Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Begrenzung der Bezugsdauer von originärer Arbeitslosenhilfe durch die zum 1. Januar 1994 erfolgte Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
I.
1. a) Anspruch auf so genannte originäre Arbeitslosenhilfe hatte gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b AFG, wer arbeitslos war, keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte, bedürftig war und die Vorfrist von 150 Kalendertagen einer anwartschaftsbegründeten Beschäftigung erfüllte. Einer solchen Beschäftigung standen Zeiten eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses, insbesondere als Beamter, Richter, Berufssoldat und Soldat auf Zeit, gleich (§ 134 Abs. 2 AFG). Zur Begründung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe war eine vorherige Beschäftigung nicht erforderlich, wenn der Arbeitslose innerhalb der Vorfrist für mindestens 240 Tage bestimmte Sozialleistungen bezogen hatte (vgl. § 134 Abs. 3 AFG). Arbeitslose, die die Vorfrist durch den Bezug von Arbeitslosengeld erfüllten (vgl. § 134 Abs. 1 Nr. 4 a AFG), erhielten so genannte Anschluss-Arbeitslosenhilfe (zur Begriffsbildung vgl. Ebsen in: Gagel, SGB III, § 190 Rn. 52 ≪Stand: Juli 1999≫). Die Dauer des Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe war bis 1994 zeitlich nicht eingeschränkt.
b) Mit Wirkung zum 1. Januar 1994 wurde durch Art. 1 Nr. 42 des Ersten Gesetzes zur Umsetzung eines Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I S. 2353) die Vorschrift des § 135 a in das Arbeitsförderungsgesetz einfügt.
Sie lautete:
Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe nach § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchstabe b, Abs. 2, 3, 3a und § 214 a beträgt 312 Tage.
Zugleich wurde durch Art. 1 Nr. 69 des 1. SKWPG die Übergangsregelung des § 242 q in das AFG aufgenommen. Soweit sie hier von Interesse ist, hatte sie folgenden Wortlaut:
(1)…(9)…
(10) Haben die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe für einen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 1993 und dem 31. Dezember 1993 vorgelegen, sind bis zum 31. März 1994
- …
- § 135 a in Verbindung mit § 134 Abs. 4 Satz 1, § 110 nicht anzuwenden.
(11) …
c) Das AFG trat zum 1. Januar 1998 außer Kraft. Das Arbeitsförderungsrecht wurde als Drittes Buch in das Sozialgesetzbuch (SGB III) eingegliedert (vgl. Art. 1, Art. 82 Abs. 1 und Art. 83 Abs. 1 des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung ≪Arbeitsförderungs-Reformgesetz – AFRG≫ vom 24. März 1997, BGBl I S. 594). Dabei blieb die originäre Arbeitslosenhilfe zunächst erhalten (vgl. § 191 SGB III). Sie ist mit Wirkung zum 1. Januar 2000 entfallen; § 191 SGB III wurde durch Art. 1 Nr. 9 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (Drittes SGB III-Änderungsgesetz) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2624) aufgehoben (vgl. zur Begründung BTDrucks 14/1523, S. 206).
2. Der Beschwerdeführer war zunächst einige Jahre beitragspflichtig beschäftigt. Nachdem er das Abitur nachgeholt hatte, studierte er Pharmazie. Im Anschluss an das Studium übte er vom 1. April bis 31. August 1986 eine beitragspflichtige Beschäftigung aus. Zum 1. September 1986 wurde er arbeitslos. Seit dem bezog er ohne wesentliche Unterbrechung bis 31. März 1994 Leistungen der Bundesanstalt.
Das Arbeitsamt hatte ihm zunächst Arbeitslosenhilfe bis 31. August 1994 bewilligt. Im März hob es die Bewilligung mit Wirkung zum 31. März 1994 auf, da der Anspruch gemäß §§ 135 a, 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG mit Ablauf des 31. März 1994 ende. Die hiergegen eingelegten Rechtsbehelfe blieben im Ergebnis ohne Erfolg. Das Bundessozialgericht entschied, der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe über den 31. März 1994 hinaus. Der Anspruch sei gemäß § 135 a AFG ausgeschöpft. Nach der Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG stehe dem Beschwerdeführer die Leistung aber noch bis zu diesem Zeitpunkt zu. Eine Gewährung darüber hinaus komme nicht in Betracht. Dies ergebe sich aus dem Gesetzeszweck und dem in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers. §§ 135 a, 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG verletzten nicht Verfassungsrecht.
3. Mit der Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer unmittelbar das Urteil des Bundessozialgerichts, mittelbar § 135 a sowie § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG in dessen Auslegung durch das Bundessozialgericht an. Er rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip sowie dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes. Der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dürfe nicht gekürzt werden, um mit Hilfe der dadurch erzielten Einsparungen die Lasten der Wiedervereinigung zu finanzieren. Der durch die gesetzlichen Vorschriften bewirkte Übergang von der Arbeitslosenhilfe zur Sozialhilfe verschlechtere seine soziale Lage.
Die Regelung stehe auch im Widerspruch zu Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG, wonach der Bund die Kosten der Arbeitslosenhilfe zu tragen habe. Er dürfe diese nicht auf die Länder oder die Kommunen abwälzen. Dieser Vorgabe entspreche allein die unbegrenzte Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe.
Schließlich sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. Von den Einsparungen würden die Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe erfasst, während die Bezieher von Anschluss-Arbeitslosenhilfe verschont blieben. Diese Ungleichbehandlung sei durch Art und Gewicht der zwischen den Gruppen bestehenden Unterschiede nicht gerechtfertigt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, da die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
1. Eine Verletzung von Grundrechten des Beschwerdeführers durch die mittelbar angegriffene Vorschrift des § 135 a AFG ist nicht ersichtlich.
a) Der vorliegende Fall bietet – unbeschadet dessen, dass es insoweit an einer entsprechenden Rüge fehlt – keinen Anlass zur Entscheidung der Frage, ob der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe dem Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterliegt. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, hätte der Gesetzgeber mit der zeitlichen Begrenzung des Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe seine Befugnis zur Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) nicht überschritten. Er ist grundsätzlich befugt, in das Leistungsgefüge des Sozialrechts ordnend einzugreifen (vgl. BVerfGE 72, 9 ≪18 f.≫; 97, 378 ≪385 ff.≫; 100, 1 ≪37 f.≫). Das Eigentumsrecht der Leistungsberechtigten wird dabei nicht verletzt, wenn der Eingriff durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Dies ist hier der Fall.
aa) Der Gesetzgeber verfolgte mit der angegriffenen Bestimmung wichtige Gründe des Gemeinwohls. Sie ist Teil der Maßnahmen, mit denen er im Jahre 1994 Einsparungen in den öffentlichen Haushalten einschließlich des Haushalts der Bundesanstalt für Arbeit erzielen wollte. Die Maßnahmen wurden beschlossen, weil erwartet worden war, dass die Nettokreditaufnahme des Bundes 1994 auf über 90 Milliarden DM ansteigen könnte (vgl. BTDrucks 12/5502, S. 19). Mit dem 1. SKWPG sollte die Neuverschuldung des Bundes 1994 unter dem Vorjahresniveau gehalten werden (vgl. BTDrucks 12/5502, S. 19).
bb) Die angegriffenen Bestimmungen sind geeignet und erforderlich, die gesetzgeberischen Ziele zu erreichen. Das Ziel der Sanierung der Staatsfinanzen durch Einsparungen auf der Ausgabenseite ist eine übergreifende und legitime Aufgabe des Gesetzgebers zu Gunsten des Staatsganzen (vgl. BVerfGE 76, 256 ≪357≫). Auch belasten sie den Beschwerdeführer bei Abwägung seines Interesses mit den verfolgten Gemeinwohlbelangen nicht unverhältnismäßig (vgl. BVerfGE 92, 262 ≪273≫). Seine Belange haben weniger Gewicht, weil seine Rechtsposition auf geringen Eigenleistungen beruht (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪388≫). Er hatte auf Grund einer nur kurzen beitragspflichtigen Beschäftigung einen zunächst unbefristeten Anspruch auf Arbeitslosenhilfe erworben. Der Gesetzgeber wollte aber durch die Einräumung eines solchen Anspruchs keine lebenslange steuerfinanzierte Leistungspflicht übernehmen (vgl. BTDrucks 12/5502, S. 22). Er konnte im Rahmen seines Gestaltungsspielraums dem Interesse an einer Sanierung der öffentlichen Haushalte den Vorzug einräumen, da der notwendige Lebensunterhalt des Beschwerdeführers nach Maßgabe des Bundessozialhilfegesetzes gesichert ist (vgl. BTDrucks 12/5502, S. 22). Er hat im übrigen im 1. SKWPG Einschnitte auch in andere Leistungen vorgenommen, die ihre Rechtsgrundlage ebenfalls im AFG hatten.
b) Auch Art. 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes wäre nicht verletzt, käme dieser Prüfungsmaßstab zur Anwendung (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪388 ff.≫).
Die angegriffene Regelung einschließlich der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG wirkt für die Zukunft auf eine bereits bezogene gesetzliche Leistung ein. Sie verkürzt die Dauer ihrer Gewährung. Solche Eingriffe mit unechter Rückwirkung sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪389≫; stRspr). Bei der gebotenen Abwägung haben hier die Bestandsinteressen der Betroffenen kein größeres Gewicht als die öffentlichen Belange, die der Gesetzgeber mit der Neuregelung verfolgte. Zwar ist das Interesse des Beschwerdeführers am Fortbestand einer über lange Zeit bestehenden Rechtslage grundsätzlich hoch einzuschätzen (vgl. BVerfGE 97, 378 ≪388≫). Andererseits ist gerade in einer langfristig bestehenden Rechtsposition von vornherein die Möglichkeit der Anpassung an geänderte Verhältnisse angelegt (vgl. BVerfGE 70, 101 ≪111≫).
Der Gesetzgeber verfolgte mit der Anpassung der Sozialausgaben an eine geänderte Haushaltslage wichtige Gemeinwohlinteressen. Ihm stand eine weite Gestaltungsfreiheit dabei auch im Hinblick darauf zu, weil er die Auswirkungen der Wiedervereinigung bewältigen musste (vgl. BVerfGE 85, 360 ≪377≫) und im Zusammenhang mit diesem Ereignis eine nach seiner Einschätzung unvertretbar hohe Neuverschuldung vermeiden wollte. Zur Erreichung dieser Ziele konnte er auch in eine langfristig gewährte Rechtsposition eingreifen. Die dreimonatige Übergangsfrist erlaubte den Betroffenen, sich auf die geänderte Rechtslage einzustellen und gegebenenfalls Sozialhilfe zu beantragen.
c) Nichts anderes gilt, wenn die angegriffene Vorschrift am Maßstab des Art. 2 Abs. 1 GG, gegebenenfalls in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip geprüft wird. Denn eine Vorschrift, die – wie § 135 a AFG – durch ein hinreichendes öffentliches Interesse getragen ist und einen verhältnismäßigen Eingriff bewirkt, ist Teil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der Schranken dieses Grundrechts. Daran ändert auch die Bestimmung des Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG nichts. Diese Bestimmung besagt nur, dass der Bund die notwendigen Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung mit Einschluss der Arbeitslosenhilfe trägt. Sie macht keine Vorgaben dazu, wie diese Leistung auszugestalten ist.
d) § 135 a AFG verletzt nicht dadurch den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass die Bezieher von Anschluss-Arbeitslosenhilfe anders behandelt werden als die Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe (vgl. BVerfGE 89, 365 ≪375≫). Zwischen den Empfängern dieser Leistungen bestehen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 100, 59 ≪90≫; stRspr). Die Bezieher von Anschluss-Arbeitslosenhilfe hatten ursprünglich auf Grund von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld; nach dessen Erschöpfung erhalten sie Arbeitslosenhilfe. Demgegenüber haben die Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe vor dem Leistungsbeginn entweder keinen oder nur einen geringen Bezug zur Arbeitslosenversicherung. Der Gesetzgeber konnte an diesen Unterschied typisierend anknüpfen und Dauerleistungen des Arbeitsförderungsrechts auf die Gruppe der Berechtigten beschränken, die zunächst Arbeitslosengeld bezogen hatten (vgl. BTDrucks 12/5502, S. 22).
2. Auch ist die vom Bundessozialgericht der Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG gegebene Auslegung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie verletzt insbesondere nicht Art. 3 Abs. 1 GG. Das Bundessozialgericht hat die Bestimmung als eine auf drei Monate begrenzte Übergangsregelung ausgelegt. Eine andere Auslegung war verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Übergangszeitraum ist vom Gesetzgeber so bemessen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, sich auf das Ende des Bezugs von Arbeitslosenhilfe einzustellen und gegebenenfalls Leistungen zu beantragen. Die dreimonatige Übergangsfrist steht auch noch in einem angemessenen Verhältnis zur ursprünglichen Anspruchsdauer. Sie musste nicht länger sein, da ansonsten das Ziel einer möglichst schnellen Entlastung des Bundeshaushalts nicht erreichbar gewesen wäre. Auch wenn der Wortlaut des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG einer anderen Auslegung nicht entgegenstünde, beruht die vom Bundessozialgericht gewählte jedenfalls auf sachgerechten Erwägungen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 1267220 |
DStR 2001, 864 |
AP, 0 |
SGb 2001, 434 |
DVBl. 2001, 896 |
AuS 2001, 57 |
info-also 2001, 139 |