Verfahrensgang
OLG Oldenburg (Oldenburg) (Beschluss vom 26.11.2007; Aktenzeichen 4 WF 225/07) |
Tenor
1. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 26. November 2007 – 4 WF 225/07 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.
2. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Streitwertfestsetzung in einer Ehesache, in der beiden Parteien Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.
1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. In einem Ehescheidungsverfahren, in dem beiden Parteien Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung bewilligt worden war, wurde er der Ehefrau beigeordnet.
2. Ausgehend von dem monatlichen Nettogehalt der Parteien des Scheidungsverfahrens in Höhe von insgesamt 2.840 € setzte das Amtsgericht den Streitwert für die – einverständliche – Ehescheidung gemäß § 48 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 8.520 € fest. Gegen diese Wertfestsetzung erhob der Bezirksrevisor namens der Landeskasse mit der Begründung Beschwerde, unter Berücksichtigung von Umfang und Bedeutung der Sache sei der Streitwert auf lediglich 2.500 € festzusetzen.
In dem hierauf ergangenen Nichtabhilfebeschluss führte das Amtsgericht aus, gemäß § 48 GKG sei das dreifache Nettomonatseinkommen der Eheleute Ausgangspunkt der Wertbemessung. Hiernach sei vorliegend auch unter Berücksichtigung des Vermögens der Eheleute, des – wie üblich – geringen Umfangs des Verfahrens sowie der grundsätzlich erheblichen Bedeutung der Ehescheidung ein Streitwert von 8.520 € anzusetzen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe dürfe aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen Einfluss auf die Bemessung des Streitwerts haben.
Das Oberlandesgericht änderte die Festsetzung des Streitwerts für das Ehescheidungsverfahren in der Folge auf 2.500 € ab. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sei bei einverständlichen Scheidungen der Mindeststreitwert von 2.000 € anzusetzen, wenn nicht insbesondere Umfang und Bedeutung der Sache sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien eine abweichende Ermessensausübung rechtfertigten. Vorliegend sei der Streitwert des Scheidungsverfahrens wegen des geringen Umfangs der Sache, der nur durchschnittlichen Bedeutung der Ehescheidung und der ebenfalls lediglich durchschnittlichen Einkommens- und Vermögenssituation der Parteien des Scheidungsverfahrens auf 2.500 € festzusetzen.
3. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen die Verletzung des Art. 12 Abs. 1 sowie des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.
Die Streitwertbemessung des Oberlandesgerichts greife wegen der hieraus resultierenden Gebührenreduzierung unverhältnismäßig in seine Berufsfreiheit ein. Entgegen den Vorgaben des Gesetzes, das die Einkommensverhältnisse als Ausgangspunkt für die Festsetzung des Streitwerts vorsehe und diesen eine besondere Bedeutung beimesse, lasse das Oberlandesgericht die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Parteien bei der Streitwertfestsetzung unberücksichtigt. Die Festsetzung eines Streitwerts, der mit 2.500 € nur knapp über dem Mindeststreitwert liege, sei unter den gegebenen Umständen nicht nachvollziehbar und willkürlich. Das Oberlandesgericht versuche “mit der Brechstange”, den Streitwert zur Schonung der Staatskasse so niedrig wie möglich zu drücken, ohne sich erneut gegenüber dem Bundesverfassungsgericht angreifbar zu machen.
4. Das Niedersächsische Justizministerium und die Parteien des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Entscheidung maßgeblichen Fragen bereits entschieden (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪13 f.≫; 96, 189 ≪203≫). Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet.
1. Die Streitwertfestsetzung durch das Oberlandesgericht verletzt das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot.
Willkürlich ist ein Richterspruch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪13 f.≫; 96, 189 ≪203≫).
Dies ist vorliegend der Fall. Zwar geht das Oberlandesgericht mit dem Gesetzeswortlaut zunächst formal davon aus, dass bei der Streitwertfestsetzung nach § 48 Abs. 2 Satz 1 GKG neben den Vermögens- und Einkommensverhältnissen alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Sache bei der Bestimmung des Streitwerts zu berücksichtigen sind. Grundsätzlich bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen ein Abweichen vom einzusetzenden dreifachen Nettoeinkommen, wenn der Streitwert für eine einverständliche Scheidung (§ 630 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) mit deswegen geringem Umfang festzusetzen ist. Insbesondere ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn unter Abwägung aller Umstände mit vertretbarer Begründung angenommen wird, dass eine Festsetzung des Streitwerts auf das dreifache monatliche Nettoeinkommen im konkreten Fall nicht berechtigt ist; der Streitwertbemessung darf es jedoch nicht an einer nachvollziehbaren Grundlage fehlen.
Daran gemessen ist die angegriffene Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und damit willkürlich. Bereits der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, den Streitwert für Ehesachen in einfach gelagerten Fällen grundsätzlich auf den Mindeststreitwert festzusetzen, begegnet erheblichen Bedenken, weil es sich bei dem in § 48 Abs. 3 Satz 2 GKG vorgesehenen Mindestwert gerade nicht um einen Regelstreitwert handelt. Der Streitwert muss vielmehr gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 GKG unter Berücksichtigung aller und nicht nur einer der dort genannten Umstände bestimmt und auf mindestens 2.000 € festgesetzt werden. Insbesondere ist jedoch die konkrete Argumentation des Oberlandesgerichts zur Streitwertbemessung in keiner Weise nachvollziehbar. Das Oberlandesgericht legt seiner Streitwertfestsetzung zugrunde, dass die Einkommensverhältnisse der Eheleute – ebenso wie die Vermögensverhältnisse und die Bedeutung der Sache – durchschnittlich und der Umfang der Sache – wie bei einvernehmlichen Scheidungen üblich – gering seien. Diese Erwägungen sind nicht geeignet, die Festsetzung eines mit 2.500 € nur knapp über dem gesetzlichen Mindestwert liegenden Streitwerts zu rechtfertigen. Trotz der bereits in den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2007 (1 BvR 1678/07) und vom 11. Dezember 2007 (1 BvR 3032/07) zum Ausdruck gekommenen verfassungsrechtlichen Bedenken an der Argumentation des Oberlandesgerichts wird nicht nachvollziehbar erläutert, warum unter Berücksichtigung des Einkommens der Parteien des Scheidungsverfahrens, das sich bei Ansatz des gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 GKG maßgeblichen Dreimonatsbetrags auf immerhin 8.520 € beläuft, die Festsetzung eines Streitwerts von nur 2.500 € angemessen sein könnte, obwohl die Vermögensverhältnisse der Eheleute sowie die Bedeutung der Sache als durchschnittlich und nur der Umfang der Streitigkeit als gering erachtet werden. Die Argumentation des Oberlandesgerichts, es habe sich um ein einvernehmliches Scheidungsverfahren mit geringem Umfang, durchschnittlicher Bedeutung und durchschnittlicher Einkommens- und Vermögenssituation der Eheleute gehandelt, vermag die erhebliche Differenz von dreifachem Nettomonatseinkommen zu festgesetztem Streitwert in Höhe von 6.020 € nicht nachvollziehbar zu begründen. Es ist mit der gesetzlichen Regelung schlechthin unvereinbar, Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien bei der Streitwertfestsetzung deshalb völlig außer Betracht zu lassen, weil diese nur durchschnittliche Beträge erreichen.
Zu erklären wäre die Festsetzung eines Streitwerts von lediglich 2.500 € im vorliegenden Fall nur dann, wenn der Umstand der Prozesskostenhilfebewilligung eine maßgebliche Rolle gespielt hätte. Hiervon ist jedoch nach den Gründen der angegriffenen Entscheidung nicht auszugehen. Eine Berücksichtigung der Prozesskostenhilfebewilligung bei der Streitwertfestsetzung wäre auch unzulässig, weil eine solche Auslegung der gesetzlichen Regeln zur Streitwertberechnung (§ 48 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG) in Verbindung mit den Vorschriften über die Maßgeblichkeit des festgesetzten Streitwerts für die Höhe der Vergütung von Rechtsanwälten (§ 32 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ≪Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG≫) nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einer im Ergebnis willkürlichen, unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufsfreiheit des betroffenen Rechtsanwalts führt (vgl. BVerfGK 6, 130 ≪132 ff.≫). Hierzu hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts bereits mit Beschluss vom 23. August 2005 (vgl. BVerfGK 6, 130 ff.) entschieden, dass eine Auslegung der gesetzlichen Vorschriften zur Bestimmung des Streitwerts gegen die Verfassung verstößt, wenn sie dazu führt, dass der Streitwert in Ehesachen wegen der beiderseitigen Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe “stets” oder “im Regelfall” lediglich auf den Mindeststreitwert festgesetzt wird. Da der Streitwert auch für die Bemessung der Anwaltsvergütung maßgeblich ist, wird in solchen Fällen die Berufsfreiheit der beigeordneten Rechtsanwälte berührt. Dieser Eingriff in die Berufsfreiheit ist unverhältnismäßig, weil dem legitimen Ziel der Schonung öffentlicher Kassen bereits durch die Reduzierung der Vergütungssätze umfassend Rechnung getragen worden ist, die der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt nach § 45 Abs. 1, § 49 RVG aus der Staatskasse erhält.
2. Nachdem die angegriffene Entscheidung jedenfalls das Willkürverbot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, kann offen bleiben, ob auch die weiteren vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen durchgreifen.
3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist hiernach gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben, ohne dass es noch auf die weiter erhobene Rüge ankommt. Die Sache selbst ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen