Entscheidungsstichwort (Thema)
Versammlungsverbot
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 10.04.2002; Aktenzeichen 5 B 620/02) |
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verbotsverfügung des Landrats Meschede als Kreispolizeibehörde vom 22. März 2002 – VL 1.2-231 – wird wieder hergestellt.
2. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Antragsteller die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft ein für sofort vollziehbar erklärtes Versammlungsverbot.
1. Der Antragsteller meldete bei der Versammlungsbehörde für den 13. April 2002 einen Aufzug in Arnsberg mit dem Thema „Bürgerrechte und Meinungsfreiheit auch im Sauerland” an. Dieser wurde von der Versammlungsbehörde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt. Während das Verwaltungsgericht dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des hiergegen eingelegten Widerspruchs wieder herzustellen, statt gab, lehnte das Oberverwaltungsgericht auf die Beschwerde der Versammlungsbehörde den Antrag ab.
2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG hat Erfolg, da offensichtlich ist, dass die von der Behörde und dem Oberverwaltungsgericht angestellte Tatsachenwürdigung unter Berücksichtigung des Schutzgehalts von 8 GG nicht tragfähig ist (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 1411; S. 2069). Bleiben aber die den Entscheidungen der Behörde und des Oberverwaltungsgerichts zugrundegelegten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung außer Betracht, sind die Nachteile einer Sofortwirkung des Versammlungsverbots schwer und derart gewichtig, dass die einstweilige Anordnung zu ergehen hat.
a) Die Annahme der Behörde und des Oberverwaltungsgerichts, die öffentliche Sicherheit sei durch die Versammlung gefährdet, beruht zunächst auf der Annahme, es handele sich um eine Tarnveranstaltung der „Sauerländer Aktionsfront” (SAF) und des „Siegener Bärensturms” (SB). Der Antragsteller fungiere lediglich als Strohmann für eine Frau W. Wie bei früheren Veranstaltungen aus dem Umfeld dieser Organisation sei mit Straftaten gemäß den §§ 86, 86 a und 130 StGB zu rechnen. Da der Antragsteller eine Tarnabsicht nachdrücklich bestreitet, ist für die Folgenbeurteilung entscheidend, ob nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine Täuschung über den geplanten Inhalt bestehen. Bei der Beurteilung des Inhalts und Gegenstandes einer Versammlung ist zunächst vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Art und Inhalt der Versammlung auszugehen (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪343≫). Die Angaben des Veranstalters scheiden als Grundlage für die von der Behörde vorzunehmende Gefahrenprognose allerdings aus, wenn tatsächliche Anhaltspunkte darauf hindeuten, dass der Veranstalter in Wahrheit eine Versammlung anderen Inhalts plant, die eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bewirkt. Gibt es neben solchen Anhaltspunkten auch Gegenindizien, hat sich die Behörde auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz hinreichend berücksichtigenden Weise auseinander zu setzen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 3053 ff.; NJW 2001, S. 1407). Hieran fehlt es vorliegend.
Entscheidende Bedeutung kommt insoweit – wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat – den Erfahrungen mit den von dem Antragsteller am 30. Juni 2001 in Meschede (in der Nähe von Arnsberg) durchgeführten Versammlung zu, auf die allerdings weder die Versammlungsbehörde noch das Oberverwaltungsgericht eingegangen sind. Auch dort hatte die Versammlungsbehörde ein Versammlungsverbot mit dem Gesichtspunkt einer Tarnveranstaltung der SAF und Verbindungen des Beschwerdeführers mit Frau W. begründet, ohne dass für das Vorliegen einer Tarnveranstaltung hinreichende Anhaltspunkte vorlagen. Auch im Nachhinein – so das Verwaltungsgericht – gäbe es keine Anhaltspunkte, die nunmehr eine andere Beurteilung rechtfertigen würden. Dass es zu Straftaten gemäß den §§ 86, 86 a und 130 StGB gekommen sei, habe die Behörde gleichfalls nicht näher dargelegt. Warum bei dieser Sachlage die jetzt angemeldete Versammlung als Tarnveranstaltung anzusehen sein soll, ist nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass in der Folgezeit von Frau W. angemeldete Versammlungen der SAF zuzurechnen waren (vgl. insoweit auch die Entscheidungen der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG vom 10. August 2001 – 1 BvQ 34/01 – und vom 23. November 2001 – 1 BvQ 44/01 –), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es kommt maßgeblich auf den Antragsteller an, der aber nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zumindest in jüngster Zeit keine Veranstaltungen durchgeführt hat, die sich im Nachhinein als Tarnveranstaltungen herausgestellt haben.
b) Auch die weitere Überlegung des Oberverwaltungsgerichts, dass unabhängig von dem Aspekt der Tarnveranstaltung wegen der zu erwartenden Teilnahme von Aktivisten und Sympathisanten der SAF und des SB mit Straftaten zu rechnen sei, vermag das Versammlungsverbot nicht zu tragen. Auch insoweit fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für diese Prognose. Dass es bei der von dem Antragsteller am 6. April 2002 in Leipzig durchgeführten Demonstration zu Straftaten und Auflagenverstößen gekommen sein soll, besagt als solches noch nichts über den Ablauf der hier in Rede stehenden Versammlung, die sich in Thematik, Teilnehmerkreis und Ort von der Veranstaltung in Leipzig unterscheidet.
c) Schließlich lässt sich eine das Versammlungsverbot rechtfertigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch nicht im Hinblick auf einen der von dem Antragsteller benannten Redner herleiten. Dies folgt zunächst bereits daraus, dass etwaige speziell aus dem Auftritt des Redners resultierende Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch das mildere Mittel entsprechender Auflagen ausgeschlossen werden müssten. Ungeachtet dessen sind aber auch die Voraussetzungen für eine Auflage in Gestalt etwa eines Redeverbotes nicht dargelegt worden. Dass bei der von dem Antragsteller angemeldeten und geleiteten Versammlung mit hoher Wahrscheinlichkeit strafbare Äußerungen des Redners zu erwarten sind, ist nicht ersichtlich. Der Hinweis auf Äußerungen auf Versammlungen am 10.2. und 1.5.2001, die – soweit ersichtlich – nicht von dem Antragsteller geleitet worden sind, reicht nicht aus. Ein Redeverbot kommt nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, dass dieses als präventive Maßnahme besonders intensiv in die Meinungsäußerungsfreiheit des Betroffenen aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eingreift. Infolge des Redeverbots werden Abklärungen darüber unmöglich, ob die zu erwartenden Äußerungen wirklich strafbar wären. Zudem unterbindet ein Redeverbot nicht nur einzelne, möglicherweise strafbare Aussagen, sondern auch rechtlich unbedenkliche Bestandteile der Rede. Zählt ein Redebeitrag zu den Programmpunkten einer öffentlichen Versammlung, so beeinträchtigt das Redeverbot die Möglichkeit kommunikativer Entfaltung in Gemeinschaft mit anderen Versammlungsteilnehmern und beeinträchtigt damit auch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. Dezember 2001 – 1 BvQ 49/01 –).
3. Auf eine Gefahr für die öffentliche Ordnung kann das Versammlungsverbot nicht gestützt werden (vgl. BVerfGE 69, 315 ≪353≫; BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, DVBl 2001, S. 897; S. 1134).
4. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 743168 |
NVwZ-RR 2002, 500 |
DVBl. 2002, 970 |
NPA 2002, 0 |
www.judicialis.de 2002 |