Leitsatz (amtlich)
Auch Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ ist i. V. m. Art. 31 Abs. 1 CMR eine die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründende Bestimmung i. S. v. Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ.
Normenkette
CMR § 31 Abs. 1; EuGVÜ § 20 Abs. 1, § 57 Abs. 1 Abs. 2 Buchst. a
Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 01.02.2002) |
LG Osnabrück |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Oldenburg v. 1.2.2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte wird von der Klägerin, einem Transportversicherer, wegen eines Transportschadens in Anspruch genommen. Die in Dänemark ansässige Beklagte hatte von der Versicherungsnehmerin, der G. GmbH, den Auftrag erhalten, Frischfleisch von Dissen im Teutoburger Wald nach Spanien zu transportieren. Die Beklagte setzte eine dänische Firma als Frachtführer ein. Die Klägerin regulierte gegenüber der G. GmbH einen Schaden i. H. v. 18.340 DM.
Die Klägerin macht geltend, das Fleisch sei verspätet entladen worden und deshalb zum Teil verdorben. Die verspätete Entladung sei darauf zurückzuführen, dass der Frachtführer die Ware beim Laden nicht entsprechend der Reihenfolge der vorgesehenen Entladungen sortiert habe.
Die Beklagte hat die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts gerügt und sich darauf berufen, dass das Fleisch bereits bei dessen Ladung verdorben gewesen sei.
Das LG hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 18.340 DM nebst Zinsen verurteilt.
Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der (zugelassenen) Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat das LG für international zuständig und die Beklagte für ersatzpflichtig gehalten. Dazu hat es ausgeführt:
Da die Ware in Deutschland übernommen worden sei und sowohl Deutschland als auch Dänemark Unterzeichnerstaaten der CMR seien, ergebe sich die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts aus Art. 31 CMR. Dessen Anwendung sei nicht durch Art. 57 Abs. 2 Buchst. a i. V. m. Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ ausgeschlossen. Sinn und Zweck dieser Regelung sei, dass der Beklagte nicht allein deshalb vor dem ausländischen Gericht erscheinen müsse, um dessen Unzuständigkeit zu rügen. Es solle lediglich sichergestellt werden, dass der Schutz des Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ auch dann eingreife, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus einem Spezialabkommen ergebe.
Die Klage sei auch begründet. Die Berufung bringe gegenüber den zutreffenden Ausführungen in dem landgerichtlichen Urteil nichts Erhebliches vor.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts bestimme sich nach der Regelung des Art. 31 Abs. 1 CMR, weil es im Streitfall um einen grenzüberschreitenden Gütertransport gehe, der nach Art. 1 CMR den Bestimmungen dieses Abkommens unterliege. Daraus folge die Zuständigkeit des deutschen Gerichts, weil das Transportgut in Deutschland übernommen worden sei und der Kläger die Gerichte eines Staates anrufen könne, auf dessen Gebiet der Ort der Übernahme des Gutes liege (Art. 31 Abs. 1 Buchst. b CMR). Das ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
2. Das Berufungsgericht ist weiter rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Anwendung der Regelung des Art. 31 CMR nicht durch Art. 57 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 20 EuGVÜ ausgeschlossen ist.
Diese Bestimmungen haben, soweit im Streitfall von Interesse, folgenden Wortlaut:
Art. 57
- (1) Dieses Abkommen lässt Übereinkommen unberührt, denen die Vertragsstaaten angehören oder angehören werden und die für besondere Rechtsgebiete die gerichtliche Zuständigkeit ... regeln.
- (2) Um eine einheitliche Auslegung des Absatzes 1 zu sichern, wird dieser Absatz in folgender Weise angewandt:
- a) Dieses Übereinkommen schließt nicht aus, dass ein Gericht eines Vertragsstaates, der Vertragspartei eines Übereinkommens über ein besonderes Rechtsgebiet ist, seine Zuständigkeit auf ein solches Übereinkommen stützt, und zwar auch dann, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, der nicht Vertragspartei eines solchen Übereinkommens ist. In jedem Fall wendet dieses Gericht Art. 20 des vorliegenden Übereinkommens an.
- ...
Art. 20
- (1) Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat und der vor den Gerichten eines anderen Vertragsstaates verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht auf Grund der Bestimmungen dieses Übereinkommens begründet ist.
- ...
Nach Art. 57 Abs. 2 Buchst. a S. 2 EuGVÜ soll zwar in jedem Fall ein Gericht, das seine Zuständigkeit auf ein Übereinkommen i. S. v. Abs. 1 stützt, Art. 20 EuGVÜ anwenden. Daraus ergibt sich aber - wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - nicht, dass es dem Beklagten freisteht, durch Nichterscheinen oder durch die Rüge der fehlenden Zuständigkeit, trotz der Zuständigkeitsregelung des Art. 31 CMR die Unzuständigkeit des deutschen Gerichts herbeizuführen (OLG Hamm TranspR 2001, 397; OLG Schleswig TranspR 2002, 76; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 - 9 U 204/01, OLGReport Karlsruhe 2002, 336 = NJW-RR 2002, 1722; a. A. OLG Dresden TranspR 1999, 62, 64; OLG München TranspR 2001, 399).
In Art. 20 EuGVÜ ist nämlich ausdrücklich auf die Zuständigkeitsregelung "dieses Übereinkommens" abgehoben, also auch auf die Regelung des Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ, diese wiederum erläutert in Abs. 2 Buchst. a. Art. 57 Abs. 1 EuGVÜ bestimmt, dass andere dort näher gekennzeichnete Abkommen bezüglich ihrer Zuständigkeitsregelung unberührt bleiben und regelt damit eine Zuständigkeit auf Grund der "Bestimmungen des Übereinkommens" i. S. d. Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ (Gottwald in MünchKomm/ZPO, Art. 57 EuGVÜ Rz. 4; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 - 9 U 204/01, OLGReport Karlsruhe 2002, 336 = NJW-RR 2002, 1722 [1723]; ähnlich: Dißars, TranspR 2001, 387 [389]; Heuer, TranspR 2002, 221). Anhaltspunkte dafür, dass die in Art. 20 Abs. 1 EuGVÜ angeführte Zuständigkeit sich aus Titel II des Übereinkommens selbst ergeben muss, sind nicht erkennbar. Der Zweck der in Art. 57 EuGVÜ übernommenen Zuständigkeit aus besonderen Übereinkommen besteht gerade darin, die Beachtung der darin enthaltenen Zuständigkeitsregeln zu gewährleisten, da diese unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Rechtsgebiete, auf die sie sich beziehen, aufgestellt wurden (EuGH, Urt. v. 6.12.1994 - Rs. C-406/92, EuZW 1995, 309 Tz. 24).
Es bleibt deshalb dabei, dass die durch Art. 31 Abs. 1 CMR begründete Zuständigkeit des deutschen Gerichts gegeben ist, ohne dass es weiterer Ausführungen zur Frage der Einlassung auf das Verfahren oder der Rüge der Unzuständigkeit bedarf.
3. Das Berufungsgericht hat zur Sache ausgeführt, dass die Beklagte im Berufungsverfahren gegenüber den zutreffenden Ausführungen des LG nichts Erhebliches vorgebracht habe. Dagegen wendet sich die Revision ohne Erfolg mit der Rüge, das LG habe erheblichen - hilfsweisen - Vortrag der Beklagten außer Acht gelassen.
Die Beklagte hat vorgebracht, das Fleisch sei schon bei der Übernahme in mangelhaftem Zustand gewesen; ein Verderben des Fleisches auf dem Transport sei ausgeschlossen, weil die Ladung ständig auf eine Temperatur von ein Grad Celsius gekühlt gewesen sei. Dieser Vortrag, auf den sie sich in der Berufungsbegründung bezogen hat, greift jedoch gegenüber den vom LG festgestellten Schäden nicht durch. Als maßgeblich hat das LG nicht die Frage der Temperatur beim Transport angesehen, sondern die im Schadensgutachten angeführte Tatsache, dass das Frischfleisch wegen des durch mehrfaches Anfahren der Abladestellen langdauernden Transports an der Oberfläche ausgetrocknet gewesen sei. Auf die Frage der Kühlung und den darauf bezogenen Vortrag der Beklagten kommt es mithin nicht an.
III. Danach war die Revision auf Kosten der Beklagten (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.
Fundstellen
BGHR 2003, 1037 |
NJW-RR 2003, 1347 |
MDR 2003, 1068 |
RIW 2003, 722 |
VRS 2003, 341 |
VersR 2004, 762 |