Leitsatz (amtlich)
Im Falle einer über den von Eltern unterhaltenen Internetanschluss begangenen Urheberrechtsverletzung durch Teilnahme an einer Internettauschbörse umfasst die sekundäre Darlegungslast der Anschlussinhaber bei Inanspruchnahme durch den Urheber oder den Inhaber eines verwandten Schutzrechts - hier durch den Tonträgerhersteller - die Angabe des Namens ihres volljährigen Kindes, das ihnen gegenüber die Begehung der Rechtsverletzung zugegeben hat.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; EU-Grundrechtecharta Art. 7, 17 Abs. 2, Art. 47; UrhG § 85 Abs. 1 S. 1, § 97 Abs. 2 S. 1; ZPO §§ 138, 383-384
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 14.01.2016; Aktenzeichen 29 U 2593/15) |
LG München I (Entscheidung vom 01.07.2015; Aktenzeichen 37 O 5394/14) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 29. Zivilsenats des OLG München vom 14.1.2016 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Klägerin, einer Tonträgerherstellerin, stehen die ausschließlichen Verwertungsrechte an den auf dem Musikalbum "Loud" enthaltenen elf Musiktiteln der Sängerin Rihanna zu. Das am 12.11.2010 veröffentlichte Album war acht Wochen lang unter den Top Ten der Charts gelistet.
Rz. 2
Am 2.1.2011 um 23:16 Uhr wurde das Album über einen Internetanschluss, dessen Inhaber die beklagten Eheleute sind, mittels einer Filesharing-Software ohne Zustimmung der Klägerin zum Herunterladen angeboten.
Rz. 3
Die Beklagten haben auf die Abmahnung der Klägerin vom 16.3.2011 eine Unterlassungserklärung abgegeben.
Rz. 4
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagten hätten die Rechtsverletzung begangen. Sie verlangt im vorliegenden Verfahren Schadensersatz in angemessener Höhe, mindestens 2.500 EUR, sowie Erstattung der Abmahnkosten nach einem Streitwert von 50.000 EUR i.H.v. 1.379,80 EUR.
Rz. 5
Die Beklagten haben bestritten, die Rechtsverletzung begangen zu haben. Sie haben geltend gemacht, ihre im Tatzeitpunkt bei ihnen wohnenden volljährigen drei Kinder hätten jeweils eigene Rechner besessen und über einen mit einem individuellen Passwort versehenen WLAN-Router Zugang zum Internetanschluss gehabt. Sie wüssten, von welchem Kind die Verletzungshandlung vorgenommen worden sei, wollten dies jedoch nicht mitteilen.
Rz. 6
Das LG hat der Klägerin Schadensersatz i.H.v. 2.500 EUR sowie Abmahnkosten i.H.v. 1.044,40 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen (LG München I, ZUM-RD 2016, 308). Die Berufung der Beklagten hatte - soweit für die Revision von Bedeutung - keinen Erfolg (OLG München WRP 2016, 385). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgen die Beklagten ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
I. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche im vom LG zuerkannten Umfang für begründet erachtet. Hierzu hat es ausgeführt:
Rz. 8
Die Beklagten hafteten als Täter für die geltend gemachte Rechtsverletzung. Die Beklagten seien der Behauptung der Klägerin, die Beklagten hätten allein auf den Internetanschluss Zugriff gehabt, zwar entgegengetreten. Sie hätten jedoch der ihnen obliegenden sekundären Darlegungslast nicht genügt. Hierzu wäre es erforderlich gewesen mitzuteilen, welche Kenntnisse sie über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hätten, mithin welches ihrer Kinder die Verletzungshandlung begangen habe. Indem sich die Beklagten weigerten, diese Angaben zu machen, beriefen sie sich lediglich pauschal auf eine bloß generell bestehende Zugriffsmöglichkeit ihrer Kinder auf den Internetanschluss. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG stehe der Annahme einer solchen zivilprozessualen Obliegenheit nicht entgegen, weil dem zugunsten der Klägerin wirkenden Schutz des Art. 14 GG im Streitfall ein überwiegendes Gewicht zukomme. Die Beklagten hätten die gegen sie sprechende tatsächliche Vermutung nicht erschüttert, weil sich ihre von ihnen als Zeugen benannten Kinder auf das ihnen zustehende Zeugnisverweigerungsrecht berufen hätten. Einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der von den Beklagten benannten Zeugen, die am Abend des Tattags bei ihnen zu Gast gewesen seien, habe es nicht bedurft. Die Behauptung, wegen des Besuchs keine Möglichkeit gehabt zu haben, die Verletzungshandlung zu begehen, sei nicht entscheidungserheblich, weil der rechtsverletzende Vorgang bereits vor Eintreffen der Gäste oder durch kurzzeitige Nutzung eines derjenigen Computer, die sich außerhalb des Wohnzimmers befanden, hätte in Gang gesetzt werden können. Der Höhe nach sei der Schadensersatz mit 2.500 EUR angemessen bewertet. Eine Begrenzung der Abmahnkosten auf 100 EUR gem. § 97a Abs. 2 UrhG a.F. komme nicht in Betracht, da es sich weder um einen einfach gelagerten Fall noch um eine nur unerhebliche Rechtsverletzung handele.
Rz. 9
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz (dazu nachfolgend II 1) und Abmahnkostenerstattung (dazu nachfolgend II 2) zu Recht zuerkannt.
Rz. 10
1. Das Berufungsgericht hat die Beklagten zu Recht als nach § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG zum Schadensersatz verpflichtet angesehen. Nach dieser Vorschrift ist, wer das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht widerrechtlich sowie vorsätzlich oder fahrlässig verletzt, dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
Rz. 11
a) Von der Revision unbeanstandet hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Klägerin Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte gem. § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG an den Musiktiteln des Albums "Loud" ist und die Klage deshalb auf ein nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht gestützt ist. Nach § 85 Abs. 1 Satz 1 UrhG hat der Hersteller eines Tonträgers das ausschließliche Recht, den Tonträger zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen.
Rz. 12
b) Keine rechtlichen Bedenken bestehen gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die auf dem genannten Album enthaltenen Musiktitel am 2.1.2011 um 23:16 Uhr über einen den Beklagten zuzuordnenden Internetanschluss mittels einer Filesharing-Software ohne Zustimmung der Klägerin zum Herunterladen angeboten worden sind. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Anbieten von Tonaufnahmen mittels eines Filesharing-Programms in sog. "Peer-to-Peer"-Netzwerken im Internet das Recht auf öffentliche Zugänglichmachung des Herstellers des Tonträgers verletzt, auf dem die Tonaufnahme aufgezeichnet ist (BGH, Urt. v. 11.6.2015 - I ZR 19/14, GRUR 2016, 176 Rz. 14 = WRP 2016, 57 - Tauschbörse I; Urt. v. 11.6.2015 - I ZR 7/14, GRUR 2016, 184 Rz. 15 = WRP 2016, 66 - Tauschbörse II; Urt. v. 12.5.2016 - I ZR 48/15, GRUR 2016, 1280 Rz. 19 = WRP 2017, 79 - Everytime we touch). Dagegen erhebt die Revision keine Rügen.
Rz. 13
c) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten hafteten als Täter der geltend gemachten Urheberrechtsverletzungen.
Rz. 14
aa) Die Klägerin trägt nach den allgemeinen Grundsätzen als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Schadensersatz erfüllt sind. Sie hat darzulegen und im Bestreitensfall nachzuweisen, dass die Beklagten für die von ihr behauptete Urheberrechtsverletzung als Täter verantwortlich sind (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.2012 - I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rz. 32 = WRP 2013, 799 - Morpheus; Urt. v. 8.1.2014 - I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 Rz. 14 - BearShare; Urt. v. 11.6.2015 - I ZR 75/14, GRUR 2016, 191 Rz. 37 = WRP 2016, 73 - Tauschbörse III; BGH GRUR 2016, 1280 Rz. 32 - Everytime we touch). Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten (BGHZ 200, 76 Rz. 15 - BearShare; BGH GRUR 2016, 191 Rz. 37 - Tauschbörse III). Diese tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers kommt auch dann in Betracht, wenn der Internetanschluss - wie bei einem Familienanschluss - regelmäßig von mehreren Personen genutzt wird (BGH GRUR 2016, 191 Rz. 39 - Tauschbörse III; GRUR 2016, 1280 Rz. 34 - Everytime we touch).
Rz. 15
Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und ggf. welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Verletzungshandlung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt lebenden Dritten auf den Internetanschluss genügt hierbei nicht. Der Inhaber eines Internetanschlusses hat vielmehr nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen. Entspricht der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast, ist es wieder Sache der Klägerin als Anspruchstellerin, die für eine Haftung der Beklagten als Täter einer Urheberrechtsverletzung sprechenden Umstände darzulegen und nachzuweisen (BGHZ 200, 76 Rz. 15 ff. - BearShare, m.w.N.; BGH GRUR 2016, 191 Rz. 37 und 42 - Tauschbörse III; GRUR 2016, 1280 Rz. 33 f. - Everytime we touch; BGH, Urt. v. 6.10.2016 - I ZR 154/15, GRUR 2017, 386 Rz. 15 = WRP 2017, 448 - Afterlife). Mit diesen Grundsätzen steht das Berufungsurteil im Einklang.
Rz. 16
bb) Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Beklagten hätten der ihnen obliegenden sekundären Darlegungslast nicht genügt.
Rz. 17
(1) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagten seien der Behauptung der Klägerin, allein die Beklagten hätten Zugriff auf ihren Internetanschluss gehabt, mit dem Hinweis darauf entgegengetreten, ihre Kinder hätten ebenfalls auf den Internetanschluss zugreifen können. Dies reiche zur Erfüllung der den Beklagten obliegenden sekundären Darlegungslast nicht aus, weil die Beklagten sich zugleich geweigert hätten, ihr Wissen darüber, welches ihrer Kinder die Rechtsverletzung begangen habe, offenzulegen. Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG stehe dieser Beurteilung nicht entgegen, weil es keinen schrankenlosen Schutz gegen jede Art von Beeinträchtigung familiärer Belange gewähre. Im Streitfall überwögen die mit Blick auf Art. 14 GG geschützten Eigentumsinteressen der Klägerin, weil andernfalls Urheberrechtsinhaber bei Rechtsverletzungen über von Familien genutzten Internetanschlüssen ihre Ansprüche regelmäßig nicht durchsetzen könnten. Weil die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen seien, sei von der tatsächlichen Vermutung auszugehen, dass die Beklagten als Anschlussinhaber die Rechtsverletzung als Täter begangen hätten. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
Rz. 18
(2) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Annahme der täterschaftlichen Haftung des Anschlussinhabers erst in Betracht kommt, wenn der Anschlussinhaber der ihm obliegenden sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Nutzung des Anschlusses durch Dritte nicht genügt. Hingegen besteht keine generelle Vermutung, dass der Anschlussinhaber Täter einer Urheberrechtsverletzung ist, die von seinem Anschluss aus begangen worden ist und die er widerlegen oder erschüttern müsste, nur weil er Inhaber des Anschlusses ist. Dies kommt nur in Betracht, wenn für die Täterschaft des Anschlussinhabers der bei typischen Geschehensabläufen eingreifende Beweis des ersten Anscheins (Anscheinsbeweis) spricht.
Rz. 19
Für die Annahme, der Inhaber eines Internetanschlusses sei ohne das Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig der Täter einer mittels dieses Anschlusses begangenen Urheberrechtsverletzung, fehlt es an einer hinreichenden Typizität des Geschehensablaufs. Angesichts der naheliegenden Möglichkeit, dass der Anschlussinhaber Dritten Zugriff auf seinen Anschluss einräumt, besteht für die Annahme der Täterschaft des Anschlussinhabers keine hinreichend große Wahrscheinlichkeit (vgl. BGH GRUR 2017, 386 Rz. 18 ff. - Afterlife). Da es sich bei der Nutzung des Anschlusses um Interna des Anschlussinhabers handelt, von denen der Urheberrechtsberechtigte im Regelfall keine Kenntnis hat, obliegt dem Anschlussinhaber insoweit allerdings eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH GRUR 2017, 386 Rz. 20 - Afterlife).
Rz. 20
(3) Die Bestimmung der Reichweite der dem Anschlussinhaber obliegenden sekundären Darlegungslast hat mit Blick darauf zu erfolgen, dass erst die Kenntnis von den Umständen der Anschlussnutzung durch den Anschlussinhaber dem Verletzten, dessen urheberrechtliche Position unter dem grundrechtlichen Schutz des Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und des Art. 14 Abs. 1 GG steht (vgl. EuGH, Urt. v. 27.3.2014 - Rs. C-314/12, GRUR 2014, 468 Rz. 47 = WRP 2014, 540 - UPC Telekabel; Wendt in Sachs, Grundgesetz, 7. Aufl., Art. 14 Rz. 20a, 24 m.w.N.), eine Rechtsverfolgung ermöglicht. Nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft und Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Rechtsbehelfe zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums vorzusehen. Art. 47 EU-Grundrechtecharta gewährleistet zudem das Recht auf Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs.
Rz. 21
Auf Seiten des Anschlussinhabers schützen die Grundrechte gem. Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG das ungestörte eheliche und familiäre Zusammenleben vor staatlichen Beeinträchtigungen. Diese Grundrechte verpflichten den Staat, Eingriffe in die Familie zu unterlassen, und berechtigten die Familienmitglieder, ihre Gemeinschaft nach innen in familiärer Verantwortlichkeit und Rücksicht frei zu gestalten (vgl. BVerfGE 66, 84, 94; 80, 81, 92; 81, 1, 6; Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Aufl., Art. 7 Rz. 19 f.; v. Coelln in Sachs, a.a.O., Art. 6 Rz. 22). Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG erfasst auch das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern (vgl. BVerfG 80, 81, 90). Das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG entfaltet Ausstrahlungswirkung auf die gesamte Rechtsordnung und muss auch bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zum Tragen kommen (vgl. BVerfGE 61, 18, 25; Stern/Sachs/Dietlein, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, S. 493). Werden dem Anschlussinhaber zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung im Rahmen der sekundären Darlegungslast im Zivilprozess Auskünfte abverlangt, die das Verhalten seines Ehegatten oder seiner Kinder betreffen und diese dem Risiko einer zivil- oder strafrechtlichen Inanspruchnahme aussetzen, ist der Schutzbereich dieser Grundrechte berührt (vgl. BGH GRUR 2017, 386 Rz. 23 - Afterlife).
Rz. 22
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union obliegt es, wenn mehrere unionsrechtlich geschützte Grundrechte einander widerstreiten, den Behörden oder Gerichten der Mitgliedstaaten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen Rechten sicherzustellen (vgl. EuGH, Urt. v. 29.1.2008 - Rs. C-275/06, Slg. 2008, I-271 = GRUR 2008, 241 Rz. 68 - Promusicae; EuGH GRUR 2014, 468 Rz. 46 - UPC Telekabel; EuGH, Urt. v. 15.9.2016 - Rs. C-484/14, GRUR 2016, 1146 Rz. 83 = WRP 2016, 1486 - Sony Music/McFadden). Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Konflikt zwischen grundrechtlich geschützten Positionen verschiedener Grundrechtsträger nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz zu lösen, der fordert, dass nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet wird, sondern alle einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. BVerfGE 28, 243, 260 f.; 41, 29, 50; 52, 223, 247, 251; 93, 1, 21).
Rz. 23
Auch unter Berücksichtigung des für den Urheberrechtsinhaber sprechenden Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG) steht der zugunsten des Anschlussinhabers wirkende grundrechtliche Schutz von Ehe und Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) der Annahme von Nachforschungs- und Mitteilungspflichten entgegen, die den Inhaber eines privaten Internetanschlusses dazu zwingen, zur Abwendung seiner täterschaftlichen Haftung die Internetnutzung seines Ehegatten einer Dokumentation zu unterwerfen. Ebenfalls unzumutbar ist es, dem Anschlussinhaber die Untersuchung des Computers seines Ehegatten im Hinblick auf die Existenz von Filesharing-Software abzuverlangen (vgl. BGH GRUR 2017, 386 Rz. 26 - Afterlife).
Rz. 24
(4) Im Streitfall hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügt haben, indem sie nur darauf verwiesen haben, ihre drei volljährigen Kinder hätten Zugang zum Internetanschluss gehabt. Die Beklagten waren gehalten, im Rahmen der sekundären Darlegungslast das Kind zu benennen, welches ihnen gegenüber die Rechtsverletzung zugegeben hatte.
Rz. 25
Die Abwägung der im Streitfall auf Seiten der Klägerin betroffenen Grundrechte des Eigentumsschutzes (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG) und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf (Art. 47 EU-Grundrechtecharta) mit dem zugunsten der Beklagten wirkenden Grundrecht auf Schutz der Familie (Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG) führt zu einem Vorrang des Informationsinteresses der Klägerin.
Rz. 26
Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Mitteilung des Namens des für das Filesharing verantwortlichen Kindes durch die Eltern mit Blick auf die möglichen Folgen - der zivilrechtlichen oder gar strafrechtlichen Inanspruchnahme des Kindes - eine erhebliche Beeinträchtigung des Familienfriedens nach sich ziehen kann. Die Eltern unterliegen jedoch keinem Zwang zur Auskunft. Sie haben vielmehr die Wahl, ob sie die Auskunft erteilen oder ob sie davon absehen, das Kind anzugeben, das die Rechtsverletzung begangen hat, und insoweit auf eine Rechtsverteidigung zu verzichten. Dass sie infolge eines solchen Verteidigungsverzichts selbst für die Rechtsverletzung haften, weil ohne Erfüllung der sekundären Darlegungslast die tatsächliche Vermutung ihrer Haftung als Anschlussinhaber eingreift, erlangt im Rahmen der Grundrechtsabwägung kein entscheidendes Gewicht. Hierbei handelt es sich um einen aus der gesetzlichen Wertung des § 138 Abs. 3 ZPO folgenden Nachteil, der jede prozessual ungenügend vortragende Partei trifft.
Rz. 27
Das Recht, im Zivilprozess wegen der familiären Beziehung zu einer Partei Angaben zu verweigern, steht gem. § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und § 384 Nr. 1 und 2 ZPO allein dem Zeugen, nicht aber einer Prozesspartei zu. Die Partei eines Zivilprozesses unterliegt der Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, die allenfalls insofern Einschränkungen erfährt, als die Partei sich selbst oder einen Angehörigen einer Straftat oder Unehrenhaftigkeit bezichtigen müsste (vgl. MünchKomm/ZPO/Fritsche, 5. Aufl., § 138 Rz. 14; Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 138 Rz. 13; Zöller/Greger, ZPO, 16. Aufl., § 138 Rz. 3; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 138 Rz. 15; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 38. Aufl., § 138 Rz. 7; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl., § 138 Rz. 3). Hat die Partei in dieser Konstellation die Möglichkeit, von (wahrheitsgemäßen) Angaben abzusehen, so hat sie die mit dem Verzicht auf den entsprechenden Vortrag verbundenen prozessualen Folgen - etwa das Risiko einer für sie ungünstigen Tatsachenwürdigung - in Kauf zu nehmen (vgl. BVerfGE 56, 37, 44; MünchKomm/ZPO/Fritsche, a.a.O., § 138 Rz. 14; Gerken in Wieczorek/Schütze, a.a.O., § 138 Rz. 15; Zöller/Greger, a.a.O., § 138 Rz. 3). So verhält es sich im Falle der Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast; die betroffene Partei hat die nachteiligen Folgen ihres unzureichenden Vortrags zu tragen, weil ihr einfaches Bestreiten unwirksam ist und die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO eintritt (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 19.2.2014 - I ZR 230/12, GRUR 2014, 578 Rz. 14 = WRP 2014, 697 - Umweltengel für Tragetasche; Urt. v. 12.11.2015 - I ZR 167/14, GRUR 2016, 836 Rz. 111 = WRP 2016, 985 - Abschlagspflicht II).
Rz. 28
Demgegenüber ist dem Rechtsinhaber im Falle der Weigerung der Eltern, die Anschlussinhaber sind, Auskunft über den Namen des für das Filesharing verantwortlichen Kindes zu erteilen, eine effektive Verfolgung des Rechtsverstoßes regelmäßig praktisch unmöglich, weil die Identität des Verletzers ungeklärt bleibt. Mithin wird das Eigentumsrecht des Urheberrechtsinhabers gem. Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und Art. 14 Abs. 1 GG und sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gem. Art. 47 EU-Grundrechtecharta im Falle der unterbliebenen Auskunft im Regelfall vereitelt, wohingegen die Eltern durch die Auskunftsverweigerung unter Inkaufnahme prozessualer Nachteile eine - jedenfalls erhebliche - Beeinträchtigung ihres Grundrechts auf Schutz der Familie gem. Art. 7 EU-Grundrechtecharta und Art. 6 Abs. 1 GG abwenden können. In dieser Konstellation überwiegen die auf Seiten des Urhebers oder des Inhabers eines verwandten Schutzrechts - hier des Tonträgerherstellers - in Rede stehenden Grundrechte das Grundrecht der Eltern auf Schutz der Familie.
Rz. 29
(5) Haben die Beklagten die ihnen im Streitfall obliegende sekundäre Darlegungslast zur Nutzung ihres Internetanschlusses durch einen Familienangehörigen im Tatzeitpunkt nicht erfüllt, greift die tatsächliche Vermutung, sie hafteten als Anschlussinhaber täterschaftlich für die begangene Rechtsverletzung.
Rz. 30
cc) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht dem von den Beklagten angebotenen Zeugenbeweis zur Frage ihrer Täterschaft nicht nachgegangen ist. Die Beklagten hatten unter Beweisantritt durch Zeugenbeweis behauptet, im Tatzeitpunkt sei der im Wohnzimmer befindliche Computer ausgeschaltet, sie seien mit der Bewirtung der Gäste beschäftigt und die Kinder seien im Hause gewesen. Dieser Vortrag ist nicht entscheidungserheblich, weil er eine Rechtsverletzung durch die Beklagten nicht ausschließt.
Rz. 31
Das Berufungsgericht hat angenommen, einer Beweisaufnahme durch Vernehmung der von den Beklagten benannten Zeugen, die am Abend des Tattags zu Gast gewesen seien, habe es nicht bedurft. Auf die Behauptung, während des Besuchs keine Möglichkeit gehabt zu haben, die Verletzungshandlung zu begehen, komme es nicht an, weil der rechtsverletzende Vorgang bereits vor Eintreffen der Gäste und durch Nutzung eines der Computer, die sich außerhalb des Wohnzimmers befanden, hätte in Gang gesetzt werden können.
Rz. 32
Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Selbst wenn der im Wohnzimmer befindliche Computer der Beklagten im Tatzeitpunkt ausgeschaltet gewesen sein sollte, bestand - wie das LG und das Berufungsgericht richtig ausgeführt haben - die Möglichkeit, den beanstandeten Filesharingvorgang von einem der anderen im Haushalt der Beklagten vorhandenen Computer aus zu starten. Zutreffend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Durchführung der Verletzungshandlung habe keine dauernde Anwesenheit vor dem Computer erfordert. Eine Beweisaufnahme war danach mangels Entscheidungserheblichkeit nicht erforderlich.
Rz. 33
d) Gegen die Bemessung der Höhe des Schadensersatzes durch das Berufungsgericht auf 2.500 EUR erhebt die Revision keine Rügen. Rechtsfehler sind auch insoweit nicht ersichtlich.
Rz. 34
2. Das Berufungsgericht hat der Klägerin nach § 97 Abs. 1 UrhG a.F. zu Recht einen Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten i.H.v. 1.044,40 EUR zuerkannt.
Rz. 35
a) Auf den mit der Klage geltend gemachten Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten ist § 97a UrhG in der bis zum 8.10.2013 geltenden Fassung anzuwenden. Die durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken vom 1.10.2013 (BGBl. I, 3714) mit Wirkung ab dem 9.10.2013 eingeführten Neuregelungen zur Wirksamkeit der Abmahnung und zur Begrenzung der erstattungsfähigen Kosten nach § 97a Abs. 2 und 3 Satz 2 und 3 UrhG n.F. gelten erst für Abmahnungen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken ausgesprochen worden sind. Für den Anspruch auf Erstattung von Abmahnkosten kommt es auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abmahnung an (vgl. zu § 97a Abs. 1 Satz 2 UrhG a.F. BGH GRUR 2016, 191 Rz. 56 - Tauschbörse III, m.w.N.). Nach § 97a Abs. 1 UrhG a.F. soll der Verletzte den Verletzer vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens auf Unterlassung abmahnen und ihm Gelegenheit geben, den Streit durch Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung beizulegen. Soweit die Abmahnung berechtigt ist, kann der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangt werden.
Rz. 36
Im Streitfall war die Abmahnung berechtigt, weil die Beklagten zur Unterlassung verpflichtet waren (s. Rz. 10 ff. [II 1]). Gegen die Formalitäten der Abmahnung sowie die Bemessung ihres Gegenstandswerts auf 23.000 EUR erhebt die Revision keine Rügen. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich (vgl. hierzu BGH GRUR 2016, 184 Rz. 72 ff. - Tauschbörse II; BGH, Urt. v. 12.5.2016 - I ZR 1/15, GRUR 2016, 1275 Rz. 20 ff., 33 ff. = WRP 2016, 1525 - Tannöd; BGH GRUR 2016, 1280 Rz. 61 ff. - Everytime we touch).
Rz. 37
b) Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht den Ersatz von Abmahnkosten nicht gem. § 97a Abs. 2 UrhG a.F. auf 100 EUR begrenzt hat.
Rz. 38
Nach § 97a Abs. 2 UrhG in der bis zum 8.10.2013 geltenden Fassung beschränkt sich der Ersatz der erforderlichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme anwaltlicher Dienstleistungen für die erstmalige Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs auf 100 EUR. Das Angebot eines urheberrechtlich geschützten Werkes zum Herunterladen über eine Internettauschbörse stellt allerdings regelmäßig keine nur unerhebliche Rechtsverletzung im Sinne dieser Vorschrift dar (vgl. BGH GRUR 2016, 1275 Rz. 33 ff. - Tannöd). Dass im vorliegenden Fall aufgrund besonderer Umstände von dieser Regel eine Ausnahme zu machen wäre, hat die Revision nicht aufgezeigt.
Rz. 39
III. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV ist nicht veranlasst. Im Streitfall stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt oder zweifelsfrei zu beantworten ist (vgl. EuGH, Urt. v. 6.10.1982 - Rs. C-283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 - C.I.L.F.I.T.; Urt. v. 1.10.2015 - Rs. C-452/14, GRUR-Int. 2015, 1152 Rz. 43 - AIFA/Doc Generici). Insbesondere ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt, dass es Sache der Gerichte der Mitgliedstaaten ist, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen widerstreitenden Grundrechten der Parteien sicherzustellen (vgl. EuGH GRUR 2008, 241 Rz. 68 - Promusicae; GRUR 2014, 468 Rz. 46 - UPC Telekabel; GRUR 2016, 1146 Rz. 83 - Sony Music/McFadden).
Rz. 40
IV. Danach ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen