Tenor
Die Wahlprüfungsbeschwerde hat sich erledigt.
Tatbestand
I.
1. Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 17. November 2002 beim Deutschen Bundestag Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag am 22. September 2002.
Zur Begründung machte er geltend, das Zuteilungsverfahren nach Quoten mit Restausgleich nach größten Bruchteilen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 4 BWG (Hare/Niemeyer-Verfahren) verletze den Grundsatz der Gleichheit der Wahl. Die Ausgestaltung des „Zwei-Stimmen-Verfahrens” gemäß § 6 BWG verstoße gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl, soweit ein doppelter Stimmerfolg nicht stets ausgeschlossen werde. Zu einem doppelten Stimmerfolg könne es in bestimmten Konstellationen durch ein „Splitten” von Erst- und Zweitstimmen kommen. Insbesondere die auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG vorgenommene Berücksichtigung der Zweitstimmen von Wählern, die in zwei Berliner Wahlkreisen mit ihrer Erststimme der jeweiligen Wahlkreiskandidatin der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) zu einem Mandat verholfen, mit ihrer Zweitstimme jedoch für eine andere Landesliste gestimmt haben (sogenannte Berliner Zweitstimmen), habe den Stimmen dieser Wähler ein doppeltes Stimmgewicht verliehen. Die in § 7 BWG geregelte Möglichkeit der Verbindung von Landeslisten verletze den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, weil für den Wähler die Wirkung seiner Stimmabgabe nicht hinreichend erkennbar sei. Gleiches gelte für das Verfahren zur bundesweiten Ermittlung des Proporzes gemäß § 6 BWG (sogenannte Oberverteilung) in Verbindung mit dem Prinzip der Landeslisten. Dieses gewährleiste auch nicht, dass die einzelnen Länder – wie es ein föderales System verlange – proportional zu ihrer Bevölkerungszahl im Deutschen Bundestag vertreten seien. Werde ein Direktmandat gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 BWG auf die nach der Landesliste seiner Partei zu vergebenden Mandate angerechnet, obwohl der erfolgreiche Wahlkreiskandidat auf der Landesliste nicht kandidiert habe und daher mit der Zweitstimme nicht habe gewählt werden können, werde ebenfalls gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl verstoßen. Schließlich seien der Grundsatz des gleichen passiven Wahlrechts und die Chancengleichheit von Einzelbewerbern dadurch verletzt, dass im Falle ihres Erfolgs die von ihren Wählern abgegebenen Zweitstimmen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG – anders als bei Wahlkreiskandidaten einer Landesliste – nicht gewertet würden.
2. Der Deutsche Bundestag wies den Wahleinspruch in seiner 91. Sitzung vom 12. Februar 2004 als offensichtlich unbegründet zurück (vgl. Beschlussempfehlung des Wahlprüfungsausschusses vom 29. Januar 2004, BTDrucks 15/2400, S. 47 ff. ≪Anlage 11≫; Stenografischer Bericht vom 12. Februar 2004, S. 8061 A f.).
3. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 10. April 2004 erhobene Wahlprüfungsbeschwerde. Sie wird von mehr als einhundert Wahlberechtigten unterstützt. Der Beschwerdeführer wiederholt seine Rügen aus dem Einspruchsverfahren.
4. Am 21. Juli 2005 hat der Bundespräsident den 15. Deutschen Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 GG aufgelöst (BGBl I S. 2169). Am 18. September 2005 hat die Wahl zum 16. Deutschen Bundestag stattgefunden und der 16. Deutsche Bundestag hat sich konstituiert.
Der Beschwerdeführer verfolgt seine Beschwerde weiter.
Entscheidungsgründe
II.
Die Wahlprüfungsbeschwerde hat sich erledigt.
1. Das Wahlprüfungsverfahren soll die gesetzmäßige Zusammensetzung des Deutschen Bundestages gewährleisten (vgl. BVerfGE 1, 430 ≪433≫; 103, 111 ≪134≫; stRspr). Da der 15. Deutsche Bundestag aufgelöst worden ist und sich ein neuer Bundestag konstituiert hat, kann eine Entscheidung über die Wahlprüfungsbeschwerde keine Auswirkungen mehr auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des 15. Deutschen Bundestages haben. Die Wahlprüfungsbeschwerde ist insoweit gegenstandslos geworden (vgl. BVerfGE 22, 277 ≪280 f.≫; 34, 201 ≪203≫).
2. Das Bundesverfassungsgericht bleibt grundsätzlich auch nach der Auflösung eines Bundestages oder dem regulären Ablauf einer Wahlperiode befugt, die im Rahmen einer zulässigen Wahlprüfungsbeschwerde erhobenen Rügen der Verfassungswidrigkeit von Wahlrechtsnormen und wichtige wahlrechtliche Zweifelsfragen zu prüfen.
a) Ob eine Wahlprüfungsbeschwerde eingelegt wird, obliegt der freien Entscheidung jedes Beschwerdeberechtigten. Das Bundesverfassungsgericht kann nicht von Amts wegen tätig werden. Die Wahlprüfungsbeschwerde hat demgemäß eine Anstoßfunktion. Über den weiteren Verlauf des überwiegend objektiven Verfahrens (vgl. BVerfGE 34, 81 ≪97≫) entscheidet jedoch das Bundesverfassungsgericht. Insoweit kommt es auf das öffentliche Interesse an (vgl. BVerfGE 89, 291 ≪299≫).
b) Nach Ablauf einer Wahlperiode kann ein öffentliches Interesse an einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsgemäßheit von Wahlrechtsnormen und die Anwendung des geltenden Wahlrechts bestehen, soweit ein möglicher Wahlfehler über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung hat.
aa) Die strikte rechtliche Regelung der Vorbereitung und Durchführung der Wahl und eine Kontrolle der Anwendung dieser Vorschriften entsprechen der Bedeutung der Wahl zum Deutschen Bundestag als Ausgangspunkt aller demokratischen Legitimation wie auch der Gewährleistung des aktiven und passiven Wahlrechts durch Art. 38 GG (vgl. BVerfGE 89, 243 ≪250 f.≫). In der durch das Grundgesetz verfassten freiheitlichen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland geht alle Staatsgewalt vom Volke aus (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). Das Volk übt sie in Wahlen und Abstimmungen aus (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Im demokratisch verfassten Staat des Grundgesetzes können die Abgeordneten ihre Legitimation zur Repräsentation nur aus der Wahl durch das Volk beziehen (vgl. BVerfGE 97, 317 ≪323≫); die Wahlen zur Volksvertretung sind der Grundakt demokratischer Legitimation (vgl. BVerfGE 44, 125 ≪142≫). Die Ausübung des Wahlrechts stellt sich essentiell als Teilhabe an der Staatsgewalt, als ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im status activus dar (vgl. BVerfGE 8, 104 ≪115≫; 83, 60 ≪71≫).
bb) Das Bundesverfassungsgericht prüft im Wahlprüfungsverfahren nicht nur den angegriffenen Beschluss des Deutschen Bundestages in formeller Hinsicht und darauf, ob Vorschriften des materiellen Rechts zutreffend angewandt worden sind (vgl. BVerfGE 97, 317 ≪322≫), sondern darüber hinaus, ob das angewandte Wahlgesetz mit der Verfassung in Einklang steht (vgl. BVerfGE 16, 130 ≪136≫; 21, 200 ≪204≫; 34, 81 ≪95≫). Als letzte und in der Regel einzige Instanz hat das Bundesverfassungsgericht im Wahlprüfungsverfahren eine mittelbare Normenkontrolle angewandter Wahlrechtsnormen durchzuführen. Der Deutsche Bundestag prüft in ständiger Übung im Einspruchsverfahren nicht abschließend die Verfassungsmäßigkeit der angewandten Wahlrechtsnormen (vgl. nur BTDrucks 15/1150, S. 1; 16/1800, S. 229). Ihm fehlt insoweit die Verwerfungskompetenz. Eine Pflicht des Deutschen Bundestages zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Normen im Wahleinspruchsverfahren besteht dementsprechend nicht (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008 – 2 BvC 1/07, 7/07 –, NVwZ 2008, S. 991 ≪992≫).
cc) Wahlrechtsvorschriften entfalten über die jeweilige Wahlperiode hinaus solange Wirkung, bis sie vom Gesetzgeber geändert oder vom Bundesverfassungsgericht für nichtig oder für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt werden. Die Fortsetzung einer durch die Wahlprüfungsbeschwerde veranlassten mittelbaren verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle liegt daher grundsätzlich auch nach Ablauf der Wahlperiode im öffentlichen Interesse. Gleiches gilt für sonstige wahlrechtliche Zweifelsfragen, die über den Einzelfall hinaus grundsätzliche Bedeutung haben.
c) Ein öffentliches Interesse an einer Sachentscheidung nach Ablauf der Wahlperiode besteht nicht, soweit eine Wahlprüfungsbeschwerde von Anfang an unzulässig ist. Insoweit wäre auch vor Ablauf der Wahlperiode keine Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangen.
Das öffentliche Interesse an einer Sachentscheidung kann ferner insbesondere dann entfallen, wenn das Bundesverfassungsgericht bereits in anderem Zusammenhang die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Vorschrift oder vom Beschwerdeführer aufgeworfene wahlrechtliche Zweifelsfragen geklärt und der Beschwerdeführer keine Gesichtspunkte vorgetragen hat, die Anlass zu einer abweichenden Beurteilung geben könnten. Gleiches gilt, wenn der gerügte Mangel durch Änderung der Vorschrift zwischenzeitlich behoben wurde oder die Vorschrift in einem engen sachlichen Zusammenhang mit Normen steht, deren Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat.
3. Danach hat sich die Wahlprüfungsbeschwerde des Beschwerdeführers erledigt. Das öffentliche Interesse steht einer Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung zur Sache nicht entgegen.
a) Die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge, § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG verletze den Grundsatz des gleichen passiven Wahlrechts und die Chancengleichheit von Einzelbewerbern gegenüber Wahlkreiskandidaten einer Landesliste, ist unzulässig, weil sie den Begründungsanforderungen nicht genügt.
Nach § 23 Abs. 1 BVerfGG sind Anträge, die ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einleiten, zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben. § 23 Abs. 1 BVerfGG gilt als allgemeine Verfahrensvorschrift auch für Wahlprüfungsbeschwerden (vgl. BVerfGE 21, 359 ≪361≫; 24, 252 ≪258≫). Eine ordnungsgemäße Begründung verlangt eine hinreichend substantiierte und aus sich heraus verständliche Darlegung eines Sachverhalts, aus dem erkennbar ist, worin ein Wahlfehler liegen soll, der Einfluss auf die Mandatsverteilung haben kann (vgl. BVerfGE 58, 175 ≪175 f.≫). Die bloße Andeutung der Möglichkeit von Wahlfehlern oder die Äußerung einer dahingehenden, nicht belegten Vermutung genügen nicht (vgl. BVerfGE 40, 11 ≪31 f.≫; 66, 369 ≪378 f.≫; 89, 291 ≪304 f., 308 f.≫). Der Grundsatz der Amtsermittlung befreit den Beschwerdeführer nicht davon, die Gründe der Wahlprüfungsbeschwerde in substantiierter Weise darzulegen (vgl. BVerfGE 40, 11 ≪30≫), mag dies im Einzelfall auch mit Schwierigkeiten insbesondere im tatsächlichen Bereich verbunden sein (vgl. BVerfGE 40, 11 ≪32≫; 59, 119 ≪124≫; 66, 369 ≪379≫).
Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen zur Verfassungswidrigkeit von § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht. Der Beschwerdeführer hat bereits nicht dargelegt, in welchen Wahlkreisen Einzelbewerber von der Regelung des § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG betroffen gewesen sind.
Ungeachtet dessen hat das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG nicht gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verstößt. § 6 Abs. 1 Satz 2 BWG verletzt nicht nur nicht den Grundsatz der Wahlgleichheit, sondern dient umgekehrt seiner Verwirklichung (vgl. BVerfGE 5, 77 ≪82 f.≫; 7, 63 ≪73 f.≫; 79, 161 ≪166 ff.≫). Auf die teilweise Unvollständigkeit der Regelung hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang hingewiesen (vgl. BVerfGE 79, 161 ≪168≫).
b) Soweit der Beschwerdeführer die Auffassung vertritt, in einem föderalen System müssten die einzelnen Länder proportional zu ihrer Bevölkerungszahl im Bundestag vertreten sein, ist diese Frage in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls geklärt. Bei der Gewichtung des Anliegens einer föderalen Zuordnung der Stimmen ist zu berücksichtigen, dass es bei der Wahl zum Bundestag um die Wahl des unitarischen Vertretungsorgans des Bundesvolkes geht. Die gewählten Abgeordneten sind gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG Vertreter des ganzen Volkes. Belange der Länder werden auf Bundesebene grundsätzlich durch den Bundesrat wahrgenommen. Der Bundesgesetzgeber ist bei der Wahl zum Bundestag als dem unitarischen Verfassungsorgan des Bundes daher nicht verpflichtet, föderative Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 6, 84 ≪99≫; 16, 130 ≪143≫; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008 – 2 BvC 1/07, 7/07 –, NVwZ 2008, S. 991 ≪995 f.≫). Der Beschwerdeführer hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die Anlass zu einer abweichenden Beurteilung geben könnten.
c) Ebenso wenig bedarf es einer Sachentscheidung über die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob das in § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 4, Abs. 3 Satz 2 BWG in der Fassung vom 23. Juli 1993 (BGBl I S. 1288, 1594) geregelte Zuteilungsverfahren nach Quoten mit Restausgleich nach größten Bruchteilen (Hare/Niemeyer-Verfahren) gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstößt. Denn das Zuteilungsverfahren wurde durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Wahl- und Abgeordnetenrechts vom 17. März 2008 (BGBl I S. 394) geändert. Die Sitze werden künftig nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung (Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren) auf die Landeslisten der Parteien gemäß den für die Listen abgegebenen gültigen Zweitstimmen verteilt (vgl. BTDrucks 16/7461, S. 9 ff.). Eine Sachentscheidung über die vom Beschwerdeführer gegen das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren erhobenen Bedenken ist nicht zu treffen, weil dieses Verfahren bei der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag nicht zur Anwendung gekommen ist.
d) Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass es in bestimmten Konstellationen durch ein „Splitten” von Erst- und Zweitstimmen zu einem doppelten Stimmerfolg kommen könne und insbesondere die Berücksichtigung der Zweitstimmen von Wählern, die in zwei Berliner Wahlkreisen mit ihrer Erststimme der jeweiligen Wahlkreiskandidatin der PDS zu einem Mandat verholfen, mit ihrer Zweitstimme jedoch für eine andere Landesliste gestimmt haben (sogenannte Berliner Zweitstimmen), die Gleichheit der Wahl verletze, besteht aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls kein öffentliches Interesse an der Weiterführung des Wahlprüfungsverfahrens. Gleiches gilt im Hinblick auf die verbleibenden Rügen des Beschwerdeführers.
aa) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits festgestellt, dass ein Wähler durch das „Splitten” von Erst- und Zweitstimmen einen doppelten Stimmerfolg erzielen kann, wenn es zu Überhangmandaten kommt (vgl. BVerfGE 79, 161 ≪167≫). Insoweit besteht aufgrund der Entscheidung des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008 – 2 BvC 1/07, 7/07 – (NVwZ 2008, S. 991 ff.) kein öffentliches Interesse an der Weiterführung des Wahlprüfungsverfahrens.
Es muss nicht entschieden werden, ob § 6 Abs. 5 Satz 2 und § 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 5 Satz 2 BWG insoweit gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen, als sie die Zuteilung von Überhangmandaten ohne Verrechnung oder Ausgleich zulassen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen aus einem anderen Grund für verfassungswidrig erklärt. In seinem Urteil zum sogenannten negativen Stimmgewicht (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008, a.a.O.) hat es festgestellt, dass § 7 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 und 5 BWG in der Fassung des Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 11. März 2005 (BGBl I S. 674) den Grundsatz der Gleichheit der Wahl gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen, soweit hierdurch ermöglicht wird, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008, a.a.O., S. 997 f.). Zugleich hat es einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unmittelbarkeit der Wahl festgestellt, weil der Wähler unter Geltung dieser Vorschriften nicht erkennen kann, ob sich seine Stimme stets für die zu wählende Partei und deren Wahlbewerber positiv auswirkt oder ob er durch seine Stimme den Misserfolg eines Kandidaten seiner eigenen Partei verursacht (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008, a.a.O., S. 996).
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber aufgegeben, den Regelungskomplex, der zum Auftreten des sogenannten negativen Stimmgewichts führen kann, bis spätestens zum 30. Juni 2011 zu ändern, damit der Deutsche Bundestag in Zukunft aufgrund eines in Einklang mit der Verfassung stehenden Gesetzes gewählt werden kann. Im Hinblick darauf, dass der genannte Effekt untrennbar mit den Überhangmandaten und der Möglichkeit von Listenverbindungen zusammenhängt, kann eine Neuregelung beim Entstehen der Überhangmandate oder bei der Verrechnung von Direktmandaten mit den Zweitstimmenmandaten oder auch bei der Möglichkeit von Listenverbindungen ansetzen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008, a.a.O., S. 998). Der Gesetzgeber ist aufgerufen, das für den Wähler kaum noch nachzuvollziehende Regelungsgeflecht der Berechnung der Sitzzuteilung im Deutschen Bundestag auf eine neue, normenklare und verständliche Grundlage zu stellen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008, a.a.O.).
Die Frage der Verfassungswidrigkeit von Überhangmandaten wird sich nach einer Neuregelung nicht mehr in der gleichen Weise stellen. Ob und inwieweit die Mandatsverteilung im Deutschen Bundestag mit der Verfassung vereinbar ist, lässt sich nur unter Würdigung des Zusammenspiels der verschiedenen Wahlrechtsnormen und mit Blick auf das vom Gesetzgeber gewählte Wahlsystem beurteilen. Im Rahmen des dem Gesetzgeber nach Art. 38 Abs. 3 GG zustehenden Gestaltungsspielraums wäre bei einer Neuregelung zum Beispiel eine Berücksichtigung von Überhangmandaten bei der Oberverteilung, der Verzicht auf Listenverbindungen nach § 7 BWG oder eine Wahl des Deutschen Bundestages hälftig nach dem Mehrheits- und hälftig nach dem Verhältniswahlprinzip (Grabensystem) denkbar (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 3. Juli 2008, a.a.O., S. 996). Je nachdem für welche Lösung sich der Gesetzgeber entscheidet, ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Mandatsverteilung dann auf der Grundlage des neuen Regelungskomplexes zu beurteilen.
bb) Die Rüge, die gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG erfolgte Berücksichtigung der Zweitstimmen von Wählern, die in zwei Berliner Wahlkreisen mit ihrer Erststimme der jeweiligen Wahlkreiskandidatin der PDS zu einem Mandat verholfen haben, mit ihrer Zweitstimme jedoch für eine andere Landesliste gestimmt haben (sogenannte Berliner Zweitstimmen), verstoße gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl, steht in einem sachlichen Zusammenhang mit den vom Bundesverfassungsgericht im Urteil zum sogenannten negativen Stimmgewicht für verfassungswidrig erachteten Vorschriften. Die Frage, ob durch das „Splitten” von Erst- und Zweitstimme ein doppelter Stimmerfolg erzielt werden kann, wenn die für politische Parteien abgegebenen Zweitstimmen diesen zu Listenplätzen verhelfen, obwohl die Erststimmen der Wähler schon zur Zuteilung eines Bundestagssitzes geführt haben, der nicht im Wege des Verhältnisausgleichs verrechnet werden kann, hängt ebenfalls von der künftigen Ausgestaltung der Wahlrechtsbestimmungen ab, die der Gesetzgeber im Hinblick auf das Urteil des Zweiten Senats zum sogenannten negativen Stimmgewicht zu überprüfen hat. In Anbetracht der angeordneten Neuregelung des Vorschriftenkomplexes, der auch zum Phänomen der „Berliner Zweitstimmen” geführt hat, bedarf es hierzu keiner Sachentscheidung mehr.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Übrigen bereits darauf hingewiesen, dass das Bundeswahlgesetz in seiner jetzigen Form keine ausdrückliche Regelung für den Fall enthält, dass Kandidaten einer Partei, die gemäß § 6 Abs. 6 BWG bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nicht zu berücksichtigen sind, ein oder zwei Wahlkreismandate erhalten haben, und der Gesetzgeber mit Blick auf die im Wahlrecht in besonderem Maße gebotene Rechtsklarheit eine entsprechende Ergänzung von § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG zu erwägen haben wird (vgl. BVerfGE 79, 161 ≪168≫).
cc) Die genannten Erwägungen gelten gleichermaßen für die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen der Verfassungswidrigkeit der Verbindung von Landeslisten (§ 7 BWG), der Anrechnung von Direktmandaten (§ 6 Abs. 4 Satz 1 BWG) und der bundesweiten Ermittlung des Proporzes in Verbindung mit dem Prinzip der Landeslisten.
III.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Unterschriften
Voßkuhle, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff, Gerhardt, Landau
Fundstellen