Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 13.11.2012; Aktenzeichen III-4 Ws 337/12) |
LG Bochum (Beschluss vom 13.09.2012; Aktenzeichen IV StVK 67/12) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. November 2012 – III-4 Ws 337/12 – und der Beschluss des Landgerichts Bochum vom 13. September 2012 – IV StVK 67/12 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. November 2012 – III-4 Ws 337/12 – wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen Beschlüsse, mit denen die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus nach nahezu 27 Jahren Maßregelvollzug angeordnet wurde.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde im April 1986 durch Urteil des Landgerichts Bochum wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit vom Vorwurf des schweren Raubes beziehungsweise der schweren räuberischen Erpressung in fünf Fällen, wobei es in drei Fällen beim Versuch geblieben war, des Raubes in drei Fällen, des versuchten Raubes in einem Fall und der Beleidigung in fünf Fällen freigesprochen. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde angeordnet.
Der Beschwerdeführer hatte im Alter von 16 bis 18 Jahren fremden Frauen an die Brust gefasst und sich auf offener Straße entblößt. Zudem hatte er mit wechselndem Erfolg versucht, Passantinnen ihre Handtaschen zu entreißen, wobei er bei mehreren Taten „Flacheisen” mitgeführt hatte, mit denen er vorzutäuschen versucht hatte, über ein Messer zu verfügen. Nachdem in einem Fall der Versuch, die sich wehrende Inhaberin eines Blumengeschäfts in die Toilette zu sperren, misslungen war, hatte der Beschwerdeführer spontan ein dort liegendes Blumenmesser ergriffen und die Inhaberin damit genötigt, die Kasse zu öffnen. Da ihr dies nicht gelungen war, hatte er die Kasse letztlich selbst geöffnet. In einem anderen Fall hatte er bei einem Raubversuch mit einer Schreckschusspistole aus einigen Metern Entfernung auf eine Frau geschossen.
Nach den gerichtlichen Feststellungen war seine Steuerungsfähigkeit in allen Fällen zumindest gemäß § 21 StGB erheblich eingeschränkt, womöglich auch völlig aufgehoben. Es habe das „Klinefelter-Syndrom” vorgelegen, womit eine Chromosomenabnormität bezeichnet werde, die unter anderem zu fehlender geistiger Eigenständigkeit, hoher Beeinflussbarkeit und geschwächter Impulskontrolle führe. In Verbindung mit einer Intelligenzminderung sei eine Persönlichkeitsabnormität mit dem Grad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gegeben.
2. Seit Dezember 1985 befindet der Beschwerdeführer sich – zunächst einstweilig, ab Mai 1986 dauerhaft – im Maßregelvollzug. Das letzte externe Sachverständigengutachten aus dem April 2010 kam zu der Einschätzung, der Beschwerdeführer sei trotz positiver Ansätze weiterhin in seiner Selbststeuerung und Verhaltensregulierung beeinträchtigt. Es lägen eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bei sexueller Entwicklungsstörung mit sexuellen Verhaltensabweichungen, das „Klinefelter-Syndrom” und eine leichte Intelligenzminderung sowie ein Alkoholabhängigkeitssyndrom vor. Die Behandlungsprognose sei ungünstig. Die Behandlungsmöglichkeiten erschienen ausgereizt. Der Beschwerdeführer sei nach wie vor sehr bedürfnisorientiert und kaum zur Verantwortungsübernahme und Impulskontrolle in der Lage. Auch die Kriminalprognose erscheine ungünstig. Wegen der Chromosomenanomalie sei zu bezweifeln, ob es ihm möglich sein werde, jemals straffrei innerhalb der Gesellschaft zu leben. Es drohe die Gefahr ähnlicher Taten wie der Eingangsdelikte, auch wenn es zuletzt zu weniger verbalen Aggressionen und sexuellen Handlungen gekommen sei. Um den Beschwerdeführer behutsam an ein Leben außerhalb des Maßregelvollzugs heranzuführen, bedürfe er der Unterstützung professioneller Helfer in allen Lebensbereichen. Er werde zumindest mittelfristig eine geschlossene Einrichtung benötigen. Dies müsse aber nicht unbedingt eine Maßregelvollzugseinrichtung sein.
Das Landgericht Paderborn ordnete im Januar 2011 auf Wunsch des Beschwerdeführers die Überweisung in eine Entziehungsanstalt gemäß § 67a StGB an. Diese stellte jedoch im August 2011 das Scheitern der Therapie wegen des Verhaltens des Beschwerdeführers fest. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin die Erledigterklärung der Unterbringung. Das Landgericht Bielefeld ordnete mit Beschluss vom 20. September 2011 jedoch erneut die Fortdauer der Unterbringung an. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 8. November 2011 als unbegründet. Daraufhin erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde, der die Kammer mit Beschluss vom 16. Mai 2013 (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Mai 2013 – 2 BvR 2671/11 –, juris) stattgab. Die Kammer stellte fest, dass die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Hamm und des Landgerichts Bielefeld den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Absatz 1 des Grundgesetzes verletzten, insbesondere den Anforderungen, die sich aus dem verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergäben, nicht hinreichend Rechnung trügen.
3. Mit im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenem Beschluss vom 13. September 2012 ordnete das Landgericht Bochum erneut die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers an. Das Landgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer sich zwar inzwischen in der Klinik angepasst habe, an psychotherapeutischen Gesprächsterminen teilnehme und über Gruppenausgänge verfüge. Die Behandlung habe jedoch nach wie vor nicht zu greifbaren Erfolgen geführt. Aufgrund der über weite Strecken fehlenden Mitarbeitsbereitschaft des Beschwerdeführers habe zudem eine Erprobung außerhalb des Maßregelvollzugs bisher nicht beginnen können, eine aussagekräftige Überprüfung seiner Verlässlichkeit und Leistungsfähigkeit stehe noch immer aus. Vor diesem Hintergrund sei die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten unverändert groß. Angesichts der Anlasstaten und seines Verhaltens während der Unterbringung sei nach wie vor mit erheblichen gewalttätigen Übergriffen des Beschwerdeführers zu rechnen. Die Fortdauer der Unterbringung sei trotz der bereits erheblichen Dauer auch nicht unverhältnismäßig. Der Unterbringung lägen Straftaten mit erheblichem Gewicht zugrunde, bei einer Entlassung des Beschwerdeführers ohne erfolgreiche Reduzierung der Auffälligkeiten, insbesondere der Aufarbeitung der fehlenden Impulskontrolle und seines mangelnden Verantwortungsbewusstseins, wäre konkret zu befürchten, dass es zu gleichgelagerten Taten unter Einsatz von Gewalt kommen werde.
4. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Beschluss sofortige Beschwerde. Nach über 26 Jahren sei die weitere Unterbringung im Maßregelvollzug nicht mehr verhältnismäßig. Die Verurteilung sei nach Jugendstrafrecht erfolgt, entsprechend hätte der Beschwerdeführer mit einer Gesamtjugendstrafe von nicht mehr als fünf Jahren rechnen müssen. Zum jetzigen Zeitpunkt sei diese Strafe um mehr als das Fünffache überschritten. Die begangenen Raubdelikte hätten sich in der Anwendung von Drohungen erschöpft. Auch wenn der Beschwerdeführer bei der Begehung einer Tat ein Messer eingesetzt habe, sei kein Geschädigter verletzt oder auch nur in die Gefahr einer Verletzung gebracht worden. Es existierten keine konkreten Hinweise darauf, dass künftige Rückfalltaten mit (größerem) Gewaltpotenzial begangen werden könnten.
5. Auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Hamm erwiderte der Beschwerdeführer, dass sich das Landgericht nicht mit der konkreten Gefährlichkeit der Anlasstat auseinandergesetzt habe. Mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit verbiete es sich, ohne Einschränkung jede erdenkliche, zukünftige rechtswidrige Tat als Anknüpfungspunkt zur Begründung der Aufrechterhaltung der Maßregel heranzuziehen. Es sei angesichts des hohen Gewichts des Freiheitsanspruchs zu hinterfragen, ob nicht wirkungsvolle und zugleich mildere Instrumentarien zur Verfügung stünden.
6. Mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 13. November 2012 verwarf das Oberlandesgericht Hamm die sofortige Beschwerde „aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht ausgeräumt werden” und bemerkte ergänzend, seit dem letzten Gerichtsbeschluss hätten sich keine wesentlichen Änderungen ergeben, die es rechtfertigen könnten, die Maßregel für erledigt zu erklären oder deren Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch die angegriffenen Beschlüsse in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG verletzt. Der Prognoseentscheidung des Landgerichts Bochum sei nicht zu entnehmen, dass die konkreten Umstände der damaligen Taten Gegenstand der erforderlichen Verhältnismäßigkeitserwägungen gewesen seien. Das Landgericht habe sich nicht mit der konkreten Gefährlichkeit der Taten auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer habe während des sich nunmehr über 26 Jahre erstreckenden Maßregelvollzugs keine erheblichen Straftaten begangen und solche auch nicht vorbereitet. Die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung sei unverhältnismäßig. Auch wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Beschwerdeführer zukünftig weitere, den Einweisungsdelikten entsprechende Straftaten begehen werde, gebiete es die Unantastbarkeit der Menschenwürde, ihm trotz negativer Prognose eine Chance zur Teilhabe an der Freiheit zu eröffnen. Schließlich fehle eine Auseinandersetzung mit der Thematik, ob und in welcher Art etwaigen Gefahren durch geeignete Auflagen entgegengewirkt werden könnte.
III.
1. a) Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
b) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für aussichtsreich. Die angegriffenen Beschlüsse, die ausdrücklich auf die unveränderte Sachlage verwiesen, entsprächen in ihrer Begründung weitgehend den vom Bundesverfassungsgericht (später) beanstandeten Beschlüssen des Vorjahres. Vor diesem Hintergrund werde auch hinsichtlich der hier gegenständlichen Beschlüsse von einer Verletzung des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers auszugehen sein.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 25 Js 1309/85 der Staatsanwaltschaft Bochum vorgelegen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus – bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
1. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bochum vom 13. September 2012 und des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. November 2012, die zeitlich vor der Entscheidung der Kammer vom 16. Mai 2013 über die vorangegangenen Beschlüsse ergangen sind, entsprechen – wie der Generalbundesanwalt zutreffend festgestellt hat – den Beschlüssen des Vorjahres weitgehend und enthalten keine zusätzlichen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen von Relevanz. Sie verletzen daher den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus ergeben, nicht genügen.
a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. Er beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidungen über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden. Hält das Gericht ein Risiko im Sinne des § 67d Abs. 2 StGB bei einem nach § 63 StGB Untergebrachten für gegeben, hat es die mögliche Gefährdung der Allgemeinheit zu der Dauer des erlittenen Freiheitsentzugs in Beziehung zu setzen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311 f.≫).
Dabei ist auf die Gefahr solcher rechtswidriger Taten abzustellen, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen; diese müssen mithin „erheblich” im Sinne des § 63 StGB sein. Die Beurteilung hat sich demnach darauf zu erstrecken, ob und welche Art rechtswidriger Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren; der Grad der Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist zu bestimmen; deren bloße Möglichkeit vermag die weitere Maßregelvollstreckung nicht zu rechtfertigen. Bei allem ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪313≫).
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet darüber hinaus, die Unterbringung eines Täters in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nur solange zu vollstrecken, wie der Zweck dieser Maßregel es unabweisbar erfordert und zu seiner Erreichung den Untergebrachten weniger belastende Maßnahmen nicht genügen. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann es daher auf die voraussichtlichen Wirkungen der im Falle der Aussetzung des Maßregelvollzugs kraft Gesetz eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB) und der damit verbindbaren weiteren Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe gemäß §§ 68a, 68b StGB ankommen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪314≫).
Da es sich bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung um eine wertende Entscheidung handelt, die nach ausfüllungsbedürftigen Kriterien und unter Prognosegesichtspunkten fällt, kann das Bundesverfassungsgericht sie nicht in allen Einzelheiten, sondern nur daraufhin nachprüfen, ob eine Abwägung überhaupt stattgefunden hat und ob die dabei zugrunde gelegten Bewertungsmaßstäbe der Verfassung entsprechen, insbesondere Inhalt und Tragweite des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht verkennen. Je länger aber die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus andauert, umso strenger werden die Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs sein. Das Freiheitsgrundrecht gewinnt wegen des sich verschärfenden Eingriffs immer stärkeres Gewicht für die Wertungsentscheidung des Strafvollstreckungsrichters (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪314 f.≫).
Das zunehmende Gewicht des Freiheitsanspruchs bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wirkt sich bei solchen langdauernden Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auch auf die an die Begründung einer Entscheidung zu stellenden Anforderungen aus. In diesen Fällen engt sich der Bewertungsrahmen des Strafvollstreckungsrichters ein; mit dem immer stärker werdenden Freiheitseingriff wächst die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte. Dem lässt sich angesichts der in besonderem Maße wertenden Natur der Entscheidung, ob die Erprobung des Untergebrachten in Freiheit verantwortet werden kann, dadurch Rechnung tragen, dass der Richter seine Würdigung eingehender abfasst, sich also nicht etwa mit knappen, allgemeinen Wendungen begnügt, sondern seine Bewertung anhand der dargestellten einfachrechtlichen Kriterien substantiiert offenlegt. Erst dadurch wird es möglich, im Rahmen verfassungsgerichtlicher Kontrolle nachzuvollziehen, ob die von dem Täter ausgehende Gefahr seinen Freiheitsanspruch gleichsam aufzuwiegen vermag. Zu verlangen ist mithin vor allem die Konkretisierung der Wahrscheinlichkeit weiterer rechtswidriger Taten, die von dem Untergebrachten drohen, und deren Deliktstypus. Bleibt das Bemühen des Richters um Zuverlässigkeit der Prognose trotz Ausschöpfung der zu Gebote stehenden Erkenntnismittel mit großen Unsicherheiten behaftet, so hat auch dies Eingang in seine Bewertung zu finden (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪315 f.≫).
Genügen die Gründe einer Entscheidung über die Fortdauer einer bereits außergewöhnlich lange währenden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus diesen Maßstäben nicht, so führt das dazu, dass die Freiheit der Person des Untergebrachten auf solcher Grundlage nicht rechtmäßig eingeschränkt werden kann; sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist verletzt, weil es an einer verfassungsrechtlich tragfähigen Grundlage für die Unterbringung fehlt (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪316 f.≫).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Bochum vom 13. September 2012 und des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. November 2012 nicht. Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von den vorausgegangenen Fortdauerentscheidungen aus dem Jahr 2011, die Gegenstand des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 2013 waren (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Mai 2013 – 2 BvR 2671/11 –, juris). Es fehlt in diesen Beschlüssen bereits an einer hinreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr zukünftiger rechtswidriger Taten (aa). Daneben tragen die Beschlüsse dem zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers angesichts der Dauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB unzureichend Rechnung (bb). Außerdem wird nicht ausreichend dargelegt, dass der Schutz der Allgemeinheit durch weniger belastende Maßnahmen nicht erreicht werden kann (cc).
aa) Hinsichtlich der Gefahrenprognose stellt das Landgericht in seinem Beschluss vom 13. September 2012 fest, dass die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten unverändert groß sei. Angesichts der Anlasstaten und des Verhaltens des Beschwerdeführers während der Unterbringung sei nach wie vor mit erheblichen gewalttätigen Übergriffen zu rechnen. Bei einer Entlassung ohne erfolgreiche Reduzierung der Auffälligkeiten, insbesondere ohne Aufarbeitung der fehlenden Impulskontrolle und des mangelnden Verantwortungsbewusstseins, wäre konkret zu befürchten, dass es zu gleichgelagerten Taten unter Einsatz von Gewalt kommen werde. Das Oberlandesgericht nimmt in seinem Beschluss vom 13. November 2012 hierauf lediglich Bezug.
Diese Feststellungen genügen dem Erfordernis einer Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr künftiger erheblicher Straftaten nicht. Die zu erwartenden Straftaten werden bereits nicht konkret benannt. Auch wird der Grad der Wahrscheinlichkeit solcher Taten, die nach ihrer Art und ihrem Gewicht ausreichen, die Anordnung und Fortdauer der Maßregel zu tragen, nicht ausreichend bestimmt. Die Behauptung, es sei nach wie vor mit erheblichen gewalttätigen Übergriffen des Beschwerdeführers zu rechnen, grenzt die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr unzureichend von der bloßen Möglichkeit der Begehung weiterer, den Maßregelvollzug rechtfertigender Taten ab. Gleiches gilt für die Feststellung, es sei konkret zu befürchten, dass es zu gleichgelagerten Taten unter Einsatz von Gewalt kommen werde. Vor allem aber setzen sich die angegriffenen Beschlüsse mit den Besonderheiten des vorliegenden Falls nicht auseinander: Der Beschwerdeführer hat die von ihm bei den Anlasstaten mitgeführten gefährlichen Werkzeuge ausnahmslos nur zum Zweck der Drohung eingesetzt. In keinem Fall hat er ein Opfer der von ihm begangenen Taten hiermit verletzt. Bei ernsthafter Gegenwehr hat er regelmäßig die Flucht ergriffen. Auch während des jahrzehntelangen Maßregelvollzugs wurde der Beschwerdeführer – soweit ersichtlich – nie gewalttätig. Diese Umstände hätten bei der Bestimmung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr Berücksichtigung finden müssen. Hierzu verhalten sich die angegriffenen Beschlüsse aber nicht.
bb) Daneben tragen die angegriffenen Entscheidungen dem angesichts der Dauer des Maßregelvollzugs zunehmenden Gewicht des Freiheitsanspruchs des Beschwerdeführers nicht hinreichend Rechnung.
Der Beschwerdeführer befand sich zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Entscheidungen seit nahezu 27 Jahren im Maßregelvollzug. Angesichts dieser besonders langandauernden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hätte die Anordnung der Fortdauer besonders sorgfältiger Begründung bedurft. Bei der gebotenen Abwägung zwischen den möglichen Gefährdungen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers hätte es nicht nur – wie dargestellt – einer hinreichenden Konkretisierung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr weiterer rechtswidriger Taten bedurft. Darüber hinaus hätte auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden müssen, dass auf den Beschwerdeführer noch Jugendstrafrecht Anwendung gefunden hatte, die Dauer der Unterbringung den Strafrahmen der begangenen Taten weit überschreitet und nach den Feststellungen des (letzten externen) Sachverständigengutachtens vom 23. April 2010 die Möglichkeiten einer Behandlung des Beschwerdeführers erschöpft scheinen (vgl. dazu BVerfGK 2, 55 ≪63≫). Da die angegriffenen Entscheidungen sich mit diesen Umständen nicht auseinandersetzen, tragen sie auch insoweit der Bedeutung des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG nicht in der gebotenen Weise Rechnung.
cc) Schließlich legen die angegriffenen Beschlüsse auch nicht in ausreichendem Maße dar, dass der Schutz der Allgemeinheit nicht auch durch den Beschwerdeführer weniger belastende Maßnahmen erreicht werden kann.
Angesichts der Feststellungen im Sachverständigengutachten vom 23. April 2010, der Beschwerdeführer werde voraussichtlich dauerhaft professionelle Hilfe und zumindest mittelfristig die stützende Struktur einer geschlossenen Einrichtung benötigen, dies müsse aber nicht unbedingt eine Maßregelvollzugseinrichtung sein, hätte es einer Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, ob im Falle einer Aussetzung des Maßregelvollzugs durch Maßnahmen der Aufsicht und Hilfe gemäß §§ 68a, 68b StGB im Rahmen der kraft Gesetzes eintretenden Führungsaufsicht (§ 67d Abs. 2 Satz 2 StGB) dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit hinreichend Rechnung getragen werden kann. Der bloße Hinweis in dem Beschluss des Landgerichts, der Beschwerdeführer habe durch seine mangelnde Mitarbeitsbereitschaft in der Vergangenheit Fortschritte in der Behandlung und der Therapie deutlich verzögert, genügt zur Begründung der Annahme, die Fortdauer der Unterbringung sei unabweisbar geboten, nicht, zumal eine Berücksichtigung der in der Stellungnahme der Maßregelvollzugseinrichtung vom 17. Juli 2012 dem Beschwerdeführer attestierten Verhaltensänderungen den angegriffenen Beschlüssen nicht entnommen werden kann.
dd) Insgesamt genügen die in den angegriffenen Beschlüssen dargelegten Gründe nicht, um die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen und den sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen Rechnung zu tragen. Sie verletzen den Beschwerdeführer daher in seinem Freiheitsrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
2. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 13. November 2012 ist daher aufzuheben. Die Sache ist an das Oberlandesgericht Hamm zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Gerhardt, Hermanns, Müller
Fundstellen