Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfall mit Sonderrechtsfahrzeugen - "Hineintasten" in eine Kreuzung
Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 27.04.2009; Aktenzeichen 12 O 113/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Frankfurt/O. vom 27.4.2009 - 12 O 113/08, wie folgt abgeändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.381,06 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.7.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin und der Beklagte haben die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Berufung jeweils zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 14.1.2008 gegen 21.40 Uhr auf der Kreuzung der Bundesstraße B.8 mit der Bundesstraße B.7 mit einem Feuerwehreinsatzfahrzeug ereignete, dessen Halter der Beklagte war. Das Feuerwehrfahrzeug war mit eingeschaltetem Blaulicht bei rotem Ampellicht in die Kreuzung eingefahren und mit dem Fahrzeug der Klägerin kollidiert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, das Einsatzfahrzeug sei zwar bei roter Ampel in die Kreuzung eingefahren, der Fahrzeugführer habe sich jedoch auf Sonderrechte nach §§ 35, 38 Abs. 1 StVO berufen können. Es stehe aufgrund der Beweisaufnahme fest, dass das Fahrzeug zu einem Einsatz unterwegs gewesen sei. Ebenso sei bewiesen, dass das Martinshorn und das Blaulicht seit der Abfahrt vom Gerätehaus eingeschaltet gewesen seien. Außerdem stehe fest, dass sich der Fahrer des Einsatzfahrzeuges vorsichtig in den Kreuzungsbereich hinein getastet habe. Auf dieser Tatsachengrundlage komme eine Haftung des Beklagten nicht in Betracht, weil der Fahrzeugführer unter Inanspruchnahme von Sonderrechten gem. §§ 35, 38 StVO von den Vorschriften der StVO befreit gewesen sei.
Mit der Berufung rügt die Klägerin eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung. Sowohl aus der Aussage des Führers des Einsatzfahrzeuges, der eine Geschwindigkeit von 10 - 20 km/h angegeben habe, als auch aus dem auf den Lichtbildern dokumentierten Zustand der Unfallfahrzeuge ergebe sich, dass sich das Einsatzfahrzeug nicht in die Kreuzung hineingetastet haben könne. Das LG habe auch nicht berücksichtigt, dass die Sicht der Klägerin auf das Feuerwehrfahrzeug durch Büsche und Bäume am Straßenrand beeinträchtigt gewesen sei. Weiter rügt sie, dass das LG dem Beklagten zwar ein "Hineintasten" zugute gehalten, jedoch keine Festlegung dazu getroffen habe, bei welcher Geschwindigkeit dies überhaupt anzunehmen sei. Schließlich rügt die Klägerin, dass das LG ihrem Beweisantritt auf Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens zur Feststellung der Kollisionsgeschwindigkeiten nicht nachgegangen sei.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten abändernd zu verurteilen, an sie
1. 8.762,12 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.7.2008 und
2. weitere 718,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.7.2008 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und die Beweiswürdigung des LG.
Der Senat hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 24.11.2009 durch Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. vom 15.3.2010.
II. Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg.
1) Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der Hälfte ihrer bei dem Verkehrsunfall vom 14.1.2008 entstandenen materiellen Schäden aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 17 StVG. § 7 StVG steht selbständig neben dem Amtshaftungsanspruch und wird durch § 839 BGB nicht verdrängt (vgl. BGH NJW 1991, 1171).
a) Der Unfall hat sich i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG bei dem Betrieb des Feuerwehrfahrzeugs ereignet, dessen Halter der Beklagte war. Die Haftung des Beklagten ist nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, denn der Unfall war nicht durch höhere Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG verursacht.
b) Die Haftung des Beklagten ist auch nicht nach § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG ausgeschlossen, denn der Unfall ist nicht durch ein für den Fahrer des Einsatzfahrzeuges unabwendbares Ereignis verursacht worden. Der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat nicht bewiesen, dass der Fahrer des Feuerwehrfahrzeugs jede nach den Umständen des Einzelfalls erforderliche Sorgfalt beobachtet hat.
Im Ergebnis der durch das LG durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass das Feuerwehrfahrzeug zur Unfallzeit Sonderrechte nach §§ 35 und 38 StVO in Anspruch nahm. Die Feststellung des LG, dass sich das Feuerwehrfahrzeug auf einer Einsatzfahrt befand, greift die Klägerin nicht an, so dass sie zugrunde zu legen ist. Die Feststellung de...