Verfahrensgang
LG Oldenburg (Entscheidung vom 06.06.2007; Aktenzeichen KLs 70/06) |
Tenor
Der Vorsitzende der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg wird angewiesen, durch geeignete Anordnungen und Maßnahmen zu gewährleisten, dass die Mitglieder des Spruchköpers anlässlich des auf den 7. Juni 2007 angesetzten Termins in der Strafsache 2 KLs 70/06 sowie eventueller Folgetermine zwecks Anfertigung von Filmaufnahmen ihrer Person durch ein von den Beschwerdeführerinnen gestelltes Fernsehteam vor Eintritt in die Verhandlung im Sitzungssaal anwesend sind.
Das Land Niedersachen hat den Beschwerdeführerinnen die notwendigen Auslagen für das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe
Verfassungsbeschwerde und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen die Möglichkeit, Fernsehaufnahmen in einem Strafverfahren auch von den Mitgliedern des Spruchkörpers zu fertigen.
I.
1. Die Beschwerdeführerinnen beabsichtigen eine Fernsehberichterstattung über das Geschehen am Rande der Verhandlung einer Strafsache. Dem Angeklagten wird dort zur Last gelegt, unter Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften in erheblichem Umfang zum menschlichen Verzehr nicht mehr geeignete Fleischwaren in Verkehr gebracht zu haben. Das Verhalten des Angeklagten und das Strafverfahren haben zu einer umfangreichen Berichterstattung der Massenmedien geführt.
2. Der Vorsitzende hat mit Schreiben an die Beschwerdeführerinnen vom 6. Juni 2007 mitgeteilt, dass eine Untersagung von Fernsehaufnahmen über das Geschehen im Sitzungssaal vor und nach Aufruf der Sache und damit außerhalb der Hauptverhandlung nicht beabsichtigt sei. Jedoch werde der Vorsitzende gemäß seiner ständigen Handhabung den Aufruf der Sache durch eine Protokollführerin veranlassen. Er werde den Sitzungssaal erst sodann gemeinsam mit den übrigen Mitgliedern des Spruchkörpers betreten.
3. Die Beschwerdeführerinnen rügen mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung insbesondere ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG und begehren den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der ihnen die Anfertigung von Filmaufnahmen des Geschehens im Sitzungssaal vor Eintritt in die Hauptverhandlung in einer Weise ermöglicht werden soll, die auch die Anfertigung von Filmaufnahmen des Vorsitzenden und der übrigen Mitglieder des Spruchkörpers einschließt. Mit einem Rückgriff auf bei der Beschwerdeführerin zu 2 verfügbare Archivaufnahmen des Vorsitzenden und der Beisitzer sei dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nur unzureichend Rechnung getragen.
II.
Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung regeln, wenn dies insbesondere zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist.
1. Der Antrag ist hiernach gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG begründet. Bei der gebotenen Abwägung der für und gegen eine einstweilige Anordnung sprechenden Gründe überwiegen diejenigen, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG eine Anordnung rechtfertigen.
a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, so könnte eine Fernsehberichterstattung über das Strafverfahren nicht in einer den Informationsinteressen der Öffentlichkeit gerecht werdenden Weise stattfinden. Von dem durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Berichterstattungsinteresse der Beschwerdeführerinnen ist in einem Fall wie dem vorliegenden grundsätzlich auch die bildliche Dokumentation der Anwesenheit der Mitglieder des Spruchkörpers unter Einschluss der Schöffen im Sitzungssaal umfasst.
Die Straftat hat Anlass zu einer umfangreichen öffentlichen Diskussion von Fragen der Lebensmittelsicherheit gegeben und ist Gegenstand eines gewichtigen Informationsinteresses der Öffentlichkeit. Bleiben die Beschwerdeführerinnen durch die angekündigte verfahrensrechtliche Handhabung daran gehindert, das Erscheinen der Mitglieder des Spruchköpers im Sitzungssaal zu dokumentieren, so wäre dies unwiederbringlich ausgeschlossen. Dem Interesse der Öffentlichkeit an Information über Verlauf und Ausgang eines Strafverfahrens ist nur unvollständig Rechnung getragen, wird allein eine Bildberichterstattung über die hierbei beteiligten Personen unter Ausschluss der Mitglieder des Spruchkörpers ermöglicht. Durch Rückgriff auf etwa verfügbare Archivaufnahmen der Mitglieder des Spruchkörpers könnte dieser Nachteil nur unvollständig aufgefangen werden.
b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, so wären Filmaufnahmen von den Mitgliedern des Spruchkörpers gefertigt worden, auf die die Beschwerdeführerinnen keinen Anspruch hatten. Hieraus zu erwartende Nachteile sind vorliegend jedoch bereits nicht ersichtlich und wögen jedenfalls gering.
Sitzungspolizeiliche Anordnungen gemäß § 176 GVG zur Beschränkung einer Filmberichterstattung über das Geschehen am Rande der Hauptverhandlung unter Anfertigung von Aufnahmen der Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme der Mitglieder des Spruchkörpers sind nach Mitteilung des Vorsitzenden mangels konkreter Veranlassung hierfür nicht beabsichtigt.
Auf Belange der Sicherheit der Mitglieder des Spruchkörpers ist die von dem Vorsitzenden angekündigte Handhabung seiner Befugnisse zur Gestaltung des äußeren Verfahrensablaufs nicht gestützt. Ein Interesse der Richter und Schöffen, außerhalb konkreter Anhaltspunkte für eine Gefährdung ihrer Sicherheit in ihrer Person nur durch die in der Sitzung Anwesenden wahrgenommen zu werden, ist angesichts der Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit für ein rechtsstaatliches Strafverfahren regelmäßig nicht anzuerkennen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. März 2007, – 1 BvQ 620/07 –, DVBl. 2007, S. 496 f., Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. Juli 2000 – 1 BvQ 17/00 –, NJW 2000, S. 2890 ≪2891≫). Die angekündigte Gestaltung des Verfahrensablaufs ist ferner auch nicht darauf gestützt, dass mit konkreten Störungen oder Beeinträchtigungen des Verfahrensgangs zu rechnen sei, falls der Einzug des Spruchkörpers in den Sitzungssaal bereits vor dem Beginn der Verhandlung gemäß § 169 Satz 2 GVG erfolgte.
c) Bei der Folgenabwägung kommt den Belangen der Beschwerdeführerinnen ein Vorrang zu.
Für den Fall des Nichterlasses der Eilanordnung und eines späteren Erfolges der Verfassungsbeschwerde steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die unwiederbringliche Vereitelung einer umfassenden, auch Personenbildnisse der Mitglieder des Spruchkörpers einschließenden Medienberichterstattung und der Befriedigung des damit verbundenen Informationsinteresses der Öffentlichkeit zu erwarten.
Ihr stehen für den Fall eines Erlasses der Eilanordnung und einer Nichtstattgabe der Verfassungsbeschwerde denkbare Nachteile für die Belange des Persönlichkeitsschutzes der Mitglieder des Spruchkörpers gegenüber, die im Rahmen einer Folgenabwägung jedoch geringeres Gewicht haben (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. März 2007, – 1 BvQ 620/07 –, DVBl. 2007, S. 496 ≪497≫; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 21. Juli 2000 – 1 BvQ 17/00 –, NJW 2000, S. 2890 ≪2891≫). Der Vorsitzende kann die Anfertigung von Lichtbildern der Mitglieder des Spruchkörpers unter Einschluss der Schöffen durch eine Verfahrensgestaltung sichern, die der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hinreichend Rechnung trägt, etwa dadurch, dass die Sache erst aufgerufen wird, nachdem sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers im Saal erschienen sind. Greifbare Nachteile für den äußeren Verfahrensablauf oder die Belange der Mitglieder des Spruchkörpers aus einer solchen Handhabung der Befugnisse des Vorsitzenden zur Gestaltung des äußeren Verfahrensgangs sind nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich.
2. Die von der Beschwerdeführerinnen aufgeworfenen weiteren, im Zuge einer Folgenabwägung nicht zu klärenden Verfassungsrechtsfragen sind der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde vorbehalten.
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auflagen beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Hoffmann-Riem, Gaier
Fundstellen
NJW-RR 2007, 1416 |
AfP 2007, 344 |
ZUM 2007, 845 |
NPA 2008 |
www.judicialis.de 2007 |