Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung wegen Parteiverrats.
A.
I.
Mit Urteil vom 15. September 2006 sprach das Landgericht Potsdam den Beschwerdeführer unter anderem vom Vorwurf des Parteiverrats (§ 356 StGB) frei.
1. Dem Beschwerdeführer war durch die Anklage insoweit zur Last gelegt worden, im Jahr 2001 eine Beschuldigte in einem Strafverfahren wegen versuchten Mordes verteidigt und in diesem Zusammenhang von ihr Lichtbilder sowie Tonkassetten als entlastende Beweismittel übergeben bekommen zu haben. Nach Beendigung dieses Mandats soll der Beschwerdeführer den Lebensgefährten der Beschuldigten beraten haben, der geständige und ihn als Anstifter des versuchten Mordes belastende Angaben der Beschuldigten befürchtet habe. Die Beschuldigte habe dann in der Hauptverhandlung des gegen sie geführten Strafverfahrens tatsächlich ein Geständnis abgelegt und angegeben, die Tat auf Veranlassung ihres Lebensgefährten begangen zu haben. Nach der Verhaftung des Lebensgefährten habe der Beschwerdeführer diesen als Verteidiger vertreten. Zu dessen Verteidigung soll der Beschwerdeführer vorgebracht haben, die Beschuldigte wolle sich durch bewusst unwahre Angaben entlasten und die Verantwortung auf ihren Lebensgefährten abschieben. Dabei habe der Beschwerdeführer auch Informationen genutzt, die ihm im Rahmen des früheren Mandatsverhältnisses zur Beschuldigten anvertraut worden seien.
2. Nach Ansicht des Landgerichts Potsdam hatte sich der Beschwerdeführer nicht wegen Parteiverrats strafbar gemacht. Haupttäter und Anstifter einer Straftat seien regelmäßig nicht Parteien einer Rechtssache im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB. Das Landgericht Potsdam berief sich dabei auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1952 – 2 StR 198/51 – (zitiert bei Kalsbach, AnwBl 1954, S. 187 ≪189≫, insoweit nicht in BGHSt 3, 400). Die abweichende Sicht des Oberlandesgerichts Stuttgart (NStZ 1990, S. 542) überzeuge nicht. Der Täter und eine von ihm zu Unrecht als Anstifter bezeichnete Person seien ebenfalls nicht Parteien einer Rechtssache.
II.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob der Bundesgerichtshof das Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück (Urteil vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07 –, BGHSt 52, 307 = NJW 2008, S. 2723).
Die anvertrauten Angelegenheiten hätten dieselbe Rechtssache betroffen. Mehrere Tatbeteiligte einer Strafsache könnten Parteien im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB sein. Zwar habe der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs dies in seiner Entscheidung vom 16. Dezember 1952 – 2 StR 198/51 – unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Reichsgerichts (RGSt 66, 316) anders beurteilt. Daran werde aber nicht festgehalten. Der 2. Strafsenat habe auf Anfrage mitgeteilt, dass hinsichtlich der Entscheidung vom 16. Dezember 1952 keine anfrage- oder vorlagepflichtige Divergenz vorliege. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Änderung des § 146 StPO seien nunmehr rechtliche Beziehungen zwischen Tätern oder Teilnehmern einer Tat anerkannt.
III.
Am 3. April 2009 verurteilte das Landgericht Potsdam den Beschwerdeführer unter anderem wegen Parteiverrats.
Der Vorwurf der Anklage sei durch die getroffenen Feststellungen bestätigt worden. In der rechtlichen Beurteilung folgte das Landgericht Potsdam dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2008. Die Einlassung des Beschwerdeführers, dass nach der zur Tatzeit einhelligen Kommentarliteratur kein Parteiverrat vorgelegen habe, treffe nicht zu. Vielmehr sei daraus deutlich erkennbar gewesen, dass diese Rechtsfrage unterschiedlich beurteilt worden sei. Es habe beim Beschwerdeführer auch kein Verbotsirrtum vorgelegen. Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen sei eine der wesentlichsten anwaltlichen Berufspflichten (§ 43a Abs. 4 BRAO). Zudem ergebe sich aus einer Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber einem anderen Rechtsanwalt, dass ihm die Unzulässigkeit seines Verhaltens bewusst gewesen sei.
IV.
Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet (Beschluss vom 8. April 2010 – 5 StR 491/09 –, wistra 2010, S. 263).
Die Verurteilung verstoße nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG, weil diese Vorschrift eine Änderung der Rechtsprechung nicht erfasse. Zudem habe die Rechtsprechungsänderung schon zuvor in der fachlichen Diskussion gestanden. Die tatrichterlichen Ausführungen zur Frage eines Verbotsirrtums seien revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Entscheidungsgründe
B.
Der Beschwerdeführer greift mit seiner Verfassungsbeschwerde das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 3. April 2009 und den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8. April 2010 an. Er beanstandet unter anderem einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip und gegen Art. 103 Abs. 2 GG.
Das Vertrauen auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung müsse geschützt werden. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei seit 1951 unverändert geblieben. Vermeintlich abweichende Entscheidungen hätten andere Sachverhalte betroffen, weshalb auch kein Gericht die Rechtsfrage dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt habe. Die Rechtsfrage sei auch nicht Gegenstand einer intensiven fachlichen Diskussion gewesen. Vor Erlass der angegriffenen Entscheidungen hätten jede Auskunft einer sachkundigen Person und jede Überprüfung in der Fachliteratur zu dem Ergebnis geführt, dass das Verhalten des Beschwerdeführers keinen Parteiverrat darstelle. Wegen der „im Rahmen der Strafverteidigung nahezu stets ad hoc zu treffenden Entscheidungen, die ja immer auch mit der Inhaftierung eines Mandanten im Zusammenhang stehen”, habe „man schlicht und ergreifend weder Zeit noch die tatsächliche Möglichkeit …, in Bibliotheken drei Artikel aus 20 Jahren herauszusuchen”. Vor diesem Hintergrund seien die zum Verbotsirrtum angestellten Erwägungen nicht verfassungskonform.
C.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫; 96, 245 ≪248 ff.≫).
I.
1. Die Verfassungsbeschwerde gibt keinen Anlass, die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe zu Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und zum Schuldgrundsatz zu überprüfen oder fortzuentwickeln.
a) Danach ist höchstrichterliche Rechtsprechung kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Die Aufgabe einer in der Rechtsprechung bislang vertretenen Auslegung verstößt nicht als solche gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Soweit durch gefestigte Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet wurde, kann diesem erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden (BVerfGE 18, 224 ≪240 f.≫; 74, 129 ≪151 ff.≫; 78, 123 ≪126 f.≫; 84, 212 ≪227≫; 122, 248 ≪277 f.≫). Im Bereich des materiellen Strafrechts ist dabei dem Schuldgrundsatz Rechnung zu tragen. Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld” ist in der Garantie der Würde und der Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert. Er schließt die strafende Ahndung einer Tat ohne Schuld des Täters aus (BVerfGE 9, 167 ≪169≫; 20, 323 ≪331≫; 41, 121 ≪125≫; 110, 1 ≪13≫).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht die Anwendung und Auslegung des § 17 StGB durch die Fachgerichte. Danach liegt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, wenn zum Tatzeitpunkt das Verhalten nach der bisherigen, gefestigten Rechtsprechung als straflos betrachtet wurde und eine Änderung dieser Rechtsprechung nicht absehbar war (BGHSt 37, 55 ≪67 ff.≫; BGH, NJW 1976, S. 1949 ≪1950≫; 2010, S. 2595 ≪2597≫; KG, NJW 1990, S. 782 ≪783≫; OLG Frankfurt, NJW 1990, S. 1057 ≪1058≫; OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2002, S. 277 ≪279≫; vgl. weiter Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 17 Rn. 20 f.; Vogel, in: Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2007, § 17 Rn. 58 ff.).
2. Nach diesen Maßgaben ist die Verurteilung im Ausgangsfall verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Ein Vertrauenstatbestand lag bereits mangels gefestigter Rechtsprechung nicht vor. Zudem hält sich die Auslegung im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung.
Zwar weicht die Auslegung des § 356 Abs. 1 StGB in den angefochtenen Entscheidungen von der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1952 – 2 StR 198/51 – (zitiert bei Kalsbach, AnwBl 1954, S. 187 ≪189≫) ab. Diese lag zur Tatzeit jedoch bereits fast 50 Jahre zurück, ohne dass sie höchstrichterlich bestätigt worden wäre. Vielmehr wurde die Rechtsfrage im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juli 1982 – 1 StR 245/82 – (NStZ 1982, S. 465 f.) unter Darstellung des Meinungsstands ausdrücklich offen gelassen. Zudem hatten mehrere Oberlandesgerichte und das Kammergericht in vergleichbaren Fallgestaltungen Beschuldigte derselben Straftat als Parteien im Sinne von § 356 Abs. 1 StGB angesehen (OLG Oldenburg, NStZ 1989, S. 533 f.; KG, Beschluss vom 15. Februar 1999 – (4) 1 Ss 275/98 (2/99) –, juris; OLG Stuttgart, NStZ 1990, S. 542; OLG Zweibrücken, NStZ 1995, S. 35 ≪36≫). In der Literatur wurde die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1952 bereits vor dem Jahr 2001 unter ausführlicher Darstellung der nachfolgenden Rechtsprechungsentwicklung kritisiert (siehe z. B. Dahs, NStZ 1991, S. 561 ≪561, 563≫; Geppert, NStZ 1990, S. 542). All dies war zum Tatzeitpunkt den Kommentierungen zu entnehmen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl. 2001, § 356 Rn. 5; Cramer, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 356 Rn. 13; Hübner, in: Leipziger Kommentar, StGB, 10. Aufl. 1988, § 356 Rn. 58 ff.).
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht im Hinblick auf die Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG anzunehmen.
Es bedarf hier keiner Entscheidung, ob eine strafgerichtliche Verurteilung, deren Auslegung und Anwendung eines Straftatbestands von früheren gerichtlichen Entscheidungen abweicht, dadurch gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen kann. Einen derartigen Verstoß hat das Bundesverfassungsgericht bislang nicht angenommen (vgl. BVerfGE 95, 96 ≪132≫; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Juni 1990 – 2 BvR 752/90 –, NJW 1990, S. 3140; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Mai 2008 – 2 BvR 2392/07 –, NJW 2008, S. 3205 ≪3206≫). Die Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG auf „Rechtsprechungsänderungen” würde jedenfalls voraussetzen, dass die frühere Rechtsprechung durch ein Mindestmaß an Kontinuität einen Vertrauenstatbestand begründen konnte (vgl. dazu m. N. Dannecker, in: Leipziger Kommentar StGB, 12. Aufl. 2007, § 1 Rn. 440). Dies war hier nicht der Fall.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Voßkuhle, Gerhardt, Landau
Fundstellen