1 Leitsatz
Maßstab zur Beurteilung des zulässigen Störgrades in einem Mischgebiet ist immer das Störpotential der einzelnen Nutzungen. Subjektive Lebenseinstellungen der Nachbarn, etwa moralische Wertungen, sind kein Maßstab der baurechtlichen Beurteilung.
2 Normenkette
§ 34 Abs. 2 BauGB, § 6 Abs. 1 BauNVO
3 Das Problem
In dem Verfahren ging es um die Zulässigkeit sog. Terminwohnungen, die für eine prostitutive Nutzung vermietet wurden, in einem Wohnhaus. Das Wohnhaus liegt in einem Gebiet, das nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1 BauNVO als Mischgebiet zu klassifizieren ist. Gegen diese Nutzung klagten Nachbarn, die sie als Störung ihrer subjektiven Lebenseinstellung betrachteten. Die Nutzung als Terminwohnungen zur Prostitution verändere den Charakter ihres Wohnhauses und schaffe ein anderes Milieu. Das führe zu einer schweren Beeinträchtigung ihrer subjektiven Lebenseinstellung.
Die Nachbarn konnten aber keine konkreten Störungen, etwa in Form von Störungen der Nachtruhe oder von lärmendem Zugangsverkehr darlegen.
4 Die Entscheidung
Zulässige Bauvorhaben in einem Mischgebiet können nach § 6 BauNVO sowohl die Wohnnutzung als auch die Unterbringung von Gewerbebetrieben sein. Die Gewerbebetriebe dürfen aber das Wohnen nicht wesentlich stören. Das Bundesverwaltungsgericht weist einleitend darauf hin, dass das Mischgebiet durch ein gleichwertiges und gleichgewichtiges Nebeneinander von Wohnnutzung und Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören, gekennzeichnet ist. Das Nebeneinander zweier Nutzungsarten setzt wechselseitige Rücksicht der einen Nutzung auf die andere und deren Bedürfnisse voraus. Die von gebietstypischen Gewerbebetrieben ausgehenden Störungen sind in der Regel hinzunehmen. Eine Wohnruhe wie im allgemeinen oder gar im reinen Wohngebiet kann nicht erwartet werden.
Das im Mischgebiet zumutbare Maß an Störungen wird durch eine eingeschränkt typisierende Betrachtungsweise festgelegt. Bei prostitutiven Einrichtungen knüpft die Typisierung an die beeinträchtigenden Auswirkungen der Betriebe an, die dem städtebaulich zu verstehenden Begriff der milieubedingten Unruhe zuzuordnen sind. Solche Störungen setzten voraus, dass der Betrieb nach außen – in welcher Form auch immer – in Erscheinung tritt. Es kommt dabei auf die äußeren Einwirkungen auf die Wohnnutzung an. Die besondere Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Wohnung folgt daraus, dass sie die persönliche Lebenssphäre der Bewohner in ihrem räumlich gegenständlichen Bereich mit der auf Dauer angelegten Häuslichkeit, sowie der Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises schützt. Subjektive Lebenseinstellungen in dem Sinne, dass etwa moralische Wertungen als solche zum Maßstab der baurechtlichen Beurteilung werden, können dagegen nicht berücksichtigt werden.
Die Nutzung einer sog. Terminwohnung für Zwecke der Prostitution hat sicherlich Einfluss auf das Gesamtbild des Wohnhauses. Die dadurch möglicherweise für die Bewohner der anderen Wohnungen im gleichen Haus einhergehenden Beeinträchtigungen ihrer Wohnsituation sind aber baurechtlich nicht relevant. Das allgemeine Bauplanungsrecht kann keinen "Milieuschutz" gewährleisten. Ein solcher würde sich auf die Abwehr einer Wohnnutzung wegen der Zusammensetzung der Bewohner und der daraus folgenden Wohnimmissionen beziehen. Das Gesetz stellt aber lediglich auf das konkrete Störpotenzial der Gewerbebetriebe in einem Mischgebiet ab. Dieses darf nicht zu einer wesentlichen Störung des Wohnens führen.
5 Entscheidung
BVerwG, Beschluss v. 19.2.2024, 4 B 21.23