Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Kollision eines Linksabbiegers mit einem entgegenkommenden Fahrzeug in dessen Fahrbahn spricht der Beweis des ersten Anscheins für einen schuldhaften Verkehrsverstoß des Linksabbiegers. Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises ist jedoch anzunehmen, wenn der Linksabbieger darlegt und beweist, dass er sich beim Abbiegen pflichtgemäß verhalten hat. Hierzu genügt es, wenn Tatsachen nachgewiesen werden, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit ergibt, dass der Vorfahrtsberechtigte bei Beginn des Abbiegemanövers für den Wartepflichtigen noch nicht sichtbar gewesen ist.
2. Ist die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als nur durch eine Vorfahrtsverletzung des Linksabbiegers zu erklärenden Geschehensablaufes gegeben und der gegen den Linksabbieger sprechende Anscheinsbeweis erschüttert, während zu Lasten des Vorfahrtberechtigten eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 10 km/h nachgewiesen ist, ist eine Haftungsverteilung von 50 % zu 50 % angemessen.
3. Bei einer Oberschenkelfraktur mit Gelenkbeteiligung im linken Knie, einer Unterschenkelfraktur rechts, einer Ulnafraktur rechts, einer distalen Radiusextensionsfraktur mit Handgelenksbeteiligung links, einer Mittelhandknochenfraktur rechts, Thorax- und Pneumothoraxprellungen, einer HWS-Distorsion sowie einer Prellung des rechten Vorderfußes ist unter Berücksichtigung einer Mithaftung i.H.v. 50 % ein Schmerzensgeld von 15.000 EUR angemessen.
4. Eine Schmerzensgelderhöhung aus dem Grunde einer verzögerten Regulierung ist nicht schon dann anzunehmen, wenn sich der Versicherer auf einer Zahlungsverpflichtung entgegenstehende Umstände beruft, die er letztlich im Rechtsstreit nicht beweisen kann.
Normenkette
StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1; StVG § 18 Abs. 1; StVG § 11; PflVG a.F. § 3 Nr. 1; StVO § 3 Abs. 3, § 9 Abs. 3 S. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 253 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Neuruppin (Urteil vom 09.01.2009; Aktenzeichen 2 O 452/06) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 9.1.2009 verkündete Teil- und Grundurteil der 2. Zivilkammer - Einzelrichter - des LG Neuruppin, Az.: 2 O 452/06, teilweise abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 15.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 9.6.2005 als Gesamtschuldner zu zahlen.
Die Klage ist hinsichtlich der Klageanträge zu 2. und 3. - bezifferte materielle Schadensersatzansprüche - dem Grunde nach auf der Grundlage einer Mithaftung des Klägers i.H.v. 50 % gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 5.9.2004 auf der L 141 zwischen Neustadt/Dosse und Neuendorf in Höhe des Abzweigs nach Plänitz unter Berücksichtigung einer Mithaftung des Klägers von 50 % als Gesamtschuldner zu erstatten, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.
Im Übrigen wird die Klage betreffend den Schmerzensgeldantrag und den Feststellungsantrag abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Anschlussberufung des Klägers werden zurückgewiesen.
Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger ¾ und die Beklagten ¼ zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Jede Partei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des auf Grund des Urteils vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kl. befuhr mit dem in seinem Eigentum stehenden Motorrad am 5.9.2004 die L. in Richtung N. Im Bereich des Abzweiges in Richtung Pl. kam es zu einem Zusammenstoß mit dem von dem Bekl. zu 1. geführten Pkw, der im Eigentum der Bekl. zu 2. stand und bei der Bekl. zu 3. haftpflichtversichert war. Der von dem Bekl. zu 1. geführte Pkw zog einen Anhänger mit einem aufgeladenen Fahrrad und wollte nach links abbiegen, der Zusammenstoß ereignete sich im Bereich des entgegenkommenden Kreuzungsverkehrs. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug aus der Fahrtrichtung des Kl. 80 km/h. Bei dem Unfall wurde eine Insassin des von dem Bekl. zu 1. geführten Pkw tödlich verletzt.
Der Kl. erlitt bei dem Unfall u.a. eine Oberschenkelfraktur mit Gelenkbeteiligung im linken Knie, eine Unterschenkelfraktur rechts, eine Ulnafraktur rechts, eine distale Radiusextensionsfraktur mit Handgelenksbeteiligung links, eine Mittelhandknochenfraktur rechts, Thorax- und Pneumothoraxprellungen, eine HWS-Distorsion sowie eine Prellung des rechten Vorderfußes. Er musste sich viermal in stationärer Behandlung begeben und eine Reha-Maßnahme durchführen. Er war knapp ein Jahr arbeitsunfähig und ist dauerhaft in seiner körperlichen Beweglichkeit mit einem Grad der Behinderung von 30 % eingeschränkt. Unfallbedingt kann er zukünftig we...