Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 08.11.2006; Aktenzeichen 3 Ws 1019/06 (StVollz)) |
LG Gießen (Beschluss vom 04.09.2006; Aktenzeichen 2 StVK - Vollz 1233/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Bedingungen, unter denen der Beschwerdeführer zeitweise in seinem Haftraum untergebracht war. Sie wird nicht zur Entscheidung angenommen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 95, 22 ≪25 f.≫).
1. Einen Verstoß gegen den Anspruch des Beschwerdeführers auf Achtung seiner Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) durch die Art und Weise seiner Haftraumunterbringung hat das Landgericht zu Recht verneint.
Darin, dass der Beschwerdeführer eine Woche lang gemeinsam mit einem anderen Gefangenen in einem Haftraum mit einer Grundfläche von 12,48 Quadratmetern, bei abgetrenntem Toilettenbereich, untergebracht war, liegt für sich genommen noch keine Verletzung der Menschenwürde (vgl. Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. November 2007 – 2 BvR 2354/04, 2 BvR 2201/05 und 2 BvR 939/07 –, juris).
Allerdings war der Beschwerdeführer, der Nichtraucher ist, in dem Haftraum gegen seinen Willen gemeinsam mit einem Raucher untergebracht. Angesichts der jedenfalls bei unentrinnbarem gemeinsamen Aufenthalt auf engem Raum nicht nur erheblich belästigenden, sondern auch – zumindest nicht ausschließbaren – gesundheitsgefährdenden Wirkungen des Passivrauchens (vgl. BVerfGE 95, 173 ≪184 f.≫; BVerfG, Beschluss 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Februar 1998 – 1 BvR 2234/97 –, EuGRZ 1998, S. 172 f.) kann darin, dass ein Gefangener auf seinem Haftraum gegen seinen erklärten Willen dem Rauchen eines Mitgefangenen ausgesetzt wird, ein Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht liegen. Das Landgericht hat jedoch zu Recht angenommen, dass daraus nicht ohne weiteres ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Einzelunterbringung folgte, weil auch eine Abhilfe auf andere Weise, wie zum Beispiel durch Untersagung des Rauchens in dem Haftraum, in Betracht kam. Auf der Grundlage des Vorbringens des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich, dass das Landgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt hätte, indem es nur mit dieser zutreffenden Feststellung auf die Beeinträchtigung des Beschwerdeführers dadurch, dass der mit ihm gemeinsam untergebrachte Gefangene Raucher war, eingegangen ist. Die Verfassungsbeschwerde ist daher insoweit jedenfalls nicht in einer für die verfassungsrechtliche Prüfung ausreichenden Weise begründet (vgl. BVerfGE 88, 40 ≪45≫; 93, 266 ≪288≫). Der Beschwerdeführer hat mit der Verfassungsbeschwerde seinen beim Landgericht gestellten Fortsetzungsfeststellungsantrag weder vorgelegt noch inhaltlich im Einzelnen wiedergegeben. Daher kann nicht geprüft werden, ob der Antrag – mindestens bei der gebotenen wohlwollenden Auslegung – auch auf die Feststellung gerichtet war, dass die Anstalt den Beschwerdeführer, wenn nicht durch Einzelunterbringung, dann auf andere Weise vor dem Rauchen seines Mitgefangenen im Haftraum hätte schützen müssen. Dementsprechend ist auf der Grundlage des Vorbringens des Beschwerdeführers auch nicht feststellbar, ob das Landgericht ihm effektiven Rechtsschutz dadurch vorenthalten hat, dass es sein Begehren als allein auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Mehrfachbelegung des Haftraums als solcher gerichtet angesehen hat.
2. a) Angreifbar sind zwar die Ausführungen des Landgerichts zur einfachrechtlichen Zulässigkeit der Gemeinschaftsunterbringung. Das Landgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, welche Bedeutung im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch auf Einzelunterbringung dem Umstand zukommt, dass nach dem Strafvollzugsgesetz die gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit nur noch übergangsweise zulässig sein soll.
Nach § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG dürfen in Anstalten, mit deren Errichtung vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes begonnen wurde, Gefangene abweichend von § 18 StVollzG während der Ruhezeit auch gemeinsam untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers ist diese Bestimmung nicht bis zum Ablauf des 31. Dezember 1985 befristet. Die in § 201 Nr. 3 Satz 2 StVollzG vorgesehene Befristung bis zum Ablauf des 31. Dezember 1985 bezieht sich allein auf die gemeinschaftliche Unterbringung von mehr als acht Personen in einem Haftraum.
Die Bestimmungen des § 201 StVollzG sind aber über diese Befristungsregelung hinaus vom Gesetz selbst ausdrücklich insgesamt als Übergangsbestimmungen qualifiziert. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der Normwahrheit verbietet es, einer vom Gesetzgeber ausdrücklich als Übergangsregelung bezeichneten Bestimmung Rechtswirksamkeit auf beliebige Dauer zuzumessen. An der ausdrücklich gewählten Konzeption eines nur noch übergangsweise geltenden Rechts muss der Gesetzgeber sich vielmehr festhalten lassen (vgl. BVerfGE 107, 218 ≪255 f.≫).
Dies gilt auch dann, wenn Umstände, die den Gesetzgeber zu der Übergangsregelung bewogen haben, auch nach längerer Geltungsdauer der Regelung noch nicht entfallen sind. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu den besoldungsrechtlichen Überleitungsregelungen aus Anlass der Herstellung der Einheit Deutschlands die auf der Grundlage dieser Überleitungsregelungen niedrigere Besoldung für Beamte, Richter und Soldaten in den neuen Ländern zwar als – noch – verfassungsgemäß angesehen. Obwohl die geringere Wirtschafts- und Finanzkraft der neuen Länder als einer der wesentlichen Gründe für die Besoldungsdifferenzierung noch fortbestand, hat es aber zugleich festgestellt, dass nach dem Grundsatz der Normwahrheit eine ausdrücklich als solche bezeichnete Übergangsregelung auch dann, wenn der Gesetzgeber sie nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt befristet hat, keine geeignete Grundlage für die dauerhafte Aufrechterhaltung zweier unterschiedlich bemessener Besoldungen in Ost und West darstelle (vgl. BVerfGE 107, 218 ≪246, 248 ff., 255 f.≫). Danach kann auch eine fortdauernde Aktualität fiskalischer Gründe, wie sie den Gesetzgeber im Jahr 1976 zum Erlass der Übergangsbestimmung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG bewogen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2005 – 5 ARs (Vollz) 54/05 –, NJW 2006, S. 306 ≪307≫; zum historischen Hintergrund auch Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 201 Rn. 1; Nitsch, Die Unterbringung von Gefangenen nach dem Strafvollzugsgesetz, 2006, S. 85 ff., m.w.N.), diese Bestimmung nicht zu einer geeigneten Grundlage dauerhafter Mehrfachbelegung von Hafträumen in Abweichung von § 18 StVollzG machen (vgl. auch Feest/Köhne, in: AK-StVollzG, 5. Aufl., § 201 Rn. 1; ausführlicher zum Diskussionsstand in der Literatur Nitsch, a.a.O., S. 89 f., m.w.N.). Sollte der Gesetzgeber der Auffassung sein, dass ungeachtet der Bedeutung der Unterbringungssituation für die Vollzugsziele die Haushaltslage es auch für die weitere absehbare Zukunft nicht zulässt, den in § 18 StVollzG verankerten Grundsatz der Einzelunterbringung auf Altanstalten zu erstrecken, so wäre es an ihm, der Erwartung eines Auslaufens der Sonderregelungen für Altanstalten, die das Strafvollzugsgesetz mit der Bezeichnung dieser Sonderregelungen als ”Übergangsbestimmungen” weckt, durch eine Gesetzesänderung die Grundlage zu entziehen.
b) Die damit noch nicht beantwortete Frage, ob derzeit – und bejahendenfalls bis wann – § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG noch zur Rechtfertigung von Mehrfachunterbringungen in Abweichung von § 18 StVollzG herangezogen werden kann, bedarf jedoch im vorliegenden Verfahren keiner Klärung. Denn mit der Rüge, im fachgerichtlichen Verfahren sei zu Unrecht von der fortbestehenden Möglichkeit der Anwendung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG ausgegangen worden, ist der Beschwerdeführer hier ausgeschlossen, weil weder aus seiner Verfassungsbeschwerdeschrift noch aus den beigefügten Unterlagen ersichtlich ist, dass er diese Rüge bereits im fachgerichtlichen Verfahren vorgebracht hat.
Dies wäre erforderlich gewesen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde setzt die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde voraus, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht nur formell durchlaufen, sondern die gegebenen prozessualen Möglichkeiten zur Vermeidung oder Korrektur der gerügten Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Verfahren auch tatsächlich genutzt hat (vgl. BVerfGE 112, 50 ≪60≫). Zwar ist er nach den für die einzelnen Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen grundsätzlich nicht gehalten, Rechtsausführungen zu machen, sofern nicht das einfache Verfahrensrecht zur Begründung einzelner Rechtsmittel Rechtsausführungen verlangt; in Abwesenheit solcher besonderen verfahrensrechtlichen Anforderungen ist die rechtliche Würdigung des Sachverhalts grundsätzlich von Amts wegen Sache des Richters (vgl. BVerfGE 112, 50 ≪60 f.≫). Ein Beschwerdeführer kann sich im fachgerichtlichen Verfahren regelmäßig darauf beschränken, auf eine ihm günstige Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts hinzuwirken, ohne dass ihm daraus prozessuale Nachteile im Verfahren der Verfassungsbeschwerde erwachsen. Dementsprechend erfordert die ausreichende Begründung einer Verfassungsbeschwerde regelmäßig nicht die Darlegung, dass der Beschwerdeführer bereits den Fachgerichten gegenüber auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte ins Feld geführt hat (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 61). Etwas anderes kann jedoch in Fällen gelten, in denen bei verständiger Einschätzung ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden. Das ist insbesondere der Fall, soweit der Ausgang des Verfahrens von der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift abhängt (BVerfG, a.a.O., S. 62).
Danach hätte es im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer oblegen, auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen die weitere Anwendung des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG bereits im fachgerichtlichen Verfahren hinzuweisen und mit seiner Verfassungsbeschwerde darzulegen, dass er dieser Obliegenheit genügt hat. Denn die Entscheidung, dass eine vom Gesetzgeber als solche bezeichnete, nicht mit einer Auslauffrist versehene Übergangsregelung nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normwahrheit nicht mehr anwendbar ist oder von einem näher bestimmten künftigen Zeitpunkt an außer Anwendung zu treten hat, entspricht der Sache nach der Verfassungswidrigerklärung eines Gesetzes. Die vom Gesetzgeber gewählte Lösung, die fragliche Regelung nur als Übergangsregelung und damit als Regelung von begrenzter Geltungsdauer zu erlassen, die Geltungsdauer aber nicht durch ein bestimmtes Ablaufdatum zu begrenzen, würde mit einer solchen Entscheidung als durch Zeitablauf verfassungswidrig geworden, nämlich dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normwahrheit nicht mehr entsprechend festgestellt. Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht es als zulässig angesehen, dass die Frage, ob die Überleitungsregelung des § 73 Bundesbesoldungsgesetz (BBesG) in den seit dem 1. Januar 1996 geltenden Fassungen noch mit dem Grundgesetz vereinbar sei, ihm auch unter dem Gesichtspunkt fehlender ausdrücklicher Befristung ihrer Geltungsdauer zur Prüfung im Verfahren der konkreten Normenkontrolle vorgelegt wurde, und auf diese Vorlage hin festgestellt, dass die Reglung noch verfassungskonform, als dauerhafte Grundlage einer abgesenkten Besoldung in den neuen Ländern aber nicht geeignet sei, weil dies dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normwahrheit widersprechen würde (vgl. BVerfGE 107, 218 ≪223 ff., 225, 232 ff., 255 f.≫). Eine Verfassungwidrigkeit der Annahme, eine gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit könne in Altanstalten derzeit noch auf § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG gestützt werden, sprang aber – auch angesichts des Standes der fachgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. nur BGH, a.a.O., m.w.N.) – jedenfalls nicht derart ins Auge, dass ein gegenteiliges klägerisches Vorbringen im fachgerichtlichen Verfahren unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 112, 50 ≪61, 62≫) entbehrlich gewesen wäre.
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen