Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 23.09.2013; Aktenzeichen 33i StVK 703/13) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 23. September 2013 – 33i StVK 703/13 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird an das Landgericht Aachen zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer ist in der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Aachen untergebracht. Telefone, die die Untergebrachten benutzen können, befinden sich dort allein in den Abteilungsbüros. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens im Sommer 2013, in dem der Beschwerdeführer beantragt hatte, Telefongespräche mit seinem Rechtsanwalt ohne Mithören durch Vollzugsbedienstete führen zu können, erklärte die Justizvollzugsanstalt, dass derzeit geplant werde, zusätzliche Telefone auf den Abteilungen zu installieren, was aufgrund nötiger baulicher Veränderungen noch Zeit in Anspruch nehme. Um dem Rechtsanspruch der Untergebrachten auf unüberwachte Telefonate insbesondere mit ihren Verteidigern auch in der Zwischenzeit so weit wie möglich gerecht zu werden, solle zukünftig derart verfahren werden, dass die zuständigen Abteilungsbeamten im Falle von Telefonaten der Untergebrachten mit ihrem Verteidiger das Abteilungsbüro verlassen und die Tür schließen würden, so dass keine akustische Überwachung möglich sei. Der betreffende Beamte werde sich dann vor dem Büro aufhalten und optischen Sichtkontakt zu dem Telefonierenden halten, was aus Gründen der Sicherheit und Ordnung erforderlich sei, um unbefugte Handlungen in den Büros zu unterbinden.
2. Anfang September 2013 wurde gegen den Beschwerdeführer ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Daraufhin beantragte er zweimal bei der Justizvollzugsanstalt, entsprechend den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt im früheren Gerichtsverfahren ein Gespräch mit seinem Rechtsanwalt im Abteilungsbüro ohne anwesenden Vollzugsbediensteten führen zu können, wobei er mit einem Antrag darauf hinwies, dass es auch um das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren gehe. Diese Anträge wurden abgelehnt, und der Beschwerdeführer wurde auf die Möglichkeit verwiesen, mit dem Telefon aus dem Abteilungsbüro auf dem Gang zu telefonieren. Dies lehnte der Beschwerdeführer ab.
Am 5. September 2013 beantragte er gemäß § 114 StVollzG beim Landgericht, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Voraussetzungen für ungestörte unüberwachte Telefongespräche mit seinem Rechtsanwalt zu schaffen, so dass Vertraulichkeit gewährleistet sei und er, der Beschwerdeführer, sitzen und sich Notizen machen könne. Dies sei nur im Abteilungsbüro möglich, in dem Möglichkeiten des Missbrauchs nicht bestünden; die Schränke seien abschließbar, der Computer passwortgeschützt. Zur weiteren Begründung fügte der Beschwerdeführer seinem Antrag die Abschrift eines früheren Schreibens an das Landgericht bei, in dem er darauf hingewiesen hatte, dass auf dem Gang ein Telefonat nicht möglich sei. Weil sich dort immer viele Untergebrachte befänden, sei „die umliegende Gesprächskulisse permanent sehr hoch” und ein vertrauliches Telefonat ausgeschlossen.
Die Justizvollzugsanstalt führte in ihrer Stellungnahme aus, gegen die im früheren Gerichtsverfahren dargestellte Verfahrensweise sei nach kurzzeitiger Anwendung der berechtigte Einwand erhoben worden, dass sie unter anderem eine Gefahr für Sicherheit und Ordnung darstelle. Dass Untergebrachte die zuständigen Vollzugsbediensteten aus ihren Büros verdrängen könnten, habe die Autorität der jeweiligen Amtsperson erheblich untergraben; infolgedessen hätten sich Probleme im Umgang der Untergebrachten mit Vollzugsbediensteten ergeben. Außerdem bestehe die begründete Gefahr, dass die Untergebrachten die in den Büros zur Verfügung stehenden Medien (Telefon, Rufanlage, Hausalarme) zweckentfremdeten und sich im Büro verschanzten, was durch ein Verrücken von Möbelstücken relativ schnell möglich sei. Auch würden im Büro Informationen über andere Untergebrachte, Postsendungen, aber auch eingezogene gefährliche Gegenstände wie selbsthergestellter Alkohol, Waffen oder Mobiltelefone aufbewahrt. Den Untergebrachten sei daher die Möglichkeit eröffnet worden, die Nummer ihres Verteidigers in Anwesenheit eines Bediensteten zu wählen und sodann mit dem schnurgebundenen Telefon vor das Abteilungsbüro zu gehen, um dort ohne akustische Überwachung mit ihrem Verteidiger zu telefonieren. Diese Möglichkeit hätte der Beschwerdeführer auch nutzen können. Vor dem Büro könnten die Untergebrachten auf einem der auf dem Flur befindlichen Stühle Platz nehmen. Die Telefonate könnten dann, soweit wie möglich, ungestört stattfinden. Der überwachende Bedienstete achte während des Gesprächs darauf, dass andere Untergebrachte keine Störungen verursachten.
Der Beschwerdeführer erwiderte, dass die von der Justizvollzugsanstalt erwähnten gefährlichen Gegenstände im Büro des Bereichsleiters nie frei herumlägen, sondern sich unter Verschluss befänden. Zudem sei auch vorgesehen, dass der Bedienstete Sichtkontakt zum Telefonierenden halte. Ihm sei zugesichert worden, dass er in der Übergangszeit bis zur Neuinstallation von Telefonen mit seinen Verteidigern telefonieren könne. Auf dem Gang hielten sich immer mehrere Untergebrachte auf, da dort zur Förderung der Kommunikation unter den Untergebrachten eine Couchgarnitur aufgestellt worden sei. Aufschluss sei täglich von 6 Uhr bis 21 Uhr. Seit ungefähr zwei Wochen würden die Wände in der Dusche aufgerissen und die Wasserrohre erneuert. Durch den Einsatz von schweren Geräten sei der Geräuschpegel zusätzlich erhöht. Der Duschraum befinde sich neben dem Abteilungsbüro.
Mit weiterem Schreiben teilte der Beschwerdeführer mit, dass ihm erneut ein unüberwachtes Telefongespräch im Abteilungsbüro mit einer seiner Anwältinnen verweigert worden sei. Ein ungestörtes, unüberwachtes Telefongespräch sei auf dem Gang nicht möglich. So habe an diesem Morgen einer der Untergebrachten eine heftige Auseinandersetzung mit dem Abteilungsbeamten zwischen Tür und Gang gehabt. Gleichzeitig habe neben dem Abteilungsbüro auf dem Gang die Material- und Wäscheausgabe für einen anderen Untergebrachten stattgefunden. Zugleich habe ein weiterer Untergebrachter auf der Couch im Gang gesessen und sich unterhalten. In der rechts neben dem Büro gelegenen Dusche fänden weiterhin Renovierungsarbeiten statt. Links neben dem Büro befinde sich die Beamtentoilette und daneben die Wäsche- und Materialausgabe. Gegenüber liege das Büro des Bereichsleiters, vor dem morgens öfter Untergebrachte auf dem Gang warteten. Neben dem Büro des Bereichsleiters befinde sich das der Anstaltspsychologin. Mitten unter diesen Geräuschen, Gesprächen und Arbeiten solle er, der Beschwerdeführer, dann sein Telefonat führen. Es gebe mehrere andere Lösungen; zum Beispiel könne auf das Abteilungsbüro auf der Ebene 1 zurückgegriffen werden, das so gut wie gar nicht benutzt werde. Zum Beweis dieser Tatsachen sei es zwingend erforderlich, dass das Landgericht sich selbst ein Bild mache. Er beantrage die gerichtliche Inaugenscheinnahme des Abteilungsbüros auf der Ebene 1, durch die bewiesen werden könne, dass dieses Büro keine Missbrauchsgefahren eröffne.
3. Mit angegriffenem Beschluss vom 23. September 2013 verwarf das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei bereits unzulässig und bleibe jedenfalls in der Sache ohne Erfolg. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unzulässig, wenn das Gericht in einen Beurteilungsspielraum oder in das Ermessen der Behörde eingreife; eine einstweilige Anordnung komme hier nur dann in Betracht, wenn feststehe, dass der Beurteilungsspielraum oder das Ermessen auf Null reduziert seien. Im vorliegenden Fall sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits deshalb unzulässig, weil das Gericht – jedenfalls weit überwiegend – in eine Ermessensentscheidung der Justizvollzugsanstalt eingreifen würde, ohne dass zugleich eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge. §§ 26 und 28 des Gesetzes zur Regelung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in Nordrhein-Westfalen (Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetz Nordrhein-Westfalen – SVVollzG NRW) gestatteten den Untergebrachten, Telefongespräche durch Vermittlung der Justizvollzugsanstalt zu führen, wobei die Telefonate mit Verteidigern nicht überwacht werden dürften. Hieraus ergebe sich ein Anspruch auf Führung unüberwachter Telefonate, wobei die nähere Ausgestaltung der Telefonerlaubnis nicht vorgeschrieben sei, sondern im pflichtgemäßen Ermessen der Justizvollzugsanstalt stehe. Da durch die im früheren Gerichtsverfahren vereinbarte Handhabung keine Ermessensbindung eingetreten sei, liege es weiter im pflichtgemäßen Ermessen der Justizvollzugsanstalt, in welcher Weise sie dem Beschwerdeführer Telefonate mit seinem Verteidiger ermögliche.
Darüber hinaus sei der Erlass der einstweiligen Anordnung auch nicht erforderlich, weil die Maßnahme, dem Beschwerdeführer Telefonate mit seinem Verteidiger vor dem Abteilungsbüro auf dem Gang zu ermöglichen, nicht offensichtlich rechtswidrig, sondern nach der im Eilverfahren lediglich erforderlichen summarischen Prüfung rechtmäßig sei. Der aus §§ 26, 28 SVVollzG NRW folgenden Verpflichtung werde die Justizvollzugsanstalt nach summarischer Prüfung gerecht, indem sie den Untergebrachten die Möglichkeit gebe, mit dem schnurgebundenen Telefon vor das Abteilungsbüro zu gehen, um dort ohne akustische Überwachung durch die Justizvollzugsanstalt mit ihrem Verteidiger telefonieren zu können. Zwar dürfe durch diese Praxis das Führen von Telefonaten mit dem Rechtsbeistand nicht unmöglich gemacht werden. Hiervon aber gehe die Kammer trotz des in diese Richtung deutenden Vortrags des Beschwerdeführers nicht aus. Einerseits sei entgegen dessen Behauptung nicht davon auszugehen, dass permanent ein derart hoher Geräuschpegel auf dem Gang herrsche, dass ein Telefonat nicht geführt werden könne; jedenfalls seien der Kammer Beschwerden anderer Untergebrachter diesbezüglich nicht bekannt, und es sei sehr fernliegend, dass es nicht auch Zeitfenster gebe, in denen ein niedrigerer Geräuschpegel herrsche. Andererseits habe die Justizvollzugsanstalt erklärt, dass die überwachenden Bediensteten während des Gesprächs darauf achteten, dass andere Untergebrachte nach Möglichkeit keine Störungen verursachten, woran sie sich messen lassen müsse.
Darüber hinaus sei es auch nicht zu beanstanden, wenn die Justizvollzugsanstalt bei ihrer Ermessensentscheidung, wie konkret sie den Anspruch des Beschwerdeführers auf das Führen unüberwachter Telefonate mit dem Verteidiger ausgestalte, Belange der Sicherheit und Ordnung berücksichtige, wozu auch die Autorität der jeweiligen Amtsperson zähle, die nach der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt nachvollziehbar dadurch untergraben werde, dass der jeweilige Vollzugsbedienstete nach der im früheren Gerichtsverfahren vereinbarten Handhabung stets das Abteilungsbüro zu Gunsten von telefonierwilligen Untergebrachten habe verlassen müssen.
Ferner sei der Erlass der einstweiligen Anordnung auch nicht zur Abwendung irreparabler Nachteile erforderlich. Mit seinem Vortrag lege der Beschwerdeführer zwar eine Benachteiligung, nicht aber einen wesentlichen Nachteil dar. Denn ein wesentlicher Nachteil sei nur dann anzunehmen, wenn mit dem Nichterlass der einstweiligen Anordnung eine schwerwiegende Beeinträchtigung verbunden wäre. Dies wäre lediglich der Fall, wenn der Beschwerdeführer wegen dauerhaft zu hoher Lärmbelästigung auf dem Gang keinerlei Telefonate führen könnte, wovon das Gericht aber aus den vorstehenden Gründen nicht ausgehe; insbesondere erscheine es kaum denkbar, dass nicht einmal die – nur wenige Sekunden benötigende – Vereinbarung eines Besuchstermins in der Justizvollzugsanstalt möglich sein solle.
4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden ist, rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 10 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG.
Soweit das Landgericht im angegriffenen Beschluss ausgeführt habe, dass nicht davon auszugehen sei, dass permanent ein derart hoher Geräuschpegel auf dem Gang herrsche, dass ein Telefonat nicht geführt werden könne, verstoße dies gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Das Gegenteil habe er mit seinem Antrag auf gerichtliche Inaugenscheinnahme gerade beweisen wollen. Er habe in seinem Schreiben auch auf die Umbaumaßnahmen in den Duschen – Aufstemmen der Wände, Abschneiden der alten Rohre und Installation neuer – sowie darauf hingewiesen, dass sich auf dem Gang eine Couch befinde, die immer von mehreren Untergebrachten genutzt werde. Das Landgericht habe zu seinem Nachteil spekuliert, etwa mit der Annahme, es sei kaum denkbar, dass es nicht einmal möglich sei, einen Besuchstermin in der Justizvollzugsanstalt zu vereinbaren. In keinem seiner Schreiben habe er darauf hingewiesen, dass er nur Termine habe ausmachen wollen, vielmehr sei es immer um eilige und dringliche Sachverhalte aus den unterschiedlichen Verfahren gegangen, also um wichtige Inhalte.
5. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und in einem die Kammerzuständigkeit begründenden Sinne (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) offensichtlich begründet.
1. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Bürger einen Anspruch auf tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle.
Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ergeben sich Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 ≪226≫; 77, 275 ≪284≫). Dieser muss darauf ausgerichtet sein, dass der Rechtsschutz sich auch im Eilverfahren nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpft, sondern zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führt (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪275≫; 61, 82 ≪111≫; 67, 43 ≪58≫; BVerfGK 1, 201 ≪204 f.≫). Die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs, den das einfache Recht dem Rechtsschutzsuchenden zur Verfügung stellt, dürfen nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 110, 77 ≪83≫; 112, 185 ≪207 f., 213≫; 115, 205 ≪256≫). Dies gilt auch für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGK 11, 398 ≪400≫, m.w.N.).
Zudem ist zu beachten, dass die fachgerichtliche Überprüfung grundrechtseingreifender Maßnahmen die rechtsstaatlich gebotene Beachtung des geltenden Rechts und den effektiven Schutz der berührten materiellen Rechte nur gewährleisten kann, wenn sie auf zureichender Aufklärung des jeweiligen Sachverhalts beruht (vgl. BVerfGE 101, 275 ≪294 f.≫; BVerfGK 4, 119 ≪127 f.≫; 13, 487 ≪493≫). Daher können, auch in Vornahmesachen, zur Klärung der tatsächlichen Grundlagen für die erforderliche Abwägung Maßnahmen der gerichtlichen Sachverhaltsermittlung bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geboten sein (vgl. BVerfGK 3, 135 ≪140≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2009 – 2 BvR 2347/08 –, juris). Unabhängig davon berechtigt die Eilbedürftigkeit eines Verfahrens die Gerichte jedenfalls nicht dazu, ihrer Eilentscheidung Tatsachen als gewiss zugrunde zu legen, die mit plausiblen Gründen umstritten sind. An der Sachverhaltsaufklärung, die danach geboten sein kann, ist ein Gericht im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch nicht durch den Grundsatz der summarischen Prüfung im Eilverfahren von vornherein gehindert; auch hier ist, jedenfalls wenn eine erhebliche Grundrechtsverletzung in Rede steht, eine Prüfung des Rechtsschutzbegehrens auch in tatsächlicher Hinsicht geboten (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪74 f.≫; 93, 1 ≪13 f.≫; BVerfGK 5, 135 ≪140≫); demgemäß besteht eine – durch den Charakter und die Eigenheiten des Eilverfahrens wie etwa die Eilbedürftigkeit gegebenenfalls beschränkte – Pflicht zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Umstände (zu § 123 VwGO etwa Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 123, Rn. 32; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Auflage 2010, § 86 Rn. 7 und § 123 Rn. 18). Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfGE 79, 69 ≪75≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Februar 2013 – 1 BvR 2366/12 –, NZS 2013, S. 459).
b) Den aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Anforderungen ist das Landgericht weder bei der Bewertung des Antrags als unzulässig (aa)) noch bei der Verneinung eines Anordnungsanspruchs (bb)) und eines Anordnungsgrundes (cc)) gerecht geworden.
aa) Soweit das Landgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf vorläufigen Rechtsschutz mit der Begründung für unzulässig erachtet hat, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung unzulässig sei, weil das Gericht in eine Ermessensentscheidung der Justizvollzugsanstalt eingreifen würde, ohne dass zugleich eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge, hat es die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG überspannt, indem es die Frage der prozessrechtlichen Zulässigkeit nicht in der gebotenen Weise von der Frage der Begründetheit des Eilantrages unterschieden hat. Ob und inwieweit ein der Justizvollzugsanstalt eingeräumtes Ermessen dem antragsgemäßen Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegensteht, ist grundsätzlich keine Frage der Zulässigkeit des Antrages auf Eilrechtsschutz, sondern eine die Begründetheit des Anspruchs betreffende Frage des Bestehens des Anordnungsanspruchs beziehungsweise des zulässigen Inhalts einer etwaigen einstweiligen Anordnung (vgl. zu § 123 Abs. 1 VwGO, auf den § 114 Abs. 2 Satz 2 StVollzG Bezug nimmt, etwa Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 123, Rn. 9, 12, 28). Allein hierauf bezieht sich auch die vom Landgericht in diesem Zusammenhang herangezogene Kommentarliteratur (Arloth, StVollzG, 3. Auflage 2011, § 114 Rn. 3 – gemeint wohl: Rn. 4 –; Schuler/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 5. Auflage 2009, § 114 Rn. 7). Eine abweichende Zuordnung mag in Fällen, in denen der Erlass einer einstweiligen Anordnung offensichtlich nicht in Betracht kommt, verfassungsrechtlich im Ergebnis hinzunehmen sein. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor (s. unter bb) und cc)).
bb) Soweit das Landgericht einen Anordnungsanspruch des Beschwerdeführers in der Sache verneint hat, ist es seinen aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Pflichten zur Sachaufklärung nicht nachgekommen. Aus § 26, § 28 Abs. 5 SVVollzG NRW folgt ein Anspruch des in der Sicherungsverwahrung Untergebrachten auf unüberwachte Telefonate mit seinem Rechtsanwalt. Wo ein solches Telefonat geführt werden kann, ist in den genannten Vorschriften nicht geregelt und obliegt der Ausgestaltung durch die Justizvollzugsanstalt. Der Beschwerdeführer hatte hierzu detailliert vorgetragen, dass und warum das Recht aus §§ 26, 28 SVVollzG NRW derzeit durch Telefonate auf dem Gang nicht in zumutbarer Weise ausgeübt werden könne.
Die Ausführungen des Landgerichts dazu, weshalb es dem Beschwerdeführer ausreichend möglich sei, mit seinem Rechtsanwalt auf dem Gang zu telefonieren, waren ohne weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht geeignet, die getroffene Entscheidung zu tragen. Der Beschwerdeführer hatte plausibel dargelegt, dass dem aus § 26, § 28 Abs. 5 SVVollzG NRW folgenden Recht auf unüberwachte Telefonate mit einem Rechtsanwalt sowohl mit Blick auf den auf dem Gang herrschenden Geräuschpegel als auch aufgrund fehlender Vertraulichkeit des Gesprächs nicht durch die Möglichkeit, Telefonate auf dem Gang zu führen, entsprochen wurde. Die detaillierten Angaben des Beschwerdeführers hierzu durfte das Landgericht nicht aufgrund bloßer Vermutungen und des Fehlens von Beschwerden anderer Untergebrachter als unzutreffend betrachten. Unabhängig von eigenen Ortskenntnissen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers ergäbe, oder weiterer die tatsächlichen Verhältnisse betreffender Sachverhaltsaufklärung konnte das Landgericht jedenfalls nicht davon ausgehen, dass dem Beschwerdeführer ausreichende Zeiten zur Verfügung stehen, zu denen ein Rechtsanwalt erreichbar und es auf dem Gang verlässlich so ruhig ist, dass ein Telefongespräch ohne unzumutbare Störungen möglich ist. Auf den weiteren vom Beschwerdeführer vorgetragenen Aspekt der fehlenden Vertraulichkeit von Gesprächen mit dem Rechtsanwalt bei Anwesenheit von Untergebrachten, Handwerkern und Bediensteten auf dem Gang ist das Landgericht zudem in diesem Zusammenhang nicht eingegangen. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass die Justizvollzugsanstalt erklärt habe, der Vollzugsbedienstete werde Störungen durch andere Untergebrachte unterbinden, war auch dies jedenfalls nicht ohne weitere Aufklärung der tatsächlichen Bedingungen, die die Justizvollzugsanstalt damit in Aussicht stellen wollte, geeignet, die getroffene Entscheidung zu tragen. Zunächst wurde hier wiederum dem Gesichtspunkt keine Beachtung geschenkt, dass der Gefangene das Gespräch auch im Verhältnis zu seinen Mitgefangenen unter Bedingungen der Vertraulichkeit führen können muss. Zudem versteht es sich nicht von selbst, dass dem Anspruch eines Gefangenen auf unüberwachte Gespräche mit dem Verteidiger dadurch genügt werden kann, dass ihm dazu als Räumlichkeit ein Gang zugewiesen wird, auf dem während des Telefonats bei Bedarf ein Vollzugsbediensteter für Ruhe sorgt.
An einer Aufklärung des Sachverhalts war das Landgericht nicht durch den Charakter des Verfahrens als Eilverfahren oder durch eine besondere Eilbedürftigkeit im konkreten Fall gehindert. Es ging nicht um absehbar aufwendige Ermittlungen. Zwischen Antragstellung und Beschluss lagen mehr als zwei Wochen, in denen insbesondere etwa Nachfragen bei der Justizvollzugsanstalt ohne weiteres möglich gewesen wären. Der Beschwerdeführer selbst hatte zudem auf Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse gedrungen.
cc) Der angegriffene Beschluss ist auch nicht durch die – der Sache nach einen Anordnungsgrund verneinende – Annahme des Landgerichts gerechtfertigt, dass der Beschwerdeführer jedenfalls nicht hinreichend nachteilig betroffen sei. Die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass der Beschwerdeführer lediglich eine Beeinträchtigung, aber keinen schweren Nachteil dargelegt habe, begegnen bereits im Hinblick auf die Bedeutung, die der Kommunikation mit dem Rechtsanwalt im Hinblick auf ein faires Verfahren zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. März 2012 – 2 BvR 988/10 –, NJW 2012, S. 2790 ≪2792≫), verfassungsrechtlichen Bedenken. Unabhängig davon hat sich zudem auch an dieser Stelle der (unter bb)) festgestellte Aufklärungsmangel ausgewirkt. Denn das Landgericht hat einen wesentlichen Nachteil mit der Begründung verneint, dass es „aus den vorstehenden Gründen” nicht davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer wegen dauerhaft zu hoher Lärmbelästigung auf dem Gang keinerlei Telefonate führen könne. Soweit der angegriffene Beschluss es in diesem Zusammenhang als nicht nachvollziehbar erachtet, dass nicht einmal die nur wenige Sekunden benötigende Vereinbarung eines Besuchstermins in der Justizvollzugsanstalt möglich sein solle, ist auch diese Erwägung nicht geeignet, das Entscheidungsergebnis zu tragen. Wodurch sich die zugrundeliegende Annahme rechtfertigen soll, dass dem Anliegen des Beschwerdeführers durch die bloße Möglichkeit der Vereinbarung eines Besuchstermins entsprochen werden konnte, ist nicht nachvollziehbar. Nachdem der Beschwerdeführer bei der Antragstellung gegenüber der Justizvollzugsanstalt darauf hingewiesen hatte, dass es auch um das anhängige Disziplinarverfahren – und damit um ein üblicherweise dringliches Anliegen – ging, lag diese Annahme im Gegenteil fern.
c) Der angegriffene Beschluss beruht auf dem Grundrechtsverstoß. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen eine dem Beschwerdeführer günstigere Entscheidung getroffen hätte.
2. Der Beschluss ist daher gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben; die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen.
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung ergeht gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG.
4. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Unterschriften
Lübbe-Wolff, Landau, Kessal-Wulf
Fundstellen
NJW 2014, 1229 |
NStZ-RR 2014, 121 |
NStZ-RR 2014, 6 |
StV 2016, 35 |