Verfahrensgang
AG Ulm (Beschluss vom 06.12.2005; Aktenzeichen 1 C 1445/01) |
LG Ulm (Beschluss vom 31.10.2005; Aktenzeichen 1 T 55/04) |
AG Ulm (Beschluss vom 29.06.2004; Aktenzeichen 1 C 1445/01) |
AG Ulm (Beschluss vom 19.05.2004; Aktenzeichen 1 C 1445/01) |
BGH (Beschluss vom 30.04.2003; Aktenzeichen V ZR 416/02) |
BGH (Beschluss vom 06.03.2003; Aktenzeichen V ZR 416/02) |
BGH (Beschluss vom 20.02.2003; Aktenzeichen V ZR 416/02) |
AG Ulm (Beschluss vom 25.11.2002; Aktenzeichen 1 C 1445/01) |
LG Ulm (Urteil vom 13.11.2002; Aktenzeichen 1 S 209/01) |
AG Ulm (Urteil vom 29.08.2001; Aktenzeichen 1 C 1445/01) |
Tenor
Das Urteil des Landgerichts Ulm vom 13. November 2002 – 1 S 209/01 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Ulm zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Baden-Württemberg hat der Beschwerdeführerin ein Viertel ihrer notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen wegen der Duldung eines Überbaus geführten Zivilprozess.
I.
Grundsätzlich kann ein Grundstückseigentümer gemäß § 903 Satz 1 BGB Dritte von der Einwirkung auf sein Grundstück ausschließen. Er kann gemäß § 1004 Abs. 1 BGB Beseitigung von Beeinträchtigungen seines Eigentums und Unterlassung weiterer Beeinträchtigungen verlangen. Nach § 1004 Abs. 2 BGB bestehen diese Ansprüche jedoch nicht, wenn der Eigentümer zur Duldung der betreffenden Beeinträchtigung verpflichtet ist.
Für den Überbau regelt § 912 Abs. 1 BGB eine Duldungspflicht des Grundstückseigentümers unter folgenden Voraussetzungen:
§ 912 BGB
Überbau; Duldungspflicht.
(1) Hat der Eigentümer eines Grundstücks bei der Errichtung eines Gebäudes über die Grenze gebaut, ohne dass ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt, so hat der Nachbar den Überbau zu dulden, es sei denn, dass er vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung Widerspruch erhoben hat.
(2) …
Im Dritten Teil des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch, der Vorschriften über das Verhältnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu den Landesgesetzen enthält, findet sich in Art. 124 Satz 1 EGBGB folgender Vorbehalt zugunsten der Landesgesetzgeber:
Art. 124 EGBGB
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, welche das Eigentum an Grundstücken zugunsten der Nachbarn noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen unterwerfen. Dies gilt insbesondere auch von den Vorschriften, nach welchen Anlagen sowie Bäume und Sträucher nur in einem bestimmten Abstand von der Grenze gehalten werden dürfen.
§ 7b Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Nachbarrecht des Landes Baden-Württemberg in der Fassung vom 8. Januar 1996 (GBl 1996 S. 54) – NRG BW – verpflichtet den Grundstückseigentümer in einem über § 912 BGB hinausgehenden Umfang zur Duldung von Überbau im Falle einer baurechtlich zulässigen Grenzbebauung:
§ 7b NRG BW
Überbau
(1) Darf nach den baurechtlichen Vorschriften unmittelbar an die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut werden, so hat der Eigentümer des Nachbargrundstücks in den Luftraum seines Grundstücks übergreifende untergeordnete Bauteile, die den baurechtlichen Vorschriften entsprechen, zu dulden, solange diese die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Untergeordnete Bauteile sind insbesondere solche Bestandteile einer baulichen Anlage, die deren nutzbare Fläche nicht vergrößern.
(2) Darf an beiden Seiten unmittelbar an die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut werden, so haben die Eigentümer der benachbarten Grundstücke zu dulden, dass die Gebäude den baurechtlichen Vorschriften entsprechend durch übergreifende Bauteile angeschlossen werden.
(3) …
II.
1. Die Parteien des Ausgangsverfahrens sind Eigentümer benachbarter Hausgrundstücke, für die der Bebauungsplan eine Doppelhausbebauung vorsieht. Die Kläger errichteten in den Jahren 1998/99 an der Grenze zum Grundstück der Beschwerdeführerin, der Beklagten, ein Haus mit einer Giebelhöhe von ca. 7,50 m. Im Jahre 2000 errichtete die Beschwerdeführerin auf ihrem Grundstück an der gemeinsamen Grenze ein Haus mit einer Höhe von nur ca. 7,10 m. Sowohl der Dachabschluss des Hauses der Kläger des Ausgangsverfahrens als auch die Giebelverschalung ragen über die Grundstücksgrenze hinaus in den Luftraum über dem Haus der Beschwerdeführerin hinein. Vorgerichtlich versuchten die Kläger des Ausgangsverfahrens, die Zustimmung der Beschwerdeführerin zur Überschreitung der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu erreichen. Nachdem das gescheitert war, nahmen sie die Beschwerdeführerin mit einer Klage unter anderem auf Duldung des aus einer Giebelverschalung und einem Dachabschluss bestehenden Überbaus in Anspruch.
2. Das Amtsgericht hat mit seinem angegriffenen Urteil der Klage weitgehend stattgegeben und die Beschwerdeführerin verurteilt, die Anbringung einer Giebelverschalung, die bis zu 13 cm in den Luftraum über ihrem Grundstück hineinragen dürfe, sowie eines Dachabschlusses, der einschließlich der Dachrinne bis zu 35 cm in den betreffenden Luftraum hineinragen dürfe, zu dulden.
Das Amtsgericht hat seine Entscheidung sowohl auf § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW gestützt als auch auf die Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses gemäß § 242 BGB. § 7b NRG BW sei nicht wegen mangelnder Gesetzgebungskompetenz des Landes verfassungswidrig, denn Art. 124 Satz 1 EGBGB bestimme ausdrücklich, dass das Bürgerliche Gesetzbuch insoweit keine abschließende Regelung enthalte. Das Landesrecht könne weitere Beschränkungen des Eigentums vorsehen. Unbedeutend sei, dass § 7b NRG BW eine Materie regele, die auch Gegenstand des § 912 Abs. 1 BGB sei. § 903 BGB enthalte eine grundsätzliche Regelung, und jede landesrechtliche Änderung schränke diese ein.
3. Mit seinem angegriffenen Urteil hat das Landgericht die Berufung der Beschwerdeführerin zurückgewiesen und ihre im Berufungsrechtszug erhobene, insbesondere auf die Beseitigung der Überbauten gerichtete, Widerklage abgewiesen.
Hinsichtlich der Klage hat das Landgericht seine Entscheidung allein auf § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW gestützt und dabei die Vorschrift im Anschluss an Teile der nachbarrechtlichen Literatur als verfassungsgemäß angesehen. Die Widerklage der Beschwerdeführerin sei nach § 530 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung unzulässig.
4. Die Beschwerdeführerin hat die beim Bundesgerichtshof erhobene Nichtzulassungsbeschwerde mit einem auf § 78b ZPO gestützten Antrag auf Beiordnung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts verbunden. Diesen Antrag hat der Bundesgerichtshof mit seinem angegriffenen Beschluss vom 20. Februar 2003 abgelehnt. Die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die hiergegen gerichtete Gegenvorstellung hat der Bundesgerichtshof mit seinem angegriffenen Beschluss vom 6. März 2003 beschieden. Sie gebe zu einer abweichenden Beurteilung weder hinsichtlich des Antrags auf Beiordnung eines beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts noch bezüglich des Gegenstandswerts des Beschwerdeverfahrens Anlass. Der Gegen-standswert bemesse sich nicht nach dem Wert des Grundstücks, sondern nach dem Wert der zu duldenden Beeinträchtigung. Dass dieser Wert den festgesetzten Betrag von 10.006,46 € übersteige, sei der Gegenvorstellung nicht zu entnehmen und auch sonst nicht ersichtlich.
Mit seinem angegriffenen Beschluss vom 30. April 2003 hat der Bundesgerichtshof schließlich die Nichtzulassungsbeschwerde verworfen. Die Beschwerdeführerin habe ihre Beschwerde nicht fristgerecht begründet.
5. Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. November 2002 hat das Amtsgericht die nach seinem Urteil von der Beschwerdeführerin den Klägern des Ausgangsverfahrens zu erstattenden Kosten für den ersten Rechtszug festgesetzt.
Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. Mai 2004 hat das Amtsgericht die nach dem landgerichtlichen Urteil von der Beschwerdeführerin den Klägern des Ausgangsverfahrens für den zweiten Rechtszug zu erstattenden Kosten festgesetzt.
Mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. Juni 2004 hat das Amtsgericht die Kosten festgesetzt, die von der Beschwerdeführerin den Klägern des Ausgangsverfahrens nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. April 2003 für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu erstatten sind.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin hat das Landgericht mit seinem angegriffenen Beschluss vom 31. Oktober 2005 zurückgewiesen.
Mit einem weiteren Kostenfestsetzungsbeschluss vom 6. Dezember 2005 hat das Amtsgericht schließlich die nach dem vorgenannten Beschluss des Landgerichts von der Beschwerdeführerin den Klägern des Ausgangsverfahrens zu ersetzenden Kosten festgesetzt.
III.
Die Beschwerdeführerin rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 14, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 103 Abs. 1 GG.
Der für die Urteile des Amts- und des Landgerichts tragende § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW regele die Duldungspflicht hinsichtlich eines Überbaus abweichend von § 912 Abs. 1 BGB und sei deshalb mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes verfassungswidrig. Denn die im Hinblick auf Überbau bestehenden Duldungspflichten seien im Bürgerlichen Gesetzbuch abschließend bestimmt. Auch hätten die Gerichte sich mit ihren Einwendungen zur baurechtlichen Unzulässigkeit des Überbaus und des gesamten Gebäudes der Kläger nicht hinreichend befasst. Darüber hinaus hätte entsprechend ihrem Antrag Beweis zu anderen Möglichkeiten des Dachabschlusses erhoben werden müssen. Das Landgericht hätte die Revision zulassen müssen.
Der Bundesgerichtshof habe den Wert des Beschwerdegegenstands willkürlich unterhalb des in § 26 Nr. 8 EGZPO genannten Betrages von 20.000 € festgesetzt. Er habe ihr Vorbringen dabei nicht hinreichend berücksichtigt.
IV.
Namens der Landesregierung des Landes Baden-Württemberg hat das Justizministerium in seiner Stellungnahme die Auffassung vertreten, dass § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW nicht wegen fehlender Gesetzgebungskompetenz des Landes verfassungswidrig sei. Vielmehr könne mit Rücksicht auf die Gesetzgebungsgeschichte des im Jahre 1964 mit § 114 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg in das Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg eingefügten § 7b Abs. 1 Satz 1, vor allem im Hinblick auf die vorangegangenen Erwägungen zur Aufnahme entsprechender Bestimmungen in das Bundesbaugesetz, keine Rede davon sein, dass der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich des privaten Nachbarrechts im Sinne des Art. 72 Abs. 1 GG erschöpfenden Gebrauch gemacht habe.
Das Land Brandenburg hat sich den Ausführungen des Justizministeriums des Landes Baden-Württemberg angeschlossen.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Stellungnahme insbesondere darauf hingewiesen, dass der von der Beschwerdeführerin erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde mit Rücksicht auf § 26 Nr. 8 EGZPO keine Aussicht auf Erfolg zugekommen sei. Die Beschwerdeführerin habe auch im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde keine Gründe für einen höheren Wert des Beschwerdegegenstands dargetan. Auf den Wert des Hausgrundstücks komme es dabei nicht an.
Gelegenheit zur Stellungnahme hatten ferner der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung, der Landtag des Landes Baden-Württemberg sowie sämtliche Landesregierungen.
V.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sich die Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts vom 13. November 2002 wendet. Insofern liegen die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG wegen einer Verletzung des Rechts der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes vor.
Im Übrigen, das heißt sowohl hinsichtlich des Urteils des Amtsgerichts vom 29. August 2001 als auch hinsichtlich der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde und der Entscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts im Kostenfestsetzungsverfahren, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
1. Das Urteil des Landgerichts verletzt allerdings nicht das Eigentumsgrundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum ist durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet (vgl. BVerfGE 31, 229 ≪240≫; 50, 290 ≪339≫; 52, 1 ≪30≫; 100, 226 ≪241≫; 102, 1 ≪15≫). Beschränkungen dieser Eigentümerbefugnisse sind nur auf der Grundlage eines Inhalt und Schranken des Eigentums gestaltenden Gesetzes zulässig, das auch kompetenzgemäß erlassen ist (vgl. BVerfGE 110, 141 ≪173≫). § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW gestaltet Inhalt und Schranken des Eigentums, indem es den Grundstückseigentümer verpflichtet, unter den dort genannten Voraussetzungen untergeordnete Bauteile als Überbau zu dulden, solange diese die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Auf diese Bestimmung hat das Landgericht allein tragend die Zurückweisung der Berufung der Beschwerdeführerin gestützt mit der Folge, dass diese den Überbau in den Luftraum ihres Grundstücks zu dulden hat.
b) Der Standpunkt des Landgerichts, dass das Land über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des § 7b Abs. 1 NRG BW verfügt hat, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass diese Vorschrift materiell verfassungswidrig, insbesondere unverhältnismäßig wäre oder dass das Landgericht bei ihrer Anwendung Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie grundsätzlich verkannt hätte.
aa) § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW regelt Rechte und Pflichten im Verhältnis zwischen Privaten und gehört deshalb zum bürgerlichen Recht. Für das bürgerliche Recht weist Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis zu. Hier bleibt nach Art. 72 Abs. 1 GG (in der hier maßgeblichen, bis 1994 geltenden Fassung) für die Gesetzgebung der Länder nur Raum, solange und soweit der Bund die Materie nicht erschöpfend geregelt hat. Wann eine bundesrechtliche Regelung als erschöpfend anzusehen ist, folgt aus einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normkomplexes. Hierbei rechtfertigt der Erlass eines Bundesgesetzes über einen bestimmten Gegenstand für sich allein noch nicht die Annahme, dass damit die Länder von eigener Gesetzgebung ausgeschlossen sind; es können noch Bereiche übrig bleiben, deren Regelung den Ländern offen steht. Maßgebend ist, ob ein bestimmter Sachverhalt tatsächlich umfassend und lückenlos geregelt ist oder nach dem aus Gesetzgebungsgeschichte und Materialien ablesbaren objektivierten Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte (vgl. BVerfGE 102, 99 ≪114 f.≫). Die erschöpfende Regelung einer Materie durch den Bund kann auch nicht allein deshalb angenommen werden, weil der Bundesgesetzgeber das betreffende Sachgebiet kodifiziert hat (vgl. BVerfGE 56, 110 ≪119≫). Raum bleibt den Ländern im Übrigen selbst bei umfassender Regelung der Materie durch den Bund nach Maßgabe der im Bundesgesetz vorgesehenen Regelungsvorbehalte zugunsten des Landesgesetzgebers (vgl. BVerfGE 35, 65 ≪73 f.≫; 83, 24 ≪30≫), im Bereich des bürgerlichen Rechts also derjenigen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (vgl. BVerfGE 78, 132 ≪144 f.≫).
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen kann nicht festgestellt werden, dass der Landesgesetzgeber mit § 7b Abs. 1 NRG BW, der Überbau unter den dort genannten Voraussetzungen weitergehend als in § 912 BGB vorgesehen zulässt, außerhalb seiner Gesetzgebungskompetenz gehandelt hat.
(1) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Bundesgesetzgeber die bei Überbau bestehenden Duldungspflichten des Nachbarn in § 912 Abs. 1 BGB erschöpfend geregelt hat. Schon die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers, der die vorgeschlagene Duldungspflicht beim Grenzüberbau “nicht dem partikularen Rechte” überlassen wollte (vgl. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Band III, Sachenrecht, 2. Auflage 1896, S. 283), lassen keinen eindeutigen Rückschluss im Hinblick auf die Zulässigkeit der Regelung weitergehender Duldungspflichten durch die Länder zu, weil der Gesetzgeber seinerzeit in diesem Zusammenhang offenbar strengere Überbaubestimmungen im partikularen Recht im Blick hatte. Im Übrigen wird § 912 Abs. 1 BGB selbst nach gegenwärtiger Rechtslage jedenfalls insofern nicht abschließend verstanden, als die Zivilgerichte auch im Anwendungsbereich dieser Vorschrift ergänzend die auf § 242 BGB beruhenden Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses heranziehen (vgl. BGHZ 62, 388 ≪390≫ sowie die Nachw. unter 3.).
Das mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch verfolgte Kodifikationsprinzip allein, wie es insbesondere in Art. 55 und 218 EGBGB zum Ausdruck kommt, vermag die Feststellung der erschöpfenden Regelung einer Gesetzesmaterie ebenfalls nicht zu stützen (vgl. BVerfGE 56, 110 ≪119≫).
(2) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass sich der abschließende Charakter der Überbauregelung in § 912 BGB aus einem Gegenschluss zu der Vorbehaltsklausel in Art. 124 Satz 1 EGBGB ergibt, wonach die landesgesetzlichen Vorschriften unberührt bleiben, welche das Eigentum an Grundstücken noch anderen als den im Bürgerlichen Gesetzbuch bestimmten Beschränkungen unterwerfen.
Ein Großteil des rechtswissenschaftlichen Schrifttums versteht Art. 124 Satz 1 EGBGB allerdings so, dass die Pflicht zur Duldung von Überbau keine “andere Beschränkung” im Sinne dieser Bestimmung ist, und hält § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW sowie entsprechende Bestimmungen anderer Länder für verfassungswidrig, weil sie die den Überbau betreffenden Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs modifizierten (vgl. Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 2007, § 7b Rn. 4; Dehner, Nachbarrecht, 7. Auflage, Loseblatt, Stand: Dezember 2006, A § 2 Art. 124 EGBGB; Säcker, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage 2004, § 912 Rn. 57; Roth, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2002, § 912 Rn. 21).
Das Landgericht legt in dem angegriffenen Urteil Art. 124 Satz 1 EGBGB hingegen im Anschluss an die in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertretene Gegenauffassung (vgl. Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 4. Auflage 2000, § 7b Einleitung; Vetter/Karremann/Kahl, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 17. Auflage 1996, Einleitung Rn. 3, § 7b NRG BW Rn. 1 sowie § 912 BGB Rn. 2b) als Vorbehalt für eine landesgesetzliche Regelung zur weitergehenden Duldung von Überbau aus, wie in § 7b Abs. 1 NRG BW vorgesehen.
Bei den Erwägungen des Landgerichts zu Art. 124 Satz 1 EGBGB handelt es sich um die Auslegung und Anwendung von einfachem Recht. Diese überprüft das Bundesverfassungsgericht aber nur eingeschränkt. Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür zuständigen Gerichte und vom Bundesverfassungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht nur zu gewährleisten, dass bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten, insbesondere der Schutzbereich der Grundrechte und ihre Bedeutung beachtet werden (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫; 96, 375 ≪394≫). Danach verbleibt den Fachgerichten in der Regel ein Interpretationsspielraum (vgl. BVerfGE 95, 28 ≪38≫). Von Verfassungs wegen sind sie insbesondere an einen eindeutigen Wortlaut der Norm gebunden (vgl. BVerfGE 59, 330 ≪334≫). Auch darf im Wege der Auslegung das gesetzgeberische Ziel in wesentlichen Punkten nicht so verfehlt oder verfälscht werden, dass an die Stelle der Gesetzesvorschrift inhaltlich eine andere gesetzt oder ein Regelungsinhalt erstmals geschaffen wird (vgl. BVerfGE 78, 20 ≪24≫).
Diese Grenzen hat das Landgericht nicht überschritten. Sein Verständnis des Art. 124 Satz 1 EGBGB ist gut vertretbar, jedenfalls vor dem Hintergrund des dargestellten Prüfungsmaßstabs des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Der Wortlaut des Art. 124 Satz 1 EGBGB steht der vom Landgericht befürworteten Auslegung des Art. 124 Satz 1 EGBGB nicht entgegen. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass nach Art. 124 Satz 1 EGBGB durch Landesgesetz nur andere Eigentumsbeschränkungen als der vom § 912 Abs. 1 BGB erfasste Überbau geregelt werden dürfen. Denn “andere” kann nach dem allgemeinen Sprachgebrauch auch eine zwar grundsätzlich gleichartige, in den einzelnen Voraussetzungen und Ausprägungen aber davon verschiedene “Beschränkung” des Grundstückseigentums bedeuten. Mit Rücksicht darauf, dass § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW nur die privatrechtlichen Folgen des Überbaus auf der Grundlage einer nach öffentlichem Baurecht zulässigen Grenzbebauung regelt, wohingegen § 912 Abs. 1 BGB den Überbau im Allgemeinen betrifft, können in beiden Normen durchaus verschiedene Regelungsgegenstände gesehen und § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW kann so als “andere Beschränkung” im Sinne des Art. 124 Satz 1 EGBGB verstanden werden. Die gegenteilige Deutung des Begriffs “andere” im Sinne von “andersartig” ist jedenfalls nicht zwingend.
Ebenso wenig erfordern Sinn und Zweck des Art. 124 Satz 1 EGBGB, gerade auch mit Rücksicht auf seine Entstehungsgeschichte, eine vom Standpunkt des Landgerichts abweichende Auffassung. So hat sich die Kommission bei den Beratungen zur zweiten Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB-E) hinsichtlich des in § 866 BGB-E (der Entwurfsnorm für den späteren Art. 124 EGBGB) enthaltenen landesgesetzlichen Vorbehalts zwar für eine engere Gesetzesfassung entschieden und dies insbesondere damit begründet, dass es misslich sei, nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch eine Erörterung darüber zuzulassen, ob das Landesrecht über die im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Arten von Beschränkungen hinausgehe (vgl. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. III., 1899, S. 163 f.). Aus den nachfolgenden Erwägungen der Kommission zu § 866 BGB-E ergibt sich jedoch, dass sie sich hierfür von einem besonderen, § 7b NRG BW nicht erfassenden Grund leiten ließ: Die das Nachbarrecht betreffenden Vorschriften seien vielfach in alten, zum Teil obsoleten Statuten enthalten. Es erscheine deshalb im Interesse der Rechtssicherheit und der praktischen Handhabung des Rechts geboten, die Möglichkeit, bei der Beurteilung des Umfangs der im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelten Eigentumsbeschränkungen auf alte statutarische Vorschriften zurückzugreifen, ein für alle Mal abzuschneiden (vgl. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. III., 1899, S. 164). Um altes, bereits vor Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs geltendes, teilweise obsoletes Landesrecht, dessen Anwendbarkeit die Rechtssicherheit und praktische Handhabbarkeit des bürgerlichen Rechts beeinträchtigen könnte, handelt es sich bei § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW jedoch nicht. Die differenziert den Fall des baurechtlich zulässigen Überbaus regelnde Bestimmung des baden-württembergischen Nachbarrechts ist vielmehr, gemessen an den aus der Generalklausel des § 242 BGB abgeleiteten Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses, mit einem Gewinn an Rechtssicherheit verbunden.
(3) Da dem Urteil des Landgerichts schon nach den vorstehenden Erwägungen zur Auslegung des § 912 BGB und des Art. 124 Satz 1 EGBGB nicht mit Erfolg entgegengehalten werden kann, es habe das Fehlen einer Gesetzgebungsbefugnis des Landes zum Erlass des § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW verkannt, bedarf es keiner Entscheidung mehr, ob und inwieweit das Verhalten von Bund und Ländern anlässlich der in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erfolgten Diskussion über die Aufnahme solcher ergänzender Überbauregelungen in Bundes- oder Landesrecht rechtlich tragfähige Rückschlüsse auf das spätere Verständnis von § 912 BGB und der Vorbehaltsklausel in Art. 124 Satz 1 EGBGB und die daraus folgenden Abgrenzungen der Gesetzgebungskompetenzen zulässt. Nachdem nämlich die Aufnahme einer dem § 7b NRG BW inhaltlich entsprechenden Bestimmung in das 1960 neu geschaffene Bundesbaugesetz an Bedenken des Bundesrates gescheitert war (vgl. Stellungnahme des Bundesrates BTDrucks III/336, S. 133, sowie BTDrucks III/1794, S. 106 ff.), lehnte der Bund nach dem Inhalt eines von der Landesregierung Baden-Württemberg in ihrer Stellungnahme vorgetragenen Schreibens des Bundesjustizministers vom 12. Februar 1960 eine bundesgesetzliche Regelung der Materie mit der Begründung ab, gegen eine landesrechtliche Regelung bestünden mit Rücksicht auf den Regelungsvorbehalt in Art. 124 Satz 1 EGBGB keine Bedenken.
cc) Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, dass der Landesgesetzgeber den ihm bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums zustehenden Gestaltungsspielraum mit der Regelung in § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW überschritten, insbesondere die Interessen des Grundstückseigentümers unverhältnismäßig eingeschränkt haben könnte, sind mit Rücksicht auf die differenzierten Vorgaben zu dessen Duldungspflicht in dieser Vorschrift und vor allem auch zu deren inhaltlicher und zeitlicher Begrenzung (solange die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird) nicht erkennbar.
2. Das Landgericht hat mit seinem angegriffenen Urteil aber das Recht der Beschwerdeführerin auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt, indem es die Revision nicht zugelassen hat.
Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz als Ausprägung des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG begründet zwar keinen Anspruch auf eine weitere Instanz. Die Entscheidung über den Umfang des Rechtsmittelzugs bleibt vielmehr dem Gesetzgeber überlassen (vgl. BVerfGE 54, 277 ≪291≫; 89, 381 ≪390≫; 107, 395 ≪401 f.≫). Hat der Gesetzgeber sich aber für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 74, 228 ≪234≫).
Im vorliegenden Fall hing der Zugang zur Revisionsinstanz gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO von der Zulassung der Revision durch das Landgericht ab. Die mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Reform der Zivilprozessordnung eingeführte Bestimmung findet gemäß § 26 Nr. 7 EGZPO Anwendung, wenn die mündliche Verhandlung im zweiten Rechtszug nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen worden ist (vgl. Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, 27. Auflage 2005, EGZPO § 26 Rn. 6; Gummer/Heßler, in: Zöller, ZPO, 26. Auflage 2007, EGZPO § 26 Rn. 9). Das war hier der Fall. Das Landgericht hatte die mündliche Verhandlung am 16. Oktober 2002 geschlossen.
Das Landgericht hätte die Revision nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulassen müssen. Denn der Rechtssache kam grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO im Hinblick auf die oben bereits erörterte Auslegung des Art. 124 Satz 1 EGBGB als entscheidende Vorfrage bei Prüfung der formellen Verfassungsmäßigkeit des § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nämlich immer dann, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 – V ZB 16/02 –, NJW 2002, S. 3029). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn die Beantwortung der betreffenden Rechtsfrage zweifelhaft ist oder zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die Frage höchstrichterlich nicht geklärt ist (vgl. Ball, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage 2007, § 543 Rn. 5a; Kayser, in: Hk-ZPO, 2006, § 543 Rn. 7b).
Hier war nach der für das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang maßgebenden Rechtsauffassung des Landgerichts die Verfassungsmäßigkeit des § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW als Grundlage der Duldungspflicht der Beschwerdeführerin allein entscheidungserheblich. Denn auf die Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses hatte sich zwar das Amtsgericht, nicht aber das Landgericht gestützt. Ob das Land für § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz verfügte, hing aber, wie oben bereits ausgeführt, von der Auslegung des nachbarrechtlichen Regelungsvorbehalts für den Landesgesetzgeber in Art. 124 Satz 1 EGBGB ab.
Dabei handelte es sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Die Auslegung des Art. 124 Satz 1 EGBGB ist, wie dargelegt, in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft. Außerdem werden dazu, worauf gleichfalls bereits hingewiesen wurde, voneinander abweichende Auffassungen vertreten: Während das rechtswissenschaftliche Schrifttum zu Art. 124 Satz 1 EGBGB sowie Teile der Literatur zu § 7b NRG BW davon ausgehen, dass Art. 124 Satz 1 EGBGB landesrechtlichen Regelungen des Überbaus entgegenstehe (vgl. Bruns, Nachbarrechtsgesetz Baden-Württemberg, 2007, § 7b Rn. 4; Dehner, Nachbarrecht, 7. Auflage, Loseblatt, Stand: Dezember 2006, A § 2 Art. 124 EGBGB; Säcker, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Auflage 2004, § 912 Rn. 57; Hartmann, in: Soergel, BGB, 12. Auflage 1996, Art. 124 EGBGB Rn. 3; Roth, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2002, § 912 Rn. 21), wird in der Literatur zu § 7b NRG BW teilweise eine weniger strenge Auslegung des Art. 124 Satz 1 EGBGB befürwortet (vgl. Birk, Nachbarrecht für Baden-Württemberg, 4. Auflage 2000, § 7b Einleitung; Vetter/Karremann/Kahl, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 17. Auflage 1996, Einleitung Rn. 2 f., § 7b NRG BW Rn. 1 sowie § 912 BGB Rn. 2b). Die Auslegung des Art. 124 Satz 1 EGBGB im Hinblick auf die Zulässigkeit landesgesetzlicher Regelungen des Überbaus ist auch nicht durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs höchstrichterlich geklärt.
Die Rechtsfrage ist schließlich klärungsfähig. Das setzt die Revisibilität des anzuwendenden Rechts voraus (vgl. Ball, in: Musielak, ZPO, 5. Auflage 2007, § 543 Rn. 5a; Kayser, in: Hk-ZPO, 2006, § 543 Rn. 10). Diese liegt hier vor. Revisibel ist gemäß § 545 Abs. 1 ZPO sowohl Bundesrecht als auch anderes Recht, wenn es sich über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinaus erstreckt. Danach gehören § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW und Art. 124 Satz 1 EGBGB zum revisiblen Recht. § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW hat nämlich als Recht des Landes Baden-Württemberg einen über den Bezirk eines Oberlandesgerichts hinausreichenden Geltungsbereich. Der ebenso tragende Art. 124 Satz 1 EGBGB gehört zum Bundesrecht.
Das Landgericht hat die Revision ungeachtet dieser ungeklärten Rechtslage nicht zugelassen. Es hat die Frage der Revisionszulassung zwar nicht ausdrücklich ausgesprochen, sich vielmehr weder im Tenor noch in den Entscheidungsgründen seines angegriffenen Urteils mit der Zulassung oder der Nichtzulassung der Revision befasst. Schweigen zur Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht gilt jedoch als deren Nichtzulassung (vgl. BGHZ 44, 395 ≪396 f.≫).
Die Nichtzulassung der Revision durch das Landgericht ist nicht nur einfach-rechtlich fehlerhaft. Der Prozessrechtsverstoß führt hier – weitergehend – auch zu einer der Beschwerdeführerin unzumutbaren Verkürzung des Rechtswegs, weil es nach dem die Entscheidung des Landgerichts tragenden materiellen Recht keine sachlichen Gründe für die Nichtzulassung der Revision gegeben hat. Das Landgericht hat hierfür solche Sachgründe auch nicht dargelegt, obwohl dies angesichts des ihm bekannten Meinungsstreits zu § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW und Art. 124 Satz 1 EGBGB sowie seiner Rechtsauffassung hierzu nahe gelegen hätte. Nachvollziehbare Sachgründe für die Nichtzulassung der Revision sind auch nicht ersichtlich.
Darauf, ob neben dem festgestellten Verstoß gegen die Justizgewährungsgarantie – wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht – noch andere Verletzungen von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten vorliegen, kommt es danach nicht mehr an.
3. Auch die übrigen Voraussetzungen der Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG liegen hinsichtlich des Berufungsurteils vor.
Zwar ist die Annahme einer Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung als verletzt gerügter Rechte dann nicht angezeigt, wenn der betreffende Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪26≫). Dass dies der Fall ist, kann im vorliegenden Fall jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden.
Es steht dem Landgericht nach der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits zwar frei, seine neue Entscheidung nicht auf § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW zu stützen, sondern eine andere Begründung zu wählen, der womöglich auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auch mögen insofern die Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in Betracht kommen. Im Hinblick auf den Sach- und Streitstand des Ausgangsverfahrens steht aber nicht fest, dass sich daraus für den vorliegenden Fall eine Duldungspflicht herleiten lässt. Denn der Bundesgerichtshof lässt die Anwendung der Regeln des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nur ausnahmsweise (vgl. BGHZ 28, 110 ≪114≫; BGH, Urteil vom 8. Oktober 1958 – V ZR 54/56 –, MDR 1959, S. 31; Urteil vom 22. September 1972 – V ZR 8/71 –, MDR 1973, S. 39; Urteil vom 31. Januar 2003 – V ZR 143/02 –, NJW 2003, S. 1392) und aus zwingenden Gründen zu (vgl. BGHZ 28, 110 ≪114≫; BGH, Urteil vom 8. Oktober 1958 – V ZR 54/56 –, MDR 1959, S. 31; Urteil vom 22. September 1972 – V ZR 8/71 –, MDR 1973, S. 39; Urteil vom 7. Juli 1995 – V ZR 213/94 –, NJW 1995, S. 2633 ≪2635≫). Ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen müsse dringend geboten erscheinen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 1995 – V ZR 213/94 –, NJW 1995, S. 2633 ≪2635≫; Urteil vom 31. Januar 2003 – V ZR 143/02 –, NJW 2003, S. 1392). In diesem Zusammenhang verlangt der Bundesgerichtshof eine umfassende Berücksichtigung und Abwägung der Gesamtumstände des konkreten Falles (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1973 – V ZR 107/72 –, MDR 1974, S. 571 f.; Urteil vom 10. Dezember 1976 – V ZR 263/74 –, MDR 1977, S. 568). Im Rahmen der Abwägung misst er dem Verschuldensgrad erhebliche Bedeutung bei (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 1973 – V ZR 107/72 –, MDR 1974, S. 571 f.; Urteil vom 10. Dezember 1976 – V ZR 263/74 –, MDR 1977, S. 568).
Danach müsste das Landgericht, wollte es die Zurückweisung der Berufung nunmehr statt auf § 7b Abs. 1 Satz 1 NRG BW auf die Regelung des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses stützen, eine Abwägung aller Umstände vornehmen. Dabei wäre zum einen zu berücksichtigen, dass es sich um einen bewussten und damit vorsätzlichen Überbau der Kläger des Ausgangsverfahrens handelt. Zum anderen müsste das Landgericht dem Einwand der Beschwerdeführerin nachgehen, dass die Kläger den Abschluss des Daches und die Verschalung ihrer ungeschützten Giebelwand auf andere, das Eigentum der Beschwerdeführerin weniger beeinträchtigende Weise hätten ausführen können.
4. Soweit die Beschwerdeführerin das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs sowie Entscheidungen des Amts- und des Landgerichts im Kostenfestsetzungsverfahren angreift, liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde nicht vor.
Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil es durch das Berufungsurteil des Landgerichts, soweit für die Rügen der Beschwerdeführerin von Bedeutung, prozessual überholt ist. Unabhängig davon sind auch keine Verletzungen von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin durch dieses Urteil erkennbar.
Hinsichtlich der Entscheidungen aus dem Kostenfestsetzungsverfahren ist die Verfassungsbeschwerde jeweils wegen Ablaufs der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG unzulässig. Im Hinblick auf die angegriffenen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Auch mit Rücksicht auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin begegnet es nämlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Bundesgerichtshof einen unter der Grenze des § 26 Nr. 8 EGZPO liegenden Wert der Beschwer bejaht und deshalb die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Nichtzulassungsbeschwerde verneint hat.
VI.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Bryde, Eichberger, Schluckebier
Fundstellen