Verfahrensgang

LG Potsdam (Entscheidung vom 10.05.2021)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam - Kammer für Rehabilitierungsverfahren - vom 10. Mai 2021 aufgehoben, soweit der Rehabilitierungsantrag der Betroffenen hinsichtlich ihrer Unterbringung in einem Durchgangsheim sowie im Jugendwerkhof W... zurückgewiesen worden ist.

Die vorläufige Verfügung des Rates des Kreises N... - Referat Jugendhilfe - vom 24. Mai 1984 sowie der Beschluss des Rates des Kreises N... - Jugendhilfeausschuss - vom 4. Juli 1984 (46/1984), mit dem die Heimerziehung der Betroffenen im Jugendwerkhof angeordnet wurde, werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Die Betroffene hat in der Zeit vom 11. Juli 1984 bis zum 23. März 1986 sowie vom 1. September 1986 bis zum 9. Februar 1987 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten.

Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die im Rehabilitierungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I.

Die Betroffene begehrt die Rehabilitierung für ihre Unterbringung im Jugendheim M..., in einem Durchgangsheim sowie im Jugendwerkhof W.... Ausweislich der beigezogenen Jugendamtsakte war sie in der Zeit vom 30. August 1983 bis zum 11. Juli 1984 im Kinderheim "..." in M..., vom 11. bis zum 12. Juli 1984 im Durchgangsheim L... und ab dem 12. Juli 1984 im Jugendwerkhof "..." in W... untergebracht. Die Unterbringung im Jugendwerkhof wurde im Hinblick auf die bei der Betroffenen anstehenden Entbindung in der Zeit vor 23. März 1986 bis zum 1. September 1986 unterbrochen und zum 9. Februar 1987 beendet.

Das Landgericht Potsdam hat den Rehabilitierungsantrag durch Beschluss vom 10. Mai 2021 zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer auf eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Potsdam Bezug genommen. Danach sei der Antrag hinsichtlich der Unterbringung im Kinderheim M... unzulässig, weil dieser eine Erziehungsvereinbarung und keine behördliche Entscheidung zugrunde gelegen habe. Hinsichtlich der Unterbringung in einem Durchgangsheim hätten "keine Unterlagen vorgefunden werden können". Die Nichterweislichkeit anspruchsbegründender Tatsachen gehe zulasten der Betroffenen. Hinsichtlich der Unterbringung in einem Jugendwerkhof sei die Vermutungsregelung für eine Einweisung aus Gründen politischer Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken entkräftet, denn die Unterbringung sei im Einvernehmen mit dem Elternhaus, angesichts "schwerster erzieherischer Probleme" sowie einer Gefährdung der schulischen Entwicklung und Lehrausbildung der Betroffenen erfolgt.

Gegen diese Entscheidung hat die Betroffene "Widerspruch" eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Das gemäß § 13 Abs. 1 StrRehaG als Beschwerde statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.

1. Es führt hinsichtlich der Unterbringung im Durchgangsheim ... sowie im Jugendwerkhof ".." in W... zur Aufhebung der zugrunde liegenden vorläufigen Verfügung des Rates des Kreises N... - Referat Jugendhilfe - vom 24. Mai 1984 sowie des Beschlusses des Rates des Kreises N... - Jugendhilfeausschuss - vom 4. Juli 1984 und zur Rehabilitierung der Betroffenen.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat, für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG wird vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in Spezialheim oder vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand.

Die der Entscheidung zur Einweisung der Betroffenen in den Jugendwerkhof zu Grunde liegenden Umstände sind ausreichend geklärt. Sie rechtfertigen entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung nicht die Annahme, dass die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG geltende Vermutung für das Vorliegen sachfremder Zwecke widerlegt ist. Auch wenn es aktenkundig erhebliche Erziehungsschwierigkeiten und - auch ausweislich der Schilderung der Betroffenen in ihrer Rechtsmittelbegründung vom 3. Juni 2021 - gravierende Missstände im elterlichen Haushalt gab, ist nicht anzunehmen, dass eine Fortsetzung ihrer Unterbringung in dem Normalkinderheim oder einem Jugendwohnheim als mildere Maßnahme unter Fürsorgegesichtspunkten nicht geeignet und ausreichend gewesen wäre.

Dass Entscheidungen über Einweisungen in Spezialheime sich auf Erziehungsschwierigkeiten stützen, ermöglicht regelmäßig nicht die Feststellung, dass insoweit nicht auch andere als sachfremde Zwecke verfolgt wurden; angesichts der dem Konzept der Behandlung in den Spezialheimen zugrunde liegenden Methode der Umerziehung zur Anpassung an staatliche Normen setzt die Widerlegung der Vermutung für das Vorliegen sachfr...

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