Verfahrensgang
AG Wetzlar (Beschluss vom 02.07.2010; Aktenzeichen 63 XVII 722/09 K) |
AG Wetzlar (Beschluss vom 11.05.2010; Aktenzeichen 63 XVII 722/09 K) |
AG Wetzlar (Beschluss vom 02.02.2010; Aktenzeichen 63 XVII 722/09 K) |
Tenor
1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Wetzlar vom 2. Februar und 11. Mai 2010 in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 – 63 XVII 722/09 K – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Wetzlar zurückverwiesen.
2. Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 EUR (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen verschiedene Beschlüsse, die im Zusammenhang mit seinem Betreuungsverfahren stehen.
I.
1. a) Die Kinder des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau (der Beschwerdeführerin im Verfahren 1 BvR 2538/10) regten mit Schreiben vom 19. Oktober 2009 an das Amtsgericht Wetzlar, Betreuungsgericht, an, ihre Eltern unter Betreuung zu stellen. Hintergrund war eine Auseinandersetzung um ein Hausgrundstück in der V.-Straße, das im Eigentum der Kinder stand, aber von dem Beschwerdeführer und seiner Frau bewohnt wurde. Die Kinder wollten das Hausgrundstück verkaufen, um Verbindlichkeiten tilgen zu können, und forderten ihre Eltern auf, das Haus zu räumen. Als die Eltern dies ablehnten, wurde auf Veranlassung der Kinder im Juni 2009 die Versorgung des Hauses mit Strom, Wasser und Gas eingestellt.
Auf Anregung der Kinder suchten Mitarbeiter der Betreuungsbehörde des L.-Kreises am 14. Oktober 2009 den Beschwerdeführer und seine Frau auf. Die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde berichteten, das Haus sei in einem ordentlichen Zustand gewesen, wenn es auch angesichts der eingestellten Gasversorgung nicht beheizt wurde und daher sehr kalt gewesen sei. Das gut gekleidete Ehepaar habe ein Zimmer im Obergeschoss des Hauses bewohnt, das mit einem Schrank, Bett und Tisch ausgestattet gewesen sei. Auf dem Tisch hätten Kuchen und eine Thermoskanne gestanden. Der Beschwerdeführer habe erklärt, gegen die Kälte könne man sich durch Bekleidung schützen, im Übrigen seien sie ausreichend versorgt. Ein weiteres Gespräch über die Lage sei aufgrund der wechselseitigen Vorwürfe zwischen Kindern und Eltern nicht möglich gewesen.
Am 15. Oktober 2009 suchten die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde das Ehepaar in Abwesenheit der Kinder auf. Der Beschwerdeführer habe überraschend mitgeteilt, dass er nichts sagen könne. Er arbeite für eine Initiative zu Sicherheits- und Umweltfragen. Man habe bereits versucht, ihn umzubringen. Die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde hätten daraufhin erklärt, seine Ideen seien wahnhaft, es liege wohl eine psychische Erkrankung vor und eine Betreuung sei anzuraten. Dies habe der Beschwerdeführer gelassen aufgenommen und die Mitarbeiter wie am Vortag sehr höflich verabschiedet. Dabei habe er erklärt, dass er sich im Betreuungsverfahren „nicht sträuben” werde.
Mit Schreiben vom 8. November 2009 nahmen die Kinder ihre „Betreuungsanträge” für ihre Eltern zurück. Zur Begründung gaben sie an, die Eltern hätten inzwischen das Haus verlassen und hielten sich bei Bekannten, Familie H.-A., in „geregelten Verhältnissen” auf. Sie seien bereit, konstruktiv zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse beizutragen. Damit bestehe keine Selbstgefährdung mehr und die Einleitung eines Betreuungsverfahrens sei nicht mehr erforderlich. Der zuständige Amtsrichter antwortete unter dem 13. November 2009, dass die Betreuungsbedürftigkeit der Eltern von Amts wegen zu prüfen sei.
b) Mit Beschluss vom 2. Februar 2010 entschied das Amtsgericht Wetzlar, das Gericht habe zu prüfen, ob und inwieweit für den Beschwerdeführer und seine Frau ein Betreuer zu bestellen sei. Die Sachverständige P. solle nach persönlicher Untersuchung und Befragung ein Gutachten erstatten. Unter dem 25. Februar 2010 widersprach der Beschwerdeführer sinngemäß der Einrichtung einer Betreuung für sich und seine Frau und verlangte eine Erklärung, warum das Verfahren nach dem Schreiben der Kinder noch weitergeführt werde. Einen von der Gutachterin angesetzten Termin zur Untersuchung nahmen die Eheleute nicht wahr.
Unter dem 6. April 2010 teilte der zuständige Richter brieflich mit, er entnehme dem Schreiben des Beschwerdeführers, dass er nicht bereit sei, sich untersuchen zu lassen. Er müsse daher darauf hinweisen, dass das Gericht die zwangsweise Vorführung zur Untersuchung und auch eine geschlossene Unterbringung anordnen werde, wenn er auch einem weiteren Termin mit der Gutachterin unentschuldigt fernbleibe. Die Gutachterin setzte daraufhin einen neuen Termin auf den 21. April 2010 fest, den der Beschwerdeführer und seine Ehefrau ebenfalls nicht wahrnahmen.
c) Mit Beschluss vom 11. Mai 2010 ordnete das Amtsgericht Wetzlar die Vorführung zur Untersuchung des Beschwerdeführers an. Weiter wurde die Betreuungsbehörde ermächtigt, bei einem Widerstand des Beschwerdeführers Gewalt anzuwenden, ohne Einwilligung die Wohnung des Beschwerdeführers zu betreten und sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Zur Begründung führte das Gericht aus, das Betreuungsverfahren habe mangels Mitwirkung nicht gefördert werden können. Weil damit zu rechnen sei, dass der Beschwerdeführer und seine Frau die Tür nicht öffnen und Widerstand leisten würden, sei die Befugnis zur Gewaltanwendung gemäß § 283 Abs. 2 FamFG und eine Ermächtigung zum Betreten der Wohnung gemäß § 283 Abs. 3 FamFG notwendig.
Der Beschluss wurde an die Adresse V.-Straße zugestellt. Die Zustellung schlug fehl, da das Hausgrundstück inzwischen veräußert worden war. Die Betreuungsbehörde ermittelte daraufhin, dass sich das Ehepaar weiterhin bei Familie H.-A. aufhielt. Mit Beschluss vom 2. Juli 2010 wurde der Beschluss vom 11. Mai 2010 im Hinblick auf die Adresse des Ehepaares bei Familie H.-A. abgeändert. Aus der nebenstehenden Verfügung ergibt sich, dass von diesem Beschluss eine Abschrift zu den Akten genommen und eine Ausfertigung an die Betreuungsbehörde zur weiteren Veranlassung geschickt werden sollte. Ein Hinweis auf eine förmliche oder formlose Zustellung des Beschlusses vom 2. Juli 2010 mit dem Beschluss vom 11. Mai 2010 an den Beschwerdeführer ist den Akten nicht zu entnehmen.
Unter dem 26. Mai 2010 beantragte die Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers erstmals Akteneinsicht. Nach mehrmaliger Nachfrage erhielt die Verfahrensbevollmächtigte die Betreuungsakte unter dem 5. August 2010 schließlich zur Einsicht.
Am 20. August 2010 erhob die Verfahrensbevollmächtigte Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 2. Februar, 11. Mai und 2. Juli 2010 und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beschlüsse entbehrten nach der Rücknahme des Antrags der Kinder jeder Grundlage und seien damit willkürlich. Der Beschluss vom 11. Mai 2010 sei nicht zugestellt worden. Auch sei der Beschwerdeführer nicht angehört worden. Gleiches gelte für den Beschluss vom 2. Juli 2010.
Mit Beschluss vom 24. August 2010 wurde der Beschwerde nicht abgeholfen. Rechtliches Gehör sei durch Übersendung der gerichtlichen Verfügungen gewährt worden. Die Reaktionen des Beschwerdeführers belegten den Zugang.
d) Mit Beschluss des Landgerichts vom 15. September 2010 – 7 T 149/10, 7 T 150/10, 7 T 151/10 – wurden die Beschwerden verworfen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehe ins Leere, da keine gesetzliche Frist ersichtlich sei, an deren Einhaltung der Beschwerdeführer unverschuldet gehindert gewesen sein könnte. Für eine Entscheidung nach § 44 FamFG sei das Landgericht nicht zuständig, sondern das Amtsgericht.
Im Übrigen seien die Beschwerden nicht statthaft und damit unzulässig. Gemäß § 58 Abs. 1 FamFG anfechtbare Endentscheidungen lägen nicht vor. Die Beschwerden seien auch nicht wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs statthaft. Dies könne der Fall sein, wenn die getroffenen Entscheidungen objektiv willkürlich seien und insbesondere mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG nicht mehr verständlich erschienen. Dies sei nicht der Fall. Der Beschwerdeführer sei durch das Amtsgericht über die Einleitung des Betreuungsverfahrens einschließlich der Beauftragung der Sachverständigen sowie über die Möglichkeit einer zwangsweisen Vorführung schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. Dass er die entsprechenden Schreiben vom 2. Februar 2010 und 6. April 2010 erhalten habe, zeigten die von ihm verfassten Schreiben vom 25. Februar 2010 und 20. April 2010. Eine förmliche Zustellung sei nicht erforderlich. Das Amtsgericht sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer vor Erlass der Vorführungsanordnung gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG persönlich anzuhören. Der Beschwerdeführer habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er eine Untersuchung ablehne. Ein Betroffener, der sich beharrlich weigere, mit dem Sachverständigen Kontakt aufzunehmen, werde im Zweifel auch einen gerichtlichen Termin zur persönlichen Anordnung über die Gründe seiner Weigerung nicht wahrnehmen. Da die Anhörung gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG in erster Linie den Sinn habe, dem Betroffenen die Konsequenzen seines Verhaltens vor Augen zu führen, genüge bei ernsthaft verweigerter Kontaktaufnahme auch die schriftliche Anhörung des Betroffenen, in der er unter Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit über die Folgen seines Verhaltens belehrt werde.
2. Mit Schreiben vom 30. September 2010, eingegangen am 4. Oktober 2010, hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Die angegriffenen Beschlüsse seien willkürlich, abgesehen vom Beschluss des Landgerichts, nicht zugestellt und rechtliches Gehör nicht gewährt worden. Hätte das Gericht den Beschwerdeführer persönlich angehört, hätte es erkennen müssen, dass die Einrichtung einer Betreuung angesichts des Aufenthalts bei Familie H.-A. nicht erforderlich sei. Insbesondere vor der Vorführungsanordnung hätte der Beschwerdeführer persönlich angehört werden müssen. Das Gericht habe auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen es auch nach der Rücknahme des Antrags durch die Kinder an der Prüfung der Betreuung festhalte. Eine Selbstgefährdung des Beschwerdeführers sei nicht ersichtlich, so dass die Einrichtung einer Betreuung nicht in Betracht komme.
3. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 eine einstweilige Anordnung erlassen. Darin ist die Wirksamkeit der Beschlüsse vom 2. Februar und 11. Mai 2010 in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 einstweilen bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens für sechs Monate ausgesetzt worden. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit nicht zur Entscheidung angenommen worden, als sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Limburg vom 15. September 2010 – 7 T 149/10, 7 T 150/10, 7 T 151/10 – richtete.
4. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen. Die Regierung des Landes Hessen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, in der sie erklärt hat, der Verfassungsbeschwerde sei der Erfolg nicht zu versagen.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers geboten ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die zulässige Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist, § 93c Abs. 1 BVerfGG.
Die angefochtenen Beschlüsse des Amtsgerichts vom 2. Februar und 11. Mai 2010 in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
2. a) Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie hinreichend substantiiert.
b) Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 BVerfGG sind ebenfalls erfüllt.
aa) Zunächst muss der Bürger gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die behauptete Grundrechtsverletzung durch das Einlegen von Rechtsbehelfen vor den Fachgerichten abzuwenden versuchen (BVerfGE 68, 376 ≪380≫; 70, 180, ≪186≫), wie es der Beschwerdeführer durch Einlegung einer Beschwerde bereits angestrebt hat. Die Beauftragung des Gutachters und die Anordnung der Untersuchung und Vorführung sind als nicht instanzabschließende Zwischenentscheidungen jedoch grundsätzlich nicht anfechtbar.
bb) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer nicht ausdrücklich eine Anhörungsrüge gemäß § 44 FamFG erhoben hat. Es kann hier dahinstehen, ob es sich bei der Beauftragung eines Gutachters um eine – bei verfassungskonformer Auslegung von § 44 Abs. 1 Satz 2 FamFG – einer Anhörungsrüge zugängliche Zwischenentscheidung handelt. Denn der Beschwerdeführer hat ausdrücklich eine Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt. Das Amtsgericht hat in seinem Nichtabhilfebeschluss erklärt, eine Gehörsverletzung habe nicht vorgelegen. Damit ist der Intention des Gesetzgebers bei Aufnahme von § 44 FamFG entsprochen worden, dass bei unanfechtbaren Entscheidungen das die Entscheidung erlassende Gericht über eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs befinden soll.
3. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.
Der Beschwerdeführer wurde in seinem Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
a) Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör gewährt wurde (BVerfGE 36, 85 ≪88≫). Die Anhörung der Beteiligten ist Voraussetzung einer richtigen Entscheidung (BVerfGE 9, 89 ≪95≫). Zudem ermöglicht die Anhörung dem Verfahrensbeteiligten, die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (BVerfGE 22, 114 ≪119≫; 49, 212 ≪215≫; 94, 166 ≪207≫). Da die Einrichtung einer Betreuung einen erheblichen Grundrechtseingriff bedeutet, der nur zulässig ist, wenn der Betroffene seinen Willen nicht frei bestimmen kann und infolgedessen sich oder andere gefährdet (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juli 2010 – 1 BvR 2579/08 –, NJW 2010, S. 3360 ≪3361≫), kommt in einem Betreuungsverfahren dem Recht des Betroffenen, auf die Sachverhaltsermittlung und Entscheidungsfindung des zuständigen Betreuungsgerichts in Anhörungen und Stellungnahmen einwirken zu können, besondere Bedeutung zu.
b) Diesen Voraussetzungen genügen die Beschlüsse vom 2. Februar und 11. Mai 2010 in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 nicht. Der Beschwerdeführer wurde weder persönlich noch schriftlich angehört.
aa) Vor dem Beschluss vom 2. Februar 2010, mit dem die Gutachterin P. mit der Untersuchung des Beschwerdeführers beauftragt wurde, ist der Beschwerdeführer weder schriftlich noch mündlich von der beabsichtigten Prüfung der Einrichtung einer Betreuung informiert worden. Er hat sich dementsprechend auch nicht äußern können. Allerdings ergibt sich aus den schriftlichen Stellungnahmen des Beschwerdeführers, dass er den Beschluss vom 2. Februar 2010 erhalten hat.
Gegen eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG durch das Fehlen einer Gelegenheit zur Stellungnahme vor der Beauftragung der Gutachterin spricht auch nicht, dass im Beschluss vom 2. Februar 2010 zunächst noch keine zwangsweise Untersuchung und Vorführung angeordnet worden ist. Der Bundesgerichtshof hat zu §§ 19, 68b FGG a.F. zwar ausgeführt, dass ein Beschluss, der sich darauf beschränkt, einen Sachverständigen mit der Erstellung eines medizinischen Gutachtens über die Betreuungsbedürftigkeit eines Betroffenen zu beauftragen, den Betroffenen aber nicht verpflichtet, sich zum Zwecke der Begutachtung untersuchen zu lassen, nicht anfechtbar ist, weil es sich nicht um eine Endentscheidung handele, die in die Rechte des Betroffenen eingreife. Zwar setze ein solcher Beschluss eine Untersuchung voraus, das bedeute jedoch nicht, dass der Betroffene zur Mitwirkung verpflichtet werde (BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 – XII ZB 209/06 –, FamRZ 2008, S. 774 ≪775 f.≫).
Dass der Beweisbeschluss zunächst noch keine Zwangsmittel vorgesehen hat, um die Begutachtung des Beschwerdeführers gegebenenfalls auch gegen seinen Willen vornehmen zu können, bedeutet jedoch nicht, dass ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme hätte eingeräumt werden müssen. Aus dem Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar hat sich nicht ausdrücklich ergeben, dass die Mitwirkung an der Erstellung des Gutachtens freiwillig erfolgt. Ein rechtsunkundiger Bürger wird, wenn eine solche Beauftragung im Wege des Beschlusses erfolgt, meist davon ausgehen, dass er zu einer Mitwirkung verpflichtet ist. Bei einer Verweigerung der freiwilligen Untersuchung muss ein Betroffener auch damit rechnen, aufgrund eines erneuten Beschlusses zwangsweise vorgeführt und untersucht zu werden. Im Übrigen hat bereits die Beauftragung eines Gutachters zur Prüfung einer möglichen Betreuungsbedürftigkeit eine stigmatisierende Wirkung, wenn Dritte von ihr Kenntnis erlangen. Nach geltendem Recht, das vorliegend nicht verfassungsrechtlich zu prüfen ist, ist ein Rechtsmittel gegen die Beauftragung des Gutachters nicht vorgesehen. Insofern erhält die vor der Beauftragung zu erfolgende Anhörung des Betroffenen zum Schutz seiner Rechte besondere Bedeutung (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 7. Dezember 2010 – 1 BvR 2157/10 – juris, Rn. 31).
Es hätte schon deshalb nahegelegen, dem Erlass des Beweisbeschlusses ein Schreiben mit einer Aufforderung zur Stellungnahme oder eine persönliche Anhörung vorausgehen zu lassen, weil der Grund für die ursprüngliche Anregung der Einrichtung einer Betreuung mit dem Umzug des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau zur Familie H.-A. entfallen war und dem Betreuungsgericht die Information vorgelegen hat, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in ihrer neuen Bleibe, wo sie nach Angaben der Kinder in „geregelten Verhältnissen” leben, ausreichend versorgt sind. Insofern hat Anlass bestanden, die Betreuungsbedürftigkeit erneut zu überprüfen. Selbst wenn bei dem Beschwerdeführer Anzeichen für das Vorliegen einer psychischen Erkrankung bestehen sollten, können diese wegen ihrer Unspezifiziertheit allein eine Betreuungsbedürftigkeit noch nicht begründen.
Die Gehörsverletzung ist auch nicht im späteren Verfahren geheilt worden. Zwar hat sich der Beschwerdeführer schriftlich geäußert und zum Ausdruck gebracht, dass er angesichts des Umzuges die Einrichtung einer Betreuung nicht für erforderlich gehalten hat. Jedoch hat sich das Amtsgericht mit diesem Vorbringen erkennbar nicht auseinandergesetzt. Vielmehr ist dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau lediglich mitgeteilt worden, dass sie bei einer weiteren Weigerung, mit der Gutachterin zusammenzuarbeiten, zwangsweise vorgeführt würden.
bb) Auch der Beschluss vom 11. Mai 2010 in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG. Eine persönliche Anhörung, wie sie § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG als Sollvorschrift vorsieht, ist wiederum nicht erfolgt.
Eine persönliche Anhörung ist vorliegend auch nicht entbehrlich gewesen. Die Auffassung des Landgerichts Limburg, bei einer beharrlichen Weigerung des Betroffenen, mit dem Gutachter zusammenzuarbeiten, sei eine persönliche Anhörung nicht erforderlich, weil davon ausgegangen werden könne, dass er auch zur Anhörung nicht erscheinen werde, wird der hohen Bedeutung des rechtlichen Gehörs im Betreuungsverfahren nicht gerecht. Verweigert der Betroffene die Zusammenarbeit mit dem Gutachter nicht, so ist schon der Erlass eines Vorführungs- und Untersuchungsbeschlusses unverhältnismäßig, mit dem die Untersuchung des Betroffenen, soweit erforderlich unter Anwendung von Gewalt, und zwangsweise Öffnung seiner Wohnung angeordnet wird. Ist er dagegen zur Zusammenarbeit mit dem Gutachter nicht bereit, lässt dies allein die Notwendigkeit der im Gesetz vorgesehenen Anhörung nicht entfallen. Vielmehr ist es gerade in diesem Fall angezeigt, mittels der Anhörung die Gründe zu erkunden, die den Betroffenen zu seiner Verweigerungshaltung bringen. Im vorliegenden Fall hätte dies insbesondere deshalb nahe gelegen, weil der Beschwerdeführer gegenüber den Mitarbeitern der Betreuungsbehörde zunächst seine Kooperationsbereitschaft erklärt hatte. Allein aus der mangelnden Bereitschaft, sich begutachten zu lassen, kann nicht geschlossen werden, dass der Betroffene auch nicht zur Anhörung kommen will. Da trotz des Eingriffs in die Grundrechte des Betroffenen, die eine Anordnung der zwangsweisen Vorführung und gewaltsamen Öffnung der Wohnungstür mit sich bringt, dagegen kein Rechtsmittel vorgesehen ist, kommt der persönlichen Anhörung des Betroffenen vor Anordnung einer solchen Maßnahme besondere Bedeutung zu. Entbehrlich ist die Anhörung jedenfalls dann nicht, wenn sie wie hier im bisherigen Verfahren auch ansonsten in unzureichender Weise stattgefunden hat.
Die Entscheidungen vom 11. Mai und 2. Juli 2010 haben damit die Gehörsverletzung vertieft. Beide Beschlüsse hat der Beschwerdeführer im Übrigen offensichtlich nicht erhalten.
cc) Die Beschlüsse des Amtsgerichts Wetzlar beruhen auch auf der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Der Beschwerdeführer trägt vor, die Einrichtung einer Betreuung sei nicht erforderlich, da nach dem Umzug zur Familie H.-A. keine Selbstgefährdung vorliege und er seine Angelegenheiten selbst regeln könne. Bei einer persönlichen Anhörung hätte dies möglicherweise festgestellt und vom weiteren Betreuungsverfahren abgesehen werden können.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Paulus
Fundstellen
Haufe-Index 2613147 |
NJW 2011, 1275 |