Verfahrensgang
LG Aachen (Beschluss vom 20.06.2005; Aktenzeichen 61 Qs 249/05) |
AG Aachen (Beschluss vom 02.03.2005; Aktenzeichen 42 OWi 496/04) |
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 2. März 2005 – 42 OWi 496/04 – und der Beschluss des Landgerichts Aachen vom 20. Juni 2005 – 61 Qs 249/05 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit die Durchsuchung der Geschäftsräume des Beschwerdeführers angeordnet und die dagegen gerichtete Beschwerde verworfen wird. Insoweit werden die Beschlüsse aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Aachen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu zwei Dritteln zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Anordnung der Durchsuchung einer Anwaltskanzlei in einem gegen den Beschwerdeführer geführten Ordnungswidrigkeiten-Verfahren.
I.
1. Am 22. September 2004 und 11. Oktober 2004 erließ die Stadt Aachen gegen den Beschwerdeführer, einen Rechtsanwalt, Bußgeldbescheide, in denen der Vorwurf erhoben wurde, der Beschwerdeführer habe am 2. September 2004 mindestens zwischen 11.15 Uhr und 11.43 Uhr und am 29. September 2004 mindestens zwischen 10.43 Uhr und 11.04 Uhr verkehrsordnungswidrig auf einem Sonderfahrstreifen vor dem Justizgebäude in Aachen geparkt. Es wurden Geldbußen in Höhe von jeweils 15 € festgesetzt zuzüglich einer Verwaltungsgebühr in Höhe von jeweils 20 €. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer in beiden Fällen mit der Behauptung Einspruch, den Personenkraftwagen auf dem Parkstreifen nur kurzfristig zu dem Zweck abgestellt zu haben, eine Vielzahl von Aktenpaketen nach einer Akteneinsicht zum Landgericht zurückzuschaffen. Es habe sich somit um gestattetes Be- und Entladen gehandelt.
Das Amtsgericht Aachen verband die beiden Verfahren miteinander und verfügte zur Aufklärung der Sachverhalte einen Fragenkatalog an den Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer nahm hierzu Stellung und regte für den Fall der Durchführung einer Hauptverhandlung die Ladung sämtlicher Geschäftsstellenbediensteten der Strafkammern des Landgerichts und der Strafabteilung des Amtsgerichts an. Das Amtsgericht befragte sodann terminvorbereitend die jeweiligen Geschäftstellenverwalter dazu, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführer zu den tatrelevanten Zeitpunkten Akten zurückgebracht oder abgeholt habe. Die Sachverhaltsaufklärung blieb insoweit ohne Erfolg, als das Vorbringen des Beschwerdeführers weder bestätigt noch widerlegt werden konnte.
2. a) Das Amtsgericht ordnete mit dem angegriffenen Beschluss die Durchsuchung der Büro- und Geschäftsräume der Rechtsanwaltskanzlei des Beschwerdeführers zu dem Zweck der Auffindung und Beschlagnahme von Blättern eines Terminkalenders oder einer entsprechenden Datei an, aus denen sich die Termine ergäben, die der Beschwerdeführer an den Vormittagen des 2. September 2004 und des 29. September 2004 wahrgenommen habe. Die Maßnahme wurde insoweit begrenzt, als lediglich eine Kopie beziehungsweise ein Ausdruck der entsprechenden Terminblätter zu beschlagnahmen sei und ausdrücklich eine Abwendungsbefugnis durch freiwillige Herausgabe der Blätter eingeräumt werde. Hinsichtlich der zu durchsuchenden Räumlichkeiten wurde eine gestufte Vorgehensweise angeordnet. Das Büro des Verteidigers des Beschwerdeführers wurde von der Maßnahme ausgenommen.
Das Amtsgericht führte weiter aus, die terminvorbereitende Sachverhaltsaufklärung habe die Angaben des Beschwerdeführers nicht bestätigen können. Die Akten seien in der Regel versandt und allenfalls ganz selten in Umfangsverfahren persönlich abgeholt und zurückgebracht worden. Hierfür seien indes jüngere Anwälte aus dem Büro des Beschwerdeführers beauftragt worden. Zur weiteren Sachaufklärung sei die Durchsuchung geboten und trotz der geringfügigen Vorwürfe verhältnismäßig. Gegen den Beschwerdeführer seien innerhalb von fünf Monaten zehn Verfahren wegen gleichartiger Tatvorwürfe eingestellt worden. Durch Einsicht in den Terminkalender könne ohne großen Aufwand geklärt werden, ob der Betroffene an den betreffenden Tagen an einem Gerichtstermin teilgenommen und den Sonderstreifen als Parkplatz genutzt habe. Dieser Verdacht werde durch Umstände erhärtet, die weitere (bereits eingestellte) Verfahren sowie einen weiteren vom zuständigen Richter beobachteten Parkvorgang während eines vom Beschwerdeführer wahrgenommenen Haftprüfungstermins beträfen. Der Sachverhalt könne mittels der Maßnahme gegebenenfalls zweifelsfrei aufgeklärt werden; eine möglicherweise umfangreiche Beweisaufnahme könnte vermieden werden. Auch die Strafverteidigereigenschaft des Beschwerdeführers lasse die Maßnahme nicht unangemessen erscheinen, weil die Beweismittel klar umgrenzt seien und die Einlegung der Blätter in einen geschlossenen Umschlag angeordnet worden sei.
b) Das Amtsgericht beauftragte unmittelbar die Polizei mit dem sofortigen Vollzug der Durchsuchungsanordnung. In der Kanzlei wurden sodann das Deckblatt des Terminkalenders des Jahres 2004 sowie die Kalendereinträge für die bezeichneten Tage beschlagnahmt.
3. Gegen die Durchsuchungsanordnung und den Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts erhob der Beschwerdeführer Beschwerde. Der Beschwerdeführer vertrat insbesondere die Auffassung, dass die im Ordnungswidrigkeitenverfahren nur ausnahmsweise zulässige Durchsuchung unverhältnismäßig gewesen sei. Die Durchsuchungsanordnung sei zudem ungeeignet gewesen, das vom Amtsgericht angestrebte Ergebnis zu erzielen. Eine Terminwahrnehmung durch den Beschwerdeführer könne hiermit nicht bewiesen werden.
4. Mit dem angegriffenen Beschluss verwarf das Landgericht die Beschwerde. Der Ausnahmecharakter der Maßnahme im Bußgeldverfahren werde nicht verkannt. Der Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer sei aber mehr als nur vage. Trotz der Geringfügigkeit der verhängten Geldbußen sei bedeutsam, dass es sich hier nicht um die Beurteilung nur vereinzelter Fälle handele. In den Jahren 2004/2005 seien 13 gleichgelagerte Verfahren geführt und bereits in neun Fällen im Hinblick auf die gleichlautenden Einlassungen des Beschwerdeführers (“Be- und Entladen”) eingestellt worden. Die Maßnahme sei sachgerecht und führe zu einer zuverlässigen Aufklärung. Eine umfangreiche Beweisaufnahme durch Vernehmung sämtlicher Geschäftstellenbediensteter, die hinsichtlich der konkreten Vorgänge wahrscheinlich auch keine konkreten Erinnerungen mehr hätten, könne hiermit vermieden werden. Im Übrigen könne es nicht mehr als erlaubtes Be- und Entladen gewertet werden, wenn der Beschwerdeführer in Verhandlungspausen das länger auf dem Sonderfahrstreifen abgestellte Fahrzeug zum Aktentransport aufgesucht hätte. Der Eingriffscharakter der Maßnahme sei gering gewesen und der Bürobetrieb dadurch nicht wesentlich gestört worden. Der Umstand, dass die von dem Beschluss betroffenen Räume (Büro der Sekretärin des Beschwerdeführers, dessen Büro sowie etwaige Archiv- oder Lagerräume) auch von den Sozien des Beschwerdeführers mitgenutzt würden, stehe der Rechtmäßigkeit der Maßnahme wegen der Mitinhaberschaft des Beschwerdeführers als verdächtigem Betroffenen nicht entgegen. Im Übrigen hätte der Richter, ungeachtet des § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO, die Durchsuchung auch selbst durchführen lassen und daher auch die Polizei mit der Vollstreckung des Beschlusses beauftragen dürfen.
II.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Der Eingriff stehe in einem krassen Missverhältnis zur Bedeutung der Angelegenheit und der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge. Weitere, inzwischen eingestellte Verfahren hätten nicht in Bezug genommen werden dürfen. Die Maßnahme sei im Hinblick auf eine etwaige Terminwahrnehmung durch andere Sozien und wegen etwaiger Sitzungspausen auch nicht zu einer zuverlässigen Sachaufklärung geeignet. Im Übrigen hätte das Amtsgericht die Vollstreckung des Beschlusses nicht anordnen dürfen, weil die Staatsanwaltschaft gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO Vollstreckungsbehörde sei.
III.
Das Land Nordrhein-Westfalen hatte Gelegenheit zur Äußerung. Es hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 407 Js 2148/04 OWi der Staatsanwaltschaft Aachen vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Anordnung der Durchsuchung seiner Kanzleiräume wendet (I.), nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Danach ist die Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat hinsichtlich Art und Weise der Durchsuchung, namentlich der unmittelbaren Beauftragung der Polizeibeamten durch das Amtsgericht (II.), keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und Abs. 2 GG, soweit sie die Durchsuchung anordnen und die dagegen gerichtete Beschwerde verwerfen.
1. Mit einer Durchsuchung wird schwerwiegend in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) eingegriffen. Auch beruflich genutzte Räume werden durch das Grundrecht geschützt (vgl. BVerfGE 32, 54 ≪69 ff.≫; 42, 212 ≪219≫; 44, 353 ≪371≫; 76, 83 ≪88≫; 96, 44 ≪51≫; 97, 228 ≪265≫). Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Durchsuchung muss im Blick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck Erfolg versprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein; dies ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 96, 44 ≪51≫).
Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies darüber hinaus regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege (vgl. BVerfGE 113, 29 ≪46 ff.≫). Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme.
2. Diese besondere Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit haben die befassten Gerichte nicht geleistet. Es erscheint evident sachfremd und daher grob unverhältnismäßig und willkürlich, wegen einiger Verkehrsordnungswidrigkeiten, für die Geldbußen von je 15 Euro festgesetzt wurden, die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts zu durchsuchen (vgl. für den Vorwurf der Unterschlagung: BVerfGK 5, 289 ≪291 f.≫).
II.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Art und Weise der Durchsuchung, namentlich gegen die unmittelbare Beauftragung der Polizeibeamten durch das Amtsgericht ohne Beteiligung der Staatsanwaltschaft wendet, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
Die Gestaltung des Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens, die Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des materiellen und formellen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür zuständigen Strafgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Das Bundesverfassungsgericht kann nur dann eingreifen, wenn die Gerichte Verfassungsrecht verletzt haben. Dies ist aber nicht schon dann der Fall, wenn eine Entscheidung, am Strafprozess- oder Ordnungswidrigkeitenrecht gemessen, objektiv fehlerhaft ist. Der Fehler muss gerade in der Nichtbeachtung von Grundrechten liegen. Das ist in der Regel erst dann der Fall, wenn ein Fehler sichtbar wird, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruht oder wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung objektiv sachfremd und willkürlich erscheint (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 95, 96 ≪128≫). Es ist nicht ersichtlich, wie es sich für den Beschwerdeführer nachteilig auswirken soll, wenn sich das Gericht unmittelbar an die Polizei wendet. Im Übrigen wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass dem Gericht unbeschadet von § 36 Abs. 2 Satz 1 StPO Befugnisse einer Vollstreckungsbehörde verbleiben, die ihr die Veranlassung polizeilicher Ermittlungen im Wege der allgemeinen Rechtshilfe erlauben (vgl. Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, 25. Aufl. ≪Stand: 1. Oktober 1996≫, § 36 Rn. 27 und 29).
III.
Die Entscheidungen werden, soweit sie das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 Abs. 1 GG verletzen, gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Aachen zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
IV.
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 1605946 |
NJW 2006, 3411 |
Inf 2006, 851 |
NVwZ 2007, 328 |
ZAP 2006, 1140 |
wistra 2006, 457 |
DSB 2006, 15 |
DVP 2007, 79 |
JA 2007, 159 |
PStR 2008, 297 |
GV/RP 2007, 718 |
GuT 2006, 355 |
NJW-Spezial 2006, 526 |
NPA 2007 |
NWB direkt 2006, 10 |
RENOpraxis 2006, 161 |
StV 2007, 59 |
StraFo 2006, 449 |
BRAK-Mitt. 2006, 278 |
FuBW 2007, 770 |
FuHe 2007, 746 |
KammerForum 2006, 251 |