Verfahrensgang
OLG Koblenz (Beschluss vom 15.11.2012; Aktenzeichen 7 WF 946/12) |
AG Diez (Beschluss vom 21.08.2012; Aktenzeichen 12 F 35/12) |
Tenor
Der Beweisbeschluss des Amtsgerichts Diez vom 21. August 2012 – 12 F 35/12 – wird einstweilen für die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens, längstens für die Dauer von sechs Monaten, außer Kraft gesetzt.
Tatbestand
I.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden sich die Beschwerdeführer gegen einen Beweisbeschluss, mit dem die Erstellung eines Abstammungsgutachtens angeordnet wird.
1. Der Beschwerdeführer zu 3) (im Folgenden: das Kind) ist der Sohn der Beschwerdeführer zu 1) und zu 2) (im Folgenden: die Eltern). Das Kind lebt seit seiner Geburt mit seinen Eltern und mit einer jüngeren Schwester in einem gemeinsamen Haushalt. Neben dem Beschwerdeführer zu 2) kommt ein weiterer Mann als biologischer Vater des Kindes in Betracht (im Folgenden: der Antragsteller des Ausgangsverfahrens). Das fünfjährige Kind weiß weder, dass es möglicherweise biologisch nicht von seinem rechtlich-sozialen Vater abstammt, noch hat es bisher Kontakt zum möglichen biologischen Vater.
Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens begehrt im Ausgangsverfahren unter Berufung auf jüngere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter anderem, ihm ein Recht auf wöchentlichen, unbegleiteten Umgang mit dem Kind einzuräumen. Als Vorfrage sei die biologische Abstammung des Kindes zu klären.
Mit Beweisbeschluss vom 21. August 2012 hat das Amtsgericht Diez die Einholung eines Abstammungsgutachtens angeordnet. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Koblenz mit Beschluss vom 15. November 2012 als unzulässig verworfen. Die Beschwerde sei nicht statthaft. Der Beweisbeschluss sei als Zwischenentscheidung gemäß dem geltenden Prozessrecht nicht selbständig angreifbar. Es sei auch nicht erforderlich, hier ausnahmsweise Rechtsschutz gegen den Beweisbeschluss zu gewähren. Die Beschwerdeführer hätten die angeordneten Untersuchungen nach § 178 Abs. 1 FamFG analog beziehungsweise nach dem Referentenentwurf des § 163a FamFG nämlich grundsätzlich zu dulden. Ausreichender Rechtsschutz sei dadurch gewährleistet, dass die Beschwerdeführer über den analog anwendbaren § 178 Abs. 2 FamFG in Verbindung mit § 387 ZPO eine beschwerdefähige Zwischenentscheidung darüber herbeiführen könnten, ob sie die Teilnahme an der Untersuchung verweigern dürfen. Sie könnten außerdem gegebenenfalls gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln vorgehen.
2. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen die Beweisanordnung. Sie tragen im Wesentlichen vor, für die mit einem Abstammungsgutachten verbundenen Eingriffe in ihre Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 2 und Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Eine analoge Anwendung des § 178 FamFG, der zu den Vorschriften über das Abstammungsverfahren gehöre, sei bedenklich. Der Eingriff sei zudem nicht erforderlich, solange nicht feststehe, dass im konkreten Einzelfall gegebenenfalls ein regelmäßiger Umgang des Kindes mit dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens dem Kindeswohl diene.
Sie beantragen außerdem den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im Ergebnis Erfolg.
1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag ist insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde indes Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bliebe (vgl. BVerfGE 91, 320 ≪326≫; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ≪111≫; stRspr).
2. Die Verfassungsbeschwerde erweist sich weder als von vornherein unzulässig noch als offensichtlich unbegründet. Insbesondere hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden, dass die Feststellung der biologischen Abstammungsverhältnisse gegen den Willen der Betroffenen in deren Grundrechte eingreift und dieser Eingriff einer gesetzlichen Grundlage bedarf (vgl. BVerfGE 117, 202 ≪228 f., 233≫). Bei der Anwendung der diesbezüglichen Vorschriften des einfachen Rechts haben die Fachgerichte zu beachten, dass gerade in mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen auch eine völkerrechtsfreundliche, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte berücksichtigende Auslegung des Gesetzesrechts sich stets im Rahmen der methodisch vertretbaren Interpretationsmöglichkeiten bewegen muss (vgl. BVerfGE 128, 326 ≪371≫).
3. Die danach gebotene Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die den Beschwerdeführern im Falle der Ablehnung der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, gewichtiger als die Nachteile sind, die dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens im Falle der Stattgabe entstehen könnten. Die Nachteile, die den Beschwerdeführern bei der Durchführung einer Abstammungsuntersuchung gegen ihren Willen drohen, überwiegen gegenüber den Nachteilen, die entstehen, wenn die Feststellung der Abstammung bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde aufgeschoben wird.
Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht, wäre die Verfassungsbeschwerde aber erfolgreich, müssten die Beschwerdeführer einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten körperlichen Eingriff dulden. Außerdem könnte die Abstammungsuntersuchung zu dem Ergebnis kommen, dass das Kind nicht vom Beschwerdeführer zu 2) abstammt und dadurch die sozialen Beziehungen innerhalb der Familie stören. Diese Auswirkungen ließen sich nicht rückgängig machen.
Demgegenüber führt der Erlass der einstweiligen Anordnung bei letztlich erfolgloser Verfassungsbeschwerde dazu, dass die Abstammungsuntersuchung später erfolgen würde. Dies würde auch den Beginn von Umgangskontakten mit dem Kind verzögern, auf die der Antragsteller des Ausgangsverfahrens im Falle seiner biologischen Vaterschaft einen Anspruch zu haben meint. Allerdings bliebe der Aufbau einer sozialen Beziehung zum noch sehr jungen Kind gegebenenfalls weiterhin möglich.
Unterschriften
Gaier, Paulus, Britz
Fundstellen