Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 27.05.2008; Aktenzeichen 2 M 130/08) |
VG Dessau (Beschluss vom 21.05.2008; Aktenzeichen 3 B 63/08 DE) |
Tenor
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Dessau-Roßlau vom 21. Mai 2008 – 3 B 63/08 DE – und des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 27. Mai 2008 – 2 M 130/08 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes; sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Dessau-Roßlau zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Sachsen-Anhalt hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren und für das Verfahren betreffend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG zugunsten des umgangsberechtigten Vaters eines deutschen Kindes.
1. Der Beschwerdeführer ist ein 1979 geborener kamerunischer Staatsangehöriger. Er reiste im Jahr 2003 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Der Asylantrag wurde abgelehnt. Nach dem Ende des Asylverfahrens wurde der Beschwerdeführer wegen Passlosigkeit geduldet. Der Beschwerdeführer hat ein in Afrika lebendes Kind. Er ist zudem Vater einer am 3. März 2006 geborenen Tochter, die deutsche Staatsangehörige ist. In einem auf die Feststellung der Vaterschaft gerichteten familiengerichtlichen Verfahren stimmte die allein sorgeberechtigte Kindesmutter am 24. Oktober 2006 der von dem Beschwerdeführer am 9. Mai 2006 abgegebenen Erklärung über die Anerkennung seiner Vaterschaft zu.
2. Mit Beschluss vom 27. Juni 2007 ordnete das Amtsgericht Borna die Mediation unter Leitung des Jugendamtes an, um auf diese Weise eine einvernehmliche Erklärung zu dem von dem Beschwerdeführer begehrten Umgang mit seiner Tochter zu erreichen. Ein betreuter Umgang sollte danach zunächst in den Räumlichkeiten der Diakonie stattfinden.
3. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lehnte die Ausländerbehörde des Landkreises Anhalt-Bitterfeld mit Bescheid vom 21. Februar 2008 ab. Eine familiäre Lebensgemeinschaft setze voraus, dass der getrennt lebende Elternteil zumindest einen Teil der elterlichen Betreuungs- und Erziehungsaufgaben wahrnehme. Die Kindesmutter habe den Kontakt zu dem Beschwerdeführer bereits vor der Geburt des Kindes abgebrochen, weil sie sich von ihm bedroht gefühlt habe. Der Beschwerdeführer habe sein Umgangsrecht erst im Juni 2007 gerichtlich durchsetzen können. Nach der Einschätzung des Jugendamtes vom 12. Oktober 2007 und einer Stellungnahme der Diakonie vom 2. Oktober 2007 sei es noch nicht zu einer emotionalen Bindung zu dem Kind gekommen. Auch sei der Kontakt von der Kindesmutter weiterhin nicht erwünscht. Die Erziehung des Kindes werde von dieser wahrgenommen. Der von dem Beschwerdeführer geleistete Erziehungsbeitrag sei durch die Betreuungsleistungen der Mutter ersetzbar und habe keine eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes. Die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Kind gehe derzeit nicht über eine bloße Begegnungsgemeinschaft hinaus und entfalte daher keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen.
4. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch wurde bislang nicht entschieden. Nachdem die Ausländerbehörde des Landkreises Anhalt-Bitterfeld unter dem 25. April 2008 die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Kamerun angekündigt und einen Rückführungstermin auf den 2. Juni 2008 bestimmt hatte, beantragte der Beschwerdeführer im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Aussetzung der Abschiebung. Der Umgang mit seiner Tochter finde etwa alle zwei Wochen statt. Im Zeitraum von Ende Juni 2007 bis zum 6. März 2008 hätten zehn Umgangskontakte stattgefunden. Hierzu legte der Beschwerdeführer Bescheinigungen der Diakonie vom 20. August 2007, 18. März 2008 sowie 19. Mai 2008 vor. Zu der angeordneten Mediation sei es bislang nicht gekommen, da die Kindesmutter ihre Mitwirkung verweigere. Der aktuellen Bescheinigung der Diakonie sei zu entnehmen, dass es inzwischen zu einer emotionalen Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter gekommen sei. Auch wenn das Umgangsrecht aufgrund der weitgehenden Verweigerungshaltung der Kindesmutter nur kurz ausgeübt werde, seien die Kontakte regelmäßig und ein eigener Erziehungsbeitrag erkennbar. Eine Aufenthaltsbeendigung hätte zur Folge, dass der Kontakt zum Kind vollständig abbrechen würde. Der Beschwerdeführer werde in der von ihm vor dem Amtsgericht beantragten erneuten Anhörung geltend machen, den bisher gewährten Umgang auch ohne Begleitung auszuweiten. Zudem sei er mit einer deutschen Staatsangehörigen verlobt und beabsichtige, diese zu ehelichen. Sobald die hierzu erforderlichen Unterlagen vorlägen, könne er die Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses beantragen. Nach Erteilung der Arbeitserlaubnis habe er eine Arbeitsstelle gefunden.
Die Ausländerbehörde trug im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor, es lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beschwerdeführer mit seiner Tochter in einer familiären Beziehung lebe. Der Beschwerdeführer erbringe keine nennenswerten Betreuungsleistungen oder väterlichen Beistand. Er spiele im Leben seiner Tochter nicht die Rolle einer verantwortlichen väterlichen Bezugsperson. Eine schützenswerte Eltern-Kind-Beziehung in Form einer Beistandsgemeinschaft liege nicht vor. Das Jugendamt habe unter dem 12. Oktober 2007 mitgeteilt, dass die Tochter nicht auf den Beschwerdeführer angewiesen sei. Soweit der Beschwerdeführer vortrage, etwa alle zwei Wochen Umgang mit seiner Tochter zu pflegen, sei dies zu pauschal und zeige nicht auf, welche darüber hinausgehenden Betreuungsleistungen er erbringe. Die Erziehung des Kindes liege allein bei der Kindesmutter. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführer hierzu finanzielle Beiträge leiste. Ein Aufenthaltsrecht lasse sich auch nicht aus der vermeintlich bevorstehenden Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen herleiten. Dies erfordere, dass die Eheschließung unmittelbar bevorstehe und bereits ein konkreter Termin bestimmt sei.
5. Mit Beschluss vom 21. Mai 2008 lehnte das Verwaltungsgericht Dessau-Roßlau den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Der Beschwerdeführer habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Ausreise mit Blick auf Art. 6 GG rechtlich unmöglich sei. Zwar habe er die Vaterschaft anerkannt, das alleinige Sorgerecht liege aber nach wie vor bei der Mutter. Soweit Vater und Kind nicht in einer häuslichen Gemeinschaft lebten, komme es maßgeblich darauf an, ob ein Verhältnis bestehe, das von Verantwortung für die leibliche und seelische Entwicklung des Kindes geprägt sei. Dabei sei maßgeblich auch auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall das Bestehen einer persönlichen Verbundenheit, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei, zu untersuchen. Dem Erziehungsbeitrag des Vaters müsse eigenständige Bedeutung für die Entwicklung des Kindes zukommen. Diese Voraussetzungen habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht. Nach der vom 19. Mai 2008 datierenden Bescheinigung der Diakonie sei es seit dem 16. August 2007 zu zwölf Treffen zwischen ihm und seiner Tochter gekommen, die zunächst jeweils eine Stunde, seit Dezember 2007 jeweils zwei Stunden gedauert hätten. Dem Beschwerdeführer sei bescheinigt worden, dass zwar eindeutig eine emotionale Nähe zwischen ihm und seinem Kind bestehe, diese jedoch durch die Häufigkeit und zeitliche Begrenztheit in ihrer Qualität beschränkt sei. Es müsse daher bezweifelt werden, dass es durch die zwölf Treffen in den vergangenen neun Monaten tatsächlich zu einer persönlichen Verbundenheit mit dem im März 2008 zwei Jahre alt gewordenen Kind gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe das Kind deutlich weniger als zwei Mal im Monat gesehen. Fünf der vorgesehenen Umgangstermine seien durch die Kindesmutter, zwei weitere durch den Beschwerdeführer abgesagt worden. Aus diesen Kontakten lasse sich das Bestehen einer schützenswerten Eltern-Kind-Beziehung noch nicht herleiten. Auch fehlten zusätzliche Anhaltspunkte wie die Übernahme eines nicht unerheblichen Betreuungsanteils oder gemeinsam verbrachte Ferien. Es sei daher davon auszugehen, dass das Verhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter nur eine Begegnungsgemeinschaft darstelle. Auch die beabsichtigte Eheschließung stehe der Abschiebung des Beschwerdeführers nicht entgegen. Ein Verlöbnis mit einer deutschen Staatsangehörigen löse keine aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus. Etwas anderes gelte nur, wenn die Eheschließung sicher erscheine und unmittelbar bevorstehe. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
6. Im Beschwerdeverfahren rügte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, dass die Beziehung zu seiner Tochter unzutreffend als bloße Begegnungsgemeinschaft bewertet worden sei. Die Kindesmutter erschwere den Umgang mit seinem Kind. Soweit er zwei Termine abgesagt habe, sei dies auf die Entfernung seines Wohnortes zur Diakonie sowie seine finanziellen Verhältnisse zurückzuführen gewesen. Da die Kindesmutter sich weigere, an der vom Gericht angeordneten Mediation teilzunehmen, verfolge er im familiengerichtlichen Verfahren die Ausweitung des Umgangsrechts zu einem unbegleiteten Umgang mit üblichen Umgangszeiten weiter. Seine Bemühungen um den Umgang mit seinem Kind dürften nicht durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen unterlaufen werden. Die Stellungnahme der Diakonie belege das Bestehen einer emotionalen Bindung zwischen ihm und seinem Kind. Soweit das Verwaltungsgericht auf das Fehlen zusätzlicher Anhaltspunkte für das Führen einer Lebensgemeinschaft abstelle, verkenne es, dass es bei der derzeitigen Haltung der Kindesmutter unmöglich sei, derartige Betreuungsleistungen kurzfristig durchzusetzen. Hierzu bedürfe es eines langwierigen familienrechtlichen Verfahrens. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zukünftig entsprechende Betreuungsleistungen werde erbringen können. Im Hinblick auf die bevorstehende Eheschließung habe er alles in seiner Macht Stehende getan, diese so rasch wie möglich zu realisieren. Es sei zu berücksichtigen, dass er seinen eigenen Lebensunterhalt sichern könne.
7. Mit Beschluss vom 27. Mai 2008 wies das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt die Beschwerde zurück. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass eine durch Art. 6 GG geschützte Lebensgemeinschaft mit seiner Tochter nicht bestehe. Soweit der Beschwerdeführer dies auf die Verweigerungshaltung der Kindesmutter zurückführe, komme es nicht darauf an, ob ihm vorgeworfen werden könne, nur in einer Begegnungsgemeinschaft mit seinem Kind zu leben. Entscheidend sei allein auf die Sicht des Kindes abzustellen, ob mit dem Vater tatsächlich eine persönliche Verbundenheit bestehe, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen sei. Die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts würden durch die nicht näher konkretisierte Behauptung des Beschwerdeführers, er leiste einen eigenen Erziehungsbeitrag, nicht entkräftet. Im Hinblick auf die beabsichtigte Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen komme es entscheidend darauf an, dass objektiv nicht mit dem positiven Abschluss des standesamtlichen Eheschließungsverfahrens zu rechnen sei und kein Termin zur Eheschließung feststehe.
8. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 6 GG. Auch wenn gegenwärtig möglicherweise eine Lebensgemeinschaft im Sinne der bisherigen Rechtsprechung noch nicht entstanden sein sollte, sei eine solche im Entstehen begriffen. Dies ergebe sich aus den vorliegenden Stellungnahmen der Diakonie über die begleiteten Umgangstermine. Die Abschiebung würde das Entstehen einer solchen Lebensgemeinschaft zukünftig unterbinden. Die Kindesmutter sei bei der Ausgestaltung des Umgangsrechts nicht kooperativ und zu einigen Terminen nicht erschienen. Auch sei sie nicht bereit, an der von dem Familiengericht angeordneten Mediation mitzuarbeiten. Sofern die Beziehung zu seiner Tochter noch nicht vollständig die Qualität einer Lebensgemeinschaft habe, sei dies auf das Verhalten der Kindesmutter zurückzuführen. Er unternehme alles in seinen Kräften Stehende, um den Kontakt zu intensivieren. Eine Ausweitung des Umgangs mit Hilfe der Jugendhilfeeinrichtungen und des Familiengerichts sei prognostizierbar. Es handele sich nicht lediglich um eine Begegnungsgemeinschaft, die von dem fehlenden Interesse des Vaters an seinem Kind geprägt sei. Nach einer Abschiebung wäre die Beziehung zu seiner Tochter möglicherweise für mehrere Jahre unterbrochen.
9. Die Landesregierung Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil sie zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG) – auch offensichtlich begründet. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (vgl. zu den aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art. 6 GG BVerfGE 76, 1 ≪41 ff.≫; 80, 81 ≪90 ff.≫; zum verfassungsrechtlichen Schutz des Umgangsrechts BVerfGE 31, 194 ≪206 f.≫; 56, 363 ≪382 ff.≫; 64, 180 ≪187 f.≫; BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 1. April 2008 – 1 BvR 1620/04 –, NJW 2008, S. 1287 ≪1288 f.≫).
Die Verfassungsbeschwerde legt die Möglichkeit einer Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG durch die angegriffenen Gerichtsentscheidungen dar und ist insoweit zulässig. Sie ist auch offensichtlich begründet. Der Beschwerdeführer wird in diesem Grundrecht verletzt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfGE 51, 386 ≪396 f.≫; 76, 1 ≪47≫; 80, 81 ≪93≫). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪49 ff.≫; 80, 81 ≪93≫). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 231/00 –, InfAuslR 2002, S. 171 ≪173≫; BVerfGK 2, 190 ≪194≫), auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 1999 – 2 BvR 1523/99 –, InfAuslR 2000, S. 67 ≪68≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, NVwZ 2006, S. 682 ≪683≫).
Ausländerrechtliche Schutzwirkungen entfaltet Art. 6 GG freilich nicht schon aufgrund formal-rechtlicher familiärer Bindungen. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern (vgl. BVerfGE 76, 1 ≪42 f.≫). Bei der Bewertung der familiären Beziehungen kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob eine Hausgemeinschaft vorliegt und ob die von einem Familienmitglied tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfGE 80, 81 ≪95≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 1. August 1996 – 2 BvR 1119/96 –, FamRZ 1996, S. 1266; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. März 1997 – 2 BvR 260/97 –, juris). Die Entwicklung eines Kindes wird nicht nur durch quantifizierbare Betreuungsbeiträge der Eltern, sondern auch durch die geistige und emotionale Auseinandersetzung geprägt (BVerfGK 7, 49 ≪56≫ m.w.N.).
Die familiäre (Lebens-)Gemeinschaft zwischen einem Elternteil und seinem minderjährigen Kind ist getragen von tatsächlicher Anteilnahme am Leben und Aufwachsen des Kindes. Im Falle eines regelmäßigen Umgangs des ausländischen Elternteils, der dem auch sonst Üblichen entspricht, wird in der Regel von einer familiären Gemeinschaft auszugehen sein (BVerfGK 7, 49 ≪58≫, vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, Umdr. S. 10-14).
Ein hohes, gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechendes Gewicht haben die Folgen einer vorübergehenden Trennung insbesondere, wenn ein noch sehr kleines Kind betroffen ist, das den nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung möglicherweise nicht begreifen kann und diese rasch als endgültigen Verlust erfährt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2006 – 2 BvR 1935/05 –, NVwZ 2006, S. 682 ≪683≫).
2. Die angegriffenen Entscheidungen tragen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht hinreichend Rechnung. Bei der Entscheidung über die Frage, ob der Beschwerdeführer zunächst im Bundesgebiet zu dulden ist, würdigen das Verwaltungsgericht und – ihm folgend – das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG nicht in der gebotenen Weise.
Das Verwaltungsgericht hat zwar die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Bedeutung des Schutzes von Ehe und Familie bei aufenthaltsrechtlichen Entscheidungen und deren Konkretisierung durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt referiert. Es hat diese Vorgaben jedoch bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts außer Acht gelassen und sich allein von Maßstäben leiten lassen, die sowohl begrifflich („bloße Begegnungsgemeinschaft”) als auch nach den als Referenz herangezogenen älteren obergerichtlichen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht werden. Das Verwaltungsgericht hat einerseits im Hinblick auf die Gewährung von Schutz nach Art. 6 GG überzogene Anforderungen an die Intensität des familiären Kontaktes gestellt, andererseits die gegebenen Umstände des vorliegenden Falls unzureichend berücksichtigt. Mit der letztlich allein tragenden Erwägung, dass die nachgewiesenen zwölf Umgangskontakte des Beschwerdeführers mit seiner Tochter im Zeitraum vom 16. August 2007 bis zum 19. Mai 2008 nicht ausreichten, eine schützenswerte Eltern-Kind-Beziehung zu begründen, durfte das Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers nicht abgewiesen werden.
a) Bei Umgangskontakten unterscheidet sich die Eltern-Kind-Beziehung typischerweise deutlich von dem Verhältnis des Kindes zur täglichen Betreuungsperson. Dass der Umgangsberechtigte nur ausschnittsweise am Leben des Kindes Anteil nehmen kann und keine alltäglichen Erziehungsentscheidungen trifft, steht der Annahme einer familiären Lebensgemeinschaft nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, Umdr. S. 15). Soweit das Verwaltungsgericht seine Zweifel am Bestehen einer schützwürdigen Eltern-Kind-Beziehung auf die aus seiner Sicht geringe Anzahl der Begegnungen in den vergangenen neun Monaten stützt, steht diese Wertung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge die Übernahme von Verantwortung auch in den spezifischen Formen, die das Umgangsrecht ermöglicht, vorliegen und verfassungsrechtlichen Schutz gebieten kann. Demgemäß wäre zu prüfen gewesen, ob die hier vorhandenen Umgangskontakte in ihrer Bedeutung für das Verhältnis des Beschwerdeführers zu seinem Kind dem auch sonst Üblichen entsprechen und auf diese Weise die Vater-Kind-Beziehung gelebt wird.
Dies hat das Verwaltungsgericht unterlassen. Es hat in diesem Zusammenhang nicht gewürdigt, dass sich der Beschwerdeführer seit der bereits kurze Zeit nach der Geburt der Tochter erklärten Anerkennung der Vaterschaft mit Hilfe der Gerichte um die Feststellung der Vaterschaft sowie die Einräumung eines Umgangsrechts bemüht und dieses – wenn auch bislang nicht in dem von ihm begehrten Umfang – durchgesetzt hat. Soweit das Verwaltungsgericht darauf abstellt, dass von den weiteren vorgesehenen Umgangsterminen fünf von der Kindsmutter und zwei vom Beschwerdeführer abgesagt worden sind, hat es nicht geprüft, ob und inwieweit dies auf ein fehlendes Interesse des Beschwerdeführers an der Beziehung zu seinem Kind zurückzuführen sein könnte, was nach dessen plausiblen Vortrag nicht ohne Weiteres angenommen werden kann. Das Verwaltungsgericht hätte in seine Würdigung schließlich die von der Umgangsbegleiterin in ihrer Stellungnahme vom 19. Mai 2008 beschriebene Intensivierung des Kontakts zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter einfließen lassen müssen. Da von Verfassungs wegen zu prüfen ist, ob die Beziehung zwischen dem umgangsberechtigten Elternteil und seinem Kind von einer geistigen und emotionalen Auseinandersetzung geprägt ist, darf der Vortrag eines sachkundigen Zeugen, dass aufgrund der bislang durchgeführten Umgangskontakte eine sich deutlich abzeichnende, dem Alter des Kindes entsprechende Verdichtung der Beziehung eingetreten sei, nicht ausgeblendet werden. Das gilt insbesondere dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Folgen einer Trennung ein noch sehr kleines Kind betreffen.
b) Soweit sich das Verwaltungsgericht darauf stützt, weder dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch dem Inhalt der Verwaltungsvorgänge Anhaltspunkte für ein Angewiesensein des Kindes auf seinen Vater entnehmen zu können, orientiert es sich erkennbar an Beistandsleistungen wie gemeinsam verbrachten Ferien oder anderen intensiven Formen des familiären Kontaktes, deren Fehlen nach früherer, mittlerweile überholter Auffassung familiäre Kontakte zur Qualifikation als bloße Begegnungsgemeinschaft führte, die dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG nicht unterfallen sollte. Je nach den Umständen des Einzelfalls bedeutet indes gerade die Ausübung des Besuchsrechts die Erfüllung der Elternfunktion im Sinne des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG unter den für den umgangsberechtigten Elternteil nicht änderbaren Beschränkungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, Umdr. S. 15, im Anschluss an BVerfGK 7, 49 ≪56 ff.≫).
Bei zutreffender Heranziehung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe hätte das Verwaltungsgericht sich mit der Stellungnahme der Umgangsbegleiterin vom 19. Mai 2008 auseinandersetzen müssen, um auf diese Weise den Verlauf der bisherigen Umgangstermine näher zu würdigen. Das Verwaltungsgericht hat sich mit der Einschätzung der Umgangsbegleiterin nicht inhaltlich auseinandergesetzt, dass sich zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Tochter zunehmend ein Vertrauensverhältnis entsprechend den Rahmenbedingungen des angeordneten Umgangs und den entwicklungspsychologischen Voraussetzungen der Tochter entwickelt habe. Zwar erwähnt das Verwaltungsgericht, dass nach den Angaben der Umgangsbegleiterin eindeutig von emotionaler Nähe zwischen Vater und Kind als Beziehungsqualität gesprochen werden könne, wobei die Beziehungsqualität durch die Häufigkeit und die zeitliche Begrenztheit der Kontakte beschränkt sei. Es setzt sich jedoch weder mit diesen noch den weiteren Angaben der Umgangsbegleiterin auseinander, dass der Beschwerdeführer sehr gut und liebevoll auf die emotionalen Befindlichkeiten seiner Tochter eingehe und altersgerecht mit ihr spiele, er sie zum Geburtstag und zu Weihnachten sowie anderen Gelegenheiten beschenkt und ihr Kleidung mitgebracht habe, die Tochter den Beschwerdeführer erkennbar als ihren Vater betrachte, dieser weite Wege zur Beratungsstelle auf sich nehme, sehr kooperativ in der Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle sei und häufigeren Kontakt zu der Tochter anstrebe, was die Mutter des Kindes jedoch aus subjektiven Gründen zu verhindern versuche.
3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei hinreichender Berücksichtigung der sich aus Art. 6 GG ergebenden Vorgaben zu einer anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wären.
4. Die Kammer hebt deshalb nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG die angegriffenen Beschlüsse auf und verweist die Sache an das Verwaltungsgericht zurück. Darauf, ob der im Hinblick auf die geplante Eheschließung des Beschwerdeführers mit einer deutschen Staatsangehörigen gerügte Verfassungsverstoß vorliegt, kommt es nicht an.
III.
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Ankündigung der Abschiebung vom 25. April 2008 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen; insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93a Abs. 2, § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
IV.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG.
Unterschriften
Osterloh, Mellinghoff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 2148983 |
NJW 2009, 1135 |
FamRZ 2009, 579 |
NVwZ 2009, 387 |
InfAuslR 2009, 150 |
ZAR 2009, 13 |
FamRBint 2009, 32 |