Verfahrensgang

AG Strausberg (Aktenzeichen 32 F 61/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 29.09.2021 - 32 F 61/21 - aufgehoben.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

 

Gründe

I. Auf einen Antrag des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg, Polizeidirektion Ost, vom 17.08.2021 hat das Amtsgericht Strausberg nach schriftlicher Anhörung der Beschwerdeführerin mit der angefochtenen Entscheidung vom 29.09.2021 (Bl. 8) für das betroffene Kind Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis "Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren zur Tagebuch-Nr. ... gegen ...", das - soweit aktenkundig - bislang allein das Polizeipräsidium gegen die alleinsorgeberechtigte Mutter des Kindes, die Beschwerdeführerin führt, angeordnet und das Jugendamt des Landkreises ... zum Ergänzungspfleger bestellt.

Mit ihrer Beschwerde vom 13.10.2021 (Bl. 16) beanstandet die Mutter die Bestellung des Jugendamts zum Ergänzungspfleger, dessen Mitarbeiter ihrer Auffassung nach ihr gegenüber nicht neutral seien.

II. Die gemäß §§ 58 ff. FamFG statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde der Beschwerdeführerin ist begründet, da die Voraussetzungen für eine Anordnung von Ergänzungspflegschaft wegen Vorliegens eines gesetzlichen Vertretungsausschlusses gemäß §§ 52 Abs. 2 Satz 2 StPO, 1909 BGB mangels wirksamer Antragstellung durch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden oder das Strafgericht nicht erfüllt sind.

Gemäß § 1909 Abs. 1 Satz 1 BGB erhalten minderjährige Kinder für Angelegenheiten, an deren Besorgung die sorgeberechtigten Eltern verhindert sind, einen Pfleger. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO dürften Minderjährige, die mangels Verstandesreife von der Bedeutung ihres Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung haben, nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt, worüber letzterer dann, wenn er selbst Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens ist, gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht entscheiden kann, weswegen dem Kind zwingend ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist.

Da die Notwendigkeit, sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 2 StPO zu berufen, nur gegenüber einer durch die Staatsanwaltschaft oder das Strafgericht veranlassten Aufforderung zur Zeugenvernehmung in Betracht kommt, weil auch nur insoweit anderenfalls eine Pflicht zur Aussage besteht (§§ 161 a Abs. 1 Satz 1, 163 Abs. 3 Satz 1 StPO), ist bei den - wie vorliegend - augenscheinlich bislang nur von der zuständigen Polizeibehörde geführten Ermittlungsmaßnahmen nicht ersichtlich, dass das betroffene Kind ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht wahrzunehmen haben könnte, für dessen Ausübung Ergänzungspflegschaft anzuordnen wäre.

In einem Ermittlungsverfahren ist, worauf auch § 19 Abs. 3 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV Bund, Stand: 01.04.2021) hinweist, die Staatsanwaltschaft zur Antragstellung bezüglich der Anordnung von Ergänzungspflegschaft zuständig; dies gilt auch für geplante Zeugenvernehmungen durch die Polizei (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner, StPO, 64. Aufl. 2021, § 52 StPO Rn. 20; Huber in BeckOK StPO, 40 Aufl. Stand 01.07.2021, § 52 StPO Rn. 25; Percic in Münchener Kommentar zur StPO, 2014, § 52 StPO Rn. 33).

Eine Anordnung von Ergänzungspflegschaft zur Wahrnehmung des Zeugnisverweigerungsrechts eines minderjährigen Kindes gemäß §§ 52 Abs. 2 StPO, 1909 Abs. 1 BGB allein aufgrund einer Anregung der Polizeibehörde kommt auch, wenn sie, wie vorliegend, ohne vorherige persönliche Anhörung der Beteiligten und Bestellung eines Verfahrensbeistands für das betroffene Kind erfolgt, deshalb nicht in Betracht, weil die zwingend erforderliche Prüfung des Mangels an Verstandesreife des minderjährigen Kindes sowie seiner Aussagebereitschaft, auf der der gesetzliche Vertretungsausschluss gemäß § 52 Abs. 2 StPO beruht, ausschließlich der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht obliegt.

Der durch die Anordnung von Ergänzungspflegschaft zur Wahrnehmung des Zeugnisverweigerungsrechts verursachte Eingriff in das Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG gebietet zwar nicht die Prüfung der Voraussetzungen des gesetzlichen Vertretungsausschlusses - des Mangels an Verstandesreife und der Aussagebereitschaft des Kindes - durch das Familiengericht, setzt jedoch die diesbezügliche Prüfung seitens der Strafverfolgungsbehörde oder des Strafgerichts voraus (BVerfG FamRZ 2020, 1000; BGH FamRZ 2020, 1197). Das Familiengericht, das an das Prüfungsergebnis der Strafverfolgungsbehörde oder des Strafgerichts gebunden ist, kann in diesen Fällen auf die Bestellung eines Verfahrensbeistands für das betroffene Kind und die persönliche Anhörung der Beteiligten verzichten (BVerfG, a. a. O. Rn. 30; BGH a. a. O. Rn. 34, 35; Huber in BeckOK StPO, a. a. O. § 52 StPO Rn. 25). Dass eine derartige Prüfung vorliegend durch die zuständige Staatsanwaltschaft erfolgt ist, lässt...

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