das Verfahren wurde im Auftrag der Beklagten von der Streithelferin durchgeführt. Es beteiligten sich neben weiteren Bietern der Kläger und der Mitbieter M. (nachfolgend: Mitbieter). Die Vergabeunterlagen wiesen unter Position 2.13 eine zu geringe Massenvorgabe von 230 m2 anstatt (richtig) 4.480 m2 aus. Der Kläger setzte in seinem Angebot für diese Position einen Einheitspreis von 6,75 €, der Mitbieter einen solchen von 3,50 € an. Die zu geringe Massenvorgabe war dem Kläger, dem Mitbieter und der Streithelferin bei der Durchführung der Bietergespräche bekannt.
Rz. 3
Der Mitbieter erhielt als vermeintlich günstigster Bieter am 21. Januar 2016 den Zuschlag auf sein Angebot von 156.060,75 €. Anschließend wurde festgestellt, dass es bei der Bearbeitung der Angebote im Büro der Streithelferin zu einem Übertragungsfehler gekommen war. Dadurch war das Angebot des Mitbieters geringfügig günstiger erschienen als das des Klägers. Daraufhin schloss die Beklagte mit dem Mitbieter einen Aufhebungsvertrag. Es wurde ein neues Vergabeverfahren unter Beteiligung des Mitbieters und des Klägers durchgeführt. Der Mitbieter erhielt erneut den Zuschlag.
Rz. 4
Mit der Klage begehrt der Kläger Schadensersatz für den ihm entgangenen Auftrag in Höhe von 32.203,13 € nebst Verzugszinsen seit dem 19. Juli 2016. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das Urteil abgeändert und der Klage wegen der Hauptforderung nebst Prozesszinsen seit dem 18. Januar 2017 stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Streithelferin den Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch setze voraus, dass das Vergabeverfahren an einem Vergabefehler leide, der Zuschlag einem Dritten tatsächlich erteilt worden sei und der Kläger den Zuschlag hätte erhalten müssen. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Das Verfahren leide an einem Vergabefehler, weil das Angebot wegen des Übertragungsfehlers rechnerisch fehlerhaft gewertet und der Mitbieter fälschlicherweise als günstigster Bieter ermittelt worden sei. Es komme nicht darauf an, ob die in Position 2.13 fehlerhaften Ausschreibungsunterlagen die Beklagte berechtigt hätten, das Vergabeverfahren wegen schwerwiegender Gründe aufzuheben. Entscheidend sei, dass das Vergabeverfahren durchgeführt und mit dem Zuschlag beendet worden sei. Ohne den Übertragungsfehler hätte der Kläger den Zuschlag erhalten müssen. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots nicht zu berücksichtigen, dass es wegen der zu erwartenden Massenmehrungen bei der Position 2.13 zu Mehrkosten in Höhe von 15.680 € gekommen wäre. Das Angebot des Klägers sei auch nicht auszuschließen gewesen.
Rz. 6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dem Kläger steht kein Schadensersatzanspruch auf Ersatz des Gewinns zu, den er mit der Ausführung des Auftrags erzielt hätte (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB).
Rz. 7
1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass ein Schadensersatzanspruch wegen einer verfahrensfehlerhaft erfolgten Vergabe ausnahmsweise dann den Ersatz entgangenen Gewinns umfasst, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden ist (st. Rspr., BGH, Urteile vom 6. Oktober 2020 - XIII ZR 21/19, VergabeR 2021, 182 Rn. 12 mwN - Ortenau-Klinikum; vom 8. Dezember 2020 - XIII ZR 19/19, BGHZ 228, 15 Rn. 26 - Flüchtlingsunterkunft).
Rz. 8
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, der Zuschlag sei in diesem Sinne tatsächlich erteilt worden.
Rz. 9
a) Das streitige Vergabeverfahren wurde allerdings zunächst mit einem Zuschlag abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Mitbieter am 26. Januar 2016 den Zuschlag erhalten. Dabei erfolgt der Zuschlag im Vergabeverfahren nach entsprechender Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers, indem die Annahmeerklärung gemäß §§ 145 ff. BGB dem Bieter, dessen Angebot ausgewählt worden ist, innerhalb der Zuschlags- und Bindefrist zugeht (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2004 - X ZB 44/03, BGHZ 158, 43 [juris Rn. 21]; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, 6. Aufl., § 168 Rn. 29 ff.).
Rz. 10
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber außer Betracht gelassen, dass die Beklagte, nachdem der Übertragungsfehler festgestellt worden war, mit dem Mitbieter die Aufhebung des geschlossenen Vertrags vereinbart und sodann ein neues Vergabeverfahren durchgeführt hat.
Rz. 11
aa) Durch die Teilnahme an einer Ausschreibung wird ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet, durch das Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB entstehen. Verletzt die Vergabestelle eine solche Rücksichtnahmepflicht, kann der Bieter Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die mangelnde Beachtung der für das Verfahren und seine mögliche Aufhebung maßgeblichen Vorschriften entstanden ist. So ist regelmäßig ein Anspruch des Bieters auf Erstattung des negativen Interesses gegeben, wenn die Vergabestelle das Vergabeverfahren aufhebt, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A vorliegt. Die vergaberechtlichen Vorschriften mit bieterschützendem Charakter begründen aber kein Recht auf die Auftragserteilung, sondern nur das Recht eines jeden Bieters, der die Voraussetzungen hierfür erfüllt, auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nicht-diskriminierenden Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf einen Zuschlag. Die Bieter können demgemäß zwar die Beachtung aller für das Verfahren und die Zuschlagserteilung maßgeblichen Vorschriften erwarten, nicht aber die Auftragsvergabe selbst (st. Rspr., BGH, Urteile vom 20. März 2014 - X ZB 18/13, VergabeR 2014, 538 Rn. 20 f. mwN - Fahrbahnerneuerung I; BGHZ 228, 15 Rn. 9 ff., 21 - Flüchtlingsunterkunft). Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns besteht - wie oben bereits dargelegt - ausnahmsweise nur dann, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden ist.
Rz. 12
bb) Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns kommt daher nicht in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber ein mit einer Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens und einer fehlerfreien Neuvergabe wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis herbeiführt, indem er mit demjenigen, der den Zuschlag zu Unrecht erhalten hat, einen Aufhebungsvertrag schließt und sodann - wie hier - in Bezug auf den gleichen Auftrag ein neues Vergabeverfahren durchführt. Dabei kann dahinstehen, ob die zwischen dem Mitbieter und der Beklagten gemäß § 311 Abs. 1 BGB vereinbarte Aufhebung den Zuschlag - wofür einiges spricht - mit Rückwirkung hat entfallen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1978 - V ZR 115/77, NJW 1978, 2198 [juris Rn. 8 f.]). Denn ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn der "falsche" Bieter den Auftrag auch tatsächlich erhält. Ist das nicht der Fall, weil es zu einem den gesamten Auftrag betreffenden Aufhebungsvertrag und einer sich daran anschließenden Neuvergabe kommt, wird das Recht des übergangenen Bieters - hier des Klägers - auf Teilhabe am Vergabeverfahren und Wahrung seiner Chance bei der Auftragsvergabe im Regelfall ausreichend gewahrt. Eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften in dem von der Beklagten durchgeführten zweiten Vergabeverfahren behauptet der Kläger nicht.
Rz. 13
cc) Nach den oben genannten Grundsätzen kann ein Anspruch auf das negative Interesse gegeben sein, wenn es - wie hier - zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags mit dem falschen Bieter und Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens kommt. Einen solchen Anspruch macht der Kläger indes nicht geltend.
Rz. 14
3. Nach alledem kommt es auf die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft angenommen, dass der Kläger den Zuschlag hätte erhalten müssen, nicht mehr an.
Rz. 15
III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Da weitere Feststellungen nicht erforderlich sind, ist das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO).
Kirchhoff |
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Roloff |
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Tolkmitt |
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Rombach |
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Vogt-Beheim |
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Fundstellen
Haufe-Index 15024240 |
BauR 2022, 771 |
IBR 2022, 138 |
JZ 2022, 131 |
ZfBR 2022, 294 |
NZBau 2022, 235 |
NZBau 2022, 6 |
VS 2022, 14 |
FSt 2022, 396 |
VergabeR 2022, 167 |