Leitsatz (amtlich)
Auch bei nur anteiliger Schadensverursachung haftet der Schädiger für den Rückstufungsschaden, der dadurch eintritt, dass der Geschädigte die Kaskoversicherung in Anspruch nimmt.
Normenkette
BGB §§ 249, 254
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 17.01.2005; Aktenzeichen 58 S 384/04) |
AG Berlin-Mitte (Entscheidung vom 07.10.2004; Aktenzeichen 106 C 3486/03) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der Zivilkammer 58 des LG Berlin vom 17.1.2005 aufgehoben.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des AG Mitte - 106 C 3486/03 - vom 7.10.2004 im Kostenausspruch und insoweit abgeändert, als die Klage abgewiesen worden ist.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 50 % sämtliche Schäden zu ersetzen, die aus der Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung bei der IDUNA Versicherung AG aus Anlass des Verkehrsunfalls vom 23.11.2002 entstanden sind und entstehen werden.
Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1]Die Klägerin ist die Eigentümerin eines Pkw, der am 23.11.2002 in einen Verkehrsunfall mit einem bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten und von der Beklagten zu 2) geführten Pkw verwickelt worden ist. Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu einer Quote von 50 % ist dem Grunde nach unstreitig. Die Klägerin begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten als Gesamtschuldner zu 50 % für sämtliche Schäden, die aus der Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung zur Schadensregulierung resultieren.
[2]Das AG hat die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrages abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
[3]I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich bei den bei der Klägerin durch die Inanspruchnahme ihrer Vollkaskoversicherung eingetretenen Prämiennachteilen nicht um einen adäquat kausalen Schaden des streitgegenständlichen Unfallereignisses, für welche die Beklagten eine (anteilige) Haftung treffe. Ausschlaggebend für die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung durch den Geschädigten sei im Falle seiner anteiligen Mithaftung nicht die Regulierung der durch den Schädiger verursachten Schäden, sondern der Ausgleich der vom Geschädigten selbst zu tragenden Schäden. Auf dieser Grundlage träten die Prämiennachteile bereits ihrem gesamten Umfang nach ein (so auch AG Altenkirchen VersR 2002, 116).
[4]II.
Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.
[5]1. Da die Beklagten und Revisionsbeklagten in der Revisionsverhandlung trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten waren, ist über die Revision der Klägerin antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das Urteil ist jedoch keine Folge der Säumnis, sondern beruht auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81; BGH, Urt. v. 18.11.1998 - VIII ZR 344/97 - NJW 1999, 647, 648).
[6]2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin die beantragte Feststellung verlangen.
[7]a) Sie kann ihren Anspruch insgesamt im Wege der Feststellungsklage geltend machen. Das hierfür erforderliche und von Amts wegen zu prüfende Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO ist für den künftigen Schaden jedenfalls zu bejahen, weil noch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststeht, ob und inwieweit sich die Rückstufung im Vermögen der Geschädigten tatsächlich nachteilig auswirken wird (vgl. Senatsurteil vom 3.12.1991 - VI ZR 140/91 - VersR 1992, 244). Soweit der Antrag der Klägerin den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung betrifft, könnte die Klägerin den Schaden zwar beziffern. Doch ist die Feststellungsklage insgesamt zulässig, weil sich der Schaden noch in der Fortentwicklung befindet (vgl. BGH, Urt. v. 21.2.1991 - III ZR 204/89 - VersR 1991, 788 f.).
[8]b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der Rückstufungsschaden in der Vollkaskoversicherung trotz des anteiligen Mitverschuldens des Geschädigten eine adäquate Folge des Unfalls.
[9]aa) Anders als beim Verlust des Schadensfreiheitsrabattes in der Haftpflichtversicherung, bei dem es sich lediglich um einen allgemeinen Vermögensnachteil in der Form des Sachfolgeschadens handelt (BGHZ 66, 398, 400 m.w.N.; vgl. BVerwGE 95, 98, 101; BAG NJW 1993, 1028), ist die Rückstufung in der Vollkaskoversicherung für den Geschädigten eine Folge seines unfallbedingten Fahrzeugschadens (Senatsurteil BGHZ 44, 382, 387; ebenso BGH, Urt. v. 14.6.1976 - III ZR 35/74 - VersR 1976, 1066, 1067, insoweit in BGHZ 66, 398 nicht abgedruckt; BVerwGE 95, 98, 102 f.; vgl. zur Gebäudekaskoversicherung Senatsurteil vom 18.1.2005 - VI ZR 73/04 - VersR 2005, 558, 559). Für den Fall der vollen Haftung des Schädigers stellt dies auch das Berufungsgericht nicht in Frage.
[10]bb) Doch liegt der Auffassung des Berufungsgerichts, dass im Falle anteiliger Mithaftung des Geschädigten der Prämienschaden allein infolge der Regulierung der durch den Geschädigten selbst zu tragenden Schäden eintrete, ein rechtsfehlerhaftes Verständnis des Ursachenzusammenhangs im Haftungsrecht zugrunde. Es kommt nicht darauf an, ob ein Ereignis die "ausschließliche" oder "alleinige" Ursache des Schadens ist; auch eine Mitursächlichkeit, sei sie auch nur "Auslöser" neben erheblichen anderen Umständen, steht einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleich (vgl. Senatsurteile vom 19.4.2005 - VI ZR 175/04 - VersR 2005, 945, 946; vom 20.11.2001 - VI ZR 77/00 - VersR 2002, 200, 201; vom 27.6.2000 - VI ZR 201/99 - VersR 2000, 1282, 1283 und vom 26.1.1999 - VI ZR 374/97 - VersR 1999, 862). Auch bei anteiliger Schadensverursachung haftet der Schädiger dementsprechend für den Rückstufungsschaden, der dadurch eintritt, dass der Geschädigte die Kaskoversicherung in Anspruch nimmt.
[11]cc) Im Streitfall hat die Abrechnung des gesamten Unfallschadens über die Vollkaskoversicherung den Rückstufungsschaden der Klägerin zur Folge, der durch die Beklagte zu 2) mitverursacht worden ist. Dass die Klägerin eine hälftige Mithaftung trifft, ändert daran nichts. Der Nachteil der effektiven Prämienerhöhung trat, unabhängig von der Schuldfrage, allein dadurch ein, dass überhaupt Versicherungsleistungen in Anspruch genommen wurden. Da der Unfall als das den Schaden begründende Ereignis teils von der Beklagten zu 2), teils von der Klägerin zu vertreten ist, ist auch der Rückstufungsschaden hälftig zu teilen (Senatsurteil BGHZ 44, 382, 387 f.; OLG Karlsruhe, VersR 1992, 67, 68; LG Ulm, VersR 1993, 334; vgl. Klunzinger, NJW 1969, 2113, 2116; Becker/Böhme, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 22. Aufl., D 84; Geigel-Schlegelmilch, Haftpflichtprozess, 24. Aufl., § 13 Rz. 88).
[12]c) Die Fragen, ob und inwieweit die Inanspruchnahme der Vollkaskoversicherung zum Ausgleich des Schadens erforderlich ist, wenn der Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer die Regulierung ihres Schadensanteils sofort angeboten haben (vgl. zur Erforderlichkeit von Rechtsanwaltsgebühren als Rechtsverfolgungskosten Senatsurteil vom 18.1.2005 - VI ZR 73/04 - a.a.O.; zur Inanspruchnahme der Kaskoversicherung Becker/Böhme, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 22. Aufl., Rz. D 84) oder ob der Geschädigte bei geringer Fremdbeteiligung gegen seine Schadensminderungspflicht verstößt (verneinend OLG Hamm, VersR 1993, 1545; LG Aachen, DAR 2000, 36; AG Gießen, DAR 1995, 29; AG Münster, VersR 2001, 781, 782), wirft der Streitfall nicht auf, weil die Beklagten nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen die Haftung zunächst dem Grunde nach bestritten haben. Jedenfalls unter diesen Umständen war die Klägerin berechtigt, die Versicherung in Anspruch zu nehmen.
[13]3. Da keine weiteren Feststellungen zu treffen waren, konnte der Senat nach § 563 Abs. 3 ZPO selbst entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 1548867 |
NJW 2006, 2397 |
BGHR 2006, 1161 |
EBE/BGH 2006, 243 |
DAR 2006, 574 |
MDR 2006, 1344 |
NJ 2006, 560 |
NZV 2006, 476 |
VersR 2006, 1139 |
VuR 2006, 327 |
ZfS 2006, 680 |
NJW-Spezial 2006, 403 |
SVR 2006, 381 |
SVR 2006, 465 |
SVR 2009, 377 |
VRR 2006, 301 |
r+s 2006, 522 |