Leitsatz (amtlich)
Es verstößt weder gegen das Pluralitätsgebot noch gegen sonstige sozialversicherungsrechtliche Grundsätze, wenn eine Krankenkasse zur Versorgung ihrer Mitglieder mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln für einen bestimmten Zeitraum nur solche Leistungserbringer zulässt, die sich vorher in einem Ausschreibungsverfahren durchgesetzt haben.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 3, § 33 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des OLG Dresden - Kartellsenat - v. 23.8.2001 unter Zurückweisung der Anschlussrevision der Klägerin im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Leipzig - 2. Kammer für Handelssachen - v. 1.9.2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen wird.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Handwerksinnung, deren Bezirk sich auf das Gebiet des gesamten Freistaates Sachsen erstreckt. Sie verfügt über 68 Mitglieder und vertritt die Interessen der Handwerksbereiche Bandagisten, Orthopädie- und Chirurgiemechaniker. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse, die im Bergbau Beschäftigte versichert (§ 177 SGB V). Bundesweit hat die Beklagte über 1,4 Mio. Mitglieder, von denen etwa 144.000 in Sachsen ansässig sind.
Die Klägerin schloss im Januar 1991 mit etlichen gesetzlichen Krankenkassen, u. a. der AOK und dem Landesverband der Betriebskrankenkassen, einen Rahmenvertrag gem. § 127 SGB V, der sowohl Regelungen über die Zulassung als auch über die Vergütung von Leistungserbringern für orthetische und orthopädische Heil- und Hilfsmittel enthielt. Die Beklagte stimmte diesem Vertrag zu und berücksichtigte zunächst die dort getroffenen Regelungen. Diesen Vertrag kündigte sie zum 31.7.2000.
Im Februar 1998 führte die Beklagte über ihre Hauptverwaltung eine öffentliche Ausschreibung zur Versorgung knappschaftlich Berechtigter mit Krankenfahrzeugen sowie sonstigen wiederverwendbaren Hilfsmitteln mit einem Kaufpreis von jeweils mehr als 300 DM durch, soweit diese Hilfsmittel keiner Preisvereinbarung unterlagen. Als Teilnehmer waren die Leistungserbringer zugelassen, ihre Verbände wurden nicht beteiligt.
Ausgeschrieben hat die Beklagte Gebiets- und Fachlose. Pro Gebiets- und Fachlos erhielten zwei Bieter den Zuschlag. Im Jahre 2000 führte sie für Sachsen wiederum eine öffentliche Ausschreibung durch. Im Ergebnis dieser Ausschreibung schloss sie mit elf Anbietern (den Ausschreibungsgewinnern) Sonderverträge ab. Diese Ausschreibungsgewinner wurden verpflichtet, die Hilfsmittel an die Versicherten zu bestimmten Bedingungen abzugeben und ggf. Instandsetzungen und Umrüstungen zu gewährleisten.
Die Beklagte verfährt jetzt folgendermaßen: Sie beauftragt nur Ausschreibungsgewinner mit der Versorgung ihrer Versicherten, soweit es sich um wiederverwendbare Hilfsmittel nach § 33 Abs. 5 SGB V handelt, die keiner landesweit geltenden Preisliste unterfallen. Legt der Versicherte eine entsprechende ärztliche Verordnung vor, wird er an die Ausschreibungsgewinner verwiesen, die den Versicherten aus ihren Beständen mit vorhandenen oder mit neu angefertigten Hilfsmitteln versorgen. Anderen Leistungserbringern, die im Auftrag von Versicherten unter Vorlage der ärztlichen Verordnungen Kostenvoranschläge einreichen, wird mitgeteilt - und zwar auch dann, wenn die Preise jenen der Ausschreibungsgewinner entsprechen -, dass eine Versorgung über einen Vertragslieferanten veranlasst worden sei. Die ärztlichen Verordnungen behält die Beklagte dabei ein. Zugleich informiert sie ihren Versicherten, über welche Leistungserbringer das wiederverwendbare Hilfsmittel bezogen werden kann.
Die Klägerin hält diese Praxis nach § 19 Abs. 2 S. 2, § 20 Abs. 1 GWB für kartellrechtswidrig, weil ihre Mitglieder von der Beklagten durch die zusätzlichen und gesetzlich nicht vorgesehenen Ausschreibungen behindert würden. Sie erstrebt mit ihrer Klage ein Verbot, durch das der Beklagten untersagt werden soll, derartige Ausschreibungen in Zukunft durchzuführen. Weiterhin soll die Beklagte bisherige und zukünftige Ausschreibungsergebnisse nicht dergestalt verwenden, dass nur noch die Ausschreibungsgewinner unter Ausschluss der übrigen allgemein zugelassenen Leistungserbringer an der Versorgung der Versicherten mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln beteiligt werden. Zugleich soll der Beklagten verboten werden, bei Einreichung von Kostenvoranschlägen durch Leistungserbringer, die keine Ausschreibungsgewinner sind, die Versorgung durch andere Leistungserbringer zu veranlassen und die eingereichten Kostenvoranschläge unter Einbehalt der beigefügten ärztlichen Verordnungen an das jeweilige Mitglied der Klägerin zurückzusenden.
Das LG, das gem. § 17a Abs. 3 GVG den zu den Zivilgerichten beschrittenen Rechtsweg durch Beschl. v. 28.4.2000 für zulässig erklärt hatte, hat die Klage im Wesentlichen - wegen Unbestimmtheit der Klageanträge - als unzulässig abgewiesen. Im Übrigen hat es einen Anspruch der Klägerin verneint, weil die Beklagte auf Grund ihres Marktanteils keine Normadressatin i. S. d. §§ 19, 20 GWB sei. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG die landgerichtliche Entscheidung teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, solche Leistungserbringer, die nicht auf Grund einer Ausschreibung zugelassen worden sind, bei der Versorgung ihrer Mitglieder nicht mehr zu berücksichtigen und die Versorgung der Versicherten durch andere Leistungserbringer zu veranlassen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen, auch soweit die Klägerin die Untersagung der Durchführung künftiger Ausschreibungen beantragt hat.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision, mit der sie weiterhin eine vollumfängliche Klageabweisung erreichen will. Die Klägerin tritt der Revision entgegen und verfolgt mit ihrer (unselbständigen) Anschlussrevision das Ziel, der Beklagten schon die Durchführung entsprechender Ausschreibungen hinsichtlich wiederverwendbarer Hilfsmittel zu untersagen. Die Beklagte beantragt, die Anschlussrevision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur vollständigen Zurückweisung der Berufung der Klägerin mit der Maßgabe, dass die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen wird. Die Anschlussrevision bleibt ohne Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die auf § 33 S. 2, § 20 Abs. 1 GWB gestützten Unterlassungsanträge als ausreichend bestimmt und in der Sache auch teilweise für begründet erachtet. Die Anwendung kartellrechtlicher Vorschriften sei nicht durch die Novellierung des § 69 SGB V ausgeschlossen, weil diese Vorschrift keinen materiellen Ausschluss kartellrechtlicher Regelungen begründen solle, sondern lediglich im Sinne einer Rechtswegzuweisung zu den Sozialgerichten verstanden werden könne. Auch die verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift gebiete ein solches Ergebnis, da ein i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigender sachlicher Grund nicht ersichtlich sei, den Leistungserbringern gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen - anders als gegenüber den privaten Krankenversicherern - den Schutz des Wettbewerbs- und Kartellrechts zu versagen.
Das Berufungsgericht führt weiter aus, dass die Beklagte ein Unternehmen sei, das zusammen mit anderen Unternehmen ein Oligopol i. S. d. § 19 Abs. 2 S. 2 GWB bilde. Zwischen den gesetzlichen Krankenkassen bestehe auf der Nachfrageseite kein Wettbewerb, weil nach dem gesetzlichen Leitbild (§ 125 Abs. 1, § 128 SGB V) diese gegenüber den Leistungserbringern gemeinsam und einheitlich handeln müssten. Insgesamt seien 88,46 % der Gesamtbevölkerung bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Der Umstand, dass allein die Beklagte Sonderausschreibungen für wiederverwendbare Hilfsmittel durchführe, könne nicht zu einer anderen Betrachtung führen. Erst ihre Stellung als gesetzliche Krankenkasse ermögliche der Beklagten im Rahmen eines Oligopols diese Vorgehensweise, weil sie nicht befürchten müsse, dass sie Anbieter verliere. Außerdem bestehe eine Nachahmungsgefahr. Im Übrigen seien die Mitgliedsunternehmen der Klägerin als kleine Unternehmen auch von der Beklagten i. S. d. § 20 Abs. 2 GWB abhängig. Die Beschränkung der Versorgung auf die Ausschreibungsgewinner stelle einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar, weil sie wesentlichen Grundsätzen des SGB V widerspreche. Dieses Vorgehen schränke nämlich die Freiheit der Versicherten, unter den zugelassenen Leistungserbringern zu wählen, in unzulässiger Weise ein. Diese Wahlfreiheit gelte auch für wiederverwendbare Hilfsmittel i. S. d. § 33 Abs. 5 SGB V; auch insoweit müsse nach den Strukturprinzipien des SGB V die Vielfalt der Leistungserbringer berücksichtigt werden.
Das Berufungsgericht hat deshalb das praktizierte Ausschreibungssystem als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot i. S. d. § 20 Abs. 1 GWB angesehen. Dieser Verstoß betreffe aber nur die Umsetzung der Ausschreibungsergebnisse, nicht aber die Durchführung der Ausschreibung an sich. Da die Ausschreibung selbst noch keinen Eingriff in den Wettbewerb darstelle, sei die Klage insoweit abzuweisen.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Entgegen der Auffassung der Revision bestehen gegen die Bestimmtheit der Klageanträge gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO keine Bedenken. Der mit einem Klageantrag erstrebte Erfolg muss so bestimmt bezeichnet werden, dass Zweifel ausgeschlossen sind und sich der Beklagte umfassend verteidigen kann (BGH v. 30.10.1998 - V ZR 64/98, BGHZ 140, 1 [3] = MDR 1999, 290; BGH, Urt. v. 1.12.1999 - I ZR 49/97, MDR 2000, 1147 = NJW 2000, 2195 [2196] - Marlene Dietrich [insoweit in BGHZ 143, 214 ff. nicht abgedr.]). Mit dem Berufungsgericht ist davon auszugehen, dass diese Voraussetzungen im Streitfall vorliegen.
2. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen kartellrechtlichen Anspruch gem. § 20 Abs. 1 GWB bejaht.
a) Durch die Neufassung des § 69 SGB V auf Grund des Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) v. 22.12.1999 (BGBl. I S. 2626) sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbringern und ihren Verbänden abschließend durch das Vierte Kapitel des SGB V (§§ 69 - 140h) sowie die §§ 63 und 64 SGB V geregelt. Das Berufungsgericht versteht die Regelung des § 69 SGB V nur im Sinne einer Rechtswegzuweisung (so auch BSGE 86, 223 [229] [6. Senat]; Engelmann NZS 2000, 213 ff.), nicht aber als generellen Ausschlusstatbestand für die Anwendung kartellrechtlicher Normen, was faktisch einer Bereichsausnahme gleichkäme (in diesem Sinne BSGE 87, 95 [99]; 89, 24 [33] [3. Senat]; Meyer-Lindemann in GK, Kartellrecht, GWB, 45. Lfg., § 87 Rz. 17 ff.; Bornkamm in Langen/Bunte, GWB, 9. Aufl., § 87 Rz. 6a ff.).
b) Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Ein kartellrechtlicher Anspruch gem. § 20 Abs. 1 und 2 GWB besteht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts deshalb nicht, weil die Beklagte nicht Normadressatin dieser Bestimmung ist.
aa) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte für sich genommen über keine entsprechende Marktstellung verfügt. Dabei bestimmt es das Gebiet des Freistaates Sachsen rechtsfehlerfrei als den räumlich relevanten Markt. Lokale Teilmärkte hat das Berufungsgericht nicht feststellen können. Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht mehr angegriffen und lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen. Der insoweit vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Versichertenanteil der Beklagten, der bei etwa 3 % der Gesamtbevölkerung liegt, kann keine erhebliche Nachfragemacht i. S. d. § 20 Abs. 1 GWB begründen. Da auch im Übrigen keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, die auf ein insoweit überproportionales Nachfragepotenzial gerade der Beklagten hindeuten, hat das Berufungsgericht zutreffend bei der Beklagten allein keine entsprechende Marktmacht angenommen.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Normadressatenstellung der Beklagten auch nicht daraus abgeleitet werden, dass sie mit anderen gesetzlichen Krankenkassen ein Oligopol (§ 19 Abs. 2 S. 2 GWB) bildet. Allerdings sind in Sachsen knapp 90 % der Bevölkerung Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen. Die gesetzlichen Krankenkassen sind gerade auf Grund der gesetzlichen Regelung zudem in ihrer Funktion als Nachfrager zur Zusammenarbeit verpflichtet und gehalten, gegenüber den Leistungserbringern einheitlich vorzugehen (§§ 125, 128 SGB V).
Diese Umstände reichen jedoch für die Annahme eines Oligopols nicht aus. Es kommt nämlich nicht darauf an, dass zwischen den gesetzlichen Krankenkassen als Nachfragern der Wettbewerb allgemein eingeschränkt ist. Zwei oder mehrere Unternehmen sind nach § 19 Abs. 2 S. 2 GWB als Oligopol vielmehr dann marktbeherrschend, wenn zwischen ihnen für eine bestimmte Art von Waren oder gewerblichen Leistungen kein wesentlicher Wettbewerb besteht. Die Annahme eines Oligopols setzt im Hinblick auf die zu beurteilende Maßnahme deshalb voraus, dass die Beklagte insoweit konkret auf einem bestimmten Markt als Teil einer Gesamtheit von Unternehmen handelt. Insoweit ist eine über die strukturellen Wettbewerbsbedingungen hinausgehende Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere der auf dem relevanten Markt herrschenden Wettbewerbsverhältnisse, vorzunehmen (BGH v.10.12.1985 - KZR 22/85, BGHZ 96, 337 [344 f.] = MDR 1986, 471 - Abwehrblatt II; BGH, Beschl. v. 4.10.1983 - KVR 3/82, MDR 1984, 292 = AG 1984, 108 = WuW/E 2025, 2027 —Texaco-Zerssen).
Der Nachfragewettbewerb auf dem Markt für wiederverwendbare Hilfsmittel wird durch das Verhalten der Beklagten nicht beschränkt. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Beklagte mit der Durchführung von Ausschreibungen in ihrem Nachfrageverhalten einen Sonderweg beschreitet. Damit lässt sich auf der Nachfrageseite kein einheitliches Vorgehen der Krankenversicherer feststellen, das auf das Fehlen von Wettbewerb hindeuten könnte. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Vorgehensweise der Beklagten durch die Marktmacht der anderen gesetzlichen Krankenkassen abgesichert würde. Entsprechende Ausschreibungen führt lediglich die Beklagte durch. Ihr Verhalten berührt nicht die Beziehungen der Mitglieder der Klägerin zu anderen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Gegenüber den dort Versicherten können diese Leistungserbringer grundsätzlich die wiederverwendbaren Hilfsmittel auch dann anbieten, wenn sie bei der von der Beklagten durchgeführten Ausschreibung unterlegen sind.
Soweit das Berufungsgericht die Gefahr eines möglicherweise gleichartigen Verhaltens anderer gesetzlicher Krankenkassen für die Begründung eines Oligopols heranzieht, begegnet auch dieser Gesichtspunkt durchgreifenden Bedenken. Abgesehen davon, dass ein drohendes gleichartiges Verhalten durch andere gesetzliche Krankenversicherungen nicht näher belegt ist, kommt diesem Gesichtspunkt auch keine Relevanz bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 S. 2 GWB zu. Maßgeblich ist nämlich für die Frage einer Normadressatenstellung der Beklagten, über welche Nachfragemacht sie auf dem konkreten Markt verfügt. Da sich andere Krankenkassen nicht in gleicher Weise verhalten, kann deren Nachfragemacht allein aus diesem Grunde der Beklagten nicht zugerechnet werden.
cc) Gleichfalls begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, das eine Normadressatenstellung weiterhin aus § 20 Abs. 2 GWB hergeleitet hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Eine solche relative Marktmacht (Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 20 Rz. 39) setzt voraus, dass die Mitglieder der Klägerin als Anbieter von der Beklagten abhängig sind. Das Berufungsgericht sieht diese Abhängigkeit darin, dass die Mitglieder der Klägerin nicht auf andere Betriebe ausweichen könnten. Es meint, auf dem Nachfragemarkt für wiederverwendbare Hilfsmittel bestehe wegen des nur eingeschränkten Wettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager für die Mitglieder der Klägerin eine gesteigerte Abhängigkeit.
Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, warum die Mitglieder der Klägerin nicht auf andere Nachfrager ausweichen könnten. Soweit das Berufungsgericht hierbei auf eine Entscheidung des Senats Bezug nimmt (BGH, Urt. v. 22.3.1994 - KZR 9/93, MDR 1995, 171 = WuW/E 2919 - Orthopädisches Schuhwerk), sind die jeweils zugrunde liegenden Fallkonstellationen nicht vergleichbar. In der genannten Entscheidung wurde die fehlende Ausweichmöglichkeit auf andere Sozialversicherungsträger damit begründet, dass die wesentlichen Krankenkassen gemeinsam in einen Rahmenvertrag eingebunden waren, der auch die übliche Vergütung für die Leistungserbringer regelte. Hinzu kam, dass die dort im Streit befindlichen Vorstellungskosten nach der einhelligen damaligen Praxis der Krankenkassen nicht vergütet wurden (BGH, Urt. v. 22.3.1994 - KZR 9/93, MDR 1995, 171 = WuW/E 2919 [2922] - Orthopädisches Schuhwerk). In diesen Punkten weicht die hier vorliegende Fallgestaltung von der zitierten Senatsentscheidung ab. Für die in Rede stehenden wiederverwendbaren Hilfsmittel gibt es weder einen Rahmenvertrag, an dem die Beklagte beteiligt wäre, noch besteht eine einhellige Praxis unter den gesetzlichen Krankenkassen. Vielmehr geht die Beklagte hier einen Sonderweg, wobei nicht ersichtlich ist, dass die von der Beklagten nicht berücksichtigten Leistungserbringer nicht bei anderen Sozialversicherungsträgern oder Krankenversicherungen als Anbieter berücksichtigt werden könnten. Demnach können die Mitglieder der Klägerin, auch wenn sie nicht zu den Ausschreibungsgewinnern gehören, knapp 96 % der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen mit den hier im Streit stehenden Hilfsmitteln versorgen.
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO a. F.).
a) Das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 hat eine Zuweisung kartellrechtlicher Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung an die Sozialgerichte (§ 51 Abs. 2 SGG; § 87 Abs. 1 S. 3 GWB) vorgenommen. In dem zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits anhängigen Verfahren hat das LG mit Beschl. v. 28.4.2000 den zu den Zivilgerichten beschrittenen Rechtsweg gem. § 17a Abs. 3 GVG für zulässig erklärt; dies bindet auch die Rechtsmittelgerichte (§ 17a Abs. 5 GVG). Mit der rechtskräftigen Feststellung ihrer Zuständigkeit haben die Zivilgerichte nach § 17 Abs. 2 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, jedenfalls soweit es sich um einen einheitlichen prozessualen Anspruch handelt (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.1997 - I ZB 42/96, NJW 1998, 826 [828]; Gummer in Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 17 GVG Rz. 6). Dies hat zur Folge, dass auch zu überprüfen ist, ob die in Haupt und Hilfsanträgen geltend gemachten Ansprüche eine Grundlage im Sozialversicherungsrecht haben können.
b) Dabei kann dahinstehen, inwieweit der Klägerin als Landesinnung solche Unterlassungsansprüche zustehen können, die sich auf ihre Mitgliedsbetriebe beziehen und diesen eine Beteiligung an der Krankenversorgung durch die Beklagte sichern sollen. Eine entsprechende Aktivlegitimation vermittelt zwar § 33 S. 2 GWB, der den dort genannten Verbänden eigene Ansprüche einräumt (Bornkamm in Langen/Bunte, GWB, 9. Aufl., § 33 Rz. 38). Ob die kartellrechtliche Vorschrift des § 33 S. 2 GWB der Klägerin jedoch einen solchen Anspruch gewähren könnte oder die Bestimmung des § 69 SGB V die Anwendung des § 33 S. 2 GWB ausschließt, kann der Senat offen lassen. Ebensowenig bedarf es der Entscheidung, ob die Klägerin jedenfalls dann, wenn sie in ihrer eigenen Vertragskompetenz nach § 127 SGB V beschränkt ist (vgl. BSGE 89, 24 [27]), sich auf die Verletzung eigener Rechte berufen könnte.
c) Jedenfalls verstößt das von der Beklagten durchgeführte Ausschreibungssystem bei wiederverwendbaren Hilfsmitteln gem. § 33 Abs. 5 SGB V nicht gegen sozialversicherungsrechtliche Grundsätze, wozu die Sicherung der Wahlfreiheit der Versicherten zählt (vgl. BSG SozR 3-1200 § 33 Nr. 1; BSG, Urt. v. 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R). Das Ausschreibungssystem verletzt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht das Pluralitätsgebot nach § 2 Abs. 3 SGB V.
aa) Wiederverwendbare Hilfsmittel i. S. d. § 33 Abs. 5 SGB V können von der gesetzlichen Krankenkasse nach § 33 Abs. 5 SGB V auch leihweise überlassen werden. Mit einer leihweisen Überlassung erfüllt die gesetzliche Krankenversicherung den gem. § 33 Abs. 1 SGB V bestehenden Anspruch des Versicherten auf die erforderlichen Körperersatzstücke und orthopädischen Hilfsmittel (zum Begriff des Hilfsmittels vgl. BSGE 88, 204 ff.). Bei einer leihweisen Überlassung der Hilfsmittel obliegt es der Krankenkasse, dem Versicherten das entsprechende von ihm benötigte Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. Insoweit ist § 33 Abs. 5 SGB V als Ausnahmetatbestand ausgestaltet. Im Blick auf den Versicherten besteht hierin auch der wesentliche Unterschied zu der Leistungsgewährung im Übrigen. Während ansonsten der Versicherte pharmazeutische Produkte oder andere Hilfsmittel für sich verbrauchen kann, sind wiederverwendbare Hilfsmittel grundsätzlich für mehrere Versicherte nacheinander und jeweils nur für einen bestimmten Zeitraum im Gebrauch. Wenn die Krankenkasse dem Versicherten einen nicht nur von ihm allein zu nutzenden Gegenstand in Erfüllung ihrer Leistungspflicht zur Verfügung stellen kann, dann spielt auch der Gedanke der Pluralität der Leistungserbringer eine untergeordnete Rolle. Der Versicherte muss ein vorhandenes, von einem anderen Versicherten in Auftrag gegebenes und vorbenutztes Hilfsmittel akzeptieren. Allein dieser Umstand schränkt seine Wahlfreiheit ein. Sie kann sich allenfalls noch auf Beratungsleistungen, insbesondere auf eine etwaige Anpassung des Hilfsmittels oder eine Einweisung in seinen Gebrauch, beschränken. Insoweit ist aber auch der Pluralitätsgrundsatz noch ausreichend gewahrt, weil die Beklagte die Versorgung mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln mehr als einem Anbieter übertragen hat. Dies lässt für den Versicherten jedenfalls noch eine gewisse Wahlmöglichkeit offen. Sie durch Zulassung weiterer Mitgliedsbetriebe der Klägerin in erheblichem Maße auszudehnen, würde im Übrigen den Normzweck des § 33 Abs. 5 SGB V aushöhlen, mit dem eine möglichst effiziente Nutzung der wiederverwendbaren Hilfsmittel gewährleistet werden sollte. Bei einer Zulassung vieler Leistungserbringer bestünde nämlich die Gefahr, dass sich die Versicherten nur für denjenigen Leistungserbringer entscheiden, der ihnen neu hergestellte Hilfsmittel überlassen kann.
Ein wesentlicher Unterschied besteht aber auch bei der Form der Leistungsgewährung. Im Gegensatz zu den anderen Formen, in denen der von der gesetzlichen Krankenkasse zugelassene Leistungserbringer deren Sachleistungspflicht (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V) gegenüber dem Versicherten wahrnimmt, erlangt der Versicherte an den ihm nur leihweise überlassenen Hilfsmitteln kein Eigentum. Da die gesetzliche Krankenkasse mit der Beauftragung eine eigene Beschaffungstätigkeit vornimmt, muss sie hieran auch nicht jeden nach § 126 Abs. 1 SGB V zugelassenen Leistungserbringer beteiligen (vgl. BSG v. 9.2.1989 - 3 RK 7/88, NJW 1989, 2773 [2774]). Ebensowenig bestehen dagegen Bedenken, dass sie im Interesse einer Kostenminimierung diese Leistungen ausgeschrieben und insoweit keinen Rahmenvertrag mit der Klägerin abgeschlossen hat. Im Übrigen lässt die Regelung des § 127 Abs. 2 S. 2 SGB V Verträge auch zwischen der einzelnen gesetzlichen Krankenkasse und dem einzelnen Leistungserbringer ausdrücklich zu (vgl. hierzu Kranig in Hauck/Haines, SGB V K, 59. Lief., § 127 Rz. 4). Wenn diesen Preisvereinbarungen eine Ausschreibung vorangeht, wahrt die Krankenkasse damit das wirtschaftliche Effizienzgebot (§ 1 Abs. 1 und 4, § 12 SGB V). Diese Form der Preisfindung ist in einem besonderen Maße geeignet, eine leistungs- und wettbewerbsgerechte Vergütung zu erreichen.
Die auf zwei Jahre beschränkten Ausschreibungsintervalle ermöglichen in angemessenen Abständen eine Kontrolle des Ausschreibungsergebnisses. Dieser relativ überschaubare Zeitraum eröffnet zudem auch den nicht berücksichtigten Leistungserbringern eine Beteiligung an der Versorgung mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln.
bb) Das Verhalten der Beklagten stellt keine rechtswidrige Eigeneinrichtung nach § 140 SGB V dar. Dass die Beklagte die Hilfsmittel in der Rechtsform der Leihe überlässt, ist durch § 33 Abs. 5 SGB V ausdrücklich erlaubt (vgl. BSG v. 9.2.1989 - 3 RK 7/88, NJW 1989, 2773 [2774]). Die bloße Begründung von Leihverhältnissen hinsichtlich der wiederverwendbaren Hilfsmittel reicht deshalb für die Annahme einer Eigeneinrichtung nach § 140 SGB V nicht aus. Insoweit müsste die Beklagte durch eigene Selbstabgabestellen in organisatorisch verfestigter Form die Ausleihe steuern und auf dem Markt wie ein entsprechender Handwerksbetrieb tätig werden. Hinsichtlich der Umsetzung bedient sich die Beklagte jedoch nicht eines eigenen Betriebes. Vielmehr werden auch die wiederverwendbaren Hilfsmittel über Leistungserbringer erworben, wiederhergestellt und verteilt. Schon aus diesem Grunde lässt sich ausschließen, dass die Beklagte selbst in diesem beschränkten Leistungssegment als Wettbewerberin auftritt (vgl. BGH v. 18.12.1981 - I ZR 34/80, BGHZ 82, 375 [394 f.] = MDR 1982, 639 - Brillen-Selbstabgabestellen).
III. Der Senat kann in der Sache entscheiden, weil der Rechtsstreit im Sinne einer umfassenden Klageabweisung entscheidungsreif ist. Da die Durchführung von entsprechenden Ausschreibungen gleichfalls nicht beanstandet werden kann, ist die (unselbständige) Anschlussrevision zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 959683 |
DStR 2004, 825 |
BGHR 2003, 1083 |
GRUR 2003, 979 |
MedR 2003, 508 |
NZS 2004, 33 |
VersR 2003, 1188 |
WRP 2003, 1125 |
WuW 2003, 1053 |