Verfahrensgang
OLG Hamburg (Urteil vom 26.07.2005; Aktenzeichen 7 U 31/05) |
Tenor
Das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 26. Juli 2005 – 7 U 31/05 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Der Verfassungsbeschwerde liegt die zivilgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers zur Unterlassung einer im Internet veröffentlichten Meldung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren zugrunde.
I.
1. a) Der Beschwerdeführer betreibt eine Internetseite, die mehrere nichtkommerzielle Unterseiten enthält. Darunter befand sich bis zum Jahr 2004 eine Seite mit dem Titel „Gefunden. Aus der Wunderwelt des Rechts. Juristische Nachrichten für kritische Leute.” Wegen einer dort verbreiteten Meldung über ein Ermittlungsverfahren gegen den Sohn der damaligen Generalsekretärin der F. Partei (F.), C.P., nahm dieser ihn im hier zugrunde liegenden Ausgangsverfahren auf Unterlassung in Anspruch. Dem lag im Einzelnen folgender Sachverhalt zugrunde:
Im August 2003 suchten zwei Journalisten der Zeitschrift „Stern” C.P. in ihrem privaten Wohnhaus auf, um eine so genannte „Homestory” zu erstellen. Bei diesem Besuch war auch der damals 18 Jahre alte Sohn der Politikerin und Kläger des Ausgangsverfahrens, X., (im Folgenden: Kläger) anwesend; dieser war selbst in der Jugendorganisation der F. engagiert und kandidierte im April 2004 für ein kommunales Mandat in seinem Heimatort. Es wurden im Einvernehmen aller Anwesenden Lichtbilder zum Zweck der Veröffentlichung gefertigt, auf denen zum Teil auch der Kläger zu sehen ist. Die Journalisten bemerkten auf dem Verandatisch im Haus der Politikerin einen Blumentopf mit einer Hanfpflanze. Hierauf angesprochen äußerte Frau P., es handele sich um „die grüne Aufzucht meines Sohnes”. Der Kläger entsorgte daraufhin die Pflanze auf dem Kompost.
Am 23. Oktober 2003 erschien die Homestory im „Stern”. Darin wurde auch – unter Nennung des Vornamens des Klägers – über die Hanfpflanze berichtet. Am Folgetag veröffentlichte die „Bild-Zeitung” einen Artikel mit der Schlagzeile: „Huch! Im Wohnzimmer von C.P. wächst Hasch”.
Aufgrund dieser Berichte leitete die Staatsanwaltschaft H. am 24. Oktober 2003 gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ein und veranlasste eine Durchsuchung im Haus der Familie P. Abgesehen von den Resten der Hanfpflanze auf dem Kompost wurden keine verdächtigen Gegenstände gefunden. Die Durchsuchung wurde vor dem Haus der Familie P. von Mitarbeitern des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) gefilmt und am Abend des 24. Oktober 2003 im Fernsehen gezeigt, wogegen sich der Kläger im Nachhinein erfolgreich mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung wandte.
Am selben Tag veröffentlichte die Staatsanwaltschaft unter der Überschrift „Haschpflanze im Hause P.” eine Pressemitteilung über das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger. Darin wurde auch mitgeteilt, dass bei der Durchsuchung keine Hinweise auf weitere illegale Pflanzen vorgefunden worden seien. Die Pressemitteilung wurde von verschiedenen Presseagenturen verbreitet. Diese nannten teilweise auch den Vornamen des Klägers; ob dieser auch in der staatsanwaltschaftlichen Mitteilung erwähnt worden war oder ob er den Agenturen lediglich aus dem „Stern”-Artikel bekannt war, ist im Ausgangsverfahren ungeklärt geblieben.
Ebenfalls am 24. Oktober 2003 veröffentlichte die F. eine Pressemitteilung, in der der Bericht der Bild-Zeitung als unzutreffend zurückgewiesen wird; richtig sei, dass der 18-jährige Sohn der Generalsekretärin „verschiedene Samenkörner (…) eingepflanzt habe”, von denen sich einer zu einer Hanfpflanze entwickelt habe. Außerdem wurde mitgeteilt, dass Frau P. gegen weitere unzutreffende Berichte erforderlichenfalls rechtlich vorgehen werde.
In den folgenden Tagen berichteten zahlreiche inländische und ausländische Medien, darunter auch Nachrichtenportale im Internet, über den Vorfall. Am 26. Oktober 2003 erschien auch eine Pressemitteilung von Frau P. selbst zu dem Vorfall. Einzelne der Artikel sind auch heute noch im Internet verfügbar.
Der Beschwerdeführer veröffentlichte am 30. oder 31. Oktober 2003 auszugsweise eine Meldung aus den „t-online Nachrichten”, die ihrerseits auf den Meldungen der Presseagenturen beruhte. Die Nachricht auf der Website des Beschwerdeführers lautete:
„Polizei sucht Hasch im Hause P.
F.-Generalsekretärin C.P. hat Ärger mit der Justiz: Im Blumentopf ihres 18-jährigen Sohnes X. wächst eine Hanf-Pflanze. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurden Räume und Garten der Familie in H. durchsucht. Gegen X. wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet. …”
Der vollständige Text der t-online-Meldung, zu der auf der Seite des Beschwerdeführers ein Link bestand, enthielt weitere Angaben zu der vorgefundenen Pflanze, deren Entfernung, zu der Hausdurchsuchung sowie deren Ergebnis.
b) Nachdem der Beschwerdeführer die Aufforderung des Klägers zur Unterzeichnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung abgelehnt hatte, erhob dieser bei dem Landgericht Hamburg Klage gegen ihn. Mit dem hier nicht ausdrücklich angegriffenen Urteil vom 18. Februar 2005 verbot das Landgericht dem Beschwerdeführer antragsgemäß,
über ein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz unter namentlicher Nennung oder in sonst erkennbarer Weise zu berichten, insbesondere zu verbreiten:
„Im Blumentopf ihres (sc. C.P.) 18-jährigen Sohnes X. wächst eine Hanf-Pflanze. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurden deshalb Räume und Garten der Familie (sc. P.) in H. durchsucht. Gegen X. wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz eingeleitet.”
c) Die Berufung des Beschwerdeführers wies das Hanseatische Oberlandesgericht mit dem hier angegriffenen Urteil vom 26. Juli 2005 zurück. Zur Begründung führte das Gericht – unter Bezugnahme auf die Gründe des erstinstanzlichen Urteils – aus, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Unterlassung aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 BGB zu. Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 GG und dem Persönlichkeitsrecht des Klägers nach Art. 2 Abs. 1 GG müsse die Meinungsfreiheit im vorliegenden Fall zurücktreten. Es erscheine bereits zweifelhaft, ob angesichts der objektiven Belanglosigkeit des Vorfalls überhaupt ein anerkennenswertes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens gegeben sei. Jedenfalls aber führe das geringe Lebensalter des Klägers dazu, dass sein Interesse, nicht in der Öffentlichkeit genannt zu werden, überwiege. Als seinerzeit 18-jähriger Schüler sei er in besonderem Maße schützenswert; dies folge auch aus der Wertung der §§ 105 ff. JGG und der hierzu ergangenen Richtlinien, die für den Schutz des Persönlichkeitsrechts Heranwachsender besondere Vorkehrungen, insbesondere den erleichterten Ausschluss der Öffentlichkeit von der Hauptverhandlung, vorsähen. Vor diesem Hintergrund könnte das Veröffentlichungsinteresse des Beschwerdeführers nur dann den Vorrang beanspruchen, wenn es sich bei dem Berichtsgegenstand um ein besonders herausragendes, ungewöhnlich brisantes Ereignis handelte, hinsichtlich dessen ein gesteigertes Informationsinteresse bestehe. Ein derartiger Ausnahmefall liege hier aber nicht vor, ohne dass dies weiterer Erörterungen bedürfe. Vorliegend ergebe sich das Informationsinteresse wesentlich daraus, dass der Kläger eine prominente Mutter habe. Dieser Gesichtspunkt rechtfertige aber kein anderes Abwägungsergebnis. Ebenso unerheblich sei es, ob der während des Besuchs der Stern-Journalisten anwesende Kläger mit einer Aufnahme seiner Person einverstanden gewesen sei. Denn selbst wenn er in die Erstellung der Homestory eingewilligt hätte, läge hierin nicht zugleich die Einwilligung in eine Berichterstattung über das anschließende Ermittlungsverfahren.
Auch der Umstand, dass andere Presseveröffentlichungen den Sachverhalt ohnehin bekannt gemacht hätten, stehe einer Verurteilung des Beschwerdeführers nicht entgegen, da nicht erkennbar sei, dass der Kläger nicht auch gegen diese anderen Veröffentlichungen vorgegangen sei. Im Übrigen könne sich ein Verletzter aussuchen, gegen welche von mehreren Verletzern er gerichtlich vorgehen wolle. Ob dem Beschwerdeführer die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft und die Meldungen renommierter Presseagenturen über das Ermittlungsverfahren bekannt gewesen seien, könne offenbleiben. Denn dies wäre jedenfalls nicht geeignet, den Beschwerdeführer zu entlasten. Zwar habe er gegebenenfalls auf die inhaltliche Richtigkeit derartiger Meldungen vertrauen dürfen, dies entbinde ihn aber nicht von der eigenverantwortlichen Interessenabwägung zu der Frage, ob die Verbreitung der Nachricht zulässig sei. Ebenfalls unerheblich sei, dass der Beschwerdeführer seine Nachricht auf einer nicht kommerziellen Seite veröffentlicht habe, die nur von wenigen Internetnutzern wahrgenommen werde, da seine Seite immerhin weltweit zugänglich sei.
2. Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungs-, Presse und Informationsfreiheit) und einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Persönlichkeitsrecht des Klägers müsse hinter seinen Grundrechten zurückstehen. Der Kläger sei auch unter Berücksichtigung seines Lebensalters nicht in erhöhtem Maße schutzbedürftig. Er habe sich durch seine Teilnahme an dem Journalistenbesuch freiwillig an die Öffentlichkeit begeben und sich damit auch mit der Veröffentlichung der entsprechenden Nachrichten einverstanden erklärt. Dies betreffe nicht nur den Hergang des Besuchs selbst, sondern auch die Berichterstattung über das sich anschließende Ermittlungsverfahren. Insoweit müsse er es sich insbesondere zurechnen lassen, dass auch seine Mutter in ihrer eigenen Pressemitteilung Angaben über das Ermittlungsverfahren gemacht habe.
Er – der Beschwerdeführer – habe auch aufgrund der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft davon ausgehen dürfen, dass die weitere Verbreitung der Nachricht zulässig sei. Ferner habe seine Nachricht das Persönlichkeitsrecht des Klägers auch deshalb nicht weiter verletzen können, weil bereits zuvor zahlreiche Berichte in großen Medien über den Vorfall erschienen seien und damit eine besondere Medienöffentlichkeit hergestellt hätten. Dabei sei insbesondere auch eine Namensnennung zulässig, da diese nicht nur bei schweren Straftaten, sondern auch dann, wenn aus anderen Gründen ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit bestehe, im Einzelfall erlaubt sei. Dies sei hier der Fall, weil der Vorgang in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt habe.
Im Übrigen sei auch die Zielrichtung der streitgegenständlichen Veröffentlichung zu berücksichtigen. Der Kläger sei durch sie nicht in der Öffentlichkeit stigmatisiert und an den Pranger gestellt worden. Vielmehr habe die Veröffentlichung das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als überzogen und lächerlich kritisieren wollen. Das ergebe sich bereits aus der Überschrift der Rubrik auf der Internetseite des Beschwerdeführers.
Schließlich spreche das Verhalten des Klägers gegen die Unterlassungsverpflichtung; dieser habe bis zur gerichtlichen Geltendmachung lange zugewartet und sei auch keineswegs gegen sämtliche Veröffentlichungen über das Ermittlungsverfahren vorgegangen.
3. Der Bundesgerichtshof und der Kläger des Ausgangsverfahrens haben sich zu der Verfassungsbeschwerde geäußert. Die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen bereits entschieden. Dies gilt namentlich für das Verhältnis des Grundrechts auf Meinungsfreiheit zu dem ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht bei der Berichterstattung über Strafverfahren (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪220 f.≫; 97, 391 ≪404 f.≫; 119, 309 ≪321 ff.≫).
2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
a) Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪15≫), was bei dem hier zu beurteilenden Bericht über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren offensichtlich der Fall ist.
Allerdings ist das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet vielmehr gemäß Art. 5 Abs. 2 GG seine Schranken im Recht der persönlichen Ehre und in den allgemeinen Gesetzen. Hierunter fallen insbesondere § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 analog BGB, auf die das Oberlandesgericht den Unterlassungsanspruch gestützt hat. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der dafür zuständigen Fachgerichte. Doch müssen sie hierbei das eingeschränkte Grundrecht seinerseits interpretationsleitend berücksichtigen, damit sein Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫; 85, 1 ≪16≫; 99, 185 ≪196≫, stRspr). Dies verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪196 f.≫; 114, 339 ≪348≫). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪16≫; 99, 185 ≪196≫). Jedoch prüft das Bundesverfassungsgericht nach, ob die Fachgerichte den Grundrechtseinfluss hinreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 101, 361 ≪388≫).
b) Die durch das Oberlandesgericht vorgenommene Abwägung genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das Gericht hat nicht sämtliche vorliegend zu berücksichtigenden Gesichtspunkte in die Abwägung eingestellt und die zugunsten des Beschwerdeführers erheblichen Umstände unter Überschreitung des den Fachgerichten zukommenden Abwägungsspielraums teils fehlerhaft gewichtet.
aa) Die Ausführungen des Berufungsurteils zu dem Gewicht der für die Veröffentlichung streitenden Belange unterliegen bereits im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Erwägung des Oberlandesgerichts, der Berichterstattungsgegenstand sei objektiv belanglos und begründe daher jedenfalls kein das Interesse des Klägers, ungenannt zu bleiben, überwiegendes öffentliches Informationsinteresse, deutet auf ein grundlegendes Fehlverständnis des Gewährleistungsgehaltes der Meinungs- und Pressefreiheit hin. Sie lässt nämlich nicht hinreichend erkennen, ob das Gericht sich bewusst war, dass es zunächst vom Selbstbestimmungsrecht der Presse oder auch des journalistischen Laien als Trägers der Meinungsfreiheit umfasst ist, den Gegenstand der Berichterstattung frei zu wählen, und es daher nicht Aufgabe der Gerichte sein kann zu entscheiden, ob ein bestimmtes Thema überhaupt berichtenswert ist oder nicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. April 2001 – 1 BvR 758/97 u.a. –, NJW 2001, S. 1921 ≪1922≫). Die Meinungsfreiheit steht nicht unter einem allgemeinen Vorbehalt des öffentlichen Interesses, sondern sie verbürgt primär die Selbstbestimmung des einzelnen Grundrechtsträgers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht das Grundrecht sein in die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Informationsinteresse lediglich weiter erhöht werden kann. Angesichts dessen stellt es eine verfassungsrechtlich bedenkliche Verkürzung dar, wenn das Oberlandesgericht dem Kläger vorliegend allein deshalb einen Unterlassungsanspruch zuerkannt hat, weil dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege.
Hinzu kommt vorliegend, dass die Einschätzung des Gerichts, es handele sich bei dem streitgegenständlichen Berichtsthema um eine die Öffentlichkeit allenfalls geringfügig interessierende Belanglosigkeit, in augenfälligem Widerspruch steht zu der von den Gerichten festgestellten Vielzahl weiterer Presseberichte über diesen Gegenstand (vgl. zum Faktum der medialen Erörterung eines Themas als Indiz für ein öffentliches Informationsinteresse: Beater, Medienrecht, Rn. 995). Vor diesem Hintergrund erscheint es verfehlt, dass das Berufungsurteil im Anschluss an die Ausführungen des Landgerichts allein die dem Kläger vorgeworfene Straftat in den Blick genommen hat, ohne die Besonderheiten des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts zu würdigen, namentlich den Zusammenhang zwischen dem Ermittlungsverfahren und seiner auch die Mutter des Klägers betreffenden Vorgeschichte. So wird nicht deutlich, ob das Gericht bedacht hat, dass das Vorhandensein einer Cannabispflanze in dem Haushalt einer Spitzenpolitikerin im Hinblick auf die Leitbildfunktion dieses Personenkreises und die öffentliche Debatte um die Strafbarkeit des Besitzes von Betäubungsmitteln durchaus ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse nach sich ziehen kann, das sich gegebenenfalls auch auf die von dem Beschwerdeführer verbreitete Meldung über das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger erstrecken kann. Ebenso wenig hat das Oberlandesgericht die kuriosen, anekdotischen Elemente der Vorgeschichte gewürdigt, die darin liegen, dass die Pflanze von Reportern entdeckt wurde, die von der Mutter des Klägers zum Zweck der Selbstdarstellung in ihr Haus eingeladen worden waren, und dass die Mutter selbst durch die Bemerkung, die Pflanze gehöre ihrem Sohn, bei dieser Gelegenheit den zur Einleitung des Ermittlungsverfahren führenden Verdacht auf den Kläger lenkte.
Soweit das Gericht in diesem Zusammenhang offen gelassen hat, ob der Kläger mit der Befragung durch die Journalisten des „Stern” einverstanden gewesen ist und sich hierdurch freiwillig selbst in die Öffentlichkeit gestellt hat, fehlt es an einer tragfähigen Begründung dafür, warum dies offen beiben konnte. Zwar trifft es zu, dass aus einer Einwilligung des Klägers in die Reportage des „Stern” nicht ohne Weiteres auf die Zulässigkeit der hier streitgegenständlichen Meldung geschlossen werden könnte. Dies beruht aber – wie das Oberlandesgericht durch Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil zutreffend ausgeführt hat – allein darauf, dass der Bericht über ein Ermittlungsverfahren die Persönlichkeitsbelange des Klägers in anderer Weise betreffen kann als die von der Einwilligung umfasste Homestory. Es versteht sich allerdings nicht von selbst, dass ein solcher Unterschied auch vorliegend bestand und ein mögliches Einverständnis des Klägers hinsichtlich der Homestory daher jedenfalls keine Auswirkungen auf den Bericht über das nachfolgende Ermittlungsverfahren gehabt hätte. Denn soweit aufgrund einer Einwilligung des Klägers der Inhalt der Reportage und damit auch die Äußerung Frau P. über die Hanfpflanze ihres Sohnes verbreitet werden durften, hätte das Gericht prüfen müssen, ob nicht schon hierdurch die Rufschädigung des Klägers bewirkt war, ohne dass die vom Beschwerdeführer verbreitete Meldung ihr Wesentliches hinzugefügt hätte. Denn die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ist im Hinblick auf das für die Staatsanwaltschaft geltende Legalitätsprinzip eine wenigstens naheliegende Folge der Berichterstattung über den Fund einer Hanfpflanze. Das Gericht hat auch nicht festgestellt, dass durch die untersagte Berichterstattung bei dem maßgeblichen Durchschnittspublikum etwa der Eindruck entstehe, gegen den Kläger müssten weitere Verdachtsmomente als der Fund der einen Pflanze vorgelegen haben. Darauf, dass der vom Beschwerdeführer verbreitete Artikeltext diesen Eindruck erwecken mag, indem er die Einleitung des Ermittlungsverfahrens erst nach der Durchsuchung erwähnt, kann es nicht ankommen, denn das angegriffene Urteil verbietet nicht nur die Wiederholung dieser konkreten Äußerung, sondern jeglichen Bericht über das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger.
bb) Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist weiter, dass das Oberlandesgericht den Umstand, dass die dem Kläger vorgeworfene Straftat nur von geringer Bedeutung war, allein zur Bemessung des öffentlichen Informationsinteresses herangezogen hat, nicht aber erkennbar berücksichtigt hat, dass die Geringfügigkeit des Tatvorwurfs zugleich geeignet sein kann, die Bedeutung der Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu mindern. Das Bundesverfassungsgericht hat – wenn auch erst nach Erlass des hier angegriffenen Urteils – bereits entschieden, dass bei der Berichterstattung über Strafverfahren die Schwere der in Frage stehenden Straftat nicht nur für das öffentliche Informationsinteresse, sondern auch bei der Gewichtung der entgegenstehenden Persönlichkeitsbelange Bedeutung erlangen kann. So wird bei einer sehr schwerwiegenden Tat zwar einerseits ein hohes öffentliches Informationsinteresse bestehen, andererseits aber die Gefahr einer Stigmatisierung des nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten erhöht sein (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 27. November 2008 – 1 BvQ 46/08 –, NJW 2009, S. 350 ≪352≫); ein entsprechendes Verhältnis wird regelmäßig auch bei besonders leichten Taten anzunehmen sein, sofern an ihnen aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls ein Berichterstattungsinteresse besteht.
cc) Nicht mit ausreichendem Gewicht in die Abwägung eingestellt hat das Oberlandesgericht weiter den Umstand, dass über das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger bereits durch eine Vielzahl anderer Medien berichtet worden und es dadurch bereits einer breiten Öffentlichkeit bekannt war. Das Gericht führt hierzu – durch Bezugnahme auf das landgerichtliche Urteil – lediglich aus, dass der bereits geschehene rechtswidrige Eingriff nicht perpetuiert werden dürfe. Es trifft zwar zu, dass der Verweis auf das rechtswidrige Verhalten Dritter einen Störer grundsätzlich nicht entlasten kann. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, dass es sich bei dem hier auf Seiten des Klägers zu berücksichtigenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht um eine statische, für alle Zeiten feststehende Größe handelt, sondern dass sein Bestand in gewissem Umfang auch von der tatsächlichen Anerkennung durch die Öffentlichkeit abhängt und es seinem Träger keinen Anspruch darauf vermittelt, öffentlich nur so dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist (vgl. BVerfGE 82, 236 ≪269≫; 97, 125 ≪149≫). Der Umstand, dass eine – wahre – Tatsache bereits einer größeren Öffentlichkeit bekannt ist und deren Sicht auf die betroffene Person schon wesentlich mitprägt, ist daher jedenfalls geeignet, das Gewicht ihrer Weiterverbreitung gegenüber dem Ersteingriff erheblich zu mindern (vgl. BGH, NJW 1999, S. 2893 ≪2895≫ unter Verweis auf EGMR, NJW 1999, S. 1315 ≪1318≫). Die angegriffene Entscheidung zeigt auch nicht auf, dass von diesem Grundsatz vorliegend abgewichen werden müsste, weil etwa die Verbreitung durch den Beschwerdeführer den Kreis der Rezipienten erheblich erweitert habe. Die hierzu vom Oberlandesgericht bestätigte Erwägung des erstinstanzlichen Urteils, dass die Veröffentlichung im Internet geeignet sei, eine potentiell unbegrenzte Öffentlichkeit zu erreichen, ist eher theoretischer Natur.
c) Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen schließlich auch dagegen, dass das Oberlandesgericht der – mindestens den Nachnamen des Klägers nennenden – Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft über das Ermittlungsverfahren keinerlei rechtliche Bedeutung beigemessen hat. Jedenfalls dann, wenn der – nicht ganz eindeutige – Vortrag des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren so zu verstehen sein sollte, dass er die streitgegenständliche Meldung in Kenntnis und im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der amtlichen Verlautbarung verbreitet hat, hätte er nicht als unerheblich behandelt werden dürfen.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass den Verlautbarungen amtlicher Stellen wie insbesondere der Staatsanwaltschaft ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden darf (vgl. exemplarisch OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, S. 732 ≪733≫ sowie schon RGSt 73, S. 67). Zwar ist dies, wie das Oberlandesgericht – durch Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil – hier zutreffend ausgeführt hat, vor allem mit Blick auf diejenige Sorgfalt angenommen worden, die die Fachgerichte dem Äußernden hinsichtlich des Wahrheitsgehalts seiner Tatsachenbehauptung abverlangen. Diese stand hier nicht in Streit; auch der Kläger hat nicht bestritten, dass die Staatsanwaltschaft infolge des Pflanzenfundes ein Ermittlungsverfahren wegen Betäubungsmittelstraftaten gegen ihn eingeleitet hatte. Allerdings dürfen auch im Übrigen keine Sorgfaltsanforderungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen postuliert werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen und so auf die Meinungsfreiheit insgesamt einschnürend wirken können (vgl. BVerfGE 54, 208 ≪219 f.≫; 61, 1 ≪8≫; 85, 1 ≪17≫). Daher ist bei der Frage, in welchem Umfang das Vertrauen in die Richtigkeit einer amtlichen Verlautbarung geschützt ist, auch zu beachten, dass eine eindeutige Trennung zwischen den tatsächlichen und den rechtlichen Aspekten der zugrunde liegenden Abwägung oft nicht möglich sein und sich dem Rezipienten nicht immer erschließen wird. So kann die Abwägungsentscheidung der Staatsanwaltschaft auf tatsächlichen Umständen beruhen, die der Mitteilung weder entnommen noch vom Bürger selbständig ermittelt werden können. Dieser wird – außer bei offenkundigen Exzessen – insbesondere annehmen, dass eine in ihrer Informationspolitik unmittelbar an die Grundrechte, namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat, ohne aber die Verdachtsmomente stets vollständig mitgeteilt zu bekommen und eigenständig bewerten zu können. Deshalb steht die Annahme, dass selbst journalistische Laien nicht ohne Weiteres auf die Richtigkeit der einer staatsanwaltschaftlichen Pressemitteilung vorausgegangenen Abwägung vertrauen dürften, nicht weniger in der Gefahr, eine Lähmung der individuellen Meinungsfreiheit zu bewirken, als überzogene Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich des Wahrheitsgehalts von Tatsachen aus allgemein als zuverlässig beurteilten Quellen (vgl. hierzu BVerfGE 85, 1 ≪22≫).
Zwar ist der hier in Frage stehende Unterlassungsanspruch verschuldensunabhängig, doch kann den verfassungsrechtlichen Anforderungen jedenfalls bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr Rechnung getragen werden. Die Möglichkeit, den guten Glauben des Äußernden hier zu privilegieren, ist nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung gegeben. Zwar wird der im Wettbewerbsrecht entwickelte Grundsatz, wonach die geschehene Rechtsverletzung die Wiederholungsgefahr indiziert und erst eine strafbewehrte Unterlassungserklärung diese Wirkung entfallen lässt, auch auf den deliktischen Unterlassungsanspruch angewendet. Der Bundesgerichtshof hat aber bereits entschieden, dass er hier nicht mit gleicher Strenge gilt, sondern das Deliktsrecht eher Anlass geben kann, die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen und etwa im Hinblick auf singuläre Umstände der Verletzungshandlung eine Wiederholungsgefahr zu verneinen (vgl. BGH, NJW 1994, S. 1281 ≪1283≫). Hiervon ausgehend hätte das Oberlandesgericht nicht allein auf die Vermutungswirkung der rechtswidrigen Erstbegehung abstellen dürfen, sondern berücksichtigen müssen, ob der Beschwerdeführer im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der staatsanwaltlichen Mitteilung gehandelt hat und daher nach dessen Erschütterung durch das an ihn und die Staatsanwaltschaft gerichtete Unterlassungsverlangen eine Wiederholung der Verletzungshandlung nicht zu erwarten war.
d) Die angegriffene Entscheidung beruht auf den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Fehlern. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei erneuter Befassung zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
3. Auf die weiter behaupteten Verstöße gegen die Grundrechte auf Presse- und Informationsfreiheit kommt es demnach nicht mehr an.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Papier, Eichberger, Masing
Fundstellen
NJW-RR 2010, 1195 |
AfP 2010, 365 |
DSB 2010, 19 |
ZUM 2010, 961 |
GRUR-Prax 2010, 510 |
GRUR-RR 2010, 484 |