Leitsatz (amtlich)
a) Die Verpflichtung eines Bauunternehmers, zur Sicherung von Vertragserfüllungsansprüchen eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen, ist auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines öffentlichen Auftraggebers unwirksam. Der Vertrag ist ergänzend dahin auszulegen, dass der Auftragnehmer eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft schuldet (im Anschluss an BGH, Urt. v. 4.7.2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229 = BGHReport 2002, 913 = MDR 2002, 1365).
b) Die ergänzende Vertragsauslegung kommt für Verträge, die nach dem 31.12.2002 geschlossen worden sind, nicht mehr in Betracht. Das gilt auch für Verträge, bei denen ein öffentlicher Auftraggeber nicht beteiligt ist.
c) Zur Wirksamkeit einer vom öffentlichen Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Klausel, mit der Vertragserfüllungssicherheit und Gewährleistungssicherheit mit teilweise identischer Zweckbestimmung gefordert wird.
Normenkette
AGBG § 6 Abs. 2, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main v. 15.8.2002 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger fordert von dem beklagten Land aus abgetretenem Recht der inzwischen insolventen Schuldnerin Herausgabe zweier Bürgschaftsurkunden.
Anfang 1993 beauftragte das Staatsbauamt F. die Schuldnerin (künftig: S.) mit der Ausführung von landschaftsgärtnerischen Arbeiten bei einem Neubau. Dem Vertrag lagen die vom Beklagten gestellten Besonderen Vertragsbedingungen EVM (B) BVB (künftig: BVB) und die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen EVM (B) ZVB/E (künftig: ZVB/E) zu Grunde. Ferner war die Geltung der VOB/B vereinbart. Die Regelung über die Sicherheitsleistung in Nr. 6 der BVB lautet u. a. wie folgt:
"6.1 Als Sicherheit für die Vertragserfüllung nach Nr. 33.1 ZVB/E hat der Auftragnehmer eine Bürgschaft nach dem Formblatt EFB-Sich 1i. H. v. 3 v. H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge zu stellen.
...
Nach Empfang der Schlusszahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Bürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft gemäß Formblatt EFB-Sich 2i. H. v. 3 v. H. der Abrechnungssumme umgewandelt wird.
6.2 Als Sicherheit für die Gewährleistung nach Nr. 33.2 ZVB/E werden 3 v. H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge einbehalten, nach Feststellung der Abrechnungssumme ist diese maßgebend.
Der Auftragnehmer kann stattdessen eine Gewährleistungsbürgschaft nach Formblatt EFB-Sich 2 stellen.
..."
Die Regelung über die Sicherheitsleistung in Nr. 33 ZVB/E lautet wie folgt:
"33.1 Die Sicherheit für Vertragserfüllung erstreckt sich auf die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag, insb. für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz sowie auf die Erstattung von Überzahlungen einschließlich der Zinsen.
33.2 Die Sicherheit für Gewährleistung erstreckt sich auf die Erfüllung der Ansprüche auf Gewährleistung einschließlich Schadensersatz sowie auf die Erstattung von Überzahlungen einschließlich der Zinsen."
Bei der Bürgschaft nach Formblatt EFB-Sich 1 handelt es sich um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern. Bei der Bürgschaft nach Formblatt EFB-Sich 2 handelt es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft.
Im Rahmen des Vertragsschlusses stellte S. dem Beklagten unter Verwendung des Formblatts EFB-Sich 1 eine Bürgschaft i. H. v. 77.500 DM zur Verfügung. Nachdem die Leistung der S. im Mai 1995 abgenommen und im November 1995 die Schlusszahlung erfolgt war, stellte S. zur Ablösung des vom Beklagten vorgenommenen Sicherheitseinbehalts für Gewährleistungsansprüche eine weitere Bürgschaft über 31.035,17 DM unter Verwendung eines weiteren Formblatts EFB-Sich 1.
Ende Mai 2000 forderte der Beklagte nach Abschluss eines wegen Baumängeln durchgeführten Beweissicherungsverfahrens die Bürgen zur Zahlung auf. Der Kläger, dem der Insolvenzverwalter der S. die Ansprüche auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunden abgetreten hatte, erwirkte eine einstweilige Verfügung, durch die dem Beklagten untersagt wurde, die Bürgen aus den Bürgschaften in Anspruch zu nehmen. Dieses Verfahren ruht bis zum Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits.
Der Kläger begehrt Herausgabe der beiden Bürgschaftsurkunden mit der Begründung, die Vereinbarung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (künftig: AGB) verstoße gegen § 9 AGBG und sei daher unwirksam; die auf dieser Grundlage erteilten Bürgschaften seien daher rechtsgrundlos erlangt und herauszugeben. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Auf das Schuldverhältnis sind die bis zum 31.12.2001 geltenden Gesetze anwendbar (Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht führt aus, eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers sei nach der Rechtsprechung des BGH nicht gegeben, weil dieser nicht ausschließlich darauf verwiesen sei, für Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers entweder einen Sicherheitseinbehalt von 3 % der Auftragssumme zuzulassen oder eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen. Vielmehr bestimme Nr. 6.1 S. 3 BVB, dass der Auftragnehmer nach Empfang der Schlusszahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche verlangen könne, dass die gestellte Bürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft gemäß Formblatt EFB-Sich 2 und damit in eine einfache selbstschuldnerische Bürgschaft umgewandelt werde. Die einschlägigen Regelungen über die zu erbringende Sicherheitsleistung seien auch nicht unklar i. S. v. § 5 AGBG.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Die Klauseln Nr. 6.1 und 6.2 BVB benachteiligen S. im Ergebnis weder für sich gesehen noch in ihrem Zusammenhang unangemessen i. S. d. § 9 Abs. 1 AGBG.
1. Die BVB und die ZVB/E des Beklagten sind als einheitliche Vertragsmuster Allgemeine Geschäftsbedingungen i. S. d. § 1 AGBG. Sie sind entweder unmittelbar oder in modifizierter Weise dem seinerzeit geltenden Vergabehandbuch für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzverwaltungen entnommen und für eine Vielzahl von Bauverträgen vorformuliert. Der Senat kann die Klauseln daher selbst uneingeschränkt auslegen.
2. Die Klausel Nr. 6.1 BVB ist im Hinblick auf das Recht, Zahlung auf erstes Anfordern zu verlangen, unwirksam; sie ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes mit dem Inhalt einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft für eine Übergangszeit als wirksam anzusehen.
a) Soweit die Klausel Nr. 6.1 BVB i. V. m. Nr. 34.4 ZVB/E die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern vorsieht, ist sie unwirksam.
Der Senat hat bereits entschieden, dass eine vom Auftraggeber, der nicht der öffentlichen Hand zuzuordnen ist, vorformulierte Sicherungsabrede unwirksam ist, wenn sie die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern vorsieht (BGH, Urt. v. 18.4.2002 - VII ZR 192/01, BGHZ 150, 299 = BGHReport 2002, 672 = MDR 2002, 1058; Urt. v. 4.7.2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229 = BGHReport 2002, 913 = MDR 2002, 1365; vgl. auch Urt. v. 10.4.2003 - VII ZR 314/01, MDR 2003, 1046 = BGHReport 2003, 937 = BauR 2003, 1385 = ZfBR 2003, 672 = NZBau 2003, 493).
Die Frage, ob die Klausel auch dann unwirksam ist, wenn sie von der öffentlichen Hand in AGB gestellt wird, hat der Senat bisher nicht entschieden. Die Frage ist streitig (für Unwirksamkeit: KG IBR 2003, 416 = BauR 2004, 510; Schwenker, BGHReport 2003, 939 f.; Hogrefe, BauR 1999, 111 [113]; Thode, ZfIR 2000, 165 [168]; für Wirksamkeit: Ingenstau/Korbion/Joussen, 15. Aufl., B § 17 Nr. 4 Rz. 69; OLG Stuttgart v. 27.10.1993 - 1 U 143/93, BauR 1994, 376, mit kritischer Anm. von Ulbrich). Der Senat hält die Klausel auch in diesem Fall für unwirksam. Es trifft zu, dass ggü. der öffentlichen Hand ein Grund für die Unwirksamkeit, die unberechtigte Verlagerung des Insolvenzrisikos, ausscheidet. Es ist auch nicht zu verkennen, dass die öffentliche Hand gerade in Zeiten knapper Haushaltsmittel bei angeblich mangelhafter Arbeit des Auftragnehmers ein berechtigtes Interesse daran hat, nicht selbst in finanzielle Engpässe zu geraten. Das rechtfertigt es nicht, durch AGB das mit einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verbundene Liquiditätsrisiko einseitig auf den Auftragnehmer zu verlagern. Eine unberechtigte Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern durch die öffentliche Hand ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Durch den Rückgriff des Bürgen bei dem Auftragnehmer wird diesem bei Inanspruchnahme einer solchen Bürgschaft Liquidität entzogen. Solange die öffentliche Hand einen zu Unrecht erhaltenen Betrag nicht zurückzahlt, ist der Auftragnehmer in seinem Kreditrahmen bei dem Bürgen beschränkt. Er muss seinen Rückforderungsanspruch gerichtlich geltend machen und trägt damit die Last der Prozessführung gegen eine Partei, die ihrerseits den Prozess gerichtskostenfrei führen kann.
b) Die Unwirksamkeit der Klausel Nr. 6.1 BVB hat nicht zur Folge, dass keine Verpflichtung des Auftragnehmers besteht, eine Bürgschaft zu stellen. Vielmehr ist für eine Übergangszeit der Vertrag dahin auszulegen, dass der Auftragnehmer eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft schuldet (vgl. BGH, Urt. v. 4.7.2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229 = BGHReport 2002, 913 = MDR 2002, 1365). Ein Herausgabeanspruch des Auftragnehmers besteht nicht. Der Auftragnehmer kann lediglich verlangen, dass sich der Auftraggeber ggü. dem Auftragnehmer und dem Bürgen schriftlich verpflichtet, die Bürgschaft nicht auf erstes Anfordern, sondern nur als selbstschuldnerische Bürgschaft geltend zu machen (BGH, Urt. v. 10.4.2003 - VII ZR 314/01, MDR 2003, 1046 = BGHReport 2003, 937 = BauR 2003, 1385).
c) Ein schützenswertes Vertrauen der öffentlichen Auftraggeber in die Wirksamkeit der Klausel Nr. 6.1 BVB besteht allerdings nur für Verträge, die bis zum Bekanntwerden der Entscheidung v. 4.7.2002 (BGH, Urt. v. 4.7.2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229 = BGHReport 2002, 913 = MDR 2002, 1365) geschlossen worden sind. Danach ist ein Vertrauen nicht mehr schützenswert. Der maßgebende Zeitpunkt ist der 1.1.2003. Im Hinblick auf den Zeitraum zwischen der Verkündung der Entscheidung v. 4.7.2002 und diesem Zeitpunkt ist gewährleistet, dass den beteiligten Verkehrskreisen, also auch den öffentlichen Auftraggebern, die Entscheidung bekannt geworden ist.
3. Die Klausel Nr. 6.2 BVB benachteiligt S. gleichfalls nicht unangemessen i. S. v. § 9 Abs. 1 AGBG. Sie sieht zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche einen Bareinbehalt vor, der durch eine unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft abgelöst werden kann. Das ist nicht zu beanstanden (BGH, Urt. v. 13.11.2003 - VII ZR 57/02, MDR 2004, 273 = BGHReport 2004, 287 = BauR 2004, 325 = NZBau 2004, 145).
4. Die Klauseln Nr. 6.1 und 6.2 BVB stehen nicht in einem Zusammenhang, der zu einer Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG führt.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gewährt die Regelung über die Umwandlung in Nr. 6.1 S. 3 BVB die Befugnis, unter den dort genannten Voraussetzungen die Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft umzuwandeln. Davon unabhängig ist der Auftragnehmer nach Nr. 6.2 BVB berechtigt, den von der Schlusszahlung einbehaltenen Betrag von 3 % sofort durch eine eigenständige Gewährleistungsbürgschaft abzulösen. Macht der Auftragnehmer davon Gebrauch, kann dies zu einer Verdoppelung der Sicherheit des Beklagten führen, die i. H. v. maximal 6 % auch zur Befriedigung aller bis zum Empfang der Schlusszahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche entstandenen Gewährleistungsansprüche besteht. Das belastet den Auftragnehmer im Hinblick auf den vereinbarten Sicherungszweck, der nicht nur Gewährleistungsansprüche, sondern auch Überzahlungen umfasst, nicht unangemessen.
Fundstellen
BB 2004, 1360 |
DB 2004, 1882 |
BGHR 2004, 935 |
BauR 2004, 1143 |
DWW 2004, 162 |
NJW-RR 2004, 880 |
NVwZ 2004, 1017 |
EWiR 2004, 681 |
IBR 2004, 311 |
IBR 2004, 312 |
WM 2004, 1079 |
WuB 2004, 737 |
ZAP 2004, 813 |
ZIP 2004, 1004 |
ZfIR 2004, 726 |
MDR 2004, 933 |
ZfBR 2004, 550 |
BTR 2004, 178 |
BauSV 2005, 55 |
BrBp 2004, 384 |
GV/RP 2005, 95 |
KommJur 2004, 319 |
NJW-Spezial 2004, 70 |
NZBau 2004, 322 |
ZBB 2004, 252 |
ARCONIS & BIS 2004, 53 |
BauRB 2004, 222 |
FSt 2005, 26 |
FuBW 2004, 881 |
FuNds 2005, 269 |
ImmoStR 2004, 300 |
JbBauR 2005, 355 |