Leitsatz (amtlich)
Eine Alleinvertriebsvereinbarung, die ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot enthält, unterfällt nicht der Gruppenfreistellung von Alleinvertriebsverträgen durch die EWG-VO Nr. 1983/83 vom 22. Juni 1983.
Normenkette
EWGVtr Art. 85 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 14. Januar 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die in G. (Belgien) Eier erzeugt, verlangt von der Beklagten, die in Ga. (Landkreis M.) ausschließlich mit Eiern aus Hühnerbodenhaltung handelt, 366.492,31 DM nebst Zinsen für gelieferte Eier. Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dagegen mit Vertragsstrafenansprüchen aufrechnen kann. Die Klägerin (folgend K. genannt) hatte mit dem Zeugen F.-We. (folgend Fiwe genannt), dem Rechtsvorgänger der Beklagten, am 1. Februar 1986 nachstehende „Vertretungsvereinbarung” geschlossen:
„K. überträgt Fiwe das Alleinvertretungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland, einschließlich Berlin für Frischeier aus Hühnerbodenhaltung, eigener Produktion oder fremder Erzeugung.
Diese Vereinbarung hat Gültigkeit für die Dauer der Abnahme dieser Eier durch Fiwe bei K. zu marktkonformen Preisen.
Darüber hinaus sichert K. ausdrücklich bleibenden Kundenschutz Fiwe zu. Dieser Kundenschutz erstreckt sich auch für direkte oder indirekte Lieferungen nach einem möglichen Abbruch der Geschäftsbeziehungen beider Parteien.
Der Kundenschutz erstreckt sich auf sämtliche bisher von Fiwe nachweislich belieferten Kunden.
Bei Nichteinhaltung dieser Vereinbarung verpflichtet sich K. zu einer Konventionalstrafe von DM 20.000 für jeden Fall pro Abladestelle, welche bisher nachweisbar von Fiwe beliefert wurde.”
Als einer der Hauptkunden der Beklagten sich Mitte 1996 entschloß, in bestimmten Geschäften nur noch in Deutschland erzeugte Eier aus Hühnerbodenhaltung zu vertreiben, reduzierte die Beklagte ihren Einkauf von Eiern bei der Klägerin auf die Hälfte der zuvor bezogenen Menge. Wegen dieses Umsatzrückganges verlangte die Klägerin im Oktober 1997 von der Beklagten, aus der Vertretungsvereinbarung entlassen zu werden. Gleichzeitig vereinbarte sie mit der Firma M.-B. in V. die Aufnahme der Lieferung von Eiern aus Hühnerbodenhaltung ab der 45. Woche 1997. In der Zeit vom 3. bis 14. November 1997 belieferte die Klägerin die Firma M.-B. sechsmal mit Eiern aus Hühnerbodenhaltung. Mit Schreiben vom 14. November 1997 teilte die Klägerin der Beklagten mit, daß sie keine Bestellungen mehr akzeptieren könne, bevor nicht fällige Rechnungen bezahlt würden. Die Beklagte nahm dieses Schreiben als Vertragsbeendigung an.
Unter Berufung auf die Vertretungsvereinbarung rechnete die Beklagte gegenüber der Kaufpreisforderung der Klägerin mit ihrer Meinung nach insgesamt 391 verwirkten Vertragsstrafen in Höhe von jeweils 20.000 DM auf.
Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 246.492,31 DM nebst 5 % Zinsen verurteilt und im übrigen die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Die Beklagte könne gegen den unstreitigen Zahlungsanspruch von 366.492,31 DM in Höhe von 120.000 DM wegen insgesamt sechs verwirkter Vertragsstrafen zu je 20.000 DM aufrechnen. Auf die Vertretungsvereinbarung vom 1. Februar 1986 sei deutsches Recht anwendbar, da die Parteien konkludent eine entsprechende Wahl getroffen hätten. Diese Vereinbarung sei nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, was die Regelung des nachträglichen Wettbewerbsverbotes anbelange, da sie sich zu Lasten der Klägerin zeitlich unbeschränkt auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstrecke und sowohl direkte als auch indirekte Lieferungen betreffe. Die Nichtigkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes erfasse die Vertretungsvereinbarung aber nicht insgesamt gemäß § 139 BGB. Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot sei ein abtrennbarer Teil der Vertretungsvereinbarung. Diese stelle auch ohne ein solches Verbot ein selbständiges, wirtschaftlich sinnvolles Rechtsgeschäft dar. Immerhin habe sie ohne den nachvertraglichen Kundenschutz über mehr als elf Jahre hinweg die vertragliche Grundlage für die Lieferung von Eiern aus Hühnerbodenhaltung durch die Klägerin gebildet. Zudem habe der am Abschluß der Vereinbarung beteiligte Zeuge F.-We. angegeben, daß danach nur über die Klägerin die Möglichkeit bestanden habe, große Mengen an Eiern aus Hühnerbodenhaltung zu beziehen.
Das im gültigen Teil der Vertretungsvereinbarung vereinbarte Alleinvertriebsrecht sei wirksam vereinbart worden. Es sei vom Verbot des Art. 85 EWGV (jetzt Art. 81 EGV) aufgrund der Gruppenfreistellung von Alleinvertriebsrechten durch die EWG-VO Nr. 1983/83 nicht betroffen.
Das Alleinvertriebsrecht sei durch den letzten Absatz in der Vertretungsvereinbarung strafbewehrt mit einer Konventionalstrafe von 20.000 DM; der letzte Halbsatz der Vertretungsvereinbarung sei lediglich auf das nachträgliche Wettbewerbsverbot anzuwenden. Mit ihren sechs Lieferungen an die Firma M.-B. in der Zeit vom 3. bis 14. November 1997 habe die Klägerin insgesamt sechsmal gegen das Alleinvertriebsrecht der Beklagten verstoßen und damit sechsmal eine Vertragsstrafe in Höhe von jeweils 20.000 DM verwirkt. Hiermit habe die Beklagte gegen die unstreitige Kaufpreisforderung aufgerechnet und den klägerischen Anspruch in Höhe von insgesamt 120.000 DM zum Erlöschen gebracht.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, das in der Vertretungsvereinbarung vom 1. Februar 1986 enthaltene Alleinvertriebsrecht sei wirksam vereinbart, weil es vom Verbot des Art. 85 EWG-Vertrag (jetzt Art. 81 EGV) aufgrund der Gruppenfreistellung von Alleinvertriebsverträgen durch die EWG-VO Nr. 1983/83 vom 22. Juni 1983 (ABl. Nr. L 173/1 vom 30. Juni 1983) nicht betroffen sei, berücksichtigt nicht die Regelungen in Art. 2 dieser Verordnung, worauf die Revision zu Recht hinweist. Nach Art. 2 Abs. 1 EWG-Verordnung Nr. 1983/83 dürfen Lieferanten keine anderen Wettbewerbsbeschränkungen auferlegt werden als die Verpflichtung, im Vertragsgebiet Verbraucher nicht mit Vertragswaren zu beliefern. Es ist insbesondere unzulässig, dem Lieferanten ein über die Dauer des Vertrages hinausgehendes Wettbewerbsverbot aufzuerlegen (vgl. hierzu Ziff. 18 der Bekanntmachung vom 13. April 1984 zu der EWG-Verordnung Nr. 1983/83 der Kommission vom 22. Juni 1983 – ABl. C 101/2, C 101/4). Zur Frage der Auslegung von Art. 2 Abs. 1 EWG-Verordnung Nr. 1983/83 bedarf es keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG-Vertrag, da die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß kein vernünftiger Zweifel besteht (vgl. BGH, Beschluß vom 25. Juni 1992 – I ZR 155/90, BGHR EWG-Vertrag Art. 7 Abs. 1 Inländerbehandlung 1; BGH, Urteil vom 14. Juli 1988 – III ZR 78/87, BGHR EWG-Vertrag Art. 177 Abs. 3 Vorlagepflicht 2; BVerfG NJW 1988, 1456 unter II 2 a; von der Groeben-Krück, Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Aufl. 1997 Rdnr. 71 f).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist in der Vertretungsvereinbarung zugunsten der Beklagten und zu Lasten der Klägerin ein zeitlich unbeschränktes, auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erstrecktes und sowohl direkte als auch indirekte Lieferungen umfassendes nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart worden. Übernimmt aber ein Lieferant in einer Alleinvertriebsvereinbarung außer den in Art. 2 Abs. 1 und 2 der EWG-Verordnung Nr. 1983/83 aufgeführten Wettbewerbsbeschränkungen weitere wettbewerbsbeschränkende Verpflichtungen, so ist die Vereinbarung insgesamt – mithin auch bezüglich des für die Vertragsdauer geltenden Wettbewerbsverbots – nicht mehr von der Gruppenfreistellung gedeckt und bedarf deshalb der Einzelfreistellung (vgl. Ziff. 17 der Bekanntmachung zu der EWG-Verordnung Nr. 1983/83 – ABl. C 101/2, C 101/4 vom 13. April 1984). Daß die EG-Kommission im vorliegenden Fall eine Einzelfreistellung ausgesprochen hat, ist vom Berufungsgericht nicht festgestellt worden. Erfüllt die Vertretungsvereinbarung vom 1. Februar 1986 mithin die Voraussetzungen von Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag, ist sie nach Art. 85 Abs. 2 EWG-Vertrag nichtig. Zur Entscheidung der Frage, ob die Regelungen der Vertretungsvereinbarung dem Tatbestand des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag unterfallen, bedarf es weiterer tatrichterlicher Feststellungen. Das Berufungsgericht wird insbesondere zu prüfen haben, inwieweit die Vereinbarung den Handel zwischen Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet war und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezweckte oder bewirkte.
III. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die zu einer Sachentscheidung notwendigen Feststellungen getroffen werden können (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Sollte sich in der weiteren Verhandlung ergeben, daß die Vertretungsvereinbarung die Voraussetzungen des Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag nicht erfüllt und deshalb auch nicht gemäß Art. 85 Abs. 2 EWG-Vertrag nichtig ist, wird das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien in der Revisionsinstanz erneut zu prüfen haben, ob die Nichtigkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes die Vertretungsvereinbarung insgesamt erfaßt und ob die Vertragsstrafenregelung sich auch auf die bisherigen Nichtkunden der Beklagten bezieht.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball, Dr. Leimert
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 28.03.2001 durch Kirchgeßner, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2001, 1011 |
DB 2001, 1197 |
BGHR 2001, 507 |
NJW-RR 2001, 1190 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1264 |
RIW 2001, 610 |
ELF 2001, 418 |
WuW 2001, 979 |