Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorrangig gewünschte Steuerersparnis widerlegt nicht unbedingt Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für Erwerb einer Fondsbeteiligung; Beweiswürdigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Dass ein Anleger vorrangig eine steueroptimierte Anlage wünscht, steht für sich gesehen der Vermutung, dass er bei ordnungsgemäßer Aufklärung über geflossene Rückvergütungen die Kapitalanlage nicht gezeichnet hätte, nicht entgegen. Ist die vom Anleger gewünschte Steuerersparnis nur mit dem empfohlenen Produkt oder anderen Kapitalanlagen mit vergleichbaren Rückvergütungen zu erzielen, kann das den Schluss darauf zulassen, dass an die Bank geflossene Rückvergütungen für die Anlageentscheidung unmaßgeblich waren.
2. Insbesondere ist zu würdigen, wenn der Anleger die beratende Bank erst auf Empfehlung seines Steuerberaters aufgesucht hat.
Normenkette
BGB § 252 S. 2, § 280 Abs. 1; ZPO § 286 Abs. 1 S. 1, § 287 Abs. 1, § 445
Verfahrensgang
KG Berlin (Urteil vom 26.05.2010; Aktenzeichen 26 U 127/09) |
LG Berlin (Entscheidung vom 11.05.2009; Aktenzeichen 21 O 12/09) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. Mai 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Rückabwicklung einer Beteiligung an der V.4 GmbH & Co. KG (im Folgenden: V 4) in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger zeichnete nach vorheriger Beratung durch die Mitarbeiterin L. der Beklagten am 1. Dezember 2004 eine Beteiligung an V 4 im Nennwert von 25.000 EUR zuzüglich Agio in Höhe von 1.250 EUR, die er in Höhe von 11.375 EUR durch ein Darlehen der B. AG finanzierte.
Rz. 3
Nach dem Inhalt des Verkaufsprospekts sollten 8,9% der Zeichnungssumme und außerdem das Agio in Höhe von 5% zur Eigenkapitalvermittlung, Platzierungsgarantie und Finanzierungsvermittlung durch die V. AG (im Folgenden: V. AG) verwendet werden. Die V. AG durfte laut Prospekt ihre Rechte und Pflichten aus der Vertriebsvereinbarung auf Dritte übertragen. Die Beklagte erhielt für den Vertrieb der Anteile Provisionen in Höhe von 8,45% bis 8,72% der Zeichnungssumme, ohne dass dies dem Kläger im Beratungsgespräch offengelegt wurde.
Rz. 4
Der Kläger verlangt mit seiner Klage unter Berufung auf mehrere Aufklärungs- und Beratungsfehler, Zug um Zug gegen die Abgabe des Angebots auf Übertragung der Beteiligung und Abtretung aller Rechte aus der Beteiligung, Rückzahlung des eingesetzten Kapitals in Höhe von 14.875 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 4% p.a. von der Zeichnung der Anlage bis zur Rechtshängigkeit der Klage sowie Prozesszinsen. Des Weiteren verlangt der Kläger die Freistellung von allen Verbindlichkeiten aus dem Finanzierungsdarlehen. Schließlich begehrt der Kläger die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn von allen Nachteilen im Zusammenhang mit der Beteiligung an V 4 freizustellen, sowie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt, jedoch unter der Einschränkung, dass der Kläger neben den Rechten aus der Beteiligung auch die Abtretung seiner Rechte gegen die Rechtsnachfolgerin der B. AG Zug um Zug anzubieten habe. Hinsichtlich der geltend gemachten vorprozessualen Zinsen blieb die Berufung ohne Erfolg.
Rz. 5
Mit ihrer – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 8
Aufgrund des zwischen den Parteien zustande gekommenen Beratungsvertrags habe die Beklagte den Kläger darauf hinweisen müssen, dass sie für die Vermittlung der Beteiligung des Klägers eine Rückvergütung in Höhe von 8,45% bis 8,72% erhalte. Hierbei handele es sich um eine aufklärungspflichtige Rückvergütung, auf die der Kläger durch die Beraterin nicht hingewiesen worden sei. Die Beklagte sei auch im Prospekt weder als Empfängerin von Vertriebskosten benannt noch habe sich daraus die Höhe der an die Beklagte fließenden Provision ergeben.
Rz. 9
Es sei ferner davon auszugehen, dass die Pflichtverletzung der Beklagten für die Anlageentscheidung des Klägers kausal gewesen sei. Stehe eine Aufklärungspflichtverletzung fest, streite für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, weshalb der Aufklärungspflichtige beweisen müsse, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens setze nicht voraus, dass es nur eine bestimmte Möglichkeit „aufklärungsrichtigen” Verhaltens gebe, weil durch eine unzutreffende oder unvollständige Information in das Recht des Anlegers eingegriffen werde, in eigener Entscheidung und Abwägung des Für und Wider über die Investition zu befinden. Das Ansprechen bestimmter Anlageziele im Beratungsgespräch lasse keine Rückschlüsse darüber zu, ob der Anleger die Kapitalanlage auch bei einem Hinweis auf die Rückvergütung erworben hätte. Den entsprechenden Beweisangeboten der Beklagten sei deshalb nicht nachzugehen gewesen, da sie auf eine Ausforschung innerer Haltungen des Klägers in einer hypothetischen Entscheidungssituation hinausliefen. Für die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens spreche überdies, dass die Rückvergütung im Prospekt verheimlicht worden sei, weshalb ein Anleger weitere Verheimlichungen zu befürchten habe.
Rz. 10
Die Beklagte habe auch schuldhaft gehandelt. Insbesondere habe der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 19. Dezember 2000 (XI ZR 349/99) klargestellt, dass eine Bank Rückvergütungen, die sie dem Vermögensverwalter ihres Kunden gewähre, wegen des damit verbundenen Interessenkonflikts offen legen müsse. Die Beklagte habe deshalb im Zeitpunkt der Beratung damit rechnen müssen, dass sie auch zur Offenbarung eigener Rückvergütungen verpflichtet sei. Ein Mitverschulden sei dem Kläger nicht anzulasten.
Rz. 11
Der Kläger könne Ersatz des für die Beteiligung aufgewendeten Eigenkapitals und Freistellung von der zur Finanzierung eingegangenen Darlehensverbindlichkeit verlangen. Ferner könne er, entsprechend seinem Feststellungsantrag, Freistellung von steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen aus der streitgegenständlichen Beteiligung verlangen. Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns in Form von Zinsen für die Zeit von der Anlageentscheidung bis zur Rechtshängigkeit der Klage habe der Kläger dagegen nicht.
II.
Rz. 12
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht in allen Punkten stand.
Rz. 13
1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte ihre aus dem Beratungsvertrag folgende Pflicht, den Kläger über die ihr zufließende Provision in Höhe von 8,45% bis 8,72% des Zeichnungskapitals aufzuklären, schuldhaft verletzt hat.
Rz. 14
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist eine Bank aus dem Anlageberatungsvertrag verpflichtet, über die von ihr vereinnahmte Rückvergütung aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ungefragt aufzuklären. Aufklärungspflichtige Rückvergütungen in diesem Sinne sind – regelmäßig umsatzabhängige – Provisionen, die im Gegensatz zu versteckten Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt. Hierdurch kann beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen, er kann jedoch das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 20 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 17, für BGHZ bestimmt).
Rz. 15
a) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist zwischen den Parteien ein Beratungsvertrag nach den Grundsätzen des Bond-Urteils (Senatsurteil vom 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126, 128) zustande gekommen.
Rz. 16
b) Bei den von der Beklagten empfangenen Provisionen handelte es sich des Weiteren, wie der Senat für die Parallelfonds V 3 und V 4 bereits mehrfach entschieden hat, um aufklärungspflichtige Rückvergütungen im Sinne der Senatsrechtsprechung (vgl. nur Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 26; Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 18). Wie der Senat in diesem Zusammenhang ebenfalls schon mehrfach entschieden hat, konnte eine ordnungsgemäße Aufklärung des Klägers über diese Rückvergütungen durch die Übergabe des streitgegenständlichen Fondsprospekts nicht erfolgen, weil die Beklagte in diesem nicht als Empfängerin der dort ausgewiesenen Provisionen genannt ist (Senatsbeschluss vom 9. März 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 925 Rn. 27 und Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 22 mwN).
Rz. 17
c) Schließlich hat das Berufungsgericht rechts- und verfahrensfehlerfrei ein Verschulden der Beklagten angenommen (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 29. Juni 2010 – XI ZR 308/09, WM 2010, 1694 Rn. 5 ff. und vom 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 10 ff. sowie Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 25, jeweils mwN).
Rz. 18
2. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung jedoch nicht stand, soweit das Berufungsgericht die Kausalität der Aufklärungspflichtverletzung für den Erwerb der Fondsbeteiligung durch den Kläger bejaht hat.
Rz. 19
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Kläger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben.
Rz. 20
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese sogenannte „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens” gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 28 ff. mwN).
Rz. 21
Das Berufungsgericht hat des Weiteren im Ergebnis zutreffend angenommen, dass von dieser Beweislastumkehr nicht nur dann auszugehen ist, wenn der Anleger bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung entschieden hat (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 30 ff. mwN), ist das Abstellen auf das Fehlen eines solchen Entscheidungskonflikts mit dem Schutzzweck der Beweislastumkehr nicht vereinbar. Die Beweislastumkehr greift vielmehr bereits bei feststehender Aufklärungspflichtverletzung ein.
Rz. 22
b) Die Revision rügt allerdings – wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils zu einem Parallelfall und entgegen seiner ursprünglichen Einschätzung im Schreiben vom 20. September 2011 entschieden hat (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 37 ff.) – zu Recht, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten, ihr Provisionsinteresse habe keinen Einfluss auf die Anlageentscheidung des Klägers gehabt, insgesamt als unbeachtlich angesehen und angebotene Beweise nicht erhoben hat.
Rz. 23
aa) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Vernehmung des Klägers als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) für ihre Behauptung, dass der Anteil, den sie aus den im Prospekt ausgewiesenen Vertriebsprovisionen erhalten hat, für die Anlageentscheidung ohne Bedeutung gewesen sei, unberücksichtigt gelassen.
Rz. 24
Dem Vortrag der Beklagten lässt sich noch ein hinreichender Bezug zur Person des Klägers entnehmen. Dem Beklagtenvortrag ist die Behauptung zu entnehmen, der Kläger hätte die Anlage auch bei Kenntnis von Rückvergütungen erworben. Damit wird die entscheidungserhebliche Tatsache – Fehlen der haftungsbegründenden Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden – unmittelbar selbst zum Gegenstand des Beweisantrags gemacht. Stellte sich der Sachvortrag in der Beweisaufnahme als richtig heraus, stünde die fehlende Kausalität der Pflichtverletzung ohne weiteres fest. Weitere Einzelheiten oder Erläuterungen sind zur Substantiierung des Beweisantrags daher grundsätzlich nicht erforderlich. Das gilt nicht nur für den Zeugenbeweis, sondern auch – wie vorliegend – für die Parteivernehmung nach § 445 ZPO. Für diese unmittelbare Beweisführung steht der Beklagten auch kein weiteres Beweismittel zur Verfügung, so dass der Grundsatz der Subsidiarität der Parteivernehmung nicht entgegensteht. Die Parteivernehmung nach § 445 Abs. 1 ZPO setzt keinen vorherigen sonstigen Beweis und auch nicht die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Behauptung voraus (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 39 mwN).
Rz. 25
Da bei der Parteivernehmung ein Missbrauch zur Ausforschung besonders naheliegt, ist zu prüfen, ob ein unbeachtlicher Beweisermittlungsantrag vorliegt. Ein unzulässiger Ausforschungsbeweis liegt erst dann vor, wenn der Beweisführer ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl” oder „ins Blaue hinein” aufstellt (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 40 mwN). Eine Ausforschung in diesem Sinne ist vorliegend zu verneinen. Die Beklagte hat Anhaltspunkte vorgetragen, die nach ihrer Auffassung zumindest in der Gesamtschau dafür sprechen, dass der Kläger auch in Kenntnis der Rückvergütungen V 4 gezeichnet hätte. Hierzu gehört das behauptete Anlageziel des Klägers, dass es ihm allein auf die Steuerersparnis und allenfalls noch Renditechancen und das Sicherungskonzept der Schuldübernahme ankam (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 41).
Rz. 26
bb) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht auch den von der Beklagten vorgetragenen Hilfstatsachen (Indizien) keine Bedeutung beigemessen (vgl. hierzu Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 42 ff. mwN).
Rz. 27
Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht allerdings der Tatsache, dass sich der Kläger vor Zeichnung der streitgegenständlichen Beteiligung in einem sogenannten Vermögensanlage-Bogen mit Provisionszahlungen bei Wertpapiergeschäften an die Beklagte einverstanden erklärt hat, keine Bedeutung beigemessen (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 48 mwN).
Rz. 28
Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht aber dem unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag der Beklagten zum Motiv des Klägers, sich an V 4 zu beteiligen (Steuerersparnis bzw. allenfalls noch Renditechancen und das Sicherungskonzept), nicht nachgegangen.
Rz. 29
Zwar steht der Umstand, dass ein Anleger eine steueroptimierte Anlage wünscht, für sich gesehen der Kausalitätsvermutung nicht entgegen. Ist die vom Anleger gewünschte Steuerersparnis aber nur mit dem empfohlenen Produkt oder anderen Kapitalanlagen mit vergleichbaren Rückvergütungen zu erzielen, kann das den Schluss darauf zulassen, dass an die Bank geflossene Rückvergütungen für die Anlageentscheidung unmaßgeblich waren (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 53 mwN).
Rz. 30
Dem Vortrag der Beklagten kann entnommen werden, dass sie behauptet, dem Kläger sei es vordringlich um die bei V 4 zu erzielende Steuerersparnis gegangen, die alternativ nur mit Produkten zu erzielen gewesen sei, bei denen vergleichbare Rückvergütungen gezahlt worden seien. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag zu Unrecht nicht gewürdigt und den insoweit angetretenen Beweis durch Vernehmung der Beraterin L. als Zeugin unbeachtet gelassen. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht auch nicht gewürdigt, dass der Kläger erst auf Empfehlung seines Steuerberaters die Beklagte zum Zwecke der Anlageberatung aufsuchte (vgl. zu diesem Aspekt im Kontext mit dem Zustandekommen eines Beratungsvertrages auch Ellenberger in Ellenberger/Schäfer/Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, 4. Aufl. Rn. 1038).
Rz. 31
c) Schließlich hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft zuungunsten der Beklagten angeführt, dass die Rückvergütungen im Prospekt verheimlicht gewesen seien, weshalb Anleger weitere Verheimlichungen zu befürchten gehabt hätten. Das ist bereits deswegen rechtsfehlerhaft, weil der Prospekt nach den Grundsätzen der zivilrechtlichen Prospekthaftung im engeren Sinne in Bezug auf Vertriebsprovisionen nicht fehlerhaft ist. Die Vertriebsprovisionen sind im Prospekt offen ausgewiesen und der Höhe nach korrekt angegeben. Dass von der als Empfängerin der Provisionen im Prospekt aufgeführten V. AG ein Teil dieser Vertriebsprovisionen an die Beklagte rückvergütet wurde, musste im Prospekt nach den zivilrechtlichen Prospekthaftungsgrundsätzen nicht ausgewiesen werden. Zu einer solchen Aufklärung war allein die Beklagte als anlageberatende Bank verpflichtet. Diese Pflicht, über erhaltene Rückvergütungen aufzuklären, kann die beratende Bank zwar durch rechtzeitige Übergabe eines Prospektes, in dem sie als Empfängerin der korrekt ausgewiesenen Provisionen ausdrücklich genannt ist, erfüllen (vgl. Ellenberger in Ellenberger/Schäfer/ Clouth/Lang, Praktikerhandbuch Wertpapier- und Derivategeschäft, 4. Aufl. Rn. 1061 mwN). Enthält der Prospekt diese Angabe jedoch nicht, muss die beratende Bank die Aufklärung mündlich oder durch eine anderweitige schriftliche Information leisten. Von einer „Verheimlichung” der Rückvergütungen im Prospekt kann daher keine Rede sein.
III.
Rz. 32
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird den Kläger als Partei (§ 445 Abs. 1 ZPO) zu der Behauptung der Beklagten, dass der Anteil, den sie aus den im Prospekt ausgewiesenen Vertriebsprovisionen erhalten hat, für die Anlageentscheidung ohne Bedeutung war, zu vernehmen haben. Gegebenenfalls wird es die Behauptung der Beklagten zu würdigen haben, dem Kläger sei es allein um die bei V 4 zu erzielende Steuerersparnis gegangen, die alternativ nur mit Produkten zu erzielen gewesen sei, bei denen vergleichbare Rückvergütungen gezahlt worden seien. Gegebenenfalls wird es dazu die Zeugin L. und – soweit § 445 Abs. 2 ZPO nicht entgegensteht – gegebenenfalls den Kläger als Partei zu vernehmen haben (vgl. auch Senatsurteil vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, WM 2012, 1337 Rn. 42 ff.) und zu würdigen haben, dass der Kläger die Beklagte erst auf Empfehlung seines Steuerberaters aufsuchte.
Rz. 33
Sollte das Berufungsgericht nach erneuter Verhandlung die Kausalitätsvermutung in Bezug auf verschwiegene Rückvergütungen als widerlegt ansehen, wird es einer Haftung der Beklagten wegen falscher Darstellung der Kapitalgarantie nachzugehen haben (vgl. Henning, WM 2012, 153 ff. mwN; auch Senatsbeschluss vom 19. Juli 2011 – XI ZR 191/10, WM 2011, 1506 Rn. 13 ff.). Sollte das Berufungsgericht insoweit eine Aufklärungspflichtverletzung bejahen, dürfte die Widerlegung der dann eingreifenden Kausalitätsvermutung bereits nach dem Vortrag der Beklagten, dem Kläger sei es auch auf das Sicherungskonzept der Schuldübernahme angekommen, ausscheiden.
Rz. 34
Bezüglich des Feststellungsantrags hinsichtlich der wirtschaftlichen und steuerlichen Nachteile aus der Beteiligung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Antrag dahingehend ausgelegt werden kann und auszulegen ist, dass die Freistellungs- bzw. Ersatzpflicht der Beklagten nicht jene steuerlichen Nachteile umfasst, die aus der Einkommensbesteuerung der Ersatzleistung resultieren. Diese Nachteile wurden bereits abschließend (und zutreffend) im
Rahmen der Bemessung der Ersatzleistung aufgrund pauschalisierender Betrachtungsweise der steuerlichen Vor- und Nachteile berücksichtigt (vgl. BGH, Urteile vom 1. März 2011 – XI ZR 96/09, WM 2011, 740 Rn. 8 f. und vom 23. April 2012 – II ZR 75/10, WM 2012, 1293 Rn. 40).
Unterschriften
Wiechers, Ellenberger, Maihold, Matthias, Pamp
Fundstellen
Haufe-Index 3707829 |
BFH/NV 2013, 1215 |
DStR 2013, 13 |