Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer hatte als notwendiger Verteidiger (§ 140 Abs. 2 StPO) einen Angeklagten vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – vertreten. Die Hauptverhandlung umfasste sieben Verhandlungstage mit einer Gesamtdauer von 13 Stunden und 47 Minuten; die Dauer der einzelnen Termine lag zwischen 17 Minuten und 4 Stunden 25 Minuten. Seinen Antrag, nach vorheriger Erstattung von Pflichtverteidigergebühren, Reisekosten, Abwesenheitsgeld und sonstigen Auslagen eine weitere Pauschalvergütung nach § 99 BRAGO wegen des besonderen Umfangs der Sache festzusetzen, lehnte das Oberlandesgericht ab. Mit seiner dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG, weil ihm diese Entscheidung in Anbetracht der notwendigen Vorbereitung und der einstündigen Fahrtzeit vom Kanzleisitz zum Gerichtsort ein unzumutbares Sonderopfer abverlange.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG) noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG), denn sie ist unbegründet.
1. a) Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Der vom Gerichtsvorsitzenden ausgewählte und beigeordnete Rechtsanwalt darf die Übernahme der Verteidigung nicht ohne wichtigen Grund ablehnen (§ 49 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 BRAO), sondern muss – gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer beruflicher Interessen – die ihm übertragene Verteidigung führen. Ein Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers ist ebenfalls nur aus wichtigem Grund zulässig (vgl. BVerfGE 39, 238 ≪244≫ m.w.N.). Zudem hat der Pflichtverteidiger im Gegensatz zum gewählten Verteidiger stets und ununterbrochen an der Verhandlung teilzunehmen. Im Übrigen weist die Strafprozessordnung dem Pflichtverteidiger die gleichen Aufgaben wie dem Wahlverteidiger zu (vgl. BVerfGE 68, 237 ≪253 f.≫).
b) Verfassungsrechtlich ist ebenfalls geklärt, dass dieser Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung bei der Bestellung von Pflichtverteidigern und der sich daraus ableitenden kostenrechtlichen Folge ausreichenden Gründen des Gemeinwohls, nämlich der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, dient (vgl. BVerfGE 39, 238 ≪241 f.≫). Daher ist die in § 97 BRAGO enthaltene Begrenzung des Vergütungsanspruchs der Pflichtverteidiger durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist. In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne dass er sich dieser Belastung entziehen könnte, gewinnt die Höhe des Entgelts für ihn existenzielle Bedeutung. Eine Verteidigung zu den verkürzten Gebühren des § 97 BRAGO könnte dann dem Pflichtverteidiger ein unzumutbares Opfer abverlangen. Das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet für solch besondere Fallgestaltungen eine Regelung, die es, wie § 99 BRAGO (und seit dem 1. Juli 2004 § 51 RVG), ermöglicht, der aufgezeigten Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten (vgl. BVerfGE 47, 285 ≪321 f.≫; 68, 237 ≪255≫), um ein angemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität sicherzustellen (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪347≫).
Art. 12 GG verlangt deshalb auch, dass bei der im Interesse des Gemeinwohls an einer Einschränkung des Kostenrisikos vorgenommenen Begrenzung des Auslagenerstattungsanspruchs eines Pflichtverteidigers die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt wird; daher darf die Nichtgewährung von Reisekosten nicht dazu führen, dass seine Gebühren aus der Verteidigertätigkeit vollständig aufgezehrt werden (vgl. die Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 2002 – 2 BvR 2099/01 –, veröffentlicht in NJW 2003, S. 1443 und vom 24. November 2000 – 2 BvR 813/99 –, veröffentlicht in NJW 2001, S. 1269 sowie in NStZ 2001, S. 211).
2. Hieran gemessen ist die Versagung der Pauschgebühr durch das Oberlandesgericht mit dem Grundgesetz vereinbar, weil sie keine sachfremden Erwägungen erkennen lässt, den Bedeutungsgehalt des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit nicht verkannt hat und die Grenze der kostenrechtlichen Zumutbarkeit wahrt.
a) Die angegriffene Entscheidung entspricht den von den Fachgerichten zur Auslegung des § 99 BRAGO entwickelten Grundsätzen. Ob eine besonders umfangreiche Sache vorliegt, bemisst sich aufgrund objektiver Gesamtumstände nach dem zeitlichen Aufwand der Verteidigertätigkeit. Dabei sind die Dauer und die Anzahl der einzelnen Verhandlungstage, die Terminsfolge, die Gesamtdauer der Hauptverhandlung, der Umfang und die Komplexität des Verfahrensstoffes sowie das Ausmaß der vom Verteidiger wahrgenommenen weiteren Tätigkeiten wie etwa die Durchführung von Mandantenbesprechungen, die Teilnahme an Haftprüfungen, polizeilichen Vernehmungen und Anhörungen von Sachverständigen, das Führen einer umfangreichen Korrespondenz sowie die Wahrnehmung von sonstigen Gesprächsterminen von Bedeutung (vgl. Madert, in: Gerold/Schmidt/von Ecken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 15. Aufl. 2002, § 99, Rn. 3; Hansens, BRAGO, 8. Aufl., 1995, § 99, Rn. 4; sowie für die Folgeregelung des § 51 RVG Madert, in: Gerold/Schmidt/von Ecken/Madert/Müller-Raabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2004, § 51, Rn. 13 ff.; Hartung, in: Hartung/Römermann, Praxiskommentar zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2004, § 51, Rn. 16; AnwK-RVG/Schneider, 2. Aufl., 2004, § 51, Rn. 19 ff.; Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 1. Aufl., 2004, S. 689 ff.). Hinsichtlich der Dauer der einzelnen Verhandlungstage ist für Verfahren vor Amtsgerichten jedenfalls dann ein überdurchschnittlicher Umfang angenommen worden, wenn sich die Sitzung über mehr als fünf Stunden erstreckt hat (vgl. Thüringisches Oberlandesgericht, StV 1997, S. 427; OLG Dresden bei Kotz, NStZ-RR 2001, S. 289 ≪292≫; Madert, in: Gerold/Schmidt/von Ecken/Madert/Müller-Raabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2004, § 51, Rn. 18; Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 1. Aufl., 2004, S. 689); in einer Dauer von fünf Stunden hat auch der Gesetzgeber eine maßgebliche Schwelle gesehen (vgl. Nm. 4110, 4116, 4122, 4128, 4134 des Vergütungsverzeichnisses zu dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Rechtsanwaltsvergütungsgesetz). Die Anzahl der Hauptverhandlungstage kann mit deren durchschnittlicher Dauer in Beziehung gesetzt werden (vgl. OLG Dresden, StV 1998, S. 619; OLG Brandenburg, StV 1998, S. 92; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, SchlHA 1995, S. 38; OLG Bamberg, Juristisches Büro 1989, S. 965 ≪966≫), zumal dem notwendigen Verteidiger für jeden dieser Hauptverhandlungstage eine Terminsgebühr vergütet wird (vgl. OLG Bamberg, Juristisches Büro 1988, S. 1347; Madert, in: Gerold/Schmidt/von Ecken/Madert/Müller-Raabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 2004, § 51, Rn. 18; AnwK-RVG/Schneider, 2. Aufl., 2004, § 51, Rn. 29).
b) Von diesen Grundsätzen der fachgerichtlichen Rechtsprechung zu § 99 BRAGO, die generell einen angemessenen Ausgleich zwischen dem anwaltlichen Erwerbsinteresse und dem mit dem Instrument der Pflichtverteidigung verfolgten Belangen des Gemeinwohls ermöglichen, ist das Oberlandesgericht nicht in einer die Grundrechte des Beschwerdeführers verletzenden Weise abgewichen. Es hat in der angegriffenen Entscheidung ersichtlich auf den vom Beschwerdeführer erbrachten Gesamtaufwand abgestellt. Dabei war es hier von Verfassungs wegen nicht daran gehindert, die Anzahl der Verhandlungstage mit deren durchschnittlicher Dauer in Beziehung zu setzen. Auch hat der Beschwerdeführer keinen überdurchschnittlichen Vorbereitungsaufwand dargetan; ebenso wenig ist eine besondere Belastung aus der Terminsfolge (die Verhandlungen fanden nicht öfter als an zwei Tagen in der Woche statt), dem Aktenumfang von insgesamt 176 Blatt oder dem Verfahrensgegenstand ersichtlich. Der Beschwerdeführer hat in dieser Angelegenheit, bei der es sich um keine Haftsache handelte, schließlich keine übermäßige, nicht durch die Erstattung der Terminsgebühren abgegoltene Belastung aufgrund sonstiger Umstände dargelegt.
Eine Grundrechtsverletzung folgt hier auch nicht daraus, dass das Oberlandesgericht bei der Prüfung des Anspruchs des Beschwerdeführers dessen Fahrtzeiten nicht berücksichtigt hat. Eine grundrechtswidrige Verkürzung seines Anspruchs auf Auslagenerstattung scheidet aus, weil er die erforderlichen Reisekosten und Abwesenheitsgelder erhalten hat. Ob allein die Nichtberücksichtigung des erforderlichen Zeitaufwands für die Anreise zum Gerichtsort bei der Bemessung des Umfangs der Sache nach § 99 BRAGO zu einer Überschreitung der von Verfassungs wegen zu beachtenden Zumutbarkeitsgrenze führen kann und unter welchen Voraussetzungen dies im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung anzunehmen wäre, braucht hier in Anbetracht der Umstände des Einzelfalles nicht entschieden zu werden. Denn die durch Reisezeiten bedingte zusätzliche Belastung des Beschwerdeführers konnte hier schon aufgrund der nicht außergewöhnlichen Fahrtzeit von höchstens einer Stunde nicht erheblich ins Gewicht fallen, zumal seine durchschnittliche Inanspruchnahme pro Verhandlungstag auch bei Einrechnung der An- und Abreise das übliche Maß noch nicht überschritten hätte und auch die Kompensation der höheren Anzahl der Verhandlungstage weiterhin nicht ausgeschlossen gewesen wäre.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1315632 |
NJW-Spezial 2005, 281 |