Verfahrensgang
OLG München (Beschluss vom 14.02.2014; Aktenzeichen 3 Ws 114/14) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 2014 – 3 Ws 114/14 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 2014 – 3 Ws 114/14 – wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
1. a) Mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15. Juli 2004 wurde der Beschwerdeführer von den Vorwürfen der versuchten gefährlichen Körperverletzung, der Beleidigung in zwei Fällen, in einem Fall tateinheitlich mit Sachbeschädigung, sowie der vorsätzlichen Körperverletzung wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB freigesprochen. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.
aa) Das Landgericht sah als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer am 1. September 2003 versuchte, den Angestellten eines Sicherheitsdienstes, den er zuvor beleidigt hatte, mit einer Bierflasche zu schlagen. Des Weiteren habe er am 3. April 2004 gegen 0.15 Uhr seine Nachbarin heftig beleidigt und zum Geschlechtsverkehr aufgefordert sowie versucht, nur mit einer Unterhose bekleidet, in deren Wohnung einzudringen. In der darauffolgenden Nacht habe er gegen 3.15 Uhr, laut herumschreiend, diese Aufforderung unter Hinzufügung schwerer Beleidigungen wiederholt. Am 10. April 2004 schließlich habe der Beschwerdeführer einem weiblichen Fahrgast in einem Linienbus ohne jeden Anlass einen Faustschlag ins Gesicht versetzt.
bb) In den Urteilsgründen führte das sachverständig beratene Landgericht aus, der Beschwerdeführer leide unter einer paranoiden Schizophrenie (ICD 10: F 20.51) und einem sekundären Alkoholabusus (ICD 10: F 10.1). Die begangenen Taten seien geeignet, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören, da der Beschwerdeführer ohne jeden Anlass auf Unbeteiligte losgegangen sei. Die mangelnde Krankheitseinsicht lasse eine erfolgversprechende Behandlung extrem schwierig erscheinen. Da von dem Beschwerdeführer weitere Taten mindestens vergleichbaren Gewichts zu erwarten seien, sei seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen.
b) Nach vorangegangener vorläufiger Unterbringung gemäß § 126a StPO seit dem 29. Juli 2004 wurde die Unterbringung des Beschwerdeführers gemäß § 63 StGB ab dem 8. Dezember 2004 im Bezirkskrankenhaus K. vollzogen.
c) Nach fünfjährigem Vollzug der Unterbringung lehnte das Landgericht Kempten im Jahr 2009 die nach § 463 Abs. 4 StPO grundsätzlich erforderliche Einholung eines externen Sachverständigengutachtens mit der Begründung ab, dass der Untergebrachte die Mitwirkung an der Begutachtung ablehne und sich bereits in der Entlassungsvorbereitung befinde. Da sich die Entlassung des Beschwerdeführers in der Folgezeit nicht realisierte, beauftragte das Landgericht zum nächsten Prüftermin im Jahr 2010 einen externen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser teilte jedoch kurze Zeit später mit, dass er kein Gutachten erstatten könne, da der Beschwerdeführer sich nicht von einem externen Gutachter begutachten lassen wolle. Das Landgericht Kempten ordnete daraufhin auf Grundlage der Stellungnahme des behandelnden Bezirkskrankenhauses erneut die Fortdauer der Unterbringung an. Das Oberlandesgericht München bestätigte die Entscheidung und stellte fest, dass die Einholung eines externen Gutachtens aufgrund des Verzichts des Beschwerdeführers nicht erforderlich gewesen sei. Auch in der Folgezeit unterblieb aufgrund der Weigerung des Beschwerdeführers, sich explorieren zu lassen, die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
2. Mit Beschluss vom 15. Januar 2014 ordnete das Landgericht Kempten erneut die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil noch nicht erwartet werden könne, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine erheblichen rechtswidrigen Taten mehr begehen werde.
Das Ziel der Unterbringung, nämlich den Beschwerdeführer – soweit als möglich – durch gezielte therapeutische Behandlung zu heilen oder seinen psychischen Zustand soweit zu verbessern, dass die krankheitsbedingte Gefahr der Begehung weiterer rechtswidriger Taten auf ein zu verantwortendes Maß herabgesetzt werde, sei noch nicht erreicht. Der Beschwerdeführer verhalte sich weiterhin verbal aggressiv und schätze sich selbst so ein, dass er sich mit den Fäusten wehren würde, wenn er provoziert werde. Nach der Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren vom 18. November 2013 seien daher im Falle der Entlassung des Beschwerdeführers weitere Gewalttätigkeiten zu erwarten.
Der weitere Maßregelvollzug stehe noch in einem angemessenen Verhältnis zu Anlass und Zweck seiner Anordnung (§ 62 StGB). Insbesondere verweigere der Beschwerdeführer weiterhin die Untersuchung durch einen externen Sachverständigen und die Erprobung in zunehmenden Lockerungen.
3. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 22. Januar 2014 verwarf das Oberlandesgericht München mit angegriffenem Beschluss vom 14. Februar 2014 unter vollumfänglicher Bezugnahme auf den Beschluss des Landgerichts Kempten als unbegründet.
Von der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens habe abgesehen werden können. Der Beschwerdeführer habe mehrfach erklärt, dass er eine externe Begutachtung unabhängig von der Person des Sachverständigen ablehne. Das Landgericht habe sich daher die nötige Sachaufklärung in zulässiger Weise unter Zuhilfenahme anderer Erkenntnisquellen verschafft. Die eingeholte aktuelle gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses genüge in der Gesamtschau mit deren bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO.
II.
Der Beschwerdeführer sieht sich durch den angegriffenen Beschluss des Oberlandesgerichts München in verschiedenen verfassungsmäßigen Rechten verletzt, ohne dass er im Einzelnen ausführt, inwiefern die angegriffene Entscheidung welches konkrete Grundrecht verletzen soll.
III.
1. a) Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat von einer Stellungnahme abgesehen.
b) Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde für nicht erfolgversprechend. Soweit die Verfassungsbeschwerde eine Überprüfung des angegriffenen Beschlusses zulasse, sei ein Verfassungsverstoß jedenfalls nicht erkennbar.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 304 Js 133284/03 der Staatsanwaltschaft Augsburg vorgelegen.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus – bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297) und die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere hinsichtlich einer Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinreichend begründet worden (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des vorgelegten Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 2014 und macht damit konkludent eine Verletzung seines Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geltend. Eine ausdrückliche Benennung des als verletzt gerügten Grundrechtsartikels verlangen die §§ 23, 92 BVerfGG nicht (vgl. BVerfGE 84, 366 ≪369≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 2010 – 2 BvR 1710/10 –, juris, Rn. 16). Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht auch nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. März 2013 betreffend die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Fortdauerbeschluss aus dem Jahr 2012, auf den der angegriffene Beschluss Bezug nimmt, nicht vorgelegt hat, da es zur Überprüfung und Feststellung der Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebotes bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪308 ff.≫) der Vorlage dieses Dokuments nicht bedarf.
II.
Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 2014 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG, weil er den Anforderungen, die sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot bestmöglicher Sachaufklärung für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ergeben, nicht genügt.
1. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährt jedermann die „Freiheit der Person” und nimmt einen hohen Rang unter den Grundrechten ein (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪372≫ m.w.N.). Eine Einschränkung darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter Beachtung strenger formeller Gewährleistungen erfolgen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪307≫).
a) Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG hat dabei auch verfahrensrechtliche Bedeutung. Aus ihr ergeben sich Mindesterfordernisse für eine zuverlässige Wahrheitserforschung. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪308≫; BVerfGK 15, 287 ≪294 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 – 2 BvR 2521/11 –, juris, Rn. 15).
Das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung gilt auch für den Straf- und Maßregelvollzug (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫; BVerfGK 15, 287 ≪295≫). Im Rahmen dieses Gebotes besteht bei Prognoseentscheidungen, bei denen geistige und seelische Anomalien in Frage stehen, in der Regel die Pflicht, einen erfahrenen Sachverständigen hinzuzuziehen. Dies gilt insbesondere dort, wo die Gefährlichkeit eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten zu beurteilen ist; denn die Umstände, die diese bestimmen, sind für den Richter oft schwer erkennbar und abzuwägen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Daraus folgt zwar noch nicht, dass bei jeder nach § 67e Abs. 2 StGB turnusmäßig vorzunehmenden Überprüfung der Unterbringung von Verfassungs wegen zwingend ein ärztliches Sachverständigengutachten einzuholen wäre (vgl. BVerfGK 15, 287 ≪295≫; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Juni 2008 – 2 BvR 598/08 –, juris, Rn. 4). Nicht bei jeder Überprüfung der Unterbringung muss der gleiche Aufwand veranlasst sein (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309≫). Bestehen keine zwingenden gesetzlichen Vorgaben, hängt es von dem sich nach den Umständen des einzelnen Falles bestimmenden pflichtgemäßen Ermessen des Richters ab, in welcher Weise er die Aussetzungsreife prüft. Immer ist allerdings eine für den Einzelfall hinreichende Gründlichkeit bei der Entscheidungsfindung zu gewährleisten (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪309 f.≫; BVerfGK 15, 287 ≪295≫).
Befindet sich der Untergebrachte seit langer Zeit in ein und demselben psychiatrischen Krankenhaus, ist es in der Regel geboten, von Zeit zu Zeit einen anstaltsfremden Sachverständigen hinzuzuziehen, um der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen (vgl. BVerfGE 70, 297 ≪311, 316≫; 109, 133 ≪162≫; 117, 71 ≪105, 106≫; BVerfGK 5, 40 ≪43≫; 15, 287 ≪295≫) und um auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪164≫; BVerfGK 15, 287 ≪295≫). Aus denselben Gründen kann es bei langdauernder Unterbringung weitergehend angezeigt sein, den Untergebrachten von einem solchen externen Sachverständigen begutachten zu lassen, der im Laufe des Vollstreckungsverfahrens noch überhaupt nicht mit dem Untergebrachten befasst war (vgl. BVerfGE 109, 133 ≪164≫; BVerfGK 15, 287 ≪295 f.≫).
b) Mit der Einführung von § 463 Abs. 4 StPO im Jahr 2007 hat der Gesetzgeber diese verfassungsrechtlichen Vorgaben einfachrechtlich prozedural besonders abgesichert. Danach soll im Rahmen der Überprüfungen nach § 67e StGB das Gericht nach jeweils fünf Jahren vollzogener Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus das Gutachten eines Sachverständigen einholen (§ 463 Abs. 4 Satz 1 StPO), der weder im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung mit der Behandlung der untergebrachten Person befasst gewesen ist (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 StPO) noch in dem psychiatrischen Krankenhaus arbeitet, in dem sich die untergebrachte Person befindet (§ 463 Abs. 4 Satz 2 Alt. 2 StPO). Die Vorschrift konkretisiert das verfassungsrechtliche Gebot bestmöglicher Sachaufklärung im Strafvollstreckungsverfahren, indem durch die Hinzuziehung eines bisher nicht mit der untergebrachten Person befassten Gutachters, der eine kritische Distanz zu den bisherigen – im Laufe der letzten fünf Jahre eingeholten – Stellungnahmen hält, der Gefahr von Routinebeurteilungen vorgebeugt und die Prognosesicherheit des Gerichts entscheidend verbessert werden soll (vgl. BTDrucks 16/1110, S. 19; BVerfGK 15, 287 ≪296 f.≫).
Nach dieser Regelung ist ein externes Gutachten als Grundlage einer nach fünf Jahren zu treffenden Überprüfungsentscheidung nur in sehr eng begrenzten Ausnahmefällen entbehrlich (vgl. BVerfGK 15, 287 ≪297≫ m.w.N.). Eine Ausgestaltung des § 463 Abs. 4 StPO als Mussvorschrift ist im Gesetzgebungsverfahren nur unterblieben, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass einige Ländergesetze zum Maßregelvollzug bereits regelmäßige externe Begutachtungen in kürzeren Zeitabständen vorsahen. Wenn in diesen Fällen nach fünf Jahren vollzogener Unterbringung bereits ein aktuelles externes Gutachten vorliegt, könne – so der Gesetzgeber – auf die neuerliche Einholung eines externen Gutachtens verzichtet werden (BTDrucks 16/5137, S. 11). Dasselbe könne gelten, wenn die untergebrachte Person sich bereits in der Entlassungsvorbereitung befinde, da die Einholung eines externen Gutachtens hier zu einer ungewollten Verlängerung der Unterbringung führen könne (BTDrucks 16/5137, S. 11 f.), sowie in Fällen, in denen die untergebrachte Person neben der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, sodass es sich als sachgerechter darstellen könne, eine externe Begutachtung mit dem möglichen Zeitpunkt der Strafaussetzung nach § 67 Abs. 5 StGB abzustimmen (BTDrucks 16/5137, S. 12). Die möglicherweise fehlende Bereitschaft des Betroffenen zur Mitwirkung an der Begutachtung ist demgegenüber im Gesetzgebungsverfahren nicht als Grund für die Ausgestaltung von § 463 Abs. 4 StPO als Sollvorschrift genannt worden.
Die Einhaltung der Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist ein Verfassungsgebot. Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn dergestalt, dass die Einhaltung der Formvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes zum Verfassungsgebot erhoben wird. Die Verletzung des § 463 Abs. 4 StPO wird damit zu einem Verfassungsverstoß, dem der Betroffene mit der Verfassungsbeschwerde entgegentreten kann (vgl. BVerfGK 15, 287 ≪298≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Juni 2012 – 2 BvR 2521/11 –, juris, Rn. 19).
c) Die Auslegung und Anwendung des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO ist zunächst Aufgabe der Fachgerichte. Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist erst dann gerechtfertigt, wenn deren Auslegung und Anwendung der freiheitssichernden Vorschrift des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO mit Bedeutung und Tragweite des Freiheitsgrundrechts nicht zu vereinbaren sind oder sich als objektiv willkürlich erweisen (vgl. BVerfGK 15, 287 ≪298≫; vgl. auch BVerfGE 65, 317 ≪322≫).
Die Fachgerichte haben bei Auslegung und Anwendung der prozeduralen Sicherungen des Freiheitsgrundrechts allerdings zu berücksichtigen, dass die materiellen Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG unter den grundrechtlich verbürgten Rechten ein besonderes Gewicht haben und die Freiheit des Einzelnen nur in einem mit wesentlichen formellen Garantien ausgestatteten Verfahren entzogen werden darf. Daher sind Inhalt und Reichweite der Form- und Verfahrensvorschriften eines freiheitsbeschränkenden Gesetzes von den Fachgerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten, schon um einer Aushöhlung und Entwertung des Grundrechts über das Verfahrensrecht entgegenzuwirken (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪322 f.≫; BVerfGK 15, 287 ≪298 f.≫ m.w.N.).
2. Der angegriffene Beschluss hält diesen Maßstäben nicht stand.
Es kann dahinstehen, ob angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach seiner Begutachtung im Erkenntnisverfahren im Jahr 2004 seit nunmehr neuneinhalb Jahren von keinem externen Sachverständigen mehr untersucht worden ist, eine externe Begutachtung nicht schon unabhängig von der Regelung des § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO von Verfassungs wegen angezeigt gewesen wäre. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers jedenfalls deshalb, weil das Gericht die einfachrechtlichen Vorgaben aus § 463 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO und deren Bedeutung für die Sicherung des Freiheitsgrundrechts des Beschwerdeführers nicht hinreichend beachtet hat (vgl. BVerfGK 15, 287 ≪299≫).
a) Eine der Ausgestaltung des § 463 Abs. 4 StPO als Sollvorschrift zugrundeliegende Ausnahmekonstellation liegt nicht vor. Weder bestand für das Oberlandesgericht die Möglichkeit, auf ein aktuelles externes Gutachten zurückzugreifen, da der Beschwerdeführer nach seiner Begutachtung im Erkenntnisverfahren im Jahr 2004 von keinem externen Sachverständigen untersucht und begutachtet worden ist, noch konnte – im Unterschied zu der Fortdauerentscheidung des Jahres 2009 – ein Verzicht auf die Einholung eines Gutachtens unter dem Gesichtspunkt einer ungewollten Verlängerung der Unterbringung angesichts einer bevorstehenden Entlassung des Beschwerdeführers gerechtfertigt werden. Ebenso wenig kam eine Zurückstellung der Begutachtung mit dem Ziel einer sachgerechten Abstimmung mit der Entscheidung über eine mögliche Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 67 Abs. 5 StGB in Betracht.
b) Der Notwendigkeit der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens kann auch nicht entgegengehalten werden, die aktuelle gutachterliche Stellungnahme des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren genüge in der Gesamtschau mit den bisherigen Stellungnahmen den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten gemäß § 463 Abs. 1 Satz 1 StPO. Dies ist mit Sinn und Zweck der Vorschrift nicht zu vereinbaren, die gerade darauf abzielt, der Gefahr repetitiver Routinebeurteilungen vorzubeugen und auszuschließen, dass Belange der Anstalt oder die Beziehung zwischen Untergebrachtem und Therapeuten das Gutachten beeinflussen. Die Hinzuziehung eines bisher mit der untergebrachten Person nicht befassten Gutachters soll sicherstellen, dass eine eigenständige Bewertung aus kritischer Distanz zu den Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung erfolgt und dadurch die Prognosesicherheit der gerichtlichen Entscheidung verbessert wird. Diese dem externen Gutachten zukommende Funktion kann durch die Stellungnahmen der Klinik nicht übernommen werden.
c) Schließlich führt auch die Weigerung des Beschwerdeführers, an einer Begutachtung mitzuwirken, nicht zur Entbehrlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn ein ohne Mitwirkung des Betroffenen erstelltes Gutachten keinen Beitrag zur Verbesserung der Prognosesicherheit des Gerichts leisten könnte. Davon kann aber nicht ohne Weiteres ausgegangen werden:
Zwar wird die eigenständige Exploration des Untergebrachten durch den Sachverständigen regelmäßig die Aussagekraft und Belastbarkeit eines Gutachtens erhöhen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass einem ohne Mitwirkung des Betroffenen nach der Aktenlage erstellten Sachverständigengutachten keine zusätzliche Bedeutung im Rahmen der durch das Gericht zu treffenden Prognoseentscheidung zukommt. Bei der Erstellung des Gutachtens ist der Sachverständige nicht nur auf die Feststellungen und Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung angewiesen. Er kann darüber hinaus auf frühere Gutachten und Unterlagen aus dem Erkenntnisverfahren zurückgreifen. Zudem wird er die Feststellungen und Stellungnahmen der Unterbringungseinrichtung einer eigenständigen Bewertung zuführen, bei der sich seine gesteigerte Unvoreingenommenheit und kritische Distanz entfalten können. Daher ist nicht auszuschließen, dass der externe Gutachter zu Ergebnissen gelangt, die sich von den Bewertungen der Unterbringungseinrichtung unterscheiden. Auch wenn dies nicht der Fall ist, kann ein derartiges Sachverständigengutachten zu einer deutlichen Erweiterung der tatsächlichen Grundlage führen, von der das Gericht bei seiner Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung auszugehen hat. Daher ist aufgrund des Gebotes bestmöglicher Sachaufklärung die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens regelmäßig auch dann nicht verzichtbar, wenn der Betroffene seine Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens verweigert (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 – 2 BvR 2380/06 –, juris, Rn. 31; OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. März 2013 – 1 Ws 307/12 –, juris, Rn. 43; OLG Frankfurt, Beschluss vom 13. März 2012 – 3 Ws 33/12 –, juris, Rn. 25; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 Ws 19/09 –, juris, Rn. 34). Welche Bedeutung einem solchen nach der Aktenlage erstellten Gutachten zukommt, ist durch das Gericht im Rahmen seiner Fortdauerentscheidung eigenständig zu bewerten. Einen Verzicht auf die Einholung eines externen Sachverständigengutachtens rechtfertigt dies regelmäßig jedoch nicht.
3. Ob durch den angegriffenen Beschluss darüber hinaus ein Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG dadurch begründet wird, dass er den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus ergeben, nicht genügt, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen. Die Gerichte werden die gesteigerten Begründungserfordernisse im Hinblick auf entsprechende Fortdauerentscheidungen allerdings bei einer neuerlich zu treffenden Entscheidung zu beachten haben (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 4. März 2014 – 2 BvR 1020/13 –, juris, Rn. 43).
III.
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 14. Februar 2014 ist daher aufzuheben. Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht München zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG).
2. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Gerhardt, Hermanns, Müller
Fundstellen