Leitsatz (amtlich)
a) Der nach § 1586b BGB auf nachehelichen Ehegattenunterhalt in Anspruch genommene Erbe des Unterhaltspflichtigen kann sich weiterhin oder auch erstmals auf die Härteklausel des § 1579 Nr. 7 BGB berufen, wenn nicht der Unterhaltspflichtige zuvor darauf verzichtet hatte.
b) Von einem ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht auf die Rechtsfolgen des § 1579 Nr. 7 BGB kann nicht ausgegangen werden, wenn der verstorbene Ehegatte in Kenntnis einer langjährigen neuen eheähnlichen Gemeinschaft der Unterhaltsberechtigten weiterhin monatlich Unterhalt bezahlt hatte, um nach § 5 VAHRG eine - sonst höhere - Kürzung seiner Rente zu verhindern.
Normenkette
BGB § 1579 Nr. 7, § 1586b; VAHRG § 5
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Urteil vom 19.09.2001) |
AG Bingen am Rhein |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats - 2. Senat für Familiensachen - des OLG Koblenz v. 19.9.2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin ist die Tochter der Beklagten und deren geschiedenen und am 10.7.1999 verstorbenen Ehemannes. Sie begehrt Abänderung eines Unterhaltsvergleichs, aus dem die Beklagte sie als Erbin auf nachehelichen Ehegattenunterhalt in Anspruch nimmt.
Mit gerichtlichem Vergleich v. 27.11.1989 verpflichtete sich der Vater der Klägerin, an die Beklagte künftigen nachehelichen Unterhalt i. H. v. monatlich 500 DM zu zahlen. Weil die Beklagte noch keine Rente erhielt und der Vater der Klägerin an sie Unterhalt leistete, wurde dessen Rente noch nicht um die im Versorgungsausgleich übertragenen rund 759 DM gekürzt (§ 5 VAHRG).
Der Unterhaltspflichtige ist von der Klägerin allein beerbt worden, die nun von der Beklagten gem. § 1586b BGB aus dem Prozessvergleich in Anspruch genommen wird. Mit ihrer Abänderungsklage begehrt die Klägerin den Wegfall ihrer Unterhaltspflicht, weil die Beklagte seit 1995 mit ihrem neuen Partner in dessen Wohnung in eheähnlicher Lebensgemeinschaft zusammenlebt.
Das AG hat der Klage stattgegeben und ausgesprochen, dass die Unterhaltspflicht ab August 1999 entfällt. Die Berufung gegen dieses Urteil ist erfolglos geblieben. Mit ihrer - zugelassenen - Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klagabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das OLG (dessen Urteil in OLG Koblenz, Urt. v. 19.9.2001 - 9 UF 647/00, OLGReport Koblenz 2002, 11 veröffentlicht ist) hat ausgeführt, der Beklagten stehe ab August 1999 kein nachehelicher Unterhalt mehr zu. Die Klägerin hafte zwar als Erbin gem. § 1586b BGB für den nachehelichen Unterhalt der Beklagten, sie könne sich aber auf eine Verwirkung nach § 1579 Nr. 7 BGB berufen, obwohl der Erblasser dieses nicht getan habe. Die Rechtsnatur des Anspruchs auf Unterhalt ändere sich durch den Tod des Unterhaltspflichtigen nicht, weshalb die Klägerin die Möglichkeit habe, alle Einwendungen zu Grund und Höhe des Anspruchs geltend zu machen. Durch die fortdauernde Unterhaltszahlung habe der Erblasser den Unterhalt auch nicht in Kenntnis des Verwirkungsgrundes des § 1579 Nr. 7 BGB anerkannt. Aus den Unterhaltszahlungen des Erblassers könne nicht geschlossen werden, dass dieser auch im Falle eines Renteneintritts der Beklagten - mit der dadurch verbundenen Rentenkürzung für ihn - weiterhin Unterhalt gezahlt und auf den Einwand aus § 1579 Nr. 7 BGB verzichtet hätte. Der Unterhaltsanspruch der Beklagten sei unter Berücksichtigung aller Umstände trotz der fast 30 Jahre andauernden Ehe vollständig verwirkt. Dabei sei insbesondere die Erwerbsmöglichkeit der bei Scheidung erst 48 Jahre alten Beklagten und das mietfreie Wohnen im Haus ihres Lebensgefährten zu berücksichtigen.
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden:
a) Die gesetzliche Unterhaltspflicht geht nach § 1586b BGB unverändert auf den Erben über und bleibt auch weiterhin Einwänden aus § 1579 BGB ausgesetzt. Nur die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen wird durch die Begrenzung auf den fiktiven Pflichtteil des Unterhaltsberechtigten (sog. kleiner Pflichtteil bei gesetzlichem Erbrecht des Unterhaltsberechtigten zzgl. Pflichtteilsergänzungsanspruch, § 1586b Abs. 1 S. 2 und 3 i. V. m. §§ 1931 Abs. 1 und 2, 2325 ff. BGB; BGH v. 29.11.2000 - XII ZR 165/98, BGHZ 146, 114 [118 ff.] = MDR 2001, 453 = BGHReport 2001, 76) und die Möglichkeit der Beschränkung auf den vorhandenen Nachlass (§§ 1975, 1990, 1992 BGB) ersetzt. Der nach § 1586b BGB haftende Erbe des Unterhaltspflichtigen kann sich deswegen grundsätzlich weiterhin oder auch erstmals auf § 1579 Nr. 7 BGB berufen, wenn der Unterhaltspflichtige nicht zuvor darauf verzichtet hatte (so auch Staudinger/Baumann, BGB, 12. Aufl., § 1586b Rz. 41; Erman/Dieckmann, BGB, 10. Aufl., § 1586b Rz. 3; Soergel/Häberle, BGB, 12. Aufl., § 1586b Rz. 3; Rolland/Hülsmann, Familienrecht-Kommentar, § 1586b BGB Rz. 2; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhaltsrechts, 8. Aufl., Rz. 145a; Palandt/Brudermüller, BGB, 63. Aufl., § 1586b Rz. 8). Dabei kann der Erbe sich auch auf neue oder weiter fortgeschrittene Umstände seit dem Tod des Erblassers stützen.
b) Der unterhaltspflichtige Erblasser hat auch nicht zu Lebzeiten mit Wirkung für die Klägerin als seine Erbin auf den Einwand aus § 1579 Nr. 7 BGB verzichtet.
Allerdings wird in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich vertreten, dass ein ausdrücklicher oder konkludenter Verzicht auf die Rechtsfolgen der Verwirkung daraus hergeleitet werden kann, dass der Unterhaltsverpflichtete trotz Kenntnis dieser Umstände den Unterhalt weiterbezahlt (so grds. OLG Düsseldorf v. 30.8.1996 - 3 UF 43/96, FamRZ 1997, 1159; OLG Hamm v. 16.1.1997 - 4 UF 349/96, FamRZ 1997, 1485 [1486]; v. 6.10.1993 - 5 UF 184/91, FamRZ 1994, 704 [705]; Maurer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1579 Rz. 70; Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 4. Aufl., § 1579 BGB Rz. 45; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., IV Rz. 398; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Aufl,. § 30 VII 9 S. 432; Heiß/Heiß, Unterhaltsrecht, I 9 Rz. 382). Unterschiedliche Auffassungen bestehen lediglich im Anwendungsbereich und in den Auswirkungen dieses Verzichts. So ist streitig, ob er auch dort eingreift, wo die Tatbestände des § 1579 BGB nicht an ein persönliches Fehlverhalten des unterhaltsberechtigten Ehegatten anknüpfen, sondern an objektive Umstände wie bei § 1579 Nr. 1 und Nr. 7 BGB (für generelle Anwendbarkeit wohl Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 4. Aufl., § 1579 BGB Rz. 45; einschränkend insoweit Maurer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1579 Rz. 70; wohl auch Göppinger/Bäumel, Unterhaltsrecht, 7. Aufl., Rz. 1106). Bedenken gegen die Annahme eines Verzichts können sich auch dort ergeben, wo etwa der Unterhaltsschuldner nur mit Rücksicht auf die Betreuungsbedürftigkeit eines gemeinsamen Kindes den Unterhalt ungeschmälert weitergezahlt hat, ohne von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, ihn auf den Mindestbedarf herabzusetzen (vgl. dazu BGH v. 29.1.1997 - XII ZR 257/95, MDR 1997, 478 = FamRZ 1997, 483 [484]). Nicht einheitlich beantwortet wird schließlich auch die Frage, ob der Verzicht ein selbständiger Gegeneinwand ist, der bereits den Tatbestand der negativen Härteklausel des § 1579 BGB entfallen lässt (so etwa Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 4. Aufl., § 1579 BGB Rz. 45 m. w. N.) oder ob er lediglich im Rahmen der Billigkeitsabwägung des § 1579 BGB zu berücksichtigen ist (so wohl die überwiegende Meinung vgl. OLG Düsseldorf v. 30.8.1996 - 3 UF 43/96, FamRZ 1997, 1159; OLG Hamm v. 16.1.1997 - 4 UF 349/96, FamRZ 1997, 1485 [1486]; v. 6.10.1993 - 5 UF 184/91, FamRZ 1994, 704 [705]; Maurer in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1579 Rz. 70; Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Aufl,. § 30 VII 9 S. 432; und Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., IV Rz. 398). Darauf kommt es hier indes nicht an, weil schon die Voraussetzungen eines ausdrücklichen oder konkludenten Verzichts nicht vorliegen.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsurteils hatte der Erblasser weiterhin Unterhalt an die Beklagte gezahlt, weil er sich dadurch gem. § 5 VAHRG bis zum Beginn des Rentenbezugs der Beklagten seine ungeschmälerte Rente erhielt und letztlich sogar günstiger stand, als es bei Wegfall der Unterhaltspflicht und Kürzung seiner eigenen Rente durch den Versorgungsausgleich der Fall gewesen wäre. Für den Erblasser stand die Zahlung des Unterhalts deswegen in Zusammenhang mit seinem ungeschmälerten Rentenbezug. Revisionsrechtlich unbedenklich hat das Berufungsgericht daraus geschlossen, dass auch der Erblasser die Unterhaltszahlungen eingestellt hätte, sobald seine eigene Rente durch den sich mit Rentenbezug der Beklagten auswirkenden Versorgungsausgleich geschmälert worden wäre. Aus der wirtschaftlich nachvollziehbaren Verhaltensweise des Erblassers konnte die Beklagte daher keinen Vertrauensschutz dafür herleiten, dass er auch künftig auf Dauer Einwendungen aus § 1579 BGB nicht erheben werde. Dass das OLG andere Umstände, die für eine Anerkennung des Unterhaltsanspruchs in Kenntnis des Ausschlussgrundes sprechen könnten, übersehen hat, hat die Revision nicht aufgezeigt.
c) Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht weiter davon aus, dass die Voraussetzungen eines Ausschlusses des Unterhaltsanspruchs der Beklagten nach § 1579 Nr. 7 BGB vorliegen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BGH v. 20.3.2002 - XII ZR 159/00, BGHZ 150, 209 [215] = BGHReport 2002, 545 = MDR 2002, 884 m. w. N.) kann ein länger dauerndes Verhältnis des Unterhaltsberechtigten zu einem anderen Partner dann zur Annahme eines Härtegrundes im Rahmen des Auffangtatbestandes des § 1579 Nr. 7 BGB - mit der Folge der Unzumutbarkeit einer weiteren (uneingeschränkten) Unterhaltsbelastung für den Verpflichteten - führen, wenn sich die Beziehung in einem solchen Maße verfestigt hat, dass sie als eheähnliches Zusammenleben anzusehen und gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist. Dabei setzt die Annahme einer derartigen Lebensgemeinschaft nicht einmal zwingend voraus, dass die Partner räumlich zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt führen, auch wenn eine solche Form des Zusammenlebens i. d. R. ein typisches Anzeichen hierfür sein wird (BGH, Urt. v. 24.10.2001 - XII ZR 284/99, MDR 2002, 155 = BGHReport 2002, 63 = FamRZ 2002, 23 [25]). Unter welchen Umständen - nach einer gewissen Mindestdauer, die im Allgemeinen kaum unter zwei bis drei Jahren liegen dürfte - auf ein eheähnliches Zusammenleben geschlossen werden kann, lässt sich nicht allgemein verbindlich festlegen. Letztlich obliegt es der verantwortlichen Beurteilung des Tatrichters, ob er den Tatbestand des eheähnlichen Zusammenlebens aus tatsächlichen Gründen für gegeben erachtet oder nicht.
Es begegnet aus Rechtsgründen keinen Bedenken und wird auch von der Revision nicht angegriffen, dass das Berufungsgericht im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung der getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis gelangt ist, die Beziehung der Beklagten zu ihrem Lebensgefährten habe sich jedenfalls seit August 1999 so sehr verfestigt, dass sie in ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Ausprägung und Intensität einem eheähnlichen Verhältnis gleichkommt. Beide leben schon seit 1995 in einer gemeinsamen Wohnung und führen einen gemeinsamen Haushalt. Auch in der Öffentlichkeit und bei Familienfeiern treten sie als Paar auf. Gesichtspunkte, die der Annahme eines solchen eheähnlichen Verhältnisses entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
d) Das OLG hat der Beklagten einen Unterhaltsanspruch ab August 1999 vollständig versagt, weil sie schon nach der Scheidungsvereinbarung verpflichtet und auch in der Lage gewesen sei, für ihr wirtschaftliches Auskommen selbst zu sorgen. Ihr weiterer Lebensbedarf sei durch das Zusammenleben in ihrer neuen Lebensgemeinschaft und insbesondere das mietfreie Wohnen gedeckt. Dem stehe nicht entgegen, dass der Erblasser während der Dauer seiner Unterhaltszahlungen von fast zehn Jahren eine ungekürzte Rente erhalten habe, was die Unterhaltszahlungen mehr als ausgleiche.
Auch gegen diese Erwägungen wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Die Beklagte war zwar fast 30 Jahre mit dem Erblasser verheiratet, im Zeitpunkt der Scheidung war sie allerdings erst 48 Jahre alt. Nach dem gerichtlichen Unterhaltsvergleich war sie seinerzeit als ausgebildete Einzelhandelskauffrau verpflichtet und in der Lage, eigene Einkünfte aus einer mehr als halbschichtigen (26 Stunden) Tätigkeit zu erzielen. Die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder waren volljährig und wirtschaftlich unabhängig. Zu Recht hat das OLG im Rahmen der Zumutbarkeitsabwägung auch berücksichtigt, dass die Beklagte mietfrei im Haus ihres neuen Lebensgefährten wohnt. Zwar hat der Erblasser während der Unterhaltszahlungen weiterhin seine ungeschmälerte Rente erhalten, was sich zu dessen Gunsten, letztlich aber auch zu Gunsten der Beklagten ausgewirkt hat. In dem gerichtlichen Vergleich v. 27.11.1989 sind die geschiedenen Ehegatten auf der Grundlage der seinerzeit vom Senat angewandten Anrechnungsmethode von einem allein prägenden Einkommen des Erblassers i. H. v. 3.500 DM netto ausgegangen. Wäre dieses Einkommen durch den scheidungsbedingten Versorgungsausgleich geschmälert worden, hätte auch der Beklagten ein entsprechend geringerer Unterhaltsanspruch zugestanden (vgl. dazu BGH v. 5.2.2003 - XII ZR 29/00, BGHReport 2003, 666 = MDR 2003, 876 = FamRZ 2003, 848 [849 f.]).
Weil das eheähnliche Zusammenleben der Beklagten außerdem schon fast fünf Jahre andauerte, ist das OLG im Rahmen seiner tatrichterlichen Verantwortung davon ausgegangen, dass jede Inanspruchnahme der Klägerin über den Tod des Erblassers hinaus grob unbillig sei. Auch diese Gesamtwürdigung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Fundstellen
BGHZ 2004, 395 |
NJW 2004, 1326 |
NWB 2004, 740 |
BGHR 2004, 663 |
EBE/BGH 2004, 2 |
EBE/BGH 2004, 93 |
FamRZ 2004, 614 |
FuR 2004, 228 |
DNotI-Report 2004, 114 |
ZAP 2004, 649 |
ZEV 2004, 206 |
FPR 2004, 249 |
FPR 2005, 310 |
FPR 2005, 364 |
FPR 2006, 167 |
MDR 2004, 751 |
FF 2004, 220 |
FamRB 2004, 153 |
NJW-Spezial 2004, 154 |
ZFE 2004, 151 |
ZNotP 2004, 235 |
ZfSSV 2007 |