Verfahrensgang
OLG Dresden (Beschluss vom 19.09.2011; Aktenzeichen 1 Ws 151/11) |
LG Dresden (Beschluss vom 17.08.2011; Aktenzeichen 1 Ks 307 Js 38189/11) |
Tenor
Die Beschlüsse des Landgerichts Dresden vom 17. August 2011 – 1 Ks 307 Js 38189/11 – und des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. September 2011 – 1 Ws 151/11 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes und werden aufgehoben.
Die Sache wird an das Landgericht Dresden zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Fortdauer seiner einstweiligen strafprozessualen Unterbringung in der Psychiatrie, nachdem der Bundesgerichtshof die im Wiederaufnahmeverfahren ergangene Entscheidung über die dauerhafte Maßregel wegen Begründungsmängeln aufgehoben hat.
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, verbüßte von 1994 bis 2010 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Im August 1993 hatte er zwei Landsleute, die einen seiner Bekannten besucht hatten, in dessen Wohnung ohne äußerlich erkennbaren Anlass erschossen, weil er, wie sich erst nach seiner rechtskräftigen Verurteilung herausstellte, die durch eine schizophrene Psychose hervorgerufene Vorstellung hatte, von diesen um Schutzgeld erpresst zu werden.
2. Während der Haft verhielt sich der Beschwerdeführer psychisch auffällig. Diese Auffälligkeiten steigerten sich bis Ende 1996 so weit, dass er mit paranoiden Vorstellungen und Fehlhandlungen auffiel, sich selbst als krank bezeichnete, um Hilfe bat und im Gespräch mit dem Anstaltspsychologen das eindeutige Bild eines an Schizophrenie Erkrankten zeigte. Gleichwohl wurde er erst im September 1997 nach weiteren krankheitsbedingten Auffälligkeiten ins Justizvollzugskrankenhaus überstellt und von dort im Januar 1998 mit der Diagnose eines schizo-affektiven Syndroms wieder entlassen. In der Justizvollzugsanstalt wurde er medikamentös, jedoch offenbar nicht durchgängig psychiatrisch behandelt. Während der Haftzeit, in der der Beschwerdeführer 1996/1997 und 2001/2002 Psychoseschübe erlitt, wurde bei ihm dreimal aggressives Verhalten in Form von Ohrfeigen gegenüber von Mitgefangenen beobachtet.
3. Ein im Verfahren der Prüfung einer Strafaussetzung nach § 57 StGB von der Großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bautzen eingeholtes Gutachten kam im Mai 2009 zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer an einer chronifizierten schizophrenen Psychose leide und bereits zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sei. Nach Auffassung des Sachverständigen Dr. S. L. wäre dies bei einer ordnungsgemäßen sachverständigen Beratung bereits im Ausgangsverfahren erkennbar gewesen, sei jedoch spätestens im Jahr 1996 unübersehbar geworden. Dem Beschwerdeführer sei unter anderem aufgrund von Inkompetenz und Ignoranz adäquate psychiatrische Behandlung über viele Jahre hinweg vorenthalten worden. Gegenwärtig gingen in der Justizvollzugsanstalt keine Gefahren von ihm aus. Es sei jedoch unklar, wie er sich in Freiheit verhalten werde. Aufgrund der latent vorhandenen akuten psychotischen Erkrankung bestehe unter den Belastungen des alltäglichen Lebens außerhalb des strukturierenden Rahmens einer Vollzugseinrichtung ein erhöhtes Risiko, dass der Beschwerdeführer erneut ein schweres Gewaltdelikt begehe. Zu erwarten wären wahrscheinlich zunächst Beleidigungs- und Bedrohungsdelikte und bei Fortschreiten der psychotischen Exazerbation Körperverletzungsdelikte, die möglicherweise auch in schwerwiegendere Taten münden könnten. Er müsse zunächst für längere Zeit in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt werden. In der mündlichen Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer ergänzte der Sachverständige, der Beschwerdeführer müsse jetzt Alltagsbelastungen unterzogen und rund um die Uhr durch psychiatrisches Personal beobachtet werden, damit subtile Veränderungen festgestellt werden könnten. Zu denken sei an eine Ergo- und Arbeitstherapie sowie an zunehmende psychiatrisch begleitete Lockerungen. Eine psychiatrische Behandlung werde die Erkrankung des Beschwerdeführers nicht zwangsläufig bessern, sei aber sehr gut geeignet, um weitere Aspekte und Umstände als Beurteilungsgrundlage für die Kriminalprognose festzustellen.
Hierauf lehnte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 19. August 2009 die Aussetzung der Strafe ab. Eine günstige Prognose könne nicht gestellt werden. Der Beschwerdeführer sei chronisch psychisch krank, wobei die Erkrankung wahrscheinlich bereits zur Tatzeit vorgelegen und seine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt habe. Krankheitsbedingt komme es bei ihm zu irrealen Überzeugungen, denen er folge. Nach den Ausführungen des Sachverständigen gehe sein Delinquenzrisiko allein auf seine psychotische Erkrankung zurück. Diese könne in der Justizvollzugsanstalt nicht angemessen behandelt werden. Daher sei davon auszugehen, dass er in der Justizvollzugsanstalt nicht resozialisiert worden sei und auch nicht resozialisiert werden könne. Die Kammer sehe sich in dem Dilemma, dass der Beschwerdeführer eigentlich nicht in den Straf-, sondern in den Maßregelvollzug gehöre. Die vom Gutachter vorgeschlagenen Behandlungsmaßnahmen seien in der Justizvollzugsanstalt nicht durchführbar. Nach dem von der Kammer allein zu prüfenden Maßstab des § 57 StGB könne dem Beschwerdeführer jedoch keine positive Prognose gestellt werden und müsse er im Strafvollzug bleiben. Es sollte aber von Amts wegen eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens geprüft werden.
4. Am 8. September 2009 beantragte der Beschwerdeführer, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. S. L., die Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Den zugleich gestellten Antrag auf Vollstreckungsaufschub lehnte das zuständige Landgericht Chemnitz ab. Zur Prüfung des Wiederaufnahmeantrags holte es ein Gutachten des Sachverständigen Dr. D. H. ein, der zu dem Ergebnis kam, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig psychisch krank, eine Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit zur Tatzeit jedoch nicht feststellbar sei. Daraufhin holte das Landgericht ein weiteres Schuldfähigkeitsgutachten des Sachverständigen Dr. M. L. ein, der die Diagnose und Bewertung des Sachverständigen Dr. S. L. bestätigte.
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 ordnete das Landgericht Chemnitz die Wiederaufnahme des Verfahrens und mit weiterem Beschluss vom selben Tage die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Es bestünden dringende Gründe für die Annahme, dass er an einer paranoiden Schizophrenie leide und dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werde. Die öffentliche Sicherheit erfordere die einstweilige Unterbringung, weil aufgrund seiner psychotischen Erkrankung ein hohes Delinquenzrisiko bestehe und eine Verringerung seiner Gefährlichkeit nur durch eine stationäre psychiatrische Behandlung erfolgen könne. Der Beschwerdeführer wurde am selben Tag in der Klinik für Forensische Psychiatrie des Sächsischen Krankenhauses für Psychiatrie und Neurologie Rodewisch aufgenommen, in der er sich seitdem befindet.
5. Der ursprünglichen Terminierung durch die Strafkammer entsprechend begann die Hauptverhandlung am 10. Januar 2011. Zur Frage der Voraussetzungen einer Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB holte das Landgericht Ergänzungsgutachten der Sachverständigen Dr. D. H. und Dr. M. L. ein. Dr. M. L. ging dabei aufgrund eines Residualsyndroms einer schizophrenen Erkrankung mit erheblichen Beeinträchtigungen der sozialen Kompetenz und der Krankheitseinsicht des Beschwerdeführers sowie fehlender soziotherapeutischer Behandlung, Erprobung und Lockerungen davon aus, dass man sich trotz des Fehlens einer vordergründig produktiven psychopathologischen Symptomatik erst ein Bild über die tatsächliche Belastbarkeit und das Agieren des Beschwerdeführers unter gestuft gelockerten Rahmenbedingungen machen müsse, um eine tragfähige Aussage über eine Abnahme der in der Tat zutage getretenen Gefährlichkeit treffen zu können. Nach Auffassung von Dr. D. H… sei krankheitsbedingt auch künftig mit Aggressionsdelikten des Beschwerdeführers zu rechnen. Bedingt durch kognitive Defizite, die Hospitalisierungseffekte durch die lange Haftstrafe und die paranoide Restsymptomatik verfüge er kaum über soziale Kompetenzen. Vor einer Entlassung seien Lockerungen, schrittweise Erprobungen sozialer Verhaltensweisen sowie die Einrichtung einer umfangreichen Betreuung dringend erforderlich, weil der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, seine Angelegenheiten selbst zu regeln. Es müsse eine engmaschige nervenärztliche Betreuung sowie die regelmäßige Einnahme des verordneten Neuroleptikums sichergestellt werden.
Durch Urteil vom 31. Januar 2011 sprach das Landgericht den Beschwerdeführer vom Vorwurf des Mordes wegen Zweifeln an seiner Schuldfähigkeit frei und ordnete gemäß § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Den Unterbringungsbefehl vom 6. Oktober 2010 hielt die Strafkammer durch Beschluss vom selben Tage nach Maßgabe des Urteils aufrecht.
Auf die Revision des Beschwerdeführers hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 8. Juni 2011 das Urteil im Maßregelausspruch auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Dresden zurück. Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedürfe einer besonders sorgfältigen Begründung, auch weil der Beschwerdeführer bereits seit 17 Jahren inhaftiert sei. Die Entscheidung des Landgerichts genüge den danach zu stellenden Anforderungen nicht. Wegen des großen zeitlichen Abstands zur Anlasstat rechtfertige ihr Charakter nicht die Gefährlichkeitsprognose. Der Schluss des Landgerichts werde zwar von zwei psychiatrischen Sachverständigen und zwei sachverständigen Zeugen übereinstimmend gestützt. Es seien aber die wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis und zur Beurteilung ihrer Schlüssigkeit erforderlich wäre. Insoweit sei dem Urteil nur zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer vor der Tat unauffällig gewesen sei, zu Beginn der Haftzeit aber durch Verstöße gegen die Hausordnung aufgefallen sei. Ab 1996 seien Verhaltensauffälligkeiten festgestellt worden und habe er von Körperbeeinflussungsphänomenen berichtet. Von August 1997 bis Januar 1998 sei er stationär psychiatrisch behandelt worden. Nach einer erneuten Symptomatik im Jahr 2001 führe er sich weit gehend unauffällig. Hinweise auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten im Strafvollzug fänden sich in den Feststellungen des Landgerichts nicht. Über den Zeitraum 2001 bis 2008 enthalte das Urteil keinerlei konkrete Angaben. Auch inwieweit der Beschwerdeführer eine psychiatrische Behandlung erfahren habe, sei nur unzureichend ersichtlich. Zudem fehlten Ausführungen zu Vollzugslockerungen. Angesichts dieser Darlegungsmängel sei die Prognose des Landgerichts nicht nachzuvollziehen.
6. Die Akte ging am 4. Juli 2011 beim Landgericht Dresden ein. Am 15. August 2011 beantragte der Beschwerdeführer, den Unterbringungsbefehl vom 6. Oktober 2010 aufzuheben. Die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung lägen nicht mehr vor. Auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesgerichtshofs sei die Unterbringung des Beschwerdeführers im Urteil vom 31. Januar 2011 nicht angeordnet. Überdies habe er sich 17 Jahre zu Unrecht in Haft befunden und sei seit nunmehr mehr als 10 Monaten einstweilig untergebracht. Jede weitere Freiheitsentziehung sei unverhältnismäßig.
Das Landgericht Dresden verwarf den Haftprüfungsantrag mit angegriffenem Beschluss vom 17. August 2011 als unbegründet. Trotz der vom Bundesgerichtshof festgestellten Darlegungsmängel bestünden dringende Gründe für die fortbestehende Gefährlichkeit des Beschwerdeführers, die seine einstweilige Unterbringung erforderlich machten. Zwar weise er nur ein schizophrenes Residuum mit paranoiden Restideen auf, jedoch hätten ihm alle Sachverständigen weiterhin eine negative Gefährlichkeitsprognose gestellt.
Seine hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Dresden mit angegriffenem Beschluss vom 19. September 2011 als unbegründet. Der Bundesgerichtshof habe von der Möglichkeit des § 126a Abs. 3 StPO keinen Gebrauch gemacht und sei damit auch nicht davon ausgegangen, dass der Unterbringungsbefehl mangels Gefährlichkeit zwingend aufzuheben sei. Die schriftlichen Stellungnahmen der Gutachter gingen nach Aktenlage im Ergebnis übereinstimmend davon aus, dass dem Beschwerdeführer auch weiterhin keine positive Prognose zu stellen sei. Für eine endgültige Beurteilung bleibe das Ergebnis der neuen Hauptverhandlung abzuwarten. Die Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der vorläufigen Unterbringung sei nicht erkennbar.
7. Nachdem die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden bereits am 5. Juli 2011 den Berichterstatter benannt hatte, bestimmte sie mit Verfügung vom 7. Oktober 2011 den 9. und 12. Dezember 2011 zu neuen Hauptverhandlungsterminen, zu denen die Sachverständigen Dr. D. H., Dr. S. L. und Dr. M. L. zum Beweisthema des Vorliegens der Voraussetzungen einer Unterbringung im Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB geladen sind.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG. Es komme nicht darauf an, dass ihm keine positive Prognose gestellt werden könne. Nach 17 Jahren unberechtigter Haft seien an die Fortdauer der Freiheitsentziehung besondere Anforderungen zu stellen. Ein bloßes schizophrenes Residuum genüge nicht, um eine hinreichende Gefährlichkeit zu begründen, insbesondere nicht, nachdem der Bundesgerichtshof auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts keine hinreichenden Auffälligkeiten festgestellt habe.
III.
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hatte die Gelegenheit zur Stellungnahme. Es verneint Möglichkeiten, durch außerstrafrechtliche Maßnahmen die Behandlung des Beschwerdeführers sicherzustellen. Bei einer Alternativunterbringung müsse es sich um eine sichere Unterbringungsform handeln, in der der Beschwerdeführer verbleiben könne. Da er die Kosten für eine Heimunterbringung nicht aufbringen könne, müsste ein Leistungsträger zur Übernahme der Kosten bereit sein. Eine solche Kostenübernahme durch den zuständigen Sozialhilfeträger sei nicht zu erwarten.
Zudem übermittelte das Staatsministerium der Justiz und für Europa eine Stellungnahme der behandelnden Klinik, nach welcher der Beschwerdeführer während der gesamten Unterbringungsdauer keine sogenannte Plussymptomatik und kein aggressives Verhalten gezeigt habe. Seine psychiatrische Behandlung, insbesondere seine Medikamentierung, müsse zwar langfristig fortgesetzt werden, sei aber ambulant möglich, wenn der Beschwerdeführer hierzu einen Psychiater aufsuche. Deshalb sei sein Aufenthalt in einer Sozialtherapeutischen Wohnstätte für psychisch Kranke zu empfehlen.
Dem Bundesverfassungsgericht haben die staatsanwaltschaftlichen Strafvollstreckungsakten (Sonderheft zu § 57 StGB) und die Akten des Wiederaufnahmeverfahrens vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde an und gibt ihr statt. Ihre Annahme ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Entscheidungsbefugnis der Kammer ist gegeben (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.
I.
1. Die Freiheit der Person nimmt – als Basis der allgemeinen Rechtsstellung und Entfaltungsmöglichkeit des Bürgers (BVerfGE 19, 342 ≪349≫; 53, 152 ≪158≫) – einen hohen Rang unter den Grundrechten ein. Daher darf eine Freiheitsentziehung nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet und aufrechterhalten werden, wenn überwiegende Belange des Gemeinwohls dies zwingend gebieten. Zu solchen Belangen, gegenüber denen der Freiheitsanspruch eines Beschuldigten unter Umständen zurücktreten muss, gehören die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafrechtspflege. Ein vertretbarer Ausgleich des Widerstreits dieser für den Rechtsstaat wichtigen Grundsätze lässt sich im Bereich des Rechts der vorläufigen Freiheitsentziehung nur erreichen, wenn den Freiheitsbeschränkungen, die vom Standpunkt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege aus erforderlich sind, ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten wird (vgl. BVerfGE 19, 342 ≪347≫; 35, 185 ≪190≫; 36, 264 ≪270≫; 53, 152 ≪158≫). Dies bedeutet, dass zwischen beiden Belangen abzuwägen ist.
Die Auslegung des einfachen Rechts – hier von § 126a StPO – und seine Anwendung auf den konkreten Fall ist zwar Sache der dafür zuständigen Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (stRspr; vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫). Die Fachgerichte haben dabei aber Bedeutung und Tragweite der von ihren Entscheidungen berührten Grundrechte zu berücksichtigen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (stRspr; vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫; 101, 361 ≪388≫).
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit setzt der Dauer der Freiheitsentziehung auch unabhängig von einer zu erwartenden Strafe Grenzen (vgl. BVerfGE 20, 45 ≪49 f.≫; 20, 144 ≪148≫; 53, 152 ≪158 f.≫; BVerfGK 6, 384 ≪390 f.≫). Der verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (BVerfGE 20, 45 ≪50≫; 36, 264 ≪273≫). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (BVerfGK 7, 140 ≪156 f.≫; 7, 421 ≪427≫). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (grundlegend BVerfGE 20, 45 ≪50≫; vgl. auch BVerfGE 20, 144 ≪148 f.≫; 36, 264 ≪270 ff.≫; 53, 152 ≪161 f.≫). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann (BVerfGK 6, 242 ≪253≫; 7, 421 ≪428≫).
Auch andere strafrechtliche Verfahren, die mit einer Freiheitsentziehung verbunden sind, sind in einer Weise zu betreiben, die der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts gerecht wird. Dort kommt eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Betracht, wenn das Freiheitsrecht etwa durch eine sachwidrige Verzögerung der Entscheidung unangemessen weiter beschränkt wird (vgl. zum Verfahren über die Strafaussetzung einer lebenslangen Freiheitsstrafe BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2001 – 2 BvR 828/01 –, NJW 2001, S. 2707, und vom 24. September 2007 – 2 BvR 1844/07 –, juris). Ob die Verfahrensdauer noch angemessen ist, muss nach den Umständen des Einzelfalles beurteilt werden (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪368 f.≫).
Diese Maßstäbe gelten entsprechend für das Sicherungsverfahren, in dem eine einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO angeordnet ist. Mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung sind stets höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes zu stellen. Bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen kann allenfalls noch eine von dem Beschuldigten ausgehende außergewöhnlich hohe Gefahr für die Allgemeinheit zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden einstweiligen Unterbringung dienen.
II.
Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht.
1. Nach § 126a StPO kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden wird, und die öffentliche Sicherheit es erfordert. Soweit die Gerichte im vorliegenden Fall dringende Gründe für die Annahme bejahen, dass eine Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werde, verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, weil sie die wertsetzende Bedeutung des Freiheitsgrundrechts außer Acht lassen.
a) Die strafrechtliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erfordert nach § 63 StGB, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Eine derartige Maßregel beschwert den von ihr Betroffenen außerordentlich. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist danach eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, dass von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH, Beschlüsse vom 2. Juli 2002 – 1 StR 194/02 –, NStZ 2002, S. 590, und vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09 –, NStZ-RR 2009, S. 169, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10 –, NStZ-RR 2011, S. 240 ≪241≫). Hierfür bedürfe es einer negativen Gefährlichkeitsprognose. Mit einer Wahrscheinlichkeit hohen Grades müsse anzunehmen sein, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde und daher für die Allgemeinheit gefährlich sei (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 – 3 StR 27/09 –, NStZ-RR 2009, S. 169 ≪170≫, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10 –, NStZ-RR 2011, S. 240 ≪241≫). Ergebe sich die Gefährlichkeit des Betroffenen, wie es der Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall angenommen hat, nicht schon aus dem Charakter der Anlasstaten, komme es auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der künftig zu erwartenden Taten an (BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08 –, NStZ 2008, S. 563 ≪564≫, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10 –, NStZ-RR 2011, S. 202). Zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte sind nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10 –, NStZ-RR 2011, S. 202). Dabei sind allerdings Tätlichkeiten während einer Unterbringung nicht ohne Weiteres denjenigen Handlungen gleichgesetzt, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 – 4 StR 354/97 –, NStZ 1998, S. 405, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10 –, NStZ-RR 2011, S. 202 ≪203≫), und werden bloße drohende Beleidigungen grundsätzlich als nicht geeignet angesehen, eine Unterbringung zu rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10 –, NStZ-RR 2011, S. 202 ≪203≫).
b) Die danach bereits nach einfachem Recht erforderliche negative Gefährlichkeitsprognose durfte das Oberlandesgericht nicht mit Hinweis darauf bejahen, der Bundesgerichtshof habe im Rahmen seiner Revisionsentscheidung vom 8. Juni 2011 nicht von der Möglichkeit des § 126a Abs. 3 (gemeint ist offensichtlich § 126a Abs. 2 i.V.m. § 126 Abs. 3) in Verbindung mit § 120 Abs. 1 StPO Gebrauch gemacht hat. Dass das Revisionsgericht die Voraussetzungen der (einstweiligen) Unterbringung nicht abschließend verneint hat, rechtfertigt nicht den Umkehrschluss, sie seien ohne Weiteres erfüllt. Wenn das Revisionsgericht, wie hier, die Entscheidung über die Maßnahme aus verfahrensrechtlichen Gründen aufhebt und zur neuen Entscheidung zurückverweist, bleibt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung offen. Der Tatrichter ist lediglich an die Auffassung des Revisionsgerichts gebunden, dass das angefochtene Urteil an lückenhaften Feststellungen und Begründungsmängeln leide, und hat diese Fehler bei der neuen Entscheidung zu vermeiden (BGH, Beschlüsse vom 13. Juli 1993 – 5 StR 396/93 –, NStZ 1993, S. 552, und vom 30. Mai 2000 – 1 StR 610/99 –, NStZ 2000, S. 551 ≪552≫; Kuckein, in: KarlsrKomm StPO, 6. Aufl. 2008, § 358 Rn. 9). Auf dieser Grundlage sind von ihm auch die Voraussetzungen für die vorläufige Unterbringung neu zu beurteilen.
c) Das Landgericht, auf dessen Ausführungen das Oberlandesgericht im Übrigen Bezug nimmt, stützt seine Annahme der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers allein darauf, dass nach Ansicht aller vier im Verfahren gehörter Psychiater bei diesem weiterhin eine negative Gefährlichkeitsprognose bestehe. Es gibt jedoch – ebenso wie das Landgericht Chemnitz im erstinstanzlichen Urteil – nicht die Anknüpfungs- und Befundtatsachen der Sachverständigenbewertung wieder, die zum Verständnis der gutachtlichen Äußerungen und zur Beurteilung ihrer Schlüssigkeit erforderlich wären. Ob sich das Landgericht die Gefahrenprognose der Sachverständigen unter Berücksichtigung der daran von Verfassungs wegen zu stellenden hohen Anforderungen zu Recht zu eigen gemacht hat, ist deshalb nicht nachvollziehbar.
Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten und in den beigezogenen Akten befindlichen Äußerungen der Sachverständigen und sachverständigen Zeugen tragen einen solchen Schluss nicht ohne Weiteres. Von den schriftlichen Gutachten war nur dasjenige des Sachverständigen Dr. S. L. zur Frage künftiger Delinquenz des Beschwerdeführers eingeholt worden; die Sachverständigen Dr. D. H. und Dr. M. L. hatten Gutachten zur Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers zur Tatzeit erstellen sollen. Keine der ursprünglichen schriftlichen Stellungnahmen befasste sich näher mit den Voraussetzungen einer dauerhaften Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB. Über die Erörterung des chronischen Charakters der Erkrankung und der Möglichkeit aggressiver Reaktionen des Beschwerdeführers bei einem neuerlichen Krankheitsschub hinausgehende Erwägungen zu der konkreten Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit neuen rechtswidrigen Verhaltens enthalten auch die ergänzenden Äußerungen der Sachverständigen Dr. D. H. und Dr. M. L. nicht. Dr. S. L. ging in seinem Gutachten vom Mai 2009 davon aus, dass bei einem neuerlichen Krankheitsschub zunächst Beleidigungs- und Bedrohungsdelikte wahrscheinlich und erst bei Fortschreiten der Exazerbation auch Körperverletzungsdelikte zu erwarten seien, die möglicherweise auch in schwerwiegendere Taten münden könnten.
2. Die angegriffenen Entscheidungen lassen zudem – selbst wenn man das Vorliegen der Voraussetzungen des § 126a StPO in Verbindung mit § 63 StGB unterstellt – die verfassungsrechtlich gebotene Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren einstweiligen Unterbringung (§ 126a StPO i.V.m. § 62 StGB) vermissen. In der landgerichtlichen Entscheidung fehlt sie vollständig. Das Oberlandesgericht hat sich auf die nicht näher begründete Feststellung beschränkt, die Unverhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs sei nicht erkennbar.
a) Eine besonders sorgfältige Prüfung der Verhältnismäßigkeit war schon mit Rücksicht darauf angezeigt, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit 17 Jahren zu Unrecht in (Straf-)Haft befunden hatte. Sie drängte sich zudem auf, weil bereits zwei Gutachter übereinstimmend und nachvollziehbar bekundet hatten, dass dem Beschwerdeführer jedenfalls bis 1998 eine adäquate medizinisch-psychiatrische Versorgung vorenthalten worden war. Die Gutachten legen überdies nahe, dass es auch ab 1998 und bis zum Ende seiner Haft am 6. Oktober 2010 für ihn keine adäquate Therapie gab, er sich mithin zu diesem Zeitpunkt durch Versagen staatlicher Stellen therapeutisch am Beginn befand, obwohl er bei einer korrekten Begutachtung im Ausgangsverfahren bereits 1994 eine Behandlung hätte haben können, spätestens aber 1996 anlässlich der unübersehbaren Erkrankung hätte haben müssen.
b) Nachdem sich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts seit nahezu einem Jahr in der Behandlung durch eine psychiatrische Klinik befand, hätte insbesondere näherer Prüfung bedurft, ob einer etwa verbliebenen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht durch Fortsetzung seiner Behandlung auf freiwilliger Basis unter Ausschöpfung der aus rechts- und sozialstaatlichen Gründen gebotenen Fürsorge durch Anordnung einer Betreuung und Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Einrichtung hinreichend entgegen gewirkt werden kann. Dass sich nach der Stellungnahme des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa der zuständige Sozialhilfeträger bei einer Aussetzung des Unterbringungsbefehls unter entsprechenden Auflagen voraussichtlich mit Hinweis auf das Prinzip der Nachrangigkeit der Sozialhilfe weigern würde, die Kosten dafür zu übernehmen, kann – auch unter Berücksichtigung der Verfassungsgrundsätze der Achtung der Menschenwürde, der Rechts- und der Sozialstaatlichkeit – im Fall des Beschwerdeführers kein Grund für einen weiteren Freiheitsentzug sein.
c) Die angegriffenen Entscheidungen lassen überdies außer acht, dass die Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens den Anforderungen des Beschleunigungsgebotes nicht genügt hat. Unbeschadet der Frage, ob das Wiederaufnahmeverfahren nicht bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt auf Antrag der Staatsanwaltschaft hätte eingeleitet werden müssen, liegen sachlich nicht zu rechtfertigende und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen vor, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einem weiteren Freiheitsentzug Grenzen setzen.
Dem Beschleunigungsgebot ist im Regelfall – sofern nicht besondere Umstände vorliegen – nur dann Genüge getan, wenn innerhalb von drei Monaten nach Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Hauptverhandlung begonnen wird (vgl. BVerfGK 7, 21 ≪40≫; 10, 294 ≪303≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 – 2 BvR 806/08 –, StV 2008, S. 421). Für die Anwendung des Beschleunigungsgebots tritt die Wiederaufnahmeentscheidung funktionell an die Stelle des Eröffnungsbeschlusses, denn in diesem Zeitpunkt ist das Vertrauen in die Rechtskraft der ursprünglichen Verurteilung beseitigt und damit zu rechnen, dass sich die verhängte und erlittene Strafhaft als unrechtmäßig erweist, woran auch § 360 Abs. 2 StPO anknüpft. Angesichts der Wiederaufnahmeentscheidung vom 6. Oktober 2010 hat das Landgericht Chemnitz daher im vorliegenden Fall bereits mit dem Beginn der Hauptverhandlung erst am 10. Januar 2011 die verfassungsrechtlichen Grenzen einer noch vertretbaren zeitlichen Gestaltung der Hauptverhandlung zumindest erreicht.
Eine allein der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung von mehreren Monaten liegt aber jedenfalls in dem Umstand, dass die Entscheidung des Landgerichts Chemnitz rechtsfehlerhaft war und durch den Bundesgerichtshof aufgehoben sowie das Verfahren zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden musste (vgl. BVerfGK 5, 109 ≪120≫; 6, 242 ≪251 f.≫; 7, 21 ≪36≫), weil das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht hinreichend begründet hat.
Eine ebenfalls allein der Justiz zuzurechnende Verfahrensverzögerung von mindestens zwei Monaten liegt ferner in dem Umstand, dass das Landgericht Dresden, nachdem die Akte am 5. Juli 2011 der Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer vorgelegen hatte, erst am 21. September 2011 mit Bemühungen um eine Terminsabstimmung mit den Sachverständigen begann, so dass nur noch Termine im November und Dezember 2011 verfügbar waren.
C.
Die Entscheidung über die Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Di Fabio, Gerhardt, Hermanns
Fundstellen