Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers, denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.
Die Nachprüfung der Anwendung des einfachen Rechts (§§ 315c, 142, 69 StGB und § 111a StPO), die sich auf die Feststellung objektiv sachfremder und damit willkürlicher Erwägungen beschränken muss (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 95, 96 ≪127 f.≫), führt zu keinen verfassungsrechtlichen Beanstandungen.
1. Die Annahme eines Tatverdachts gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchstaben a und f, Abs. 3 Nr. 2, § 142 Abs. 1 StGB durch die Fachgerichte lässt objektiv sachfremde und willkürliche Erwägungen nicht erkennen. Den Gerichten lagen die Aussagen dreier Zeugen vor, die das Verhalten des Beschwerdeführers als grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Nichtbeachten der Vorfahrt oder Rückwärtsfahren auf einer Autobahn im Sinne der genannten Vorschriften nahe legten. Weshalb sich die Gerichte der Version des Beschwerdeführers hätten zwingend anschließen müssen, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Vielmehr ersetzt er lediglich die Beweiswürdigung der Gerichte durch seine eigenen Angaben.
2. a) Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO ist eine Präventivmaßnahme, die der Allgemeinheit Schutz vor weiteren Verkehrsstraftaten gewähren soll (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 – 2 BvQ 30/00 –, NJW 2001, S. 357). Strafprozessuale Grundrechtseingriffe wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis müssen auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dieser Grundsatz setzt staatlichen Eingriffen Grenzen, die insbesondere auch durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln sind. Führt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 44, 353 ≪373≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 – 2 BvQ 30/00 –, a.a.O.).
Das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes erfordert auch die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45 ≪69≫; BVerfGK 1, 269 ≪278 ff.≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 2005 – 2 BvR 109/05 – ≪juris≫).
b) Von einem Teil der Rechtsprechung wird mit Blick auf die gebotene Beschleunigung, das Vertrauen des Betroffenen und den Charakter als Eilmaßnahme (vgl. LG Trier, VRS 63, S. 210 f.) die Berechtigung des Staates zur vorläufigen Einziehung der Fahrerlaubnis bereits vier (vgl. LG Kiel, StV 2003, S. 325) bzw. fünf Monate (vgl. LG Darmstadt, StV 1990, S. 104; LG Hannover, StV 1988, S. 521) nach dem jeweiligen Tatzeitraum verneint (ähnlich LG Hagen, NZV 1994, S. 334 mit ablehnender Anmerkung von Molketin; für eine Sechsmonatsfrist im Regelfall: Kropp, NStZ 1997, S. 471). Nach anderer Ansicht lässt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis auch noch in einem späteren Verfahrensabschnitt zu (vgl. OLG Hamm, NZV 2002, S. 380: vorläufige Entziehung nach zehn Monaten; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2002, S. 314; OLG München, NJW 1992, S. 2776 f.: nach drei Jahren; Hentschel, NJW 1995, S. 627 ≪636≫; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., 2004, § 111a Rn. 3). Nach überwiegender Auffassung kann auch das Berufungsgericht erstmals die Anordnung gemäß § 111a StPO treffen (vgl. OLG Hamburg, VRS 44, S. 187 ≪189≫; OLG Koblenz, VRS 65, S. 448 f. und VRS 73, S. 292 f.; OLG Frankfurt am Main, NJW 1981, S. 1680 ≪1681≫; a.A. OLG Saarbrücken, VRS 46, S. 137 ≪138≫).
Gemessen an dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab des Bundesverfassungsgerichts begründet es keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Fachgerichte mit Blick auf die im Überfahren der mit Warnbaken gekennzeichneten Sperrfläche zutage tretende grobe Verkehrswidrigkeit des Fahrverhaltens und bei Annahme der Verwirklichung zweier Alternativen des § 315c Abs. 1 Nr. 2 StGB der Sicherheit des Straßenverkehrs den Vorrang gegenüber dem eingetretenen Zeitablauf und der bei der Staatsanwaltschaft zu beobachtenden Verfahrensverzögerung einräumen (vgl. auch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 – 2 BvQ 30/00 –, a.a.O., der eine vorläufige Einziehung nach 15 Monaten betraf), zumal der Auszug aus dem Verkehrszentralregister für den Beschwerdeführer seit Ende 2002 die Begehung einer Verkehrsstraftat und vier Ordnungswidrigkeiten – in zwei Fällen mit einem Fahrverbot sanktioniert – ausweist. Die Bedeutung der Verfahrensdauer wird demgegenüber vorliegend im Vergleich zu anderen Fällen dadurch gemindert, dass die unterbliebene Verfahrensbeschleunigung nicht den Zeitraum der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis selbst betraf. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes wogen dabei nicht besonders schwer, weil der Beschwerdeführer die Möglichkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptverfahren ernsthaft in Betracht ziehen musste.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
NJW 2005, 1767 |
NVwZ 2005, 1412 |
NZV 2005, 379 |
VRA 2005, 104 |
VRR 2005, 154 |
BA 2006, 151 |
www.judicialis.de 2005 |