Leitsatz (amtlich)

Eine Jugendamtsurkunde nach §§ 59, 60 SGB VIII stellt einen Unterhaltstitel dar, der durch Errichtung einer neuen Urkunde nicht abgeändert werden kann. Allein möglich ist eine Abänderung im gerichtlichen Verfahren, wie es bezüglich Jugendamtsurkunden bis zum 31.8.2009 in § 323 Abs. 4 ZPO und seit dem 1.9.2009 in § 239 FamFG vorgesehen ist.

 

Normenkette

FamFG § 239

 

Verfahrensgang

AG Eisenhüttenstadt (Beschluss vom 26.03.2015; Aktenzeichen 3 F 19/15)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Die gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Antragsgegnerin kann Verfahrenskostenhilfe aus den vom AG angeführten Gründen nicht vollständig versagt werden.

Der Antragsteller begehrt mit seinem Vollstreckungsabwehrantrag, die Zwangsvollstreckung aus der am 22.12.1998 vor dem Jugendamt... zur Urkunden-Nr. UR 866/1998 errichteten Urkunde ab dem Jahr 2007 für unzulässig zu erklären. Diesem Antrag ist die Antragsgegnerin insbesondere unter Hinweis darauf entgegen getreten, dass entgegen dem Vorbringen des Antragstellers der Unterhaltsanspruch weder verjährt noch verwirkt sei. Durch den angefochtenen Beschluss hat das AG die Rechtsverteidigung als nicht erfolgversprechend angesehen und dabei darauf hingewiesen, dass die Urkunde vom 22.12.1998 durch die Urkunde des Jugendamtes vom 23.1.2001 (Urkunden-Register-Nr. 99/2001) abgeändert worden sei, so dass eine Vollstreckung aus der Urkunde aus dem Jahr 1998 nicht mehr möglich sei. Diese Auffassung ist unzutreffend. Eine Jugendamtsurkunde nach §§ 59, 60 SGB VIII stellt einen Unterhaltstitel dar, der durch Errichtung einer neuen Urkunde nicht abgeändert werden kann (Prütting/Helms/Bömelburg, FamFG, 3. Aufl., § 239 Rn. 20). Allein möglich ist eine Abänderung im gerichtlichen Verfahren, wie es bezüglich Jugendamtsurkunden bis zum 31.8.2009 in § 323 Abs. 4 ZPO und seit dem 1.9.2009 in § 239 FamFG vorgesehen ist (vgl. zu dem bis zum 31.8.2009 geltenden Recht OLG Brandenburg, 1. Familiensenat, Beschluss vom 12.10.2005 - 9 UF 108/05, BeckRS 2006, 04778). Mithin ist eine Stattgabe des Vollstreckungsabwehrantrages bezüglich der Jugendamtsurkunde aus dem Jahr 1998 nicht allein mit dem formalen Argument, diese Urkunde sei durch weitere Urkunde aus dem Jahr 2001 abgeändert worden, möglich.

Erfolgsversprechend ist die Rechtsverteidigung der Antragsgegnerin aber nur, soweit sie sich gegen die Vollstreckungsabwehrklage für Unterhaltsrückstände aus der Zeit von Oktober 2012 bis März 2013 wendet.

Gegenstand des Vollstreckungsauftrags der Antragsgegnerin ist unstreitig der Zeitraum von März 2007 bis März 2013. Soweit es den Unterhalt bis einschließlich September 2012 betrifft, ist auch bei der im Verfahren der Verfahrenskostenhilfe gebotenen summarischen Betrachtung davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin ihren Unterhaltsanspruch wegen nicht zeitnaher Geltendmachung gemäß § 242 BGB verwirkt hat.

Beim Unterhalt sind an das für eine Verwirkung erforderliche Zeitmoment keine großen Anforderungen zu stellen. Das Zeitmoment kann bereits für Zeitabschnitte, die mehr als ein Jahr vor Rechtshängigkeit der Klage oder einem erneuten Tätigwerden liegen, bejaht werden (BGH, FamRZ 1988, 370, 372 f.; FamRZ 2007, 453 Rn. 22). Da ein Unterhaltsanspruch nicht verwirkt sein kann, bevor er überhaupt fällig geworden ist, müssen gegebenenfalls die in Frage kommenden Zeitabschnitte gesondert betrachtet werden (BGH, FamRZ 1988, 370).

Vorliegend ist nach dem Vorbringen im Schriftsatz vom 11.3.2015 davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin den Antragsteller zur Zahlung von Unterhaltsrückständen für den genannten Zeitraum erstmals mit Schreiben vom 12.9.2013 aufgefordert hat. Das Zeitmoment von mehr als einem Jahr ist somit für alle Unterhaltsansprüche bis einschließlich September 2012 erfüllt. Der Unterhalt für Oktober 2012 hingegen ist erst in einem Monat fällig geworden, für den das Zeitmoment erst nach der Aufforderung vom 12.9.2013 erfüllt wäre.

Beim Umstandsmoment kommt es darauf an, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete nach Treu und Glauben darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass der Unterhaltsberechtigte sein Recht nicht mehr geltend machen werde (BGH, FamRZ 1988, 370, 373). Da von einem Unterhaltsgläubiger, der lebensnotwendig auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen zu erwarten ist, dass er sich zeitnah um die Durchsetzung des Anspruchs bemüht (vgl. BGH, a.a.O.), darf der Unterhaltsschuldner, wenn das Verhalten des Unterhaltsgläubigers den Eindruck erweckte, in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig zu sein, davon ausgehen, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Soweit es im Umstandsmoment auch darauf ankommt, inwieweit sich der Unterhaltsverpflichtete tatsächlich da...

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