Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsbehelfe gegen Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung im Rahmen der Zwangsvollstreckung wegen Steuerrückständen
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Im Zweifel verdient diejenige Interpretation eines Gesetzes den Vorzug, die Rechtsuchenden den Zugang zu den Gerichten eröffnet.
2. Dass effektiver Rechtsschutz zumindest in der Form nachträglicher gerichtlicher Kontrolle gegen die Gestattung eines so gravierenden Grundrechtseingriffs, wie ihn die Durchsuchung von Geschäfts- und Wohnräumen darstellt, eröffnet sein muss, ist unabweisbar. Dies gilt besonders dann, wenn – wie hier – der Betroffene vor dem Erlass der Durchsuchungsanordnung nicht gehört wurde. Steht wie im Fall der richterlichen Durchsuchungsanordnung in Streit, welcher von mehreren nach der geltenden Rechtslage in Frage kommenden Rechtsbehelfen statthaft ist, ist dies zunächst eine Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts (zahlreiche Zitate zum Meinungsstand).
3. Dass sowohl die Erinnerung (§ 766 ZPO) als insbesondere auch die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) eine Auslegung zulassen, die in jedem von ihnen einen gegenüber der Durchsuchungsanordnung grundsätzlich statthaften Rechtsbehelf sieht, ergibt sich aus dem Meinungsstand zu dieser Frage.
Normenkette
GG Art. 13 Abs. 1-2, Art. 19 Abs. 4 S. 1; AO § 287 Abs. 4 S. 1; ZPO §§ 758a, 766, 793
Verfahrensgang
LG Leipzig (Beschluss vom 16.01.2015; Aktenzeichen 04 T 705/14) |
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. Januar 2015 – 04 T 705/14 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Landgericht Leipzig zurückverwiesen.
2. Der Freistaat Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 25.000 EUR (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine durch das Amtsgericht auf der Grundlage von § 287 der Abgabenordnung (AO) angeordnete Wohnungsdurchsuchung. Das nachträgliche Ersuchen des Beschwerdeführers um gerichtliche Überprüfung wurde vom Landgericht als unzulässig verworfen.
I.
1. Mit Schreiben vom 13. Mai 2014 beantragte das Finanzamt die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers wegen vollstreckbarer Abgabenforderungen. Es begründete den Antrag damit, dass die Durchsuchung zur Durchführung der Vollstreckung erforderlich und verhältnismäßig sei, weil der Beschwerdeführer wiederholt – laut Anlage zum Antrag zweimal am 3. April 2014 und am 5. Mai 2014 – in der Wohnung nicht angetroffen worden sei. Gegen die Anhörung des Betroffenen bestünden keine Bedenken. In der Anlage wurde ferner auf die vollstreckbare Geldforderung und eine Rückstandsanzeige vom 13. Mai 2014 Bezug genommen.
Durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Durchsuchungsanordnung vom 21. Mai 2014 hat das Amtsgericht wegen der Gesamtforderung des Finanzamts in Höhe von 40.588,54 EUR den Vollziehungsbeamten „befugt, gemäß Artikel 13 Abs. 2 GG i.V.m. § 287 AO, § 758a Abs. 1 ZPO in Ausführung der Zwangsvollstreckung die Wohnung des Schuldners … zu durchsuchen, soweit der Zweck der Vollstreckung dies erfordert”. Die Befugnis wurde auf die Dauer von sechs Monaten beschränkt. Die Anordnung der Durchsuchung sei zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erforderlich, weil der Schuldner durch den Vollziehungsbeamten wiederholt nicht angetroffen worden sei. Abweichend vom Antrag des Finanzamts sah das Amtsgericht von einer vorherigen Anhörung des Beschwerdeführers ab. Sie habe zu unterbleiben, um den Vollstreckungserfolg nicht zu gefährden.
2. Das Finanzamt führte die Durchsuchung am 25. Juli 2014 durch. Der Beschwerdeführer legte gegen die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts am 30. Juli 2014 „Erinnerung (hilfsweise: sofortige Beschwerde)” ein. Er erhielt Akteneinsicht, begründete den Rechtsbehelf und beantragte festzustellen, dass die Anordnung der Durchsuchung der Wohnung rechtswidrig gewesen sei. Mit seiner Erwiderung übersandte das Finanzamt als Anlage die „Rückstandsaufstellung vom 13. Mai 2014”. Das Amtsgericht behandelte den Rechtsbehelf als sofortige Beschwerde und half dieser nicht ab. Die Angabe der Rückstandsanzeige, in der die Steuerrückstände im Einzelnen aufgeführt seien, nebst Aktenzeichen sowie des Forderungsbetrags in der Durchsuchungsanordnung sei ausreichend, zumal dem Schuldner die Forderungen aus den vorangegangenen Steuerbescheiden und Vollstreckungsversuchen bekannt gewesen seien.
3. Durch den angegriffenen Beschluss vom 16. Januar 2015 verwarf das Landgericht die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers als unzulässig. Dem Schuldner stehe gegen die Erteilung der Durchsuchungsanordnung kein Rechtsmittel zu. Diese sei für ihn nicht anfechtbar. § 793 ZPO finde auf die vorbereitende Anordnung keine Anwendung. Nach Beendigung der Zwangsvollstreckung sei für die Erinnerung nach § 766 ZPO kein Raum. Es bestehe auch kein Rechtsschutzbedürfnis.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 13 und 19 Abs. 4 GG.
a) Eine eigenständige richterliche Prüfung des Antrags des Finanzamts sei nicht erkennbar. Das Amtsgericht, dessen Gerichtsakte nur vier Seiten umfasse, habe sich mit der bloßen Behauptung des Finanzamts begnügt, es bestünde eine Steuerforderung gegenüber dem Beschwerdeführer in bestimmter Höhe. Unstreitig habe das Finanzamt die der zu vollstreckenden Steuerforderung zugrunde liegenden Verwaltungsakte (Steuerbescheide) in seinem Antrag vom 13. Mai 2014 nicht bezeichnet oder beigefügt.
Das Amtsgericht habe keine eigene richterliche Überprüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen vornehmen können. Allem Anschein nach habe es den Antrag des Finanzamts ohne weiteres „durchgewunken”. Damit verkenne das Amtsgericht die grundlegende Bedeutung des Grundrechts aus Art. 13 GG und insbesondere des Richtervorbehalts.
b) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts verletze den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil das Landgericht sowohl die Statthaftigkeit eines Rechtsmittels gegen die Durchsuchungsanordnung als auch ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung verneine. Gegen die richterliche Durchsuchungsanordnung gemäß § 287 Abs. 4 AO sei als Rechtsbehelf die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) statthaft, nach anderer Ansicht die sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO. Aber auch dann, wenn man weder § 766 ZPO noch § 793 ZPO für anwendbar halte, erfordere das Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung des Eingriffs, soweit eine gerichtliche Anordnung in das Grundrecht des Betroffenen auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) eingegriffen habe.
Das Rechtsschutzinteresse bestehe über den Abschluss der Durchsuchungsmaßnahme hinaus fort. Bei der Durchsuchung von Wohnräumen handle es sich um einen tief greifenden Grundrechtseingriff, dessen direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränke, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen könne. Effektiver Grundrechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es in diesen Fällen prozessualer Überholung, dass der Betroffene Gelegenheit erhalte, die Berechtigung des schwerwiegenden, wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen.
Indem das Landgericht die vorausgehende Entscheidung des Amtsgerichts – hilfsweise – inhaltlich bestätige, verkenne es seine materielle Überprüfungspflicht aus Art. 13 GG. Die vom Landgericht in Bezug genommene, erst mehr als vier Monate nach der Durchsuchungsanordnung vorgelegte Rückstandsanzeige vom 13. Mai 2014 sei dem Antrag unstreitig nicht beigefügt gewesen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts könne durch spätere Vorlage der Rückstandsanzeige keine Heilung erfolgen.
2. Der Kammer liegt die Akte des Ausgangsverfahrens vor. Das Land Sachsen und das Finanzamt L. hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
III.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in dem im Tenor bezeichneten Umfang statt, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden, ausgehend davon ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.
1. Der Beschluss des Landgerichts vom 16. Januar 2015 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen gerichtlichen Schutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 ≪326≫; 67, 43 ≪58≫; 104, 220 ≪231≫; 129, 1 ≪20≫; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 2. Dezember 2014 – 1 BvR 3106/09 –, NJW 2015, S. 610; stRspr). Als öffentliche Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG werden auch die Gerichte eingeordnet, wenn sie außerhalb ihrer spruchrichterlichen Tätigkeit aufgrund eines ausdrücklich normierten Richtervorbehalts tätig werden (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39 ff.≫; 104, 220 ≪231 ff.≫; 107, 395 ≪406≫).
Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert jedem den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Damit wird sowohl der Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes gewährleistet. Der Bürger hat einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle in allen ihm von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 40, 272 ≪275≫; 113, 273 ≪310≫; 129, 1 ≪20≫). Das Rechtsmittelgericht darf ein in der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leer laufen” lassen (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; 104, 220 ≪232≫; 117, 244 ≪268≫). Rechtsuchende müssen zudem erkennen können, welches Rechtsmittel für sie in Betracht kommt und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen es zulässig ist (vgl. BVerfGE 49, 148 ≪164≫; 54, 277 ≪292 f.≫; 87, 48 ≪65≫; 107, 395 ≪416≫; 108, 341 ≪349≫). Im Zweifel verdient diejenige Interpretation eines Gesetzes den Vorzug, die Rechtsuchenden den Zugang zu den Gerichten eröffnet (vgl. BVerfGE 15, 275 ≪281 f.≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014 – 1 BvR 3606/13 –, NVwZ 2014, S. 785 ≪786≫).
Mit dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, ist es zwar grundsätzlich vereinbar, wenn die Gerichte ein Rechtsschutzinteresse nur so lange als gegeben ansehen, wie ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Darüber hinaus ist ein Rechtsschutzinteresse aber auch in Fällen tief greifender Grundrechtseingriffe gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Effektiver Grundrechtsschutz gebietet es in diesen Fällen, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, die Berechtigung des schwerwiegenden – wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden – Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht geht dementsprechend in solchen Fällen bei der Verfassungsbeschwerde in ständiger Rechtsprechung vom Fortbestand eines Rechtsschutzinteresses aus (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39 f.≫; 104, 220 ≪232 ff.≫; 110, 77 ≪85 f.≫; 117, 71 ≪122 f.≫; 117, 244 ≪268≫). Die Bejahung eines derartigen tief greifenden Grundrechtseingriffs kommt vor allem bei Anordnungen in Betracht, die das Grundgesetz – wie in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 und Art. 104 Abs. 2 und 3 – vorbeugend dem Richter vorbehalten hat. Zu der Fallgruppe tief greifender Grundrechtseingriffe, die ihrer Natur nach häufig vor möglicher gerichtlicher Überprüfung schon wieder beendet sind, gehört die Wohnungsdurchsuchung aufgrund richterlicher Durchsuchungsanordnung (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪40≫; 104, 220 ≪233≫; 117, 244 ≪269≫).
b) Gemessen daran hat das Landgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz verletzt, indem es seine Beschwerde als unzulässig verworfen hat.
aa) Dass effektiver Rechtsschutz zumindest in der Form nachträglicher gerichtlicher Kontrolle gegen die Gestattung eines so gravierenden Grundrechtseingriffs, wie ihn die Durchsuchung von Geschäfts- und Wohnräumen darstellt, eröffnet sein muss, ist unabweisbar. Dies gilt besonders dann, wenn – wie hier – der Betroffene vor dem Erlass der Durchsuchungsanordnung nicht gehört wurde. Steht wie im Fall der richterlichen Durchsuchungsanordnung in Streit, welcher von mehreren nach der geltenden Rechtslage in Frage kommenden Rechtsbehelfen statthaft ist, ist dies zunächst eine Frage der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts (zum Meinungsstand vgl. etwa Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 73. Auflage 2015, § 758a Rn. 25; Brockmeyer, in: Klein, AO, 12. Auflage 2014, § 287 Rn. 16; Fritsch, in: Koenig, AO, 3. Auflage 2014, § 287 Rn. 34; Heßler, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Auflage 2012, § 758a Rn. 71; Kindl, in: Saenger, ZPO, 6. Auflage 2015, § 758a Rn. 11 ff.; Kruse, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 287 AO, Rn. 31; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 12. Auflage 2015, § 758a Rn. 16; Müller-Eiselt, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 287 AO, Rn. 60 f. ≪März 2009≫; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage 2002, § 758a Rn. 33 f.; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Auflage 2015, § 758a Rn. 19; Sievers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 2. Auflage 2013, § 758a ZPO, Rn. 15; Stöber, in: Zöller, ZPO, 30. Auflage 2014, § 758a Rn. 36; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, § 287 AO, Rn. 1; Ulrici, in: BeckOK ZPO, Stand: 1. März 2015, § 758a Rn. 12; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 4. Auflage 2008, § 758a ZPO, Rn. 39). Das Landgericht hat jedoch die Bedeutung und Tragweite der Rechtsschutzgarantie verkannt, indem es den Bestimmungen über die Erinnerung (§ 766 ZPO) und die sofortige Beschwerde (§ 793 ZPO) mit der Erwägung, weder der eine noch der andere Rechtsbehelf finde auf die Durchsuchungsanordnung als eine die Zwangsvollstreckung vorbereitende Maßnahme Anwendung, eine Deutung gegeben hat, die dem von einer Durchsuchungsanordnung Betroffenen jegliche Rechtsschutzmöglichkeit nimmt. Dass sowohl die Erinnerung als insbesondere auch die sofortige Beschwerde eine Auslegung zulassen, die in jedem von ihnen einen gegenüber der Durchsuchungsanordnung grundsätzlich statthaften Rechtsbehelf sieht, ergibt sich aus dem oben wiedergegebenen Meinungsstand zu dieser Frage.
bb) Unabhängig hiervon hat das Landgericht die Garantie effektiven Rechtsschutzes auch dadurch verletzt, dass es dem von der Wohnungsdurchsuchung Betroffenen das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Überprüfung allein deswegen abgesprochen hat, weil die Durchsuchung bereits abgeschlossen war. Auch dies hat das Bundesverfassungsgericht für Wohnungsdurchsuchungen bereits mehrfach für mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes unvereinbar erklärt (oben a).
c) Der angegriffene Beschluss des Landgerichts war deshalb aufzuheben. Das Landgericht wird nun unter Beachtung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes erneut zu entscheiden haben, ob die fristgebundene sofortige Beschwerde oder die unbefristet mögliche Erinnerung gegen die Durchsuchungsanordnung gegeben ist und bei zulässiger Einlegung des Rechtsbehelfs die Anordnung durch das Amtsgericht unter Berücksichtigung des sich aus Art. 13 GG ergebenden materiellen Schutzes in der Sache zu überprüfen haben (zu den aus Art. 13 GG folgenden Anforderungen vgl. BVerfGE 9, 89 ≪97≫; 57, 346 ≪355 f.≫; 103, 142 ≪151≫; 115, 166 ≪197≫).
2. Soweit die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts gerichtet ist, bedarf es keiner Entscheidung der Kammer, weil infolge der Aufhebung des angegriffenen Beschlusses des Landgerichts der Rechtsweg vor den Fachgerichten wieder eröffnet ist (vgl. BVerfGE 129, 1 ≪37≫; 134, 106 ≪121≫).
IV.
Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 ≪366 ff.≫).
Unterschriften
Kirchhof, Eichberger, Britz
Fundstellen
Haufe-Index 8614144 |
BFH/NV 2015, 1790 |
HFR 2015, 1177 |
NJW 2015, 3432 |
WM 2015, 1968 |
DGVZ 2015, 219 |
JA 2016, 236 |
KP 2016, 20 |
NPA 2016 |