Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 12.06.2007; Aktenzeichen 1 Vollz (Ws) 445/07) |
LG Hagen (Beschluss vom 10.05.2007; Aktenzeichen 61 Vollz 124/07) |
LG Hagen (Beschluss vom 19.04.2007; Aktenzeichen 61 Vollz 811/06) |
Tenor
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Entscheidungen des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen vom 6. Dezember 2006 – 4514 E (II) E – 2.185 – und vom 31. Januar 2007 – 4514 (II) E – 2.191 – sowie die Beschlüsse des Landgerichts Hagen vom 19. April 2007 – 61 Vollz 811/06 – und vom 10. Mai 2007 – 61 Vollz 124/07 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Beschlüsse des Landgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen. Damit werden die angegriffenen Beschlüsse des Oberlandesgerichts gegenstandslos.
Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Erhebung von Haftkostenbeiträgen.
1. Der 29 Jahre alte, an einer Epilepsieerkrankung leidende Beschwerdeführer verbüßt in der Justizvollzugsanstalt S. Freiheitsstrafen wegen Betruges. Er war zunächst in der Justizvollzugsanstalt C. im offenen Vollzug inhaftiert gewesen. Aus einem dort gewährten Hafturlaub war er nicht in die Justizvollzugsanstalt zurückgekehrt. Als Grund seines Fernbleibens gab er Kränkung durch das Fehlen adäquater beruflicher Perspektiven im Vollzug an. Am Tag nach seiner Festnahme wurde er in die Justizvollzugsanstalt S. – geschlossener Vollzug – verlegt, wo ihm wegen Mangels an Arbeitsplätzen keine Arbeit zugewiesen werden konnte.
2. Ausgangsverfahren 2 BvR 1466/07
a) Mit Bescheid vom 6. November 2006 setzte die Leiterin der Justizvollzugsanstalt S. – mit formularmäßig angekreuzter Feststellung, eine Gefährdung der Wiedereingliederung durch die Auferlegung eines Haftkostenbeitrages (§ 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG) sei nicht erkennbar – für den Beschwerdeführer einen Haftkostenbeitrag für den Monat Oktober 2006 in Höhe von 316,41 Euro wegen verschuldeter Nichtarbeit fest.
Einige Tage später erstellte die Vollzugsbehörde für den Beschwerdeführer einen Vollzugsplan, der neben einem Hinweis auf die bestehende Epilepsieerkrankung die Feststellungen enthielt, dass der Beschwerdeführer sich „im Hinblick auf die Arbeit zwischen ihm und den zuständigen Bediensteten” kooperativ zeige und dass ein Arbeitseinsatz nach Bedarf geplant, „zur Zeit” jedoch der Status des Beschwerdeführers „03” sei. Hinsichtlich der beruflichen Maßnahmen solle der Beschwerdeführer fachlich und medizinisch beraten werden. Der Beschwerdeführer habe Schulden in Höhe von 60.000 bis 70.000 Euro, welche er selbständig regeln wolle. Er habe seine Berufs- und Lebensplanung konkretisieren können und setze sich mit seiner Schuldensituation weiterhin auseinander.
Den gegen den Haftkostenbescheid eingelegten Widerspruch des Beschwerdeführers wies der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen mit Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2006 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen einer Ausnahme von der Haftkostenbeitragspflicht gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 StVollzG lägen beim Beschwerdeführer nicht vor, insbesondere sei er nicht als unverschuldet ohne Arbeit anzusehen. Vielmehr habe er die Nachteile aus der Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug nach seiner Festnahme und damit auch die Tatsache, dass ihm in der Justizvollzugsanstalt S. keine Arbeit habe vermittelt werden können, selbst zu vertreten. Des Weiteren stelle der Bescheid gemäß § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG rechtsfehlerfrei fest, dass die Heranziehung die Wiedereingliederung des Beschwerdeführers in die Gemeinschaft trotz der Erhöhung seiner Schulden nicht gefährde. Es erscheine angesichts des vorangegangenen erheblichen Fehlverhaltens des Beschwerdeführers überdies befremdlich, wenn er auf das Resozialisierungsgebot hinweise. Dieses Gebot gelte selbstverständlich; hinzuweisen sei aber gleichermaßen auf die Pflichten der Gefangenen.
b) Der Beschwerdeführer beantragte beim Landgericht Hagen gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 109 ff. StVollzG. Er beanstandete, dass man ihm die Gründe für die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug nicht mitgeteilt habe. Die Heranziehung zu Haftkostenbeiträgen behindere ihn bei seiner Schuldenregulierung und verstoße somit gegen den Resozialisierungsgrundsatz. In seinem Vollzugsplan vom 15. November 2006 sei für ihn hinsichtlich seines Arbeitseinsatzes der Status „03” festgeschrieben, was „unverschuldet ohne Arbeit” bedeute. Eine Einzelfallprüfung bei der Heranziehung zu Haftkostenbeiträgen habe nicht stattgefunden.
Mit Beschluss vom 19. April 2007 wies das Landgericht Hagen den Antrag des Beschwerdeführers als unbegründet zurück. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Heranziehung zu einem Haftkostenbeitrag lägen aus den Gründen des Widerspruchsbescheides, denen sich das Gericht anschließe, vor. Es sei unerheblich, ob dem Beschwerdeführer die Gründe für die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug mitgeteilt worden seien, zumal diese für den hafterfahrenen Beschwerdeführer, der in der Vergangenheit schon einmal aus dem offenen Vollzug entwichen sei, auf der Hand lägen. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt S. zunächst als „verschuldet ohne Arbeit” geführt worden sei, da er es aufgrund seiner schuldhaften Urlaubsüberschreitung zu vertreten habe, dass er in eine Justizvollzugsanstalt eingeliefert worden sei, in der es für ihn keine Arbeit gegeben habe. Die gegenteilige Eintragung im Vollstreckungsplan sei für die Frage der Haftkostenbeiträge nicht konstitutiv und außerdem später erfolgt. Auch Gründe der Wiedereingliederung sprächen nicht gegen die Heranziehung des Beschwerdeführers zu Haftkostenbeiträgen, da es widersinnig wäre, wenn sich ein Verurteilter, dem nach dem Gesetz erklärtermaßen die Kosten der Strafvollstreckung aufgebürdet werden könnten, der Beteiligung an den Haftkosten durch Hinweis auf private Schulden entziehen könne. Niemand werde schließlich gezwungen, Straftaten zu begehen und sich damit zusätzlich zu seinen Schulden auch noch Haftkostenbeiträge aufzubürden.
c) Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 12. Juni 2007 gemäß § 119 Abs. 3 StVollzG als unzulässig.
3. Ausgangsverfahren 2 BvR 1766/07
a) Die Justizvollzugsanstalt S. setzte mit weiteren Bescheiden Haftkostenbeiträge für November 2006 in Höhe von 306,02 Euro sowie für die Zeit vom 1. bis 6. Dezember 2006 in Höhe von 72,60 Euro fest. Den Widerspruch des Beschwerdeführers hiergegen wies das Landesjustizvollzugsamt Nordrhein-Westfalen mit Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2007 zurück und verwies auf die Gründe des Widerspruchsbescheides zum Haftkostenbeitrag für Oktober 2006. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass die gebotene Anhörung zur Verlegung unterblieben sei. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, dass im Vollzugsplan für ihn der Status „03” (unverschuldet ohne Arbeit) angegeben sei, sei darauf hinzuweisen, dass der Vollzugsplan in die Zukunft gerichtet sei.
b) Durch Beschluss vom 10. Mai 2007 wies das Landgericht Hagen den hiergegen gerichteten Antrag des Beschwerdeführers auf gerichtliche Entscheidung (§§ 109 ff. StVollzG) mit gleichen Gründen wie im Beschluss vom 19. April 2007 als unbegründet zurück.
c) Die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht Hamm mit Beschluss vom 12. Juli 2007 gemäß § 119 Abs. 3 StVollzG ohne weitere Begründung als unzulässig.
Entscheidungsgründe
II.
1. Mit seinen Verfassungsbeschwerden rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Die Vollzugsbehörde habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da sie ihm keine Gelegenheit zur Äußerung zu seiner Ablösung aus dem offenen Vollzug gegeben habe; die Verlegungsverfügung sei ihm nicht eröffnet worden. Mit dem Vollzugsplan sei die Justizvollzugsanstalt eine Selbstbindung auch im Hinblick auf die Einstufung als „unverschuldet ohne Arbeit” eingegangen. Es sei gegen ihn kein Disziplinarverfahren wegen Nichtausübung einer zugewiesenen Arbeit eingeleitet worden, das die Erhebung eines Haftkostenbeitrages gerechtfertigt hätte. Dies alles sei bei seiner ersten Nichtwiederkehr aus dem Hafturlaub 2003 anders gewesen; gegen die damalige Einstufung als „verschuldet ohne Beschäftigung” und die Ablösung aus dem offenen Vollzug habe er sich auch nicht gewehrt.
2. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.
III.
Die Verfassungsbeschwerden werden gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93c Abs. 1 BVerfGG) liegen insoweit vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Nach diesen Grundsätzen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet (§ 93c Abs. 1 BVerfGG).
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde den Weg der Anhörungsrüge (§ 33a StPO) beschritten hat. Zwar macht er unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Diese Rüge bezieht sich jedoch erkennbar allein auf das Vorgehen der Vollzugsbehörde, der der Beschwerdeführer vorwirft, ihn ohne vorherige Anhörung verlegt zu haben. Die damit geltend gemachte Rechtsverletzung berührt nicht den Schutzbereich des Art. 103 Abs. 1 GG, der nach seinem klaren Wortlaut allein das Gehör vor Gericht umfasst (vgl. BVerfGE 101, 397 ≪404≫). Schon aus diesem Grund wäre die Anhörungsrüge kein zur Abwehr der gerügten Grundrechtsverstöße geeigneter Rechtsbehelf gewesen.
2. Die Verfassungsbeschwerden sind offensichtlich begründet.
a) Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts wenden § 50 Abs. 1 StVollzG in einer nicht nachvollziehbaren Weise an und verletzen damit den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG.
Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts sind grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte, unterliegen aber der verfassungsgerichtlichen Prüfung daraufhin, ob sie die Grenze zur Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) überschreiten oder die Bedeutung eines Grundrechts grundsätzlich verkennen (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪93≫; 30, 173 ≪196 f.≫; 57, 250 ≪272≫; 74, 102 ≪127≫ stRspr). Der fachgerichtliche Spielraum ist insbesondere dann überschritten, wenn das Gericht bei der Gesetzesauslegung und -anwendung in offensichtlich nicht zu rechtfertigender Weise den vom Gesetzgeber gewollten und im Gesetzestext ausgedrückten Sinn des Gesetzes verfehlt (vgl. BVerfGE 86, 59 ≪64≫) oder das zu berücksichtigende Grundrecht völlig unbeachtet gelassen hat (vgl. BVerfGE 59, 231 ≪268 f.≫; 77, 240 ≪255 f.≫).
Wird eine einfachgesetzliche Bestimmung, die sich als konkretisierende Ausprägung der verfassungsrechtlichen Pflicht zur Ausrichtung des Strafvollzuges auf das Ziel der Resozialisierung (vgl. BVerfGE 35, 202 ≪235 f.≫; 116, 69 ≪85≫ stRspr) darstellt, in nicht nachvollziehbarer Weise – insbesondere ohne Berücksichtigung des Resozialisierungszieles, dem sie dienen soll – ausgelegt und angewendet, so ist der Betroffene in seinem grundrechtlichen Anspruch auf einen am Resozialisierungsziel orientierten Strafvollzug verletzt (vgl. BVerfGK 6, 260 ≪264 f.≫; 8, 36 ≪41 f.≫; 9, 231 ≪236 f.≫, m.w.N.).
Das verfassungsrechtlich vorgegebene Resozialisierungsziel verlangt unter anderem eine angemessene Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange des Gefangenen bei der Entscheidung über die Auferlegung von Haftkosten (vgl. BVerfGE 98, 169 ≪203≫).
b) Nach diesen Grundsätzen kann die angegriffene Entscheidung des Landgerichts keinen Bestand haben.
aa) Zwar muss der Umstand, dass ein Gefangener Schulden hat, nicht zwangsläufig zu der Annahme führen, dass die Auferlegung von Haftkosten seine Wiedereingliederung gefährden würde (vgl. zu Untersuchungshaftkosten BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. März 1999 – 2 BvR 2248/98 –, NStZ-RR 1999, S. 255 ≪256≫; s. auch, für den Fall gegebener Tilgungsmöglichkeiten aus Renteneinkünften, OLG Celle, Beschluss vom 13. November 2007, NStZ-RR 2008, S. 294). Der Resozialisierungsgrundsatz ist jedoch verletzt, wenn bei der Anwendung des § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG ein solcher für die Wiedereingliederungsperspektive des Gefangenen offensichtlich bedeutsamer Umstand (vgl. allgemein BVerfG, a.a.O.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 4. Juni 1993 – 1 Ws 147/93 –, juris; speziell zu § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. April 2007 – 2 Ws 332/05 –, NStZ-RR 2007, S. 389 ≪390≫) nicht angemessen berücksichtigt wird.
bb) Diese Berücksichtigung ist im vorliegenden Fall unterblieben. Die behördlichen Bescheide lassen nicht erkennen, dass die Behörden sich mit der Frage befasst hätten, wie hoch die Schulden des Beschwerdeführers sind, welche Möglichkeiten der Tilgung ihm realistischerweise offenstehen und wie die Auferlegung eines Haftkostenbeitrages sich auf seine Lage nach Haftentlassung voraussichtlich auswirken würde. Der Haftkostenbescheid der Justizvollzugsanstalt verneint eine Gefährdung der Wiedereingliederung des Beschwerdeführers ohne jegliche Begründung durch Ankreuzen einer entsprechenden Formularfeststellung. Im Widerspruchsbescheid, der diese Feststellung als rechtmäßig bestätigt, findet sich als möglicherweise begründend gemeinte Erwägung hierzu nur die abschließende Bemerkung, es mute befremdlich an, wenn der Beschwerdeführer so kurze Zeit nach seinem Fehlverhalten auf das Resozialisierungsgebot hinweise, welches selbstverständlich gelte; hinzuweisen sei aber gleichermaßen auf die Pflichten der Gefangenen. Auf nähere Umstände des konkreten Falles, einschließlich der wohl auch für die Perspektiven der Schuldenregulierung bedeutsamen Erkrankung des Beschwerdeführers, gehen die Bescheide nicht ein. Diesem gänzlichen Mangel an Feststellungen, die geeignet wären, die Annahme fehlender Gefährdung der Wiedereingliederung des Beschwerdeführers zu tragen (zum Erfordernis ausreichender Tatsachenfeststellung bei Haftkostenbescheiden s. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. April 2005 – 1 Ws 506/04 –, NStZ 2006, S. 63), ist das Landgericht ebensowenig entgegengetreten wie der im Widerspruchsbescheid angedeuteten offensichtlich unzutreffenden Rechtsauffassung, eigenes Fehlverhalten des Gefangenen schließe im Rahmen des § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG eine Berufung auf den Gesichtspunkt der Wiedereingliederung grundsätzlich aus.
Nach § 50 Abs. 1 Satz 5 StVollzG ist von der Geltendmachung des Anspruchs auf einen Haftkostenbeitrag abzusehen, soweit dies notwendig ist, um die Wiedereingliederung des Gefangenen nicht zu gefährden. Nach dem Wortlaut dieser sogenannten Resozialisierungsklausel wie auch nach der Systematik des § 50 Abs. 1 StVollzG, der bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit eine Haftkostenerhebung ohnehin regelmäßig ausschließt (§ 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVollzG), ist eindeutig, dass dies auch für den Fall verschuldeter Arbeitslosigkeit gilt.
Diese eindeutige Rechtslage und den dahinterstehenden Resozialisierungsgedanken verfehlt das Landgericht, wenn es die Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer hoch verschuldet ist, mit der Begründung ablehnt, es wäre „absolut widersinnig”, einem Verurteilten die Möglichkeit zu eröffnen, sich der im Gesetz ausdrücklich vorgesehenen Haftkostenbeteiligung unter Hinweis auf private Schulden zu entziehen; es werde schließlich niemand gezwungen, Straftaten zu begehen und sich damit zusätzlich zu seinen Schulden auch noch die mit der Strafvollstreckung verbundene Heranziehung zu Haftkostenbeiträgen aufzubürden.
Der Verweis darauf, dass der Verurteilte zu seinen Straftaten nicht gezwungen wurde, ist offensichtlich ungeeignet, die Erhebung von Haftkosten nach Maßgabe der Resozialisierungsklausel zu rechtfertigen; anderenfalls bliebe für diese Klausel, die stets verurteilte Straftäter betrifft, kein Anwendungsbereich. Der vom Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebrachte, offensichtliche Sinn der Bestimmung ist es gerade, den verurteilten Straftäter vor einer seine Wiedereingliederung gefährdenden Erhebung von Haftkosten zu schützen, und zwar auch dann, wenn er aus eigenem Verschulden ohne Arbeit ist. Vorbehaltlich des in § 50 Abs. 1 Satz 3 geregelten Sonderfalles entsteht gemäß § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVollzG nur in diesem Fall überhaupt ein Haftkostenbeitragsanspruch, von dessen Geltendmachung nach Satz 5 abgesehen werden könnte.
c) Angesichts der festgestellten Grundrechtsverletzung kann offenbleiben, ob auch bereits die ohne nähere Prüfung vorausgesetzte Annahme, ein Gefangener sei im Sinne des § 50 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVollzG schuldhaft ohne Arbeit, wenn er zwar – wie hier durch Lockerungsversagen – seine Verlegung in eine andere Anstalt, nicht aber das dortige Fehlen einer Arbeitsgelegenheit selbst verschuldet hat (vgl. Matzke/Laubenthal, in: Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG, 4. Aufl. 2005, § 46 Rn. 3), unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Bedenken ausgesetzt ist.
IV.
Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Voßkuhle, Mellinghoff, Lübbe-Wolff
Fundstellen