Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses bei Gerichtsstandsvereinbarung nach Rechtshängigkeit
Normenkette
ZPO §§ 36, 38, 261, 281
Verfahrensgang
AG Hamburg-Harburg (Beschluss vom 16.08.2005; Aktenzeichen 646 C 368/05) |
AG Nauen (Beschluss vom 24.06.2005; Aktenzeichen 12 C 525/04) |
Tenor
Zuständig ist das AG Hamburg-Harburg.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt den Beklagten - als ehemaligen Geschäftsführer der inzwischen im Insovlenzverfahren befindlichen, in H. ansässigen P. GmbH - wegen Schadensersatzes aus behaupteter zweckwidriger Verwendung von Baugeldern für ein Bauvorhaben in B. auf Zahlung von 2.867,98 EUR nebst Zinsen in Anspruch. Sie hat ihre Klage bei dem für den Wohnsitz des Beklagten zuständigen AG Nauen eingereicht. Unter Bezugnahme auf eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25.5.2005 die Verweisung des Rechtsstreits an das AG Hamburg-Harburg beantragt. Der Beklagte hat sich diesem Antrag mit Schriftsatz vom 6.6.2005 angeschlossen. Mit Beschluss vom 24.6.2005 hat sich das AG Nauen hierauf für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit unter Hinweis auf die zwischen den Parteien geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung an das AG Hamburg-Harburg verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluss vom 16.8.2005 seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem OLG Brandenburg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
II.1. Der Zuständigkeitsstreit ist gem. § 16 Abs. 1 Nr. 6 und Abs. 2 ZPO durch das OLG Brandenburg zu entscheiden, weil das zu seinem Bezirk gehörende AG Nauen unter den Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichten zuerst mit der Sache befasst gewesen ist.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das AG Nauen als auch das AG Hamburg-Harburg haben sich i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, Ersteres durch nach § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 24.6.2005 und Letzteres durch die seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung vom 16.8.2005, die als solche den Anforderungen genügt, die an das Merkmal "rechtskräftig" i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es insoweit allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekannt gemachte ausdrückliche beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (BGH v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [340] = MDR 1988, 470; v. 8.6.1988 - I ARZ 388/88, BGHZ 104, 363 [366] = MDR 1988, 1029; v. 10.9.2002 - X ARZ 217/02, BGHReport 2003, 44 = MDR 2002, 1446 = NJW 2002, 3634 [3635]; OLG Brandenburg OLG-NL 2005, 16 [17]; OLG Brandenburg v. 10.12.2003 - 1 AR 84/03; OLGReport Brandenburg 2004, 171 = NJW 2004, 780, OLG-NL 2001, 70 [214]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 36 Rz. 24 f.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., 2005, § 281 Rz. 48; Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., 2004, § 36 Rz. 23).
3. Zuständig ist das AG Hamburg-Harburg.
Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des AG Nauen vom 24.6.2005 (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO).
Die Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO entfällt nur ausnahmsweise, namentlich bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiver Willkür, die etwa auch dann gegeben sein kann, wenn die Verweisung offenbar gesetzeswidrig oder sonst grob rechtsfehlerhaft erfolgt ist (s.: BGH BGHZ Bd. 71, 69 [72]; v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [341] = MDR 1988, 470; v. 19.1.1993 - X ARZ 845/92, MDR 1993, 576 = NJW 1993, 1273; v. 10.9.2002 - X ARZ 217/02, BGHReport 2003, 44 = MDR 2002, 1446 = NJW 2002, 3634 [3635]; BayObLG v. 16.4.1999 - 1Z AR 26/99, NJW-RR 2000, 589; OLG Brandenburg v. 10.12.2003 - 1 AR 84/03, OLGReport Brandenburg 2004, 171 = NJW 2004, 780; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., 2005, § 281 Rz. 17 [17a], m.w.N.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., 2005, § 281 Rz. 39 ff., m.w.N.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 26. Aufl., 2004, § 281 Rz. 12). So liegt es hier aber nicht. Der Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist beachtet worden. Die Verweisungsentscheidung des AG Nauen erweist sich auch in der Sache selbst nicht schon als geradezu objektiv willkürlich.
Im Interesse an einer baldigen Klärung der Gerichtszuständigkeit und der Vermeidung von wechselseitigen (Rück-)Verweisungen zwischen Gerichten sind an die Abnahme einer objektiven Willkür im Allgemeinen strenge Anforderungen zu stellen. Der Gesetzgeber hat sich für die grundsätzliche Bindungswirkung und Unanfechtbarkeit von - auch fehlerhaften - Verweisungsbeschlüssen entschieden (§ 281 Abs. 2 S. 2 und 4 ZPO). Deshalb kann objektive "Willkür" nur unter bestimmten - engen - Voraussetzungen bejaht werden, und zwar dann, wenn die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) eine Durchbrechung der Bindungswirkung erfordert (s. OLG Brandenburg v. 10.12.2003 - 1 AR 84/03, OLGReport Brandenburg 2004, 171 = NJW 2004, 780). Einfache ...