Verfahrensgang
AG Neuruppin (Entscheidung vom 10.12.2019; Aktenzeichen 82.3 OWi 3424 Js-OWi 14238/19 (257/19) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in die Frist zur weiteren Begründung der Rechtsbeschwerde ist gegenstandslos.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 10. Dezember 2019 insgesamt aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Neuruppin zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Neuruppin hat mit Urteil vom 10. Dezember 2019 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Missachtens des Rotlichtes einer Wechsellichtzeichenanlage (Ampel) von über 1 Sekunde Dauer, was am ... 2018 gegen 14:50 Uhr in W..., L ..., ... Straße, Abschnitt ... bei km ... mit dem Pkw ... begangen worden sein soll, ein Bußgeld in Höhe von 300,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer von 1 Monat unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2a StVG angeordnet.
Das Hauptverhandlungsprotokoll wurde am 10. Dezember 2019 fertiggestellt.
Mit dem bei Gericht am 11. Dezember 2019 angebrachten Anwaltsschriftsatz legte der Betroffene gegen das amtsgerichtliche Urteil Rechtsbeschwerde ein; zugleich beantragte der Verteidiger die Übersendung einer Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls sowie Akteneinsicht.
Am 18. Dezember 2019 übersandte die Bußgeldrichterin die Akte und zugleich das Protokollurteil "gemäß § 41 StPO" (iVm. § 46 OWiG) der Staatsanwaltschaft Neuruppin, ohne dass ein mit Gründen versehenes Urteil zu den Akten gelangt ist. Zugleich verfügte die Bußgeldrichterin "austragen" und "WV bei Rechtsmittel spätestens nach 2 Wochen", obwohl sich die Rechtsbeschwerdeeinlegungsschrift vom 11. Dezember 2019 bereits bei den Akten befand.
Die Akten mit dem Protokollurteil sind am 27. Dezember 2019 bei der Staatsanwaltschaft Neuruppin eingegangen.
Mit Verfügung vom 30. Dezember 2019, eingegangen beim Amtsgericht Neuruppin am 2. Januar 2020 hat auch die Staatsanwaltschaft Neuruppin gegen das Urteil vom 10. Dezember 2019 Rechtsbeschwerde eingelegt.
Unter dem Datum des 7. Januar 2020 verfügte die Bußgeldrichterin:
"1. Nachricht von RM der StA an Verteidiger ./. per Fax /
2. WV. Sodann (Urteilsgründe!)"
Am 14. Januar 2020 ist das (nachträglich) mit Gründen versehene und von der Bußgeldrichterin unterschriebene Urteil vom 10. Dezember 2019 auf der Geschäftsstelle des Bußgeldgerichtes eingegangen.
Unter dem Datum des 25. Februar 2021 vermerkt die Bußgeldrichterin, dass die Akte "bedauerlicher Weise außer Kontrolle geraten" sei. Mit Verfügung vom 23. März 2021 hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin ihr Rechtmittel zurückgenommen.
Das mit Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen, dessen Vollmacht sich bei den Akten befand, am 5. März 2021 gegen Empfangsbekenntnis und (rechtfehlerhaft) am selben Tag auch dem Betroffenen gegen Zustellungsurkunde förmlich zugestellt. Weitere Anträge des Verteidigers auf Akteneinsicht vom 8. Juni 2020, 15. März 2021, 31. März 2021 sind vom Bußgeldgericht unbeachtet geblieben.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 30. März 2021, eingegangen beim Amtsgericht Neuruppin am 1. April 2021, hat der Betroffene sein Rechtsmittel begründet und neben Verfahrensrügen die Rüge der Verletzung materiellen Rechts erhoben. Mit Verfügung vom 7. April 2021 gewährte das Amtsgericht dem Betroffenen über seinen Verteidiger Akteneinsicht für die Dauer von 3 Tagen.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 19. April 2021 beantragte der Verteidiger Wiedereinsetzung in die Frist "zur Stellung der Rechtsbeschwerdeanträge und ihrer Begründung" und ergänzte die bereits mit Anwaltsschriftsatz vom 30. März 2021 erhobenen Rügen.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 27. Mai 2021 beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 19. April 2021 gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde wegen Erhebung weiterer Verfahrensrügen als gegenstandslos zu erklären und das Urteil des Amtsgerichts Neuruppin vom 10. Dezember 2019 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Neuruppin zurückzuverweisen.
II.
Der Senat folgt den Anträgen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist zur Ergänzung der Verfahrensrügen ist gegenstandslos. Hierzu führt die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 27. Mai 2021 wie folgt aus:
"Grundsätzlich kann zur Nachholung von Verfahrensrügen einer bereits formgerecht begründeten Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Anm. 7 zu § 44 StPO, 63. Auflage, 2020).
Ausnahmen gelten aber dann, wenn dies zur Wahrnehmung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unerlässlich erscheint. Dies ist auch der Fall, wenn der Be...