Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrenskostenhilfe im Kindesschutzverfahren
Leitsatz (amtlich)
Die Erfolgsaussicht darf im Verfahren zur Überprüfung einer Entziehung der elterlichen Sorge (§§ 1696 II BGB, 166 II FamFG) nicht danach beurteilt werden, ob der Vortrag des Beteiligten geeignet ist, das von ihm angestrebte Verfahrensergebnis zu erreichen. Verfahrenskostenhilfe ist vielmehr schon dann zu bewilligen, wenn der Verfahrensgegenstand einen ernsthaften Anlass zu eingehender Überprüfung erkennen läßt und zu erwarten ist, der Beteiligte werde Tatsachenschilderungen und Rechtsansichten vortragen können, um seine Rechte geltendzumachen.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1696 Abs. 2; FamFG § 76 Abs. 1, § 166 Abs. 2; GG Art. 6 Abs. 2-3; ZPO § 114 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
AG Senftenberg (Aktenzeichen 32 F 52/16) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 21. Juli 2017 aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Senftenberg zurückverwiesen.
Gründe
Die Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache, damit das Amtsgericht die Hilfsbedürftigkeit der Antragstellerin selbständig und unter Erhaltung des Rechtszuges prüfen kann.
Die Rechtsverfolgung der Antragstellerin hat ausreichende Aussicht auf Erfolg (§§ 76 I FamFG, 114 I 1 ZPO). Die Erfolgsaussicht darf im Verfahren zur Überprüfung einer Entziehung der elterlichen Sorge (§§ 1696 II BGB, 166 II FamFG) nicht danach beurteilt werden, ob der Vortrag des Beteiligten geeignet ist, das von ihm angestrebte Verfahrensergebnis zu erreichen. Dieser in Streitsachen und in Antragsverfahren zutreffende Entscheidungsmaßstab wird den Besonderheiten eines Amtsverfahrens in Kindschaftssachen nicht gerecht. Verfahrenskostenhilfe ist vielmehr schon dann zu bewilligen, wenn der Verfahrensgegenstand einen ernsthaften Anlass zu eingehender Überprüfung erkennen läßt und zu erwarten ist, der Beteiligte werde Tatsachenschilderungen und Rechtsansichten vortragen können, um seine Rechte geltendzumachen (vgl. Senatsbeschl., FamRZ 2017, 310 zum Umgangsausschluss).
Die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge (§ 1666 III Nr. 6 BGB) ist, erst recht, wenn sie mit dem Ergebnis der Familientrennung angeordnet worden ist, der schwerste hoheitliche Eingriff in die Grundrechte des Kindes und der Eltern (Art. 6 II, III GG, 27 II VerfBbg) zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung (BVerfGE 60, 79, 91; BVerfG, FamRZ 2014, 1270, Abs. 18; 2014, 1266 Abs. 29; 2014, 907 Abs. 15). Andauernd wirksame Maßnahmen wie die Entziehung der elterlichen Sorge oder die Trennung des Kindes von den Eltern bedürfen der dauernden Rechtfertigung. Sobald eines der Tatbestandsmerkmale der Eingriffsbefugnis nicht mehr gegeben ist, ist er zu beenden (§ 1696 Abs. 2) (BVerfG, FamRZ 2016, 154, Abs. 14 ff.; BGH, NJW 2016, 3303, Abs. 11). Das gilt gerade, wenn der angeordnete Eingriff in das Elternrecht oder die begleitenden, unterstützenden Maßnahmen ihre erhoffte günstige Wirkung entfaltet haben (BbgOLG, 1. FamS, FamRZ 2014, 399). Aber auch bei fortdauernder Erfüllung des Eingriffstatbestandes unterscheiden sich die weiteren Anforderungen, die an die anfängliche Anordnung des Eingriffs zu stellen sind, von denen an dessen Aufrechterhalten. Je länger ein Grundrechtseingriff dauert, desto höher werden die Anforderungen an seine Verhältnismäßigkeit. Die Schwere des Eingriffs wird - neben anderem - durch seine Dauer bestimmt, so dass ein lang andauernder Eingriff nur durch ein entsprechend schwergewichtiges Schutzbedürfnis gerechtfertigt werden kann, das anhand des Gewichts des geschützten Rechtsguts und des Ausmaßes der Gefahr zu beurteilen ist, die ohne den fortdauernden Eingriff einträte.
Das Verfahren zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung kann von Amts wegen begonnen werden. Eines Antrages eines Beteiligten bedarf es nicht (§ 1666 I BGB). Gelangt dem Familiengericht ein Regelungsbedürfnis zur Kenntnis, hat es ein Verfahren zu beginnen. Die Anordnung einer andauernden kindesschutzrechtlichen Maßnahme ist von Amts wegen regelmäßig zu überprüfen (§§ 1696 II BGB, 166 II FamFG). Das Familiengericht hat sowohl im Anordnungs- als auch im Überprüfungsverfahren ohne Bindung an etwa formulierte Anträge der Beteiligten die zur Beurteilung einer Kindeswohlgefährdung maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln (§§ 26, 29, 159, 160 I FamFG) und eine Entscheidung zu treffen, die einer festgestellten Kindeswohlgefährdung wirksam begegnet und dabei eine Konkordanz der verschiedenen Grundrechte erreicht, indem sowohl die Grundrechtspositionen der Eltern als auch die Individualität des Kindes als Grundrechtsträger berücksichtigt werden.
Das Familiengericht muss sich deshalb bei der Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe besondere Zurückhaltung bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung (§§ 76 I FamFG, 114 I 1 ZPO) der am Verfahren beteiligten Grundrechtsträger auferlegen. Das Gerich...