Leitsatz (amtlich)
Der Auftragnehmer ist zur Verweigerung einer nach § 1 Nr. 4 VOB/B angeordneten Leistung berechtigt, wenn der Auftraggeber deren Vergütung endgültig verweigert.
Normenkette
VOB/B § 1 Nr. 4
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 01.06.2001; Aktenzeichen 21 U 4112/99) |
LG Berlin |
Tenor
Auf die Revision des Klägers und seiner Streithelferin wird das Urteil des 21. Zivilsenats des KG v. 1.6.2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die frühere Klägerin mit Sitz in Italien (künftig weiterhin: Klägerin), für die ihr Insolvenzverwalter den Rechtsstreit nach Aufnahme führt, verlangt von der Beklagten nach Kündigung des Bauvertrages Vergütung für erbrachte und nicht erbrachte Leistungen. Die Beklagte verlangt von der Klägerin mit der Widerklage Ersatz von Mehraufwand und Schadensersatz.
Die Parteien streiten u.a. darüber, ob das errichtete Baugerüst vertragsgemäß war.
Die Beklagte beauftragte nach einer Ausschreibung nach der VOB/A die Klägerin unter Einbeziehung der VOB/B mit Sanierungsarbeiten an zwei Hochhäusern in Berlin. Die Klägerin war u.a. verpflichtet, das Baugerüst zu errichten und insoweit die etwa erforderlichen amtlichen Genehmigungen einzuholen sowie eine geprüfte statische Berechnung für das Gerüst und die Ankerpläne vorzulegen.
Die Klägerin beauftragte ihrerseits ihre Konzerntochter mit den Gerüstarbeiten. Diese vergab die Arbeiten an die Streithelferin. Die Streithelferin beauftragte das Statikerbüro B.-H. J. mit der Ausführungsstatik für das Gerüst, ließ diese Statik durch den Prüfingenieur L. prüfen und errichtete das Gerüst.
Der vom Bauamt beauftragte Prüfingenieur G. beanstandete die Befestigung des Gerüstes und wies darauf hin, dass das Gerüst noch nicht zur Benutzung freigegeben und die Standsicherheit nicht nachgewiesen sei.
Gespräche zwischen dem Prüfingenieur G., den Vertretern der Vertragsparteien und der Streithelferin führten zu keiner Einigung. Der Prüfingenieur G. war nicht bereit, die von der Streithelferin verwendeten Dübel zu akzeptieren.
Die Beklagte entzog der Klägerin den Auftrag auf Grund grober Vertragsverletzungen, unterbreitete einen Kompromissvorschlag und erklärte, für den Fall, dass die Klägerin diesem Vorschlag nicht folge, solle sie die Kündigung des Bauvorhabens wegen grober Vertragsverletzung als ausgesprochen betrachten. Die Klägerin akzeptierte den Vorschlag nicht. Daraufhin kündigte die Beklagte den Vertrag gem. § 8 Nr. 3 Abs. 1 i.V.m. § 5 Nr. 4 VOB/B fristlos. Die bis zur Kündigung von der Klägerin erbrachten Leistungen nahm die Beklagte ab.
Die Klägerin erachtet die fristlose Kündigung als unbegründet und lässt sie lediglich als freie Kündigung gem. § 8 Nr. 1 VOB/B gelten.
Das LG hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Widerklage mit der Begründung abgewiesen, mangels wichtigen Grundes wirke die fristlose nur als freie Kündigung gem. § 8 Nr. 1 VOB/B
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen.
Mit ihrer Revision verfolgen die Klägerin und ihre Streithelferin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das für das Schuldverhältnis maßgebliche Recht richtet sich nach den bis zum 31.12.2001 geltenden Gesetzen (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).
I.
1. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte angenommen und deutsches materielles Recht angewandt. Das erweist sich als zutreffend.
a) Im Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland zu Italien, wo die Klägerin ihren Sitz hat, ist noch das EuGVÜ anzuwenden (Art. 66 Abs. 1 EuGVVO), dessen Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit der Gerichte die entsprechenden Regelungen des autonomen internationalen Zivilprozessrechts verdrängen (BGH, Urt. v. 25.2.1999 - VII ZR 408/97, MDR 1999, 670 = BauR 1999, 677 [678] = ZfBR 1999, 208). Da die Beklagte und die Klägerin sich in der mündlichen Verhandlung erster Instanz rügelos eingelassen haben, ist die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Klage und die Widerklage gem. Art. 18 EuGVÜ gegeben.
b) Die Parteien haben gem. Art. 27 Abs. 1 EGBGB das deutsche materielle Recht als Vertragsstatut vereinbart.
2. Die Voraussetzungen für eine wirksame Aufnahme des Rechtsstreits durch den Insolvenzverwalter über das Vermögen der Klägerin sind nachgewiesen.
II.
1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Beklagte habe den Bauvertrag aus wichtigem Grund ohne Fristsetzung kündigen dürfen. Eine Fortsetzung des Vertrages sei ihr nicht mehr zumutbar gewesen, weil das Verhalten der Klägerin bei dem Streit um die Standsicherheit des Gerüstes den weiteren Bauablauf in erheblichem Maße gefährdet habe.
Es könne offen bleiben, ob das Gerüst trotz der Vorbehalte des Prüfingenieurs G. tatsächlich standsicher gewesen sei. Die Klägerin hätte die von dem Prüfingenieur G. verlangten Maßnahmen selbst dann ausführen müssen, wenn diese objektiv nicht notwendig gewesen seien. Auch wenn das Bauamt das Gerüst nicht förmlich gesperrt habe, sei, solange unter den Fachleuten Streit über dessen Standsicherheit geherrscht habe, eine Weiternutzung des Gerüsts der Beklagten nicht zumutbar gewesen.
Über einen rechtsmittelfähigen Bescheid des Bauamtes habe der Streit nicht ausgetragen werden können, ein Verwaltungsverfahren mit einem sich womöglich anschließenden verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren hätte den Bau unvermeidbar verzögert.
Der Bau habe nur fortgeführt werden können, wenn die Klägerin der Forderung des Prüfingenieurs G. nachgekommen wäre und eine zusätzliche Verankerung eingebaut hätte, die die Standsicherheit des Gerüstes für den Fall gewährleistet hätte, dass sich die Bedenken des Prüfingenieurs G. gegen die von der Streithelferin ausgeführte Verankerung als berechtigt erweisen sollten. Unerheblich sei, ob die zusätzliche Verankerung, die nach der Kündigung ausgeführt worden sei, für sich allein geeignet gewesen sei, die Standsicherheit zu begründen, weil der Prüfingenieur G. damit jedenfalls zufrieden gewesen sei und es keine Anhaltspunkte gebe, dass er hierauf nicht auch vor der Kündigung eingegangen wäre.
Die Frage einer etwaigen Mehrvergütung hätte später geklärt werden können. Da die Beklagte die Leistung gefordert habe, hätte die Klägerin sie auch ohne eine dahingehende Vereinbarung ausführen müssen und ihren etwaigen Mehrvergütungsanspruch ankündigen können. Da die Klägerin die Ausführung der von dem Prüfingenieur G. und von der Beklagten geforderten Arbeiten verweigert habe, habe sie ihre Vertragspflichten verletzt. Weitere Diskussionen, die möglicherweise dazu geführt hätten, dass der Prüfingenieur G. von seinem Standpunkt abgerückt wäre, seien der Beklagten nicht mehr zuzumuten gewesen.
2. Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Der Auftraggeber eines VOB/B-Vertrages ist berechtigt, den Vertrag wegen positiver Vertragsverletzung fristlos zu kündigen, wenn durch ein schuldhaftes Verhalten des Auftragnehmers der Vertragszweck so gefährdet ist, dass es dem vertragstreuen Auftraggeber nicht zumutbar ist, den Vertrag fortzusetzen (BGH, Urt. v. 23.5.1996 - VII ZR 140/95, MDR 1996, 901 = ZfBR 1996, 267 = BauR 1996, 704).
b) Nach den derzeitigen Feststellungen des Berufungsgerichts war die Beklagte nicht berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund zu kündigen.
Der Umstand, dass die Klägerin der Forderung des Prüfingenieurs G. nach einer zusätzlichen Verankerung nicht nachgekommen ist, begründet für sich allein kein vertragswidriges Verhalten der Klägerin. Auf Grund der vertraglichen Vereinbarung war die Klägerin verpflichtet, die erforderlichen amtlichen Genehmigungen einzuholen und eine geprüfte statische Berechnung für das Gerüst sowie Ankerpläne vorzulegen. Allein der Umstand, dass G. bei seiner Auffassung geblieben ist, begründet noch keine vertragliche Verpflichtung der Klägerin, eine neue Verankerung anzubringen. Nach dem für die Revisionsinstanz maßgeblichen Sachverhalt hat die Klägerin die für die Errichtung des Gerüstes erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Nach Mitteilung der zuständigen Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen war für das Gerüst, das allgemein bauaufsichtlich zugelassen war, weder eine Baugenehmigung noch eine Freigabe erforderlich.
Den erforderlichen Standsicherheitsnachweis hat die Klägerin nach ihrem Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz als richtig zu unterstellen ist, durch die vom Ingenieurbüro W.-H. J. erstellte, von dem Prüfingenieur L. geprüfte und von der Beklagten abgenommene Statik erbracht. Es ist möglich, dass die Klägerin damit ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllt hat. Dann wäre eine etwaige Anordnung einer Verdübelung durch die Beklagte die Anordnung einer zusätzlichen Leistung i.S.v. § 1 Nr. 4 VOB/B.
c) Für die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe sich deshalb vertragswidrig verhalten, weil sie die von der Beklagten geforderte zusätzliche Verankerung des Gerüstes nicht ausgeführt habe, fehlt es an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die zusätzliche Verankerung von der Klägerin gefordert, entbehrt der tragfähigen Grundlage und beruht daher auf einem Verstoß gegen § 286 ZPO. Nach dem derzeitigen Sachstand hat die Beklagte von der Klägerin nur den Nachweis der Gerüstverankerung und die Einleitung der Maßnahmen verlangt, die erforderlich sind, damit die statische Prüfung des Gerüstes und der notwendigen Verankerungen abgeschlossen werden kann. Hingegen ergibt sich bisher nicht, dass die Beklagte konkrete Maßnahmen für eine zusätzliche Verankerung, wie sie der Prüfingenieur G. für erforderlich erachtete, von der Klägerin gefordert hatte.
III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Senat weist für die neue Verhandlung auf Folgendes hin:
Das Berufungsgericht wird zunächst zu klären haben, welche Gerüstverankerung den vertraglichen Vereinbarungen entspricht. Sollte sich herausstellen, dass sich die etwa angeordnete Verdübelung vom Vertragsinhalt nicht erfasst war, handelt es sich um eine zusätzliche Leistung i.S.v. § 1 Nr. 4 VOB/B. Sollte sich aus den vom Berufungsgericht bisher nicht näher aufgeklärten Gesprächen vor der fristlosen Kündigung ergeben, dass die Beklagte endgültig nicht bereit war, diese zusätzliche Leistung zu vergüten, wäre die Klägerin berechtigt gewesen, die Leistung zu verweigern (Kuffer, Leistungsverweigerungsrecht bei verweigerten Nachtragsverhandlungen, ZfBR 2004, 110 [116]).
Erweist sich die ausgesprochene fristlose Kündigung unter keinem Gesichtspunkt als berechtigt, wird das Berufungsgericht der Frage nachzugehen haben, ob diese Kündigung als freie Kündigung gewertet werden kann. Ob eine außerordentliche Kündigung eines Bauvertrages als freie Kündigung nach § 649 S. 1 BGB oder nach § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B gewertet werden kann, richtet sich nach dem Inhalt der Kündigungserklärung. Im Regelfall ist die Kündigung eines Bauvertrages dahingehend zu verstehen, dass auch eine freie Kündigung von dem Auftraggeber gewollt ist. Will der Auftraggeber seine Kündigung nicht so verstanden wissen, muss sich das aus der Erklärung oder den Umständen ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 24.7.2003 - VII ZR 218/02, BGHZ 156, 82 = BGHReport 2003, 1320 = MDR 2004, 90).
Der Senat weist weiter darauf hin, dass im Hinblick auf die lange Verfahrensdauer eine abermalige Zurückverweisung der Sache an das LG nicht mehr in Betracht kommt.
Fundstellen
Haufe-Index 1205654 |
DB 2004, 2810 |
BGHR 2004, 1474 |
BauR 2004, 1613 |
DWW 2004, 306 |
NJW-RR 2004, 1539 |
IBR 2004, 486 |
ZfIR 2004, 1034 |
MDR 2004, 1234 |
MDR 2007, 255 |
ZfBR 2004, 786 |
BTR 2004, 233 |
BrBp 2004, 511 |
NZBau 2004, 612 |
BauRB 2004, 321 |
JbBauR 2005, 319 |