Verfahrensgang
LG Memmingen (Beschluss vom 11.05.2007; Aktenzeichen 2 Qs 52/07) |
LG Memmingen (Beschluss vom 30.04.2007; Aktenzeichen 2 Qs 51/07) |
LG Memmingen (Beschluss vom 25.04.2007; Aktenzeichen 2 Qs 50/07) |
AG Memmingen (Beschluss vom 16.04.2007; Aktenzeichen 3 Gs 529/07) |
AG Memmingen (Beschluss vom 10.04.2007; Aktenzeichen 3 Gs 340/07) |
AG Memmingen (Beschluss vom 15.01.2007; Aktenzeichen 3 Gs 44/07) |
Tenor
Die Beschlüsse des Amtsgerichts Memmingen vom 10. April 2007 – 3 Gs 340/07 – und des Landgerichts Memmingen vom 30. April 2007 – 2 Qs 51/07 – verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Memmingen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu einem Drittel zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die richterliche Genehmigung der Anordnung einer Urinkontrolle bei einem Untersuchungsgefangenen sowie die wegen der Verweigerung der Mitwirkung an dieser Urinkontrolle verhängten Disziplinarmaßnahmen.
1. Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Memmingen vom 29. Dezember 2006 wegen Fluchtgefahr und des dringenden Verdachts des mehrfachen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlich unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Kempten. Im Rahmen der ermittlungsrichterlichen Beschuldigtenvernehmung gab der Beschwerdeführer an, er rauche seit zwei Jahren Marihuana, seit etwa einem Jahr jeden Abend einen Joint. Er habe etwa zwei- bis dreimal Kokain probiert und konsumiere ansonsten keine weiteren Drogen.
2. Mit Beschluss vom 15. Januar 2007, der zunächst weder dem Beschwerdeführer noch dessen Bevollmächtigtem bekannt gegeben wurde, genehmigte das Amtsgericht Memmingen die Anordnung der Abgabe einer Urinprobe durch den Beschwerdeführer gemäß § 119 Abs. 3 StPO. Die Ordnung in einer Justizvollzugsanstalt bezwecke auch die Gewährleistung der Sicherheit der Mitgefangenen und des Vollzugspersonals. Insoweit stellten Drogensüchtige ein erhebliches Sicherheitsrisiko sowohl für Mitgefangene als auch für das Vollzugspersonal dar, da Personen im berauschten Zustand in ihrem Verhalten und in ihren Reaktionen nur schwer zu kontrollieren seien. Außerdem bestehe die Gefahr, dass sich geschlossene, miteinander verschworene Gemeinschaften bildeten, die einer Kontrolle nicht mehr zugänglich seien. Für noch nicht abhängige Untersuchungsgefangene bestehe die Gefahr, zum Drogenkonsum verführt zu werden. Deshalb müsse gegen das Vorhandensein von Betäubungsmitteln in der Justizvollzugsanstalt mit allen zulässigen Mitteln vorgegangen werden. Aus den vorgetragenen Gründen müsse auch der Anspruch des Untersuchungsgefangenen darauf, dass er sich nicht selbst zu belasten habe, zurücktreten. Es sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Anordnung der Abgabe einer Urinprobe um eine Maßnahme mit geringer Eingriffsintensität handele. Die Anordnung der Abgabe einer Urinprobe sei im konkreten Fall erforderlich, angemessen und verhältnismäßig. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Straftat entstamme dem Bereich der Betäubungsmittelkriminalität, der Beschwerdeführer habe anlässlich seiner Vorführung angegeben, regelmäßig Marihuana zu konsumieren, und sei nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt bei der Eingangskontrolle positiv auf THC und Kokain getestet worden.
3. Mit Schreiben vom 8. März 2007 beantragte die Justizvollzugsanstalt beim Amtsgericht die Verhängung von Disziplinarmaßnahmen gegen den Beschwerdeführer. Aus dem beigefügten Vermerk der Anstaltsärztin vom 2. März 2007 ging hervor, dass beim Beschwerdeführer bei Routinekontrollen am gleichen Tag ein Drogenschnelltest angeordnet worden sei, der Beschwerdeführer die Urinabgabe jedoch trotz Belehrung verweigert habe. Der Vermerk trägt den handschriftlichen Zusatz: “Vorführung verweigert. Richterliche Anordnung für U-Haft vorhanden!”
4. Auf Nachfrage des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers übersandte das Amtsgericht den Antrag der Justizvollzugsanstalt auf Verhängung von Disziplinarmaßnahmen und den Vermerk der Anstaltsärztin. Ebenfalls erst auf Nachfrage des Bevollmächtigten informierte die Justizvollzugsanstalt diesen über den Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007.
5. In einem Vermerk vom 28. März 2007 führte der zuständige Bedienstete der Justizvollzugsanstalt aus, er habe dem Beschwerdeführer am 2. März 2007 mitgeteilt, dass er sich für die Sanitätsabteilung fertig machen solle, was der Beschwerdeführer abgelehnt habe. Nachdem andere Gefangene gesammelt worden seien, habe er den Beschwerdeführer nochmals aufgesucht und ihn gefragt, ob er wirklich nicht mitgehe. Der Beschwerdeführer habe ihm geantwortet, er gehe nicht mit und mache auch keine Urinkontrolle ohne richterliche Anordnung. Auf die Frage, ob er die Urinkontrolle verweigere, habe der Beschwerdeführer mit “ja” geantwortet. Dass eine richterliche Anordnung vorliege, sei dem Beschwerdeführer nicht mitgeteilt worden, da der Beschwerdeführer ohne richterliche Anordnung nicht zur Urinkontrolle eingeteilt werde. In einem weiteren Vermerk vom gleichen Tag führte die Anstaltsärztin aus, der Beschwerdeführer sei aufgrund des mehrfach nachgewiesenen Heroinkonsums in der Anstalt und des dringenden Verdachts des Konsums durch den Beschwerdeführer selbst am 2. März 2007 zur Urinkontrolle bestellt worden. An diesem Tag seien 48 Gefangene untersucht worden, von denen 24 positiv auf Opiate getestet worden seien. Der Beschwerdeführer habe durch den Abteilungsbeamten ausrichten lassen, er wolle erst die richterliche Anordnung sehen, ansonsten würde er nicht hochkommen. Sie, die Anstaltsärztin, habe dem Beschwerdeführer daraufhin ausrichten lassen, dass sie ihm nicht nachlaufe; wenn er die richterliche Anordnung sehen wolle, müsse er sich wohl hoch bemühen. Der Beschwerdeführer habe dann die Vorführung verweigert. Beide Vermerke wurden dem Amtsgericht, nicht jedoch dem Beschwerdeführer oder dessen Bevollmächtigtem, zugeleitet.
6. Mit Beschluss vom 10. April 2007 entzog das Amtsgericht dem Beschwerdeführer für die Dauer von einem Monat das Recht auf Beschaffung von zusätzlichen Nahrungs- und Genussmitteln und Gegenständen des persönlichen Bedarfs und setzte gegen ihn einen Arrest von sieben Tagen fest (§ 119 Abs. 3 StPO, Nrn. 67, 68 Abs. 1 Nr. 2 und 10 UVollzO). Zur Begründung nahm das Gericht Bezug auf die Ausführungen im Beschluss vom 15. Januar 2007, der dem Beschwerdeführer nach Mitteilung der Justizvollzugsanstalt lediglich deshalb nicht eröffnet worden sei, weil dieser bereits die Vorführung zur Urinabgabe verweigert habe. Durch seine Weigerung habe der Beschwerdeführer schuldhaft gegen die Anstaltsordnung verstoßen und zudem den Haftzweck gefährdet. Die festgesetzten Maßnahmen seien aus den Gründen, die zum Erlass des Beschlusses vom 15. Januar 2007 geführt hätten, unerlässlich, aber auch verhältnismäßig.
7. Gegen die Beschlüsse vom 15. Januar und 10. April 2007 legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein und beantragte, die Vollziehung der festgesetzten Disziplinarmaßnahmen bis zum Ergehen einer Beschwerdeentscheidung auszusetzen. Es hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass er während der Untersuchungshaft Betäubungsmittel konsumiert habe, so dass sowohl die Abgabe einer Urinprobe als auch die nach erfolgter Weigerung festgesetzten Disziplinarmaßnahmen nicht hätten angeordnet werden dürfen.
8. Durch Beschluss vom 16. April 2007 wies das Amtsgericht den Antrag auf Außervollzugsetzung des Beschlusses vom 10. April 2007 aus den Gründen der Beschlüsse vom 15. Januar und 10. April 2007 zurück. Mit hiergegen gerichteter Beschwerde machte der Beschwerdeführer geltend, es sei nicht ersichtlich, welche Umstände einer Außervollzugsetzung bis zur Entscheidung über die Beschwerde entgegenstünden. Durch eine Vollstreckung würden letztlich vollendete Tatsachen geschaffen. Sollte das Landgericht den Beschluss aufrechterhalten wollen, sei eine Vollstreckung zeitnah immer noch möglich. Die Nichteröffnung eines Beschlusses aus den im amtsgerichtlichen Beschluss vom 10. April 2007 angeführten Gründen werde allein schon aus verfassungsrechtlichen Gründen für nicht tragbar gehalten.
9. Das Amtsgericht half mit Beschluss vom 18. April 2007 den Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 15. Januar und 10. April 2007 nicht ab. Die Begründung der Beschlüsse werde durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet. Insbesondere sei die erforderliche Abwägung umfassend und einzelfallbezogen vorgenommen worden. Aus den in den Beschlüssen dargelegten Gründen sei es nach Auffassung des Gerichts gemäß § 119 Abs. 3 StPO zulässig, auch Untersuchungshäftlinge durch Anordnung einer Urinkontrolle auf Drogenkonsum zu überprüfen. Im Hinblick auf die dem Beschwerdeführer im Haftbefehl zur Last gelegten Straftaten sei die Anordnung auch verhältnismäßig. Im Interesse der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Anstalt und insbesondere im Interesse der Sicherheit der Mithäftlinge müsse der Anspruch eines Untersuchungsgefangenen darauf, dass er sich nicht selbst zu belasten habe, insoweit zurücktreten. Auch die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 nicht förmlich eröffnet worden sei, rechtfertige nicht die Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse. Dem Beschwerdeführer sei die Möglichkeit gegeben worden, von der bereits vorhandenen richterlichen Anordnung Kenntnis zu nehmen. Die entsprechende Vorführung habe der Beschwerdeführer aus eigenem Entschluss verweigert.
10. Der Beschwerdeführer machte mit Schreiben an das Landgericht vom 19. April 2007 erneut geltend, es hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass er nach dem Beginn der Untersuchungshaft Drogen konsumiert oder sich an einem etwa in der Justizvollzugsanstalt bestehenden Drogenhandel beteiligt habe. Eine Rasterfahndung per Urinuntersuchung ohne konkrete Verdachtsmomente erscheine aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig.
Die Staatsanwaltschaft Memmingen führte in ihrer Stellungnahme aus, der Beschwerdeführer habe sich bei seiner Inhaftierung als Betäubungsmittelkonsument zu erkennen gegeben und sei bei der Eingangsuntersuchung positiv auf entsprechende Wirkstoffe getestet worden. Es habe demnach bei ihm zumindest eine Bereitschaft und Neigung zum Betäubungsmittelkonsum vorgelegen. Nach dem Vermerk der Anstaltsärztin vom 28. März 2007 habe bei dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Anordnung der dringende Verdacht des Heroinkonsums bestanden. Am 2. März 2007 seien zudem von 48 überprüften Gefangenen 24 positiv auf Opiate getestet worden.
Nachdem das Landgericht der Bitte des Bevollmächtigten um Übersendung des ihm bislang unbekannten Vermerks der Anstaltsärztin nachgekommen war, beanstandete dieser erneut das Fehlen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer während der Untersuchungshaft Betäubungsmittel konsumiert habe. Die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme auf der Grundlage eines bloßen Verdachts verstoße gegen den Schuldgrundsatz.
11. Mit Beschluss vom 25. April 2007 verwarf das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 als unbegründet. Das Gericht nahm Bezug auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses sowie des Nichtabhilfebeschlusses und verwies auf die vom Drogenkonsum in der Anstalt ausgehenden Gefahren für Gefangene und Vollzugspersonal, einschließlich der Gefahr der Verführung von noch nicht rauschmittelabhängigen Gefangenen, sowie auf die Verpflichtung des Staates, die Untersuchungsgefangenen vor negativen Folgen der Haft zu schützen. Der teilweise vertretenen Ansicht, ein Untersuchungsgefangener könne nicht zur Abgabe einer Urinprobe verpflichtet werden, weil niemand gezwungen werden dürfe, sich selbst durch eine eigene aktive Tätigkeit in strafrechtlich relevanter Weise zu belasten, könne nicht gefolgt werden. Das aus der Verfassung abzuleitende Verbot, eine Selbstbelastung zu erzwingen, gelte zwar generell, stehe der hier zu beurteilenden Anordnung an den Untersuchungsgefangenen, eine Urinprobe abzugeben, jedoch nicht entgegen; denn diese Anordnung erfolge nur als Mittel zur Sicherung der Anstaltsordnung, nicht hingegen, um den Untersuchungsgefangenen einer Straftat zu überführen. Das Abgeben einer Urinprobe stelle einerseits ein geeignetes Mittel der Drogenkontrolle in der Anstalt dar, sei andererseits aber nur mit einer minimalen Belastung für den Untersuchungsgefangenen und insbesondere nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden. Die diesbezügliche Anordnung sei deshalb auch grundsätzlich als verhältnismäßig anzusehen. Angesichts der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten, des Umstandes, dass sich der Beschwerdeführer bei seiner Inhaftierung als Betäubungsmittelkonsument zu erkennen gegeben habe, und des positiven Tests bei der Eingangsuntersuchung sei bei dem Beschwerdeführer von einer Bereitschaft und Neigung zum Betäubungsmittelkonsum auszugehen. Nach dem Vermerk der Anstaltsärztin vom 28. März 2007 habe bei ihm auch zum Zeitpunkt der Anordnung der dringende Verdacht des Heroinkonsums bestanden. Dass im Übrigen dieser Verdacht auch berechtigt gewesen sei, zeige, dass von den am 2. März 2007 überprüften 48 Gefangenen 24 positiv auf Opiate getestet worden seien. Unter diesen Umständen sei die angeordnete Untersuchung zur Wahrung der Ordnung in der Anstalt auch aus konkretem Anlass erforderlich gewesen und als verhältnismäßig anzusehen. Von einer Rasterfahndung mittels Urinuntersuchung könne hier nicht gesprochen werden, da ausreichend konkreter Anlass für die Untersuchung bestanden habe.
12. Mit Beschluss vom 30. April 2007 verwarf das Landgericht unter Verweis auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, des Nichtabhilfebeschlusses und der Beschwerdeentscheidung vom 25. April 2007 die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 10. April 2007 als unbegründet. Das Amtsgericht habe die Abgabe einer Urinprobe zu Recht angeordnet. Die unberechtigte Weigerung des Beschwerdeführers mache die Verhängung von Ordnungsmitteln zulässig. In Anbetracht des erheblichen Verstoßes gegen die Anstaltsordnung seien die angeordneten Disziplinarmaßnahmen auch verhältnismäßig.
13. Mit Beschluss vom 11. Mai 2007 verwarf das Landgericht die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 16. April 2007 als unbegründet. Es verwies auf die Gründe des Nichtabhilfebeschlusses und der Beschwerdeentscheidungen vom 25. und 30. April 2007. Mit diesen Beschlüssen sei die angeordnete Disziplinarmaßnahme rechtskräftig. Eine aufschiebende Wirkung gemäß § 307 Abs. 2 StPO könne nicht mehr angeordnet werden.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 15. Januar, 10. April und 16. April 2007 sowie gegen die Beschlüsse des Landgerichts vom 25. April, 30. April und 11. Mai 2007. Er rügt eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG. Er nimmt Bezug auf seine Ausführungen im fachgerichtlichen Verfahren und führt ergänzend aus, die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde werde durch eine Vollstreckung der Disziplinarmaßnahmen nicht berührt, da der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen Bedeutung bei zukünftigen Prognoseentscheidungen und bei der Festsetzung künftiger Disziplinarmaßnahmen zukomme. Außerdem bestehe Wiederholungsgefahr. Bereits der Ablauf des Verfahrens entspreche nicht in ausreichender Weise rechtsstaatlichen Grundsätzen beziehungsweise dem Grundsatz eines fairen Verfahrens. Trotz Anzeige der Verteidigung Anfang Januar 2007 habe der Bevollmächtigte erst durch den Beschwerdeführer von den den Beschlüssen zugrundeliegenden Vorgängen erfahren. Den Umfang der bisherigen Tätigkeit von Justizvollzugsanstalt und Amtsgericht habe man erst durch diverse Anfragen in Erfahrung bringen müssen. Die Sachverhaltsfeststellungen der Gerichte, denen bei der Überprüfung von Disziplinarmaßnahmen besondere Bedeutung zukomme, seien unzureichend. Der Vermerk der Anstaltsärztin vom März 2007 sei als Entscheidungsgrundlage ebenso untauglich wie die Feststellung, dass am 2. März 2007 von 48 getesteten Gefangenen 24 positiv gewesen seien. Es sei in keiner Weise dargelegt, um welchen Personenkreis es sich gehandelt habe (Straf- oder Untersuchungsgefangene) und nach welchen Kriterien und aufgrund welcher Erkenntnisse der Personenkreis ausgewählt worden sei. Unbeachtet geblieben sei auch, dass der Beschwerdeführer am 2. März 2007 bereits über zwei Monate in Untersuchungshaft gewesen sei und konkrete Verdachtsmomente gegen ihn nicht vorgelegen hätten. Nachdem bereits die Anordnung der Abgabe einer Urinkontrolle nicht habe erfolgen dürfen, fehle es den weiteren Beschlüssen hinsichtlich der Disziplinarmaßnahmen bereits an der erforderlichen Grundlage.
2. Dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Es ist der Auffassung, die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 und des Landgerichts vom 25. April 2007 verletzten den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. Das Amtsgericht stelle zutreffend fest, dass die Genehmigung der Anordnung der Abgabe einer Urinprobe zur Wahrung der Ordnung in der Vollzugsanstalt erforderlich gewesen sei. Der Konsum von Drogen gefährde die Gesundheit der Gefangenen und die Sicherheit des Anstaltspersonals. Die bayerischen Justizvollzugsanstalten sähen es daher als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, Betäubungsmittelkonsum und -handel innerhalb der Anstalten so effektiv wie möglich zu bekämpfen. Die Einführung von Betäubungsmitteln in die Anstalt könne allerdings trotz präventiver Bemühungen und umfassender Kontrollen nie ganz unterbunden werden. Die Erfahrung zeige zudem, dass Gefangene, die generell bereit seien, Drogen zu konsumieren, bei der Auswahl ihrer Suchtmittel nicht wählerisch seien. Sobald also – wie im Falle des Beschwerdeführers – festgestellt werde, dass ein Gefangener eine Suchtproblematik aufweise, könne für den Strafvollzug lediglich prognostiziert werden, dass eine erhöhte Gefahr des verbotenen Rauschmittelkonsums bestehe. Als wirksames Mittel zur Unterbindung des Einschmuggelns und Konsumierens von Betäubungsmitteln hätten sich Urinkontrollen erwiesen. Die Anordnung einer Urinkontrolle bei dem Beschwerdeführer sei daher sowohl erforderlich als auch verhältnismäßig gewesen.
Hinsichtlich der durch die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 10. April 2007 und des Landgerichts vom 30. April 2007 angeordneten Disziplinarmaßnahmen könne nicht mehr geklärt werden, ob dem Beschwerdeführer bei der Aufforderung zur Abgabe einer Urinprobe mitgeteilt worden sei, dass ein die Anordnung der Urinabgabe genehmigender richterlicher Beschluss vorliege. Der späte Zeitpunkt und die Art und Weise der beabsichtigten Bekanntgabe des Beschlusses durch die Justizvollzugsanstalt an den Beschwerdeführer erschienen mindestens unglücklich. Es sei beabsichtigt, die Leiterinnen und Leiter der bayerischen Justizvollzugsanstalten anlässlich der nächsten gemeinsamen Dienstbesprechung im September 2007 für die Problematik besonders zu sensibilisieren und auf das Erfordernis einer unverzüglichen Bekanntgabe jeglicher den Gefangenen betreffenden richterlichen Entscheidung (im Regelfall durch Aushändigung einer Ausfertigung) deutlich hinzuweisen. Nachdem nicht auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer bei der Aufforderung zur Abgabe einer Urinprobe von der Existenz des Beschlusses des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 keine Kenntnis gehabt beziehungsweise die Kenntniserlangung schuldhaft vereitelt habe, sei das Vorliegen einer Pflichtverletzung zweifelhaft. Hinsichtlich der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 16. April 2007 und des Landgerichts vom 11. Mai 2007 sei die Verfassungsbeschwerde wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Durch den Vollzug der Maßnahmen liege nunmehr keine Beschwer des Beschwerdeführers mehr vor. Für die Annahme einer Wiederholungsgefahr bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Zum einen sei der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 rechtmäßig gewesen und der Beschwerdeführer habe nunmehr Kenntnis von ihm, so dass eine weitere Verweigerung der Abgabe einer Urinkontrolle eine Pflichtverletzung darstellen würde, die disziplinarisch geahndet werden könnte. Zum anderen habe sich der Beschluss auf die Genehmigung der Abgabe nur einer Urinprobe bezogen; für den Erlass weiterer Beschlüsse nach § 119 Abs. 3 StPO sei nach zwischenzeitlich erfolgter Anklageerhebung das Landgericht originär zuständig.
3. Der Beschwerdeführer hat hierauf erwidert, ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe auch hinsichtlich der Beschlüsse des Amtsgerichts vom 16. April 2007 und des Landgerichts vom 11. Mai 2007 unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. So seien gegen ihn durch Beschluss des Amtsgerichts Memmingen vom 8. Mai 2007 wiederum Disziplinarmaßnahmen – unter anderem Arrest für die Dauer von 14 Tagen – wegen Nichtbefolgung einer erneuten auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 gestützten Anordnung der Abgabe einer Urinprobe verhängt worden. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat von der erneuten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
III.
Die Verfassungsbeschwerde wird, soweit sie die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 10. April 2007 und des Landgerichts vom 30. April 2007 betrifft, gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Insoweit liegen die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) vor. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) nicht gegeben ist.
1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die seinen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung betreffenden Beschlüsse des Amtsgerichts vom 16. April 2007 und des Landgerichts vom 11. Mai 2007 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig; denn das mit ihr verfolgte Rechtsschutzziel hat sich mit dem Vollzug der Disziplinarmaßnahmen erledigt. Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise von einem Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses auszugehen wäre (vgl. BVerfGE 81, 138 ≪140 f.≫), sind nicht ersichtlich. Vor allem sind die Ausführungen des Beschwerdeführers in seiner Erwiderung auf die Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz – die sich in einer inhaltlichen Kritik seiner erneuten disziplinarischen Ahndung erschöpfen – nicht geeignet, eine konkrete Wiederholungsgefahr im Hinblick auf die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu begründen.
2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig. Sie wurde fristgerecht unter Vorlage aller relevanten Unterlagen erhoben. Die in der Beschwerdeschrift angeführten Argumente sind bereits im fachgerichtlichen Verfahren geltend gemacht worden.
Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass die gegen den Beschwerdeführer verhängten Disziplinarmaßnahmen zwischenzeitlich vollzogen wurden; denn die Rechtmäßigkeit der auf die Nichtbefolgung der Anordnung vom 15. Januar 2007 gestützten Disziplinarmaßnahmen kann bei zukünftigen Prognoseentscheidungen und bei der Festsetzung weiterer Disziplinarmaßnahmen von Bedeutung sein, so dass die angegriffenen Gerichtsbeschlüsse den Beschwerdeführer weiterhin beeinträchtigen (vgl. für den Strafvollzug BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 30/06 –; juris). Auf den Gesichtspunkt, dass im Hinblick auf die Stellungnahme des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz eine Wiederholungsgefahr jedenfalls insoweit nicht naheliegt, als es um die möglicherweise unzureichende Information des Beschwerdeführers über eine vorliegende richterliche Genehmigung der Anordnung einer Urinprobe geht, kommt es daher nicht an.
3. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 und des Landgerichts vom 25. April 2007 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde jedoch unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen lassen eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫) nicht erkennen.
a) Für die Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO und die Prüfung der Voraussetzungen für eine Beschränkung nach dieser Bestimmung ist entscheidend, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der den Vollzug der Untersuchungshaft in besonderem Maße beherrschen muss (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫), eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles gebietet. Beschränkungen sind danach nur zulässig, wenn sie erforderlich sind, um eine reale Gefahr für die in § 119 Abs. 3 StPO genannten öffentlichen Interessen abzuwehren, und dieses Ziel nicht mit weniger eingreifenden Maßnahmen erreicht werden kann (vgl. BVerfGE 35, 5 ≪9 f.≫; 35, 311 ≪321≫). Die Auferlegung einer Beschränkung ist nach § 119 Abs. 3 StPO nicht schon dann zulässig, wenn ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht völlig auszuschließen ist. Vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Haftzwecks oder der Ordnung in der Anstalt vorliegen (vgl. BVerfGE 35, 5 ≪10≫; 42, 234 ≪236≫; 57, 170 ≪177≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 1996 – 2 BvR 634/96 –, StV 1997, S. 257 ≪258≫).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabs ist die Feststellung der angegriffenen Entscheidungen, die Anordnung der Abgabe einer Urinprobe könne auf § 119 Abs. 3 StPO gestützt werden, von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Amtsgericht und Landgericht haben die Notwendigkeit von Urinkontrollen im Vollzug von Untersuchungshaft nachvollziehbar mit den schwerwiegenden Gefahren begründet, die von dem Konsum von Betäubungsmitteln für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt ausgehen. Die Anordnung einer Urinkontrolle begegnet daher jedenfalls beim Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Betäubungsmittelkonsum des betroffenen Gefangenen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso OLG Oldenburg, Beschluss vom 14. Juni 2005 – 1 Ws 304/05 –, StV 2007, S. 88 m. krit. Anm. Pollähne; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 119 Rn. 13; a.A. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 5. Februar 1992 – 1 Ws 10/92 –, NStZ 1992, S. 350 f.; Thüringisches OLG, Beschluss vom 31. Januar 2005 – 1 Ws 409/04 –, ZfStrVo 2006, S. 118; Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl. 2003, § 119 Rn. 78; ablehnend für “Routinekontrollen” LG Traunstein, Beschluss vom 8. Juli 2003 – 1 Qs 77/03 –, StV 2004, S. 144).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleiteten Verbots eines Selbstbezichtigungszwangs (vgl. BVerfGE 55, 144 ≪150≫; 56, 37 ≪41 f.≫) geboten. Es kann dahinstehen, ob dieses Verbot durch die Anordnung der Abgabe einer Urinprobe berührt wird. Auch bejahendenfalls würde daraus für den vorliegenden Fall nicht die Unzulässigkeit der Anordnung, sondern nur die Unzulässigkeit der Verwertung der gewonnenen Probe jedenfalls in einem Strafverfahren folgen; denn die Anordnung erfolgte hier nicht, um den Untersuchungsgefangenen einer Straftat zu überführen, sondern zur Abwehr von Gefahren für Dritte (vgl. BVerfGE 56, 37 ≪49 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. April 1993 – 2 BvR 930/92 –, NStZ 1993, S. 482; OLG Oldenburg, a.a.O.; krit. dazu Pollähne, StV 2007, S. 89 ≪90 f.≫; zur hier nicht entscheidungsbedürftigen Frage eines Verwertungsverbots auch in vollzugsrechtlichen Disziplinarverfahren verneinend HansOLG Hamburg, Beschluss vom 2. März 2004 – 3 Vollz (Ws) 128/03 –; juris; bejahend Gericke, StV 2003, S. 305 ≪307≫).
b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers waren vorliegend nicht nur Anhaltspunkte für einen Kontrollbedarf innerhalb der Anstalt, sondern auch in seiner Person liegende konkrete Anhaltspunkte für die Gefahr eines fortgesetzten Betäubungsmittelkonsums in der Haft vorhanden. Der Beschwerdeführer hatte im Rahmen der polizeilichen und richterlichen Beschuldigtenvernehmung eingeräumt, regelmäßig Marihuana und gelegentlich Kokain zu konsumieren, und wurde bei der Eingangsuntersuchung positiv auf THC und Kokain getestet. Überdies entstammten die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten dem Bereich der Betäubungsmitteldelinquenz. Des Hinzutretens weiterer Umstände – etwa eines dem Beschwerdeführer zuzuordnenden Drogenfundes oder bei ihm gegebener Anzeichen für einen Rauschzustand – bedurfte es angesichts dieser Anhaltspunkte nicht, um die Anordnung der Kontrollmaßnahme zu rechtfertigen.
4. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 10. April 2007 und des Landgerichts vom 30. April 2007 wendet, ist die Verfassungsbeschwerde in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Disziplinarmaßnahmen sind strafähnliche Sanktionen, für die der aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldgrundsatz gilt. Dieser Grundsatz verbietet es, eine Tat ohne Schuld des Täters strafend oder strafähnlich zu ahnden (vgl. BVerfGE 20, 323 ≪331≫; 45, 187 ≪228≫; 50, 125 ≪133≫; 50, 205 ≪214 f.≫; 81, 228 ≪237≫; 86, 288 ≪313≫). Disziplinarmaßnahmen dürfen daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei geklärt ist, ob ein schuldhafter Pflichtverstoß überhaupt vorliegt (vgl. BVerfGK 2, 318 ≪323 f.≫). Hinreichender Tatsachenfeststellungen bedarf es auch für die gebotene Prüfung, ob die verhängten Sanktionen insgesamt schuldangemessen und auch sonst verhältnismäßig sind (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 31. Januar 1994 – 2 BvR 1723/93 –, StV 1994, S. 263; und vom 24. Oktober 2006 – 2 BvR 30/06 –, a.a.O.).
b) Diesen Anforderungen wird der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts nicht gerecht, und die Beschwerdeentscheidung behebt diesen Mangel nicht. Zwar begegnet es aus den vorerwähnten Gründen grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Weigerung eines Untersuchungsgefangenen, der Anordnung zur Abgabe einer Urinprobe zu folgen, disziplinarisch zu ahnden (ebenso OLG Oldenburg, a.a.O.; a.A. OLG Saarbrücken, a.a.O.; Thüringisches OLG, a.a.O.). Amtsgericht und Landgericht haben jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Vorführungsanordnung durch die Anstaltsärztin keine Veranlassung hatte, vom Bestehen einer entsprechenden Verhaltenspflicht auszugehen.
Da Anhaltspunkte für das Eingreifen der – auf dringende Fälle beschränkten – Ersatzzuständigkeit des Vollzugspersonals im Sinne des § 119 Abs. 6 Satz 2 StPO nicht ersichtlich waren, bedurfte die in Rede stehende Maßnahme gemäß § 119 Abs. 6 Satz 1 StPO der richterlichen Anordnung. Eine solche Anordnung lag zwar mit dem Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 vor. Der Beschluss war jedoch weder dem Beschwerdeführer noch seinem Bevollmächtigten, der die Übernahme der Verteidigung Anfang 2007 der Staatsanwaltschaft angezeigt hatte, bekannt gegeben worden. Als gerichtliche Entscheidung, durch die keine Frist in Lauf gesetzt wurde, war der Beschluss des Amtsgerichts gemäß § 35 Abs. 2 Satz 2 StPO dem Betroffenen oder seinem durch Vollmacht ausgewiesenen Verteidiger (§ 145a Abs. 1 StPO) formlos mitzuteilen. Da der Zweck der Bekanntgabe darin liegt, der betroffenen Person die Möglichkeit zu eröffnen, ihr weiteres prozessuales Vorgehen abzuwägen, vor allem zu klären, ob sie Rechtsmittel einlegen will (vgl. Graalmann-Scheerer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Band 1, 26. Aufl. 2006, § 35 Rn. 1; Weßlau, in: Systematischer Kommentar zur StPO, § 35 Rn. 1), ist dem Betroffenen in der Regel ein Entscheidungsabdruck auszuhändigen (ebenso die ganz herrschende Meinung; vgl. nur Meyer-Goßner, § 35 Rn. 12; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl. 2005, § 35 Rn. 2, je m.w.N.), während eine bloß mündliche Eröffnung der Entscheidung durch das Vollzugspersonal grundsätzlich nicht als ausreichend angesehen werden kann (vgl. LG München I, Beschluss vom 7. März 2000 – 8 Qs 8/00 –, StV 2000, S. 517 ≪518≫).
Die Entscheidung des Amtsgerichts vom 15. Januar 2007 hätte demnach nicht nur der Justizvollzugsanstalt, sondern auch dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten bekanntgegeben werden müssen, um den Beschwerdeführer in Stand zu setzen, rechtzeitig – etwa durch einen mit einer Beschwerde (§ 304 StPO) verbundenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 307 Abs. 2 StPO – um Rechtsschutz gegen die richterliche Anordnung nachzusuchen. Eine Verpflichtung des Beschwerdeführers, sich gerade dadurch Kenntnis von der richterlichen Anordnung zu verschaffen, dass er der Aufforderung der Anstaltsärztin zur Vorführung Folge leistete, bestand hingegen nicht. Von einer schuldhaften Verletzung der vollzuglichen Gehorsamspflicht kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein.
c) Ob durch die angegriffenen Entscheidungen weitere Grundrechte des Beschwerdeführers verletzt sind, kann angesichts des festgestellten Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG offen bleiben.
d) Die Entscheidungen beruhen auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Sie sind daher gemäß § 93c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist zur Entscheidung über die Kosten an das Landgericht zurückzuverweisen.
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1853577 |
NStZ 2008, 292 |
NPA 2009 |
StRR 2008, 75 |